Die Hallen der Leipziger Messe waren gut gefüllt, die Menschen kamen aus nah und fern – ein Drittel der Besucher:innen nahm sogar den Weg aus dem Ausland auf sich, um in den Dialog mit den Branchenkolleg:innen zu treten. Dabei hätten die Menschen vor allem die Kongressbeiträge bequem vor dem eigenen Bildschirm verfolgen können, ohne coronakonform nach Sachsen zu reisen. Doch es hätte – Sie ahnen es schon – eine wichtige Komponente der Kommunikation gefehlt: der persönliche Austausch.
So war es wenig verwunderlich, dass mit einem Mix aus in der Pandemie erlernten und erprobten Verhaltensweisen und bereits vor 2020 etablierten Umgangsformen miteinander kommuniziert wurde. „Die OTWorld ist das internationale Klassentreffen. Hier kommen Experten aus aller Welt und allen Disziplinen zusammen. Es geht um fachlichen Austausch, um gemeinsames Streiten um die besten Versorgungslösungen – und wie man sie für Patienten zugänglich macht. Gerade in schwierigen Zeiten braucht es den persönlichen Austausch“, kommentiert Alf Reuter, Präsident des Bundesinnungsverbandes für Orthopädie-Technik (BIV-OT), die OTWorld. „Es war überfällig und das hat man in jeder Halle und jedem Saal gemerkt: Das Zwischenmenschliche – das wechselseitige Interesse an den Erfahrungen der anderen macht den Unterschied. Nur durch den Austausch der Erfahrungen unter Kollegen entwickelt sich unser Fach weiter. Man konnte sich in diesem Jahr voll und ganz auf diesen Austausch konzentrieren. Und wer dabei den einen oder anderen Vortrag verpasst hat – der schaut einfach in die digitale Mediathek. Ich werde hier das eine oder andere sicher nachholen müssen“, erklärte Reuter weiter.
Lauterbach eröffnet
Prof. Dr. Karl Lauterbach hat als Bundesgesundheitsminister aktuell viel Arbeit auf seinem Schreibtisch liegen. Dennoch ließ er es sich nicht nehmen – zumindest virtuell – die OTWorld zu eröffnen. Eine besondere Wertschätzung, die den Stellenwert der Hilfsmittelversorgung in der Gesundheitsversorgung zeigt. „Ich nutze die Gelegenheit gerne, um Ihnen allen dafür Danke zu sagen, dass Sie die Versorgung unter erschwerten Bedingungen aufrechterhalten haben“, lobte er den Einsatz der Betriebe in der Corona-Pandemie. Den Stellenwert der Hilfsmittelversorgung sieht er in der Zukunft weiter wachsen: „Der Bedarf an Hilfsmitteln wird in den kommenden Jahren und Jahrzehnten weltweit dynamisch zunehmen. Die Hilfsmittelversorgung ist ein elementarer Baustein für eine inklusive Gesellschaft.“
Alf Reuter sorgte mit der Begrüßung einer Delegation des ukrainischen Gesundheitsministeriums für einen besonderen Gänsehautmoment in der auch ansonsten emotionalen Eröffnungsveranstaltung. Überhaupt: Der russische Angriffskrieg war Bestandteil vieler Gespräche an Messeständen und auch im Kongress. Der Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik positionierte sich klar und drückte die Verbundenheit mit dem ukrainischen Volk mit einem Anstecker in den blau-gelben Landesfarben aus.
Ein Novum im Rahmen der OTWorld war die Überreichung des René-Baumgartner-Preises im Namen der Deutschen Gesellschaft für interprofessionelle Hilfsmittelversorgung e. V. (DGIHV). Baumgartners Tochter Colette bedankte sich in Leipzig persönlich im Namen ihrer Familie für die Ehre der Namensgebung durch den 2018 verstorbenen „Brückenbauer“ der Technischen Orthopädie. Den Preis entgegennehmen durften der Ehrenpräsident des BIV-OT und Initiator der DGIHV, Klaus-Jürgen Lotz, sowie Prof. Dr. med. Heinrich Heß für ihr herausragendes Engagement in der technischen und medizinischen Orthopädie. Überreicht wurde der René-Baumgartner-Preis vom DGIHV-Vorsitzenden Prof. Dr. med. Wolfram Mittelmeier und, in seiner Funktion als DGIHV-Vorstand, Alf Reuter.
Für die Kongresspräsidenten Dipl.-Ing. Merkur Alimusaj und Prof. Dr. Martin Engelhardt endeten zwei arbeitsreiche Jahre mit ihrem Höhepunkt in Leipzig. Beide Präsidenten betonten einmal mehr, dass vor allem die Programmgestaltung mit den Schwerpunkten Ausbildung und Sportversorgung eine besondere Herzensangelegenheit gewesen sei. Wie vielfältig die Aufgaben des Kongresspräsidenten sein können, erlebten die beiden Protagonisten des Kongresses am eigenen Leib. Während Prof. Engelhardt den Branchennachwuchs beim traditionellen Get-together der Jugend.Akademie TO mit der Grillzange in der Hand versorgte, stand Merkur Alimusaj „bewaffnet“ mit aktuellen Prothesenversorgungen im TV-Studio und sprach mit einem Moderator und dessen Publikum über die OTWorld und die aktuelle Entwicklung der Hilfsmittelversorgung.
2024 kommen diese und weitere Aufgaben auf das neue Führungsduo an der Kongressspitze zu. Mit OTM Ingo Pfefferkorn, Orthopädie-Technik Scharpenberg, und Prof. Dr. med. Thomas Wirth, Ärztlicher Direktor der Orthopädischen Klinik Stuttgart, wurden erneut ausgewiesene Fachmänner aus dem Bereich Technik und Medizin gefunden.
Inspirierende Keynotes
Eine Aufgabe des Programmkomitees wird es dann sein, wieder ähnlich hochkarätige Keynote-Speaker wie in diesem Jahr zu finden. Mit Prof. Dr. Kenton Kaufman, Prof. Dr. Bertolt Meyer, Prof. Dr. Sami Haddadin und dem Doppelvortrag von Prof. Dr. Oskar Aszmann und Dr. Agnes Sturma wurden die Besucher:innen nicht nur informiert, sondern auch inspiriert, welches Potential in der Branche schlummert und dass es sich lohnt, den eigenen Blick über den berühmten Tellerrand schweifen zu lassen.
Apropos berühmt. Die Vielzahl von Stars und Sternchen bei dieser OTWorld war wieder einmal beeindruckend. Besonders Sportler:innen waren gefragte Gäste auf den Messeständen. Ein besonderes Highlight war mit Sicherheit der Besuch von Dirk Nowitzki. Mit den blauen Trikots „seiner“ Dallas Mavericks oder Basketbällen ausgestattet zogen die Besucher:innen zum Stand der Bauerfeind AG, um die deutsche Basketballikone zu sehen. Mehrere hundert Menschen ließen sich den rund halbstündigen Impulsvortrag des gebürtigen Würzburgers nicht entgehen, der anschließend auf der Bühne Platz nahm und in seiner sympathischen Art und Weise Fragen beantwortete. Und weil Nowitzki ein Star zum Anfassen ist, ließ er es sich auch nicht nehmen, fast 20 Minuten für Autogramme und Fotos parat zu stehen. Höhepunkt dabei war, als der 2,13 Meter große Basketballer ein kleines Kind in die Hände gedrückt bekam für einen ganz besonderen Schnappschuss. Mit goldenen Medaillen von Olympischen und Paralympischen Spielen dekoriert waren Johannes Floors, Fabian Hambüchen oder auch Lars Riedel weitere Sportstars, die auf Hilfsmittel setzen und bei der OTWorld vor Ort waren.
Versorgungsrealität näher bringen
Dass sich ein Besuch auf der OTWorld lohnt, dass wissen nicht nur Brancheninsider. Doch wie erhalten beispielsweise Mediziner:innen oder Kostenträger, die weitere wichtige Zahnräder in der Patientenversorgung sind, einfachen Zugang zu der Versorgungsrealität der Orthopädie-Technik? Mit den Versorgungswelten „Lympherkrankungen“, „Leben mit Cerebralparese“ oder „Einlagen“ ist ein Versuch gestartet worden, mit Hilfe von jeweils fünf Stationen die Versorgungsinhalte aufzubereiten. „Es braucht mehr als einen 2D-Scan, wie er gerade in der Online-Einlagenversorgung eingesetzt wird. Auch ein zusätzlicher Fragebogen liefert nicht alle relevanten Daten“, erklärte Dr. Annette Kerkhoff, Projektleiterin des Kompetenzzentrums Orthopädieschuhtechnik (KomZet O.S.T.), die zusammen mit Jürgen Stumpf, Mitglied im OST-Beratungsausschuss der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e. V. (DGOU), auf Initiative zahlreicher Fachverbände und ‑gesellschaften die Versorgungswelt „Einlagen“ für die OTWorld geplant hat, und macht damit deutlich, wie aktuell Fragestellungen für eine qualitative Versorgung sind.
Vier Jahre „Leidenszeit“
„Ich freue mich sehr, dass die erste OTWorld in Präsenz nach vier Jahren ausgesprochen erfolgreich verlaufen ist. Über 90 Prozent der Aussteller und Besucher hatten eine erfolgreiche Messe, wollen sich wieder beteiligen und werden die Veranstaltung weiterempfehlen“, bilanzierte Martin Buhl-Wagner, Geschäftsführer der Leipziger Messe. „Beeindruckend ist die hohe internationale Präsenz. Das zeigt, wie notwendig im In- und Ausland der grenzübergreifende Austausch eingeschätzt wird.“
Das belegen auch die nackten Zahlen. 18.800 Orthopädietechniker:innnen, Orthopädieschuhmacher:innen, Mediziner:innen und Physiotherapeut:innen aus 86 Ländern waren 2022 in Leipzig zu Gast. Insgesamt 440 Aussteller und 300 Kongressreferent:innen sorgten für einen Einblick in die Versorgung von morgen. Und weil dieses „morgen“ in gar nicht allzu weiter Ferne ist, lohnt es sich bereits heute, den Termin für die kommende OTWorld im Kalender zu markieren. Vom 14. bis zum 17. Mai 2024 steht der nächste große Branchentreff an und damit die nächste Möglichkeit sich persönlich auszutauschen.
Michael Blatt, Heiko Cordes, Jana Sudhoff
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