„Inklusives Segeln“ nimmt beim Deutschen Segler-Verband (DSV) immer mehr Fahrt auf. Bei 40 Mitgliedsvereinen gehört das Angebot derzeit zum Programm. Der YCM ist seit 2019 dabei, mehr und mehr Menschen mit Behinderungen für die Sportart zu begeistern, berichtet Vizepräsident Edwin Köhler. Und zwar nicht nur Vereinsmitglieder: Das Angebot ist – trotz des privaten Hafens – für alle, die daran Interesse haben, zugänglich. Sowohl Rollstuhlfahrer:innen, Gehörlose und Sehbehinderte als auch Personen mit geistigen Beeinträchtigungen kamen am Möhnesee u. a. bei verschiedenen Aktionstagen bereits auf ihre Kosten. Auch einige ältere Clubmitglieder greifen gern auf die zwei Spezialboote zurück. Diese verfügen über zwei hintereinander liegende Schalensitze, die so verstellt werden können, dass sich die Segler:innen mit dem Gewicht gegen den Wind neigen können. Wie gewohnt lenkt, wer hinten sitzt. Allerdings nicht mit einer Pinne (Hebel, mit dem das Ruder bedient wird. Anm. d. Red.), sondern mit einem Lenkrad. Ein schwerer Kiel – typisch für jedes kleine Segelboot – verhindert, dass das Boot kentern kann. „Am Ende also alles ein wenig anders und dennoch das gleiche Erlebnis“, betont Köhler. Sind die Rollstuhlfahrenden im Boot, haben sie die größte Hürde bereits genommen: den Weg vom Gelände ins Wasser. Und der ist insbesondere am sauerländischen Möhnesee eine Herausforderung. Im Jahresverlauf schwankt der Wasserstand um fünf bis sechs Meter, der zu überwindende Höhenunterschied ist also zeitweise groß. Trotz der anfänglichen Bedenken wagte der Verein den Versuch und wurde belohnt. Mit Unterstützung von Begleitpersonen sowie Clubmitgliedern oder auch alleine gelangen die Segler:innen aufs Boot – auch wenn beim ersten Mal vermutlich etwas wackelig. Vorteilhaft für diese Herausforderung: Abseits des Segelns regelmäßig aktiv sein. Das gibt laut Köhler Sicherheit und senkt die Hemmschwelle.
„Im Segelsport bleibt das Handicap an Land“
Wer Platz im Boot nimmt, blickt weit voraus und lässt viel hinter sich. „Im Segelsport bleibt das Handicap an Land“, zitiert Köhler einen seiner Partner, mit dem der Club seit vielen Jahren zusammenarbeitet. Und er macht deutlich: Wer wo sitzt, ist egal. „Es muss nicht zwingend der oder diejenige mit der Behinderung vorn sitzen.“ Beste Beispiele dafür lieferten die Teilnehmer:innen der Weltmeisterschaft im inklusiven Segeln im vergangenen Sommer in Rostock. Dazu gehörte ein beidseitig Beinamputierter Segler, der Steuermann war, eine kleinwüchsige Seglerin, die Vorschoterin (Steuert das Segel vorn. Anm. d. Red.) war und ein Segler, der mit seinen extrem verkürzten Beinen das Lenkrad bewegte. Bundesweit gibt es laut Köhler bereits in vielen Vereinen Boote, die speziell für Menschen mit Behinderungen angefertigt wurden.
Köhler freut sich über die vielen positiven Rückmeldungen. Kleine Distanzen, geringe Geschwindigkeiten – meist kennen Rollstuhlfahrer:innen nur das aus ihrem Alltag. Auf dem Wasser aber arbeitet der Wind und lässt sie ungewohnt leicht und schnell vorwärtskommen. Ein Rollstuhlfahrer, so Köhler, habe das Segelerlebnis auf dem Möhnesee gemeinsam mit seinem Physiotherapeuten gewagt und sei am Ende sichtlich überrascht gewesen, „dass das geht“. Weitere Ausflüge aufs Wasser sollen folgen. Bei anderen – insbesondere bei Menschen mit kognitiven Einschränkungen – habe häufig die Angst überwogen. Völlig verständlich für Köhler. „Für jemanden, der nicht segelt, ist das selbst ohne Behinderung eine große Herausforderung und mit viel Anspannung verbunden.“
Barrierefreiheit auf dem Prüfstand
Nicht nur auf dem Wasser, auch an Land versucht der Yachtclub Möhnesee mehr und mehr barrierefrei zu werden – und hat dies laut Köhler zu rund 90 Prozent geschafft. Bei den Überlegungen 2021 eine Inklusionsregatta am Möhnesee durchzuführen und im Bewusstsein, dass dafür mit mindestens 15 Menschen mit Beeinträchtigungen gerechnet werden muss, entschied sich der Verein für einen Testlauf. Ein rollstuhlfahrender Paralympics-Segler habe das Gelände auf Herz und Nieren geprüft und dabei kleine, aber mit dem Rollstuhl überwindbare Steigungen festgestellt. Mit gut erreichbaren Parkplätzen und einer barrierefreien Toilette konnte der YCM ebenfalls punkten. Dagegen noch nicht barrierefrei: die Website des Vereins. „Wo wir Mängel vorfinden, versuchen wir diese zu beheben“, sagt Köhler, gibt aber auch zu bedenken: „Wir müssen alles ehrenamtlich stemmen“. Möglich sei es zum Beispiel auch eine vollautomatische Hebeeinrichtung zu installieren, um die Segler:innen mithilfe eines Gurts über kurze Distanzen bewegen zu können. Damit die Anschaffung finanziell machbar sei, müsse die Nachfrage jedoch deutlich steigen. Dafür wolle der Verein künftig verstärkt die Werbetrommel rühren.
Ziel: eigene Inklusions-Segelcrew
Köhler hofft, dass das Angebot nicht nur im Freizeitbereich verstärkt Anklang findet, sondern dass künftig genug Interessenten für eine feste Inklusions-Segelcrew zusammenkommen. Bislang hat sich der YCM für Wettkämpfe mit anderen Vereinen zusammengetan. Zuletzt z. B. bei der Kieler Woche im Juni 2022 sowie beim Liga-Pokal der Deutschen Segel Bundesliga Anfang November in Hamburg. Hier saßen sowohl Menschen mit als auch ohne Handicap im selben Boot. „Unser Ziel als Yachtclub Möhnesee ist es, dass wir für 2023 eine Mannschaft zusammenstellen, die ambitioniert trainieren möchte und bei Regatten antritt“, sagt Köhler.
Viel Luft nach oben sieht Köhler mit Blick auf Inklusion grundsätzlich im (Segel-)sport. Auf der einen Seite brauche es das Engagement der Sportverbände und ‑vereine sowie der Politik, auf der anderen auch die Nachfrage der Sportler:innen. Sowohl in seiner Funktion als Vizepräsident des YCM als auch persönlich treibt Köhler das Thema an. „Wenn man sich als Verein für die Zukunft gut aufstellen möchte, kommt man an Inklusion nicht vorbei“, ist er überzeugt. Auch der demografische Wandel lasse das Thema mehr und mehr in den Fokus rücken. Heißt, auch die älteren Vereinsmitglieder sollen die Möglichkeit haben ihrem Hobby so lange wie möglich nachzugehen. Und: „Es ist ein wunderschöner Sport. Man ist in der Natur, am Wasser – es ist wie ein Kurzurlaub. Da stellt man fest, wie gut es einem geht. Davon möchten wir einen Teil zurückgeben.“
Pia Engelbrecht