Neue Serie: Mit ver­ein­ten (Fach)kräften

Wie kommen Betriebe an den benötigten Berufsnachwuchs, wie hält man Fachkräfte in den eigenen Reihen, wie verhindert man, dass fachfremde Arbeitgeber Leute abwerben? Diese und noch weitere Fragen haben die OT-Redaktion, auch nach zahlreichen Gesprächen mit den Vertreter:innen aus dem Fach, dazu bewegt, eine neue Serie ins Leben zu rufen: die „Fachkräfteoffensive OT“.

Natür­lich gibt es kein Wun­der­mit­tel gegen den Fach­kräf­te­man­gel, aber selbst aktiv zu wer­den ist defi­ni­tiv der ers­te Schritt, die Zukunft des Fachs zu gestal­ten und zu sichern. Des­halb wird es im Rah­men unse­rer Serie Bei­spie­le aus dem Fach und für das Fach geben. Dane­ben wer­den Expert:innen ihr Wis­sen zu ver­schie­de­nen The­men rund um die Arbeits­markt­si­tua­ti­on in Inter­views oder ande­rer Form teilen.

Der Ist-Zustand

452 ver­füg­ba­re Jobs – die­se Zahl spuckt die Such­funk­ti­on der Agen­tur für Arbeit aus, wenn man nach „Ortho­pä­die-Tech­nik“ sucht (Stand Dezem­ber 2022). Auch bei ande­ren Job­bör­sen bekommt man zahl­rei­che Tref­fer im Berufs­feld der Ortho­pä­die-Tech­nik. Vor allem im Bereich der Ver­sor­gung herrscht eine gro­ße Vakanz in vie­len Werk­stät­ten. In der kürz­lich ver­öf­fent­lich­ten Umfra­ge des Bünd­nis­ses „Wir ver­sor­gen Deutsch­land“ wur­de die­se Dimen­si­on durch die Ant­wor­ten der teil­neh­men­den Betrie­be noch ein­mal unter­stri­chen: 92 Pro­zent aller Betrie­be, die auf der Suche sind, benö­ti­gen Mitarbeiter:innen im Bereich der Ver­sor­gung. Gera­de in der Reha-Tech­nik oder in der Werk­statt sind die Betrie­be drin­gend auf Unter­stüt­zung ange­wie­sen. Wie ein Hil­fe­ruf sind auch ande­re Ant­wor­ten zu ver­ste­hen, dem­nach qua­si in allen Berei­chen Bedarf herrscht – von Elektriker:in über Auslieferungsfahrer:in bis Orthopädietechniker:in. Auch Aus­zu­bil­den­de wer­den in vie­len Betrie­ben gesucht – sind sie doch die Fach­kräf­te von mor­gen. Die Top-Ant­wort, wenn nach Grün­den für die feh­len­den Fach­kräf­te gefragt wird, ist übri­gens kei­ne Über­ra­schung: 72,5 Pro­zent aller befrag­ten Unter­neh­men gaben an, dass das nied­ri­ge Gehalts­ni­veau im Ver­gleich zu ande­ren Bran­chen der Haupt­grund für die feh­len­den Handwerker:innen in der Ortho­pä­die-Tech­nik ist. Zwei von drei Umfrageteilnehmer:innen gaben zudem an, dass die Berufs­bil­der und die beruf­li­chen Mög­lich­kei­ten der Bran­che zu wenig bekannt sind. Der Berufs­zweig hat also ins­ge­samt ein Image­pro­blem – und kann die­ses nicht ein­mal mit hohen Löh­nen kom­pen­sie­ren. Alles in allem also kein bestell­tes Feld, um den Fach­kräf­te­man­gel schnell zu beseitigen.

Struk­tur­pro­ble­me

Die mög­li­chen Löh­ne sind an die Ver­trä­ge zwi­schen Leis­tungs­er­brin­gern und Kos­ten­trä­gern gekop­pelt. Gera­de in der aktu­el­len Situa­ti­on mit einer Infla­ti­on von zehn Pro­zent, gestie­ge­nen Ener­gie­kos­ten und einer Viel­zahl von Ver­hand­lern und Ver­trä­gen ist es kaum mög­lich, zeit­nah eine Lösung in punc­to Gehalt zu fin­den, ohne die Haupt­last auf die Schul­tern der Betrie­be zu legen. Eine Struk­tur­re­form ist daher nötig, um mehr Fle­xi­bi­li­tät für Kri­sen­zei­ten zu gewähr­leis­ten. Ein ande­res für das Hand­werk grund­le­gen­de Pro­blem ist die zuneh­men­de Aka­de­mi­sie­rung. Laut­des Por­tals Sta­tis­ta began­nen 472.354 jun­ge Men­schen im Jahr 2021 ein Hoch­schul­stu­di­um. Damit hat sich die Zahl der Studienanfänger:innen seit 1995 fast ver­dop­pelt. Damals began­nen 262.407 Stu­die­ren­de ihre aka­de­mi­sche Lauf­bahn. Zuletzt nahm die Zahl der neu­en Stu­die­ren­den aller­dings nach einem All­zeit­hoch im Jahr 2011 mit 518.748 Anfänger:innen wie­der ab. Im Rah­men der Erhe­bung des Bun­des­in­sti­tuts für Berufs­bil­dung (BIBB) über neu abge­schlos­se­ne Aus­bil­dungs­ver­trä­ge und der Aus­bil­dungs­markt­sta­tis­tik der Bun­des­agen­tur für Arbeit (BA) – jeweils zum 30. Sep­tem­ber – unter­sucht das BIBB jedes Jahr die Ent­wick­lung des Aus­bil­dungs­markts, um zen­tra­le Infor­ma­tio­nen zu erlan­gen, die bei der Siche­rung des Fach­kräf­te­nach­wuch­ses eine wich­ti­ge Rol­le spie­len. 2021 gab es laut Anga­ben des BIBB 473.100 neu­ge­schlos­se­ne Aus­bil­dungs­ver­trä­ge. Ein Minus von rund 52.000 Aus­zu­bil­den­den allein zu der Vor-Pan­de­mie-Zeit. „Coro­na hat­te die beruf­li­che Aus- und Wei­ter­bil­dung auch im Jahr 2021 fest im Griff. Zwar hat sich im zwei­ten Coro­na-Jahr die Lage auf dem Aus­bil­dungs­markt im Ver­gleich zu 2020 leicht ent­spannt. Unse­re For­schungs­er­geb­nis­se zei­gen aber, dass das Niveau von vor der Pan­de­mie bei Wei­tem noch nicht wie­der erreicht ist. Und die aktu­el­len wirt­schafts­po­li­ti­schen Ent­wick­lun­gen als Aus­wir­kun­gen des rus­si­schen Angriffs­krie­ges auf die Ukrai­ne las­sen auch über dem Aus­bil­dungs­markt 2022 neue dunk­le Wol­ken auf­zie­hen. Fach­kräf­te wer­den aller­or­ten hän­de­rin­gend gesucht, die beruf­li­che Bil­dung hat an Attrak­ti­vi­tät wei­ter ein­ge­büßt. Es muss daher eine vor­ran­gi­ge Auf­ga­be aller Betei­lig­ten blei­ben, die Attrak­ti­vi­tät der beruf­li­chen Bil­dung wie­der zu erhö­hen und dua­le Aus- und Fort­bil­dungs­be­ru­fe wie­der mehr wert­zu­schät­zen. Dazu gehört auch, die Gleich­wer­tig­keit von beruf­li­cher und aka­de­mi­scher Bil­dung nicht nur in Sonn­tags­re­den zu erwäh­nen, son­dern sie end­lich anzu­er­ken­nen und recht­lich zu ver­an­kern. Dies wür­de in der Gesell­schaft die Erkennt­nis för­dern, dass ein beruf­li­cher Abschluss durch­aus der Kar­rie­re dient und damit ein gutes Ein­kom­men erziel­bar ist“, erklär­te BIBB-Prä­si­dent Fried­rich Hubert Esser anläss­lich der Ver­öf­fent­li­chung des Jah­res­be­rich­tes im August 2022. Wäh­rend sich also die Anzahl der neu­en Stu­die­ren­den in den ver­gan­ge­nen 25 Jah­ren fast ver­dop­pelt hat, gab es im glei­chen Zeit­raum einen Rück­gang von rund 150.000 Aus­zu­bil­den­den – jähr­lich. Erst­mals – laut Anga­ben des Sta­tis­ti­schen Bun­des­am­tes – gibt es seit 2017 damit mehr neue Stu­die­ren­de als Aus­zu­bil­den­de in Deutschland.

Poli­ti­scher Wille

Die aktu­el­le Bun­des­re­gie­rung hat die Fach­kräf­te­si­che­rung 2021 in den Koali­ti­ons­ver­trag auf­ge­nom­men. Im Okto­ber 2022 wur­de eine neue Fach­kräf­testra­te­gie beschlos­sen mit dem Anspruch, dass die Bun­des­re­gie­rung die Anstren­gun­gen der Unter­neh­men und Betrie­be unter­stützt, Fach­kräf­te zu gewin­nen und zu hal­ten. 39 Sei­ten umfasst die Stra­te­gie und geht dabei auf die „drei gro­ßen D“ – Demo­gra­fie, Digi­ta­li­sie­rung und Dekar­bo­ni­sie­rung – eben­so ein wie auf die ange­streb­ten Hand­lungs­fel­der. Fünf hat die Bun­des­re­gie­rung iden­ti­fi­ziert. 1. zeit­ge­mä­ße Aus­bil­dung, 2. geziel­te Wei­ter­bil­dung, 3. Arbeits­po­ten­zia­le wirk­sa­mer heben und Erwerbs­be­tei­li­gung erhö­hen, 4. Ver­bes­se­rung der Arbeits­qua­li­tät und Wan­del der Arbeits­kul­tur und 5. die Ein­wan­de­rung moder­ni­sie­ren und Abwan­de­rung redu­zie­ren. „Der Fach­kräf­te­man­gel ist eine gro­ße Her­aus­for­de­rung, die wir mit der Fach­kräf­testra­te­gie gemein­sam ange­hen. Wir brau­chen drin­gend mehr klu­ge Köp­fe und flei­ßi­ge Hän­de für Wachs­tum und Wohl­stand in unse­rem Land. Ein wich­ti­ger Bau­stein der Stra­te­gie ist die Exzel­lenz­in­itia­ti­ve Beruf­li­che Bil­dung. Wir wol­len damit die beruf­li­che Ori­en­tie­rung aus­bau­en und ins­be­son­de­re die Gym­na­si­en stär­ker ein­be­zie­hen, Chan­cen für beruf­li­ches Wei­ter­kom­men mit dem Auf­stiegs-BAföG gezielt ver­bes­sern und mit der beruf­li­chen Begab­ten­för­de­rung beson­de­re Talen­te stär­ker als bis­lang för­dern. Aka­de­mi­sche und beruf­li­che Bil­dung sind unter­schied­lich, aber gleich­wer­tig. Bei­de sind tol­le Sprung­bret­ter für ein erfolg­rei­ches Berufs­le­ben. Eben­so wol­len wir die Ver­fah­ren zur Aner­ken­nung aus­län­di­scher Berufs­ab­schlüs­se für Fach­kräf­te wei­ter opti­mie­ren. Denn wir müs­sen das Poten­zi­al im Inland heben und gleich­zei­tig mehr Fach­kräf­te­ein­wan­de­rung orga­ni­sie­ren“, erklär­te Bet­ti­na Stark-Watz­in­ger, Bun­des­mi­nis­te­rin für Bil­dung und For­schung, anläss­lich des Fach­kräf­te­gip­fels, bei dem die Stra­te­gie vor­ge­stellt wurde.

Aus­blick

240.000 – so vie­le Einwoh­ner:innen hat Chem­nitz unge­fähr. Es ist aber auch die Zahl der unbe­setz­ten Arbeits­stel­len für Fach­kräf­te im Jahr 2026, mit der die Poli­tik rech­net. Eine mit­tel­gro­ße deut­sche Stadt voll – oder leer, je nach­dem wie man es sieht – mit Arbeits­plät­zen, für die es kein Per­so­nal gibt. Die Gesund­heits­be­ru­fe gehö­ren dabei – allein auf­grund des demo­gra­fi­schen Wan­dels – zu den Berufs­grup­pen mit den größ­ten Nöten und Sor­gen. Höchs­te Zeit, das Pro­blem in Angriff zu nehmen.

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