The­ra­pie eines Hal­lux val­gus nach dem Spiraldynamik-Konzept

J. Wippert
Der Hallux valgus ist ein weit verbreitetes Symptom des Fußes. Die reine Betrachtung der Fußmechanik greift für die erfolgreiche Therapie zu kurz. Es müssen ebenso pathomechanische Wirkwege wie die fehlende Aktivität der Hüft-Außenrotatoren oder die ungenügende Stabilität des Beckens in der Standbeinphase bei der Befundung beachtet werden. Daraus lassen sich die therapeutischen Ziele definieren, die nach dem Spiraldynamik®-Konzept über die Lernschritte Wahrnehmung, Mobilisation, Kräftigung und Integration in den Alltag erreicht werden. Nur die konsequente Veränderung des pathomechanischen Bewegungsablaufs im individuellen Alltag wird zu einer nachhaltigen Verbesserung der Symptomatik bzw. zu einer strukturellen Genesung führen.

Ein­lei­tung

Das Spiraldynamik®-Konzept – ein drei­di­men­sio­na­les Bewe­gungs- und The­ra­pie­kon­zept – wur­de von dem Arzt Dr. Chris­ti­an Lar­sen und der Phy­sio­the­ra­peu­tin Yolan­de Des­war­te vor 20 Jah­ren begrün­det. Es ist als eine Art Gebrauchs­an­wei­sung für den phy­sio­lo­gi­schen Gebrauch des Bewe­gungs­ap­pa­ra­tes zu ver­ste­hen 1 2 3 4 5. Es macht mensch­li­che Bewe­gung erklär­bar und beschreib­bar. Dadurch kön­nen Abwei­chun­gen funk­tio­nel­ler Natur auf­ge­deckt wer­den und mit der ent­spre­chen­den The­ra­pie behan­delt werden.

Grund­über­le­gung des Spiraldynamik®-Konzepts ist die wie­der­keh­ren­de Struk­tur der Spi­ra­le in der mensch­li­chen Ana­to­mie (z. B. DNA, drei­di­men­sio­na­le Form des Femurs) und die auf spi­ra­li­schen Bah­nen ver­lau­fen­den Bewe­gun­gen vie­ler Gelen­ke (z. B. Bewe­gung des Ili­ums über den Femur­kopf im Gang­zy­klus). Die Spi­ra­le ist dabei als for­ma­les Raum- und Struk­tur­prin­zip zu ver­ste­hen 6. Für die Fre­quenz­mo­du­la­ti­on ist die Wel­le – als for­ma­les Zeit- und Bewe­gungs­prin­zip – das Pen­dant 6. Aus die­sen Beob­ach­tun­gen her­aus wur­de das lehr- und lern­ba­re Kon­zept der Spi­ral­dy­na­mik® ent­wi­ckelt. Mit dem Wis­sen um die phy­sio­lo­gisch rich­ti­ge Bewe­gung kön­nen ein funk­tio­nel­ler Befund erho­ben und dar­aus die ent­spre­chen­den The­ra­pie­zie­le abge­lei­tet werden.

Pati­en­ten­bei­spiel

Das Vor­ge­hen im Sin­ne des Spiraldynamik®-Konzepts wird anhand eines Pati­en­ten­bei­spiels mit der Dia­gno­se Hal­lux val­gus rechts mehr als links beschrie­ben. Die Pati­en­tin ist weib­lich, Mit­te 30, Mut­ter von zwei Kin­dern. Sie hat frü­her Bal­lett gemacht und war in ihrer Jugend ambi­tio­nier­te Eiskunstläuferin.

Der Hal­lux rechts mach­te ihr im All­tag Pro­ble­me bzw. war schmerz­haft bei Belas­tung. Der Schmerz ver­stärk­te sich beim Tra­gen hoher Schu­he. Die Pati­en­tin gab zeit­wei­se gerin­ge Schmer­zen im unte­ren Bereich des Rückens an. Einen Zusam­men­hang zwi­schen Fuß- und Rücken­schmer­zen konn­te sie nicht fest­stel­len. Sie hat­te als Kind Sichel­fü­ße, die frü­her mit Kran­ken­gym­nas­tik behan­delt wur­den. Unfäl­le oder ande­re Ver­let­zun­gen gab sie kei­ne an. Sie hat­te bis jetzt noch kei­ne The­ra­pie für den Hal­lux val­gus. Ihr Ziel war es neben der all­ge­mei­nen Schmerz­re­duk­ti­on bzw. ‑frei­heit, wie­der schmerz­frei hohe Schu­he tra­gen zu können.

Befund­er­he­bung

Die Befund­er­he­bung nach dem Spiraldynamik®-Konzept umfasst die sta­ti­sche Hal­tungs­be­trach­tung in allen Ebe­nen, die manu­el­le pas­si­ve Beweg­lich­keits­tes­tung der rele­van­ten Gelen­ke sowie die dyna­mi­sche Unter­su­chung der Beweg­lich­keit und des Gangs. In die­sem Fall wur­de eine video­ge­stütz­te Gang­ana­ly­se mit einer ein­fa­chen Video­ka­me­ra auf dem Lauf­band durch­ge­führt. Das Video wur­de danach im Zeit­lu­pen- und Stand­bild­mo­dus ohne wei­te­re Soft­ware analysiert.

Sta­ti­scher Befund

Im Stand war zu erken­nen, dass das Becken im Ver­hält­nis zur Gesamt­kör­per­aus­rich­tung nach vor­ne ver­scho­ben war. Die LWS-Lor­do­se war stark aus­ge­prägt und zog sich weit in den lum­bo­tho­ra­ca­len Über­gang hoch. Das rech­te Ili­um war – im Sin­ne einer Becken­ver­wrin­gung – nach ven­tral gedreht, die LWS zeig­te eine Links­kon­ve­xi­tät und war in Rota­ti­on nach links ein­ge­stellt. Der rech­te Fuß war in Knick‑, Senk-Spreiz­fuß-Posi­ti­on auf­ge­setzt, die lin­ke Fer­se val­gi­siert. Leich­te Res­te der Sichel­fuß­hal­tung waren beid­seits noch zu erken­nen. Bei­de Knie waren in Hyper­ex­ten­si­on ver­rie­gelt. Die Gesamt­ge­wicht­ver­tei­lung war nach vor­ne auf den Fuß­bal­len ver­la­gert. Neben­be­fund­lich war ein Sca­pu­lahoch­stand rechts festzustellen.

Beweg­lich­keits­be­fund

Die Beweg­lich­keit der Wir­bel­säu­le v. a. der LWS war in Fle­xi­on ver­min­dert, die Late­ral­fle­xi­on beid­seits ohne Befund. Die Rota­ti­on der HWS war eben­falls ohne Befund, bei der Rota­ti­on der BWS kam es zu einer star­ken Aus­weich­be­we­gung des Ober­kör­pers zur kon­tra­la­te­ra­len Sei­te mit einem Shift in Höhe des lum­bo-tho­ra­ca­len Über­gangs. Die Beweg­lich­keit der Hüft- und Knie­ge­len­ke war unauf­fäl­lig. In bei­den Füßen waren die Gelen­ke zwi­schen Talus und Navicu­la­re sowie zwi­schen Navicu­la­re und Cun­ei­for­me media­le zu wenig beweg­lich, das Tar­so­me­ta­tar­sal­ge­lenk I war beid­seits stabil.

Dyna­mik

Im Ein­bein­stand rechts kam es zu einem Absin­ken des Beckens auf der Spiel­bein­sei­te (links) und zu einer ver­stärk­ten Vor­ro­ta­ti­on des Beckens auf der Stand­bein­sei­te (rechts). Im Ein­bein­stand links war ein gerin­ges Absin­ken des Beckens auf der Spiel­bein­sei­te zu erkennen.

Die Gang­ana­ly­se wur­de bei einer Geschwin­dig­keit von 4,0 km/h auf einem Lauf­band durch­ge­führt. Die Pati­en­tin war mit dem Gehen auf einem Lauf­band ver­traut. Die Betrach­tung der Stand­bein­pha­se rechts zeig­te fol­gen­des Bild: Die im Ein­bein­stand bereits fest­ge­stell­ten Aus­weich­be­we­gun­gen ver­stärk­ten sich, das Becken sank auf der Spiel­bein­sei­te (links) noch wei­ter ab, die Vor­ro­ta­ti­on des Beckens auf der Stand­bein­sei­te unter Belas­tung war eben­falls ver­grö­ßert. Der Ober­kör­per folg­te die­ser Becken­ro­ta­ti­on mit einer Gesamt­ro­ta­ti­on des Rump­fes nach links. Dabei beweg­te sich die rech­te Sca­pu­la eben­falls ver­stärkt nach ven­tral-kra­ni­al. Zusätz­lich knick­te die rech­te Fer­se ver­stärkt ein, der Ober­schen­kel dreh­te im Hüft­ge­lenk ver­mehrt nach innen. Die­se Innen­ro­ta­ti­on über­trug sich durch die feh­len­de exzen­tri­sche Brems­be­we­gung der Knief­le­xi­on im initia­len Fer­sen­kon­takt direkt auf den Fuß. Der Mit­tel­fuß blieb sta­bil. Der gesam­te Druck war visu­ell erkenn­bar auf das Köpf­chen des Meta­tar­sa­le I konzentriert.

In der Stand­bein­pha­se links blieb das gerin­ge Absin­ken des Beckens auf der Spiel­bein­sei­te wei­ter erkenn­bar, der Ober­kör­per shif­te­te in Höhe des lum­bo-tho­ra­ca­len Über­gangs leicht nach links. Die Bein­ach­se blieb sta­bil, das Ein­sin­ken des Fuß­ge­wöl­bes war gering verstärkt.

„Normo-Mecha­nik“ der Standbeinphase

Um die Befun­de einer pathome­cha­ni­schen Wirk­ket­te zuord­nen zu kön­nen, soll im Fol­gen­den die ana­to­misch abge­lei­te­te Mecha­nik der Stand­bein­pha­se nach dem Spiraldynamik®-Konzept vor­ge­stellt werden.

Beim initia­len Boden­kon­takt kommt die Fer­se durch die Akti­vi­tät des M. tibia­lis ante­rior auf der late­ra­len Unter­sei­te zuerst auf den Boden. In die­sem Moment ist die Mus­ku­la­tur der Hüft-Außen­ro­ta­ti­on spon­tan gefor­dert, um den Femur ortho­grad im Raum aus­ge­rich­tet zu hal­ten. Wäh­rend der Stoß­dämp­fer­pha­se wird die Brems­wir­kung über die exzen­tri­sche Knief­le­xi­on und die Exzen­trik des mus­ku­lär auf­ge­bau­ten Quer­ge­wöl­bes des Fußes erbracht. Die Sta­bi­li­tät im Fuß ent­steht durch die drei­di­men­sio­na­le Ver­schrau­bung, Fer­sen­bein gegen Vor­fuß für das Längs­ge­wöl­be und Groß­ze­hen­bal­len gegen Klein­ze­hen­bal­len für das Quergewölbe.

Das Fer­sen­bein ori­en­tiert sich dabei um die trans­ver­sa­le Ach­se nach hin­ten, um die sagit­ta­le Ach­se nach late­ral und um die lon­gi­tu­di­na­le Ach­se nach außen, wäh­rend der Groß­ze­hen­bal­len um die trans­ver­sa­le Ach­se nach vor­ne, um die sagit­ta­le Ach­se nach medi­al und um die lon­gi­tu­di­na­le Ach­se nach innen mus­ku­lär geführt wird.

Um das zu gewähr­leis­ten, muss der Groß­ze­hen­bal­len über den M. fibu­la­ris longus und Antei­le der kur­zen Fuß­mus­ku­la­tur kräf­tig am Boden abge­stützt und die Fer­sen­po­si­ti­on über den Tibia­lis pos­te­ri­or sta­bi­li­siert sein. Der Fuß rollt ortho­grad nach vor­ne ab und nimmt über die mitt­le­re Stand­bein­pha­se das Gewicht wei­ter auf, dabei gibt er lang­sam exzen­trisch bis zur ter­mi­na­len Stand­bein­pha­se nach, ohne die zen­trier­te Posi­ti­on der Fer­se zu ver­lie­ren. Beim Abstoß bedingt die initia­le kon­zen­tri­sche Akti­vi­tät der quer­ge­wöl­be­bil­den­den Mus­ku­la­tur die Plant­ar­fle­xi­on in den Zehen­grund­ge­len­ken, das Ein­rol­len der Meta­tar­sal­köpf­chen I und V im Sin­ne eines Quer­ge­wöl­be­auf­baus sowie die gerin­ge Dor­sal­ex­ten­si­on im obe­ren Sprunggelenk.

Schon mit Beginn des Boden­kon­takts bewegt sich das stand­bein­sei­ti­ge Ili­um um die trans­ver­sa­le Ach­se nach dor­sal (im Sin­ne einer Auf­rich­tung), um die sagit­ta­le Ach­se nach kau­dal (im Sin­ne einer Abduk­ti­on im Hüft­ge­lenk) und um die lon­gi­tu­di­na­le Ach­se nach late­ral (im Sin­ne einer kra­nia­len Innen­ro­ta­ti­on im Hüftgelenk).

Die Bewe­gung wird kon­zen­trisch von den ver­schie­de­nen Antei­len der klei­nen Glut­ae­en aus­ge­führt und exzen­trisch von den Adduk­to­ren, den Hüft­beu­gern und den Hüf­tau­ßen­ro­ta­to­ren gelei­tet. Die­se Bewe­gung des Ili­ums wird bis zur ter­mi­na­len Stand­bein­pha­se wei­ter­ge­führt, um im Moment des Absto­ßes die maxi­ma­le Gelenk­si­che­rung zu errei­chen: Für das Hüft­ge­lenk heißt das Exten­si­on, Abduk­ti­on und Innen­ro­ta­ti­on mit maxi­ma­ler Gelenks­über­de­ckung, maxi­ma­ler Span­nung der Hüft­bän­der und mus­ku­lä­rer Vor­span­nung für die fol­gen­de Spiel­bein­pha­se. Die Ili­um­be­we­gung nach hin­ten-unten-außen führt die Gelenk­flä­chen des Ili­o­sa­cral­ge­lenks von einer eher ver­ti­ka­len zu einer mehr hori­zon­ta­len Ausrichtung.

Unter­stüt­zend wir­ken die Bän­der des Beckens (Lig. sacro­tu­be­ra­le und Lig. sacro­spi­na­le sowie die Ligg. Sacroi­li­a­ca dor­sa­lia), die das Sacrum im Sin­ne einer Gegen­nuta­ti­on in die Bewe­gung mit­neh­men. Das bedeu­tet eine bes­se­re und band­haft gesi­cher­te Gewichts­über­nah­me. Durch die Ver­bin­dung der Ligg. ili­o­lum­ba­lia zur unte­ren LWS wird die Bewe­gung auch auf die­sen Bereich wei­ter­ge­lei­tet. Die unte­re LWS rich­tet sich auf (Fle­xi­on), wird zur Stand­bein­sei­te gezo­gen (Late­ral­fle­xi­on zur Spiel­bein­sei­te) und zur Stand­bein­sei­te gedreht (Rota­ti­on zur Spielbeinseite).

Die drei­di­men­sio­na­le Bewe­gung wird über die Bän­der der Wir­bel­säu­le und die Band­schei­ben von einem Seg­ment auf das ande­re nach kra­ni­al über­tra­gen. Dabei wer­den die Gelenk­flä­chen der stand­bein­sei­ti­gen Facet­ten­ge­len­ke kon­gru­ent auf­ein­an­der gepresst. Somit ist eine „Press-Pas­sung“ der Gelen­ke vom Hüft- über das Ili­o­sa­cral­ge­lenk bis in die LWS gege­ben, die eine stö­rungs­freie Impuls­über­tra­gung des Absto­ßes in eine Vor­wärts­be­we­gung ermög­licht 3 7.

Im Zusam­men­spiel der Hüft- und Fuß­me­cha­nik wäh­rend der Stand­pha­sen wird die opti­ma­le Aus­gangs­si­tua­ti­on für einen kraft­vol­len Abstoß für die fol­gen­de Schwung­pha­se geschaf­fen. Die zuvor durch die Exzen­trik gespei­cher­te Ener­gie wird band­haft kon­trol­liert und mus­ku­lär gesi­chert auf die Bewe­gun­gen der initia­len Schwung­pha­se übertragen.

Befund­in­ter­pre­ta­ti­on und Kon­se­quenz für die Therapie

Fol­gen­de inter­es­san­te Fra­gen las­sen sich auf Grund­la­ge des Befun­des stel­len: War­um ist der Hal­lux val­gus sei­ten­un­ter­schied­lich aus­ge­prägt? Wie hän­gen die Rücken­schmer­zen und die Sca­pul­a­p­o­si­ti­on mit dem Gang­bild zusammen?

Im Abgleich mit der vor­he­ri­gen Bewe­gungs­be­schrei­bung kön­nen fol­gen­de Mecha­nis­men abge­lei­tet wer­den: Rechts­sei­tig fehlt die Sta­bi­li­sie­rung des Hüft-Becken­be­reichs wäh­rend der Gewichts­über­nah­me. Dadurch kommt es nach kra­ni­al zu einer knö­chern und band­haft insta­bi­len Situa­ti­on im Ili­o­sa­cral­ge­lenk, die durch ver­stärk­te Mus­kel­ak­ti­vi­tät aus­ge­gli­chen wer­den muss und zusätz­li­che Belas­tung für die nuta­ti­ons­ver­hin­dern­den Bän­der des ISG bedeu­tet. Die unte­re LWS reagiert mit einer Late­ral­fle­xi­on und Rota­ti­on zur Stand­bein­sei­te, was eben­falls zu einer Insuf­fi­zi­enz der band­haf­ten Siche­rung und zur Not­wen­dig­keit erhöh­ter mus­ku­lä­rer Akti­vi­tät führt. Die Rota­ti­on des gesam­ten Rump­fes zur Spiel­bein­sei­te macht einen phy­sio­lo­gi­schen Arm­pen­del rechts unmög­lich, die Sca­pu­la rechts wird reak­tiv wei­ter mit in die Rota­ti­on bewegt und kommt ver­stärkt nach kranial-ventral.

Nach kau­dal betrach­tet bringt die Bewe­gung des Beckens nach vor­ne-oben-innen mit sich, dass die Hüft­bän­der nicht genutzt wer­den kön­nen; Sta­bi­li­tät in der Hüf­te wird nur mus­ku­lär erreicht. Im Abstoß ist die sta­bi­le Impuls­über­tra­gung – wegen der unge­si­cher­ten Gelenks­si­tua­ti­on – nicht mehr gege­ben. Viel­mehr wird die Fehl­be­we­gung des Beckens in der Stand­bein­pha­se auf den Femur und die Tibia über­tra­gen. Das gesam­te Bein bewegt sich in Innen­ro­ta­ti­on und über­trägt die­se Bewe­gung auf den rigi­den Fuß. Die Kräf­te wer­den direkt auf das Meta­tar­sa­le I über­tra­gen. Die­ses weicht durch die feh­len­de Ver­schrau­bungs­si­che­rung in eine Supi­na­ti­on und Adduk­ti­on aus. Die Seh­ne des M. flex­or hal­lu­cis longus zieht die End­pha­lanx I wei­ter nach late­ral. Der Weg für den Hal­lux val­gus ist geebnet.

Der auf­ge­zeig­te pathome­cha­ni­sche Weg gibt die The­ra­pie­zie­le vor. Die­se wur­den im Fall die­ser Pati­en­tin wie folgt festgelegt:

  1. Auf­rich­tung der gesam­ten Wirbelsäule.
  2. Erler­nen der Sta­bi­li­sie­rung im Len­den-Becken-Hüft­be­reich rechts mehr als links wäh­rend der Standbeinphase.
  3. Erler­nen der drei­di­men­sio­na­len Ver­schrau­bung des Fußes.
  4. Mus­ku­lä­re Ver­an­ke­rung des Meta­tar­sa­le I.
  5. Inte­gra­ti­on in den indi­vi­du­el­len Alltag.

Behand­lungs­schrit­te in Bildern

Durch immer wie­der­keh­ren­de ungleich­mä­ßi­ge Belas­tung des Kör­pers geht das Poten­ti­al der Bewe­gungs­viel­falt ver­lo­ren. Ein­ge­schlif­fe­ne Bewe­gungs­mus­ter wie­der­ho­len und mani­fes­tie­ren sich in mus­ku­lä­rer Dys­ba­lan­ce; Ansteue­rung und bewuss­te Rekru­tie­rung der rest­li­chen Mus­ku­la­tur gehen ver­lo­ren. Die Arbeit nach dem Spiraldynamik®-Konzept erfolgt in bestimm­ten Lern­schrit­ten. Im Zuge der Neu­or­ga­ni­sa­ti­on der Bewe­gungs­mus­ter ist es zunächst not­wen­dig, Wahr­neh­mung für die ver­lo­ren gegan­ge­nen Bewe­gungs­mög­lich­kei­ten zu schaf­fen. Dar­an schließt sich je nach Bedarf die akti­ve Mobi­li­sa­ti­on restrik­ti­ver Bewe­gungs­rich­tun­gen an. Der neu gewon­ne­ne Bewe­gungs­um­fang wird anschlie­ßend funk­tio­nell beübt, d.h. umge­hend in die Situa­ti­on umge­setzt, in der er spä­ter nutz­bar sein muss. Abschlie­ßend steht das kraft­vol­le Üben in der Funk­ti­on im Vor­der­grund, um eine mög­lichst gute Inte­gra­ti­on in den indi­vi­du­el­len All­tag zu gewährleisten.

Auf­rich­tung der gesam­ten Wirbelsäule

Gemäß dem Auf­rich­tungs­prin­zip des Spiraldynamik®-Konzepts wird die Auf­rich­tung der Wir­bel­säu­le durch die spie­gel­sym­me­tri­sche Ein­rol­lung der Pole Kopf und Becken erreicht. Dazu muss die Pati­en­tin ler­nen, der LWS- und HWS-Lor­do­se mus­ku­lär exzen­trisch nachzugeben.

Die Abbil­dun­gen 1 und 2 zei­gen die Wahr­neh­mungs­übung in Rücken­la­ge. Für die Ent­lor­do­sie­rung der LWS legt die Pati­en­tin sich mit dem Becken auf ein Hand­tuch. Der The­ra­peut zieht die LWS über die Ein­rol­lung des Beckens durch den Hand­tuch­zug in die Fle­xi­on, die Pati­en­tin gibt exzen­trisch nach. Ist die Wahr­neh­mung dafür geschaf­fen, unter­stützt sie die­se Bewe­gung initi­al durch die Akti­vi­tät des Beckenbodens.

Die Ent­lor­do­sie­rung der HWS erfolgt auf ähn­li­chem Wege. Der The­ra­peut führt über sei­ne Hän­de die Fle­xi­on in den obe­ren Kopf­ge­len­ken. Dies führt wei­ter­lau­fend zu der erwünsch­ten Ent­lor­do­sie­rung der HWS. Wie­der unter­stützt der Pati­ent die­se Bewe­gung über die Akti­vi­tät der tie­fen para­ver­te­bra­len Mus­ku­la­tur. Das erlern­te Bewe­gungs­mus­ter wird dann auch im Sitz und im Stand ein­ge­übt. Dabei ist eine mög­lichst gerin­ge kon­zen­tri­sche Mus­kel­ar­beit anzu­stre­ben. Ziel ist, die Wir­bel­säu­le in den gege­be­nen Mög­lich­kei­ten (vor­han­de­ner Bewe­gungs­um­fang) best­mög­lich aufzurichten.

Sta­bi­li­tät im Len­den-Becken-Hüft­be­reich wäh­rend der Standbeinphase

Die ange­streb­te Bewe­gung des Ili­ums wur­de oben bereits beschrie­ben. Im ers­ten Lern­schritt führt der The­ra­peut das Becken der in Sei­ten­la­ge posi­tio­nier­ten Pati­en­tin pas­siv in die Bewe­gung. Sie unter­stützt bald­mög­lichst die­se Arbeit durch eige­ne mus­ku­lä­re Tätig­keit. Sobald die Bewe­gung ver­stan­den ist, wird sie gegen die Schwer­kraft aus­ge­übt. Der Ein­bein­stand ist dafür eine gute Ausgangsstellung.

Der Bewe­gungs­auf­trag lau­tet: „Machen Sie sich über dem Stand­bein so groß als mög­lich“. Der The­ra­peut führt zu Beginn der Übung das Becken noch mit, spä­ter ist die Bewe­gung von der Pati­en­tin allei­ne aus­zu­füh­ren. Ziel ist, die drei­di­men­sio­na­le Bewe­gung des Ili­ums über den Hüft­kopf wahr­zu­neh­men, aktiv aus­füh­ren zu kön­nen sowie die Kon­zen­trik und die Exzen­trik der betei­lig­ten Mus­ku­la­tur koor­di­nie­ren zu können.

Beglei­tet wird die­ser Lern­schritt durch das Akti­vie­ren und Kräf­ti­gen der Außen­ro­ta­to­ren der Hüf­te. Eine ein­fa­che aber effek­ti­ve Aus­gangs­stel­lung dazu ist die Sei­ten­la­ge (Abb. 3 u. 4). Das Knie wird bis in die Hori­zon­ta­le oder dar­über geho­ben. Die Kraft soll­te nur aus den Außen­ro­ta­to­ren kom­men, nicht aus dem Bein. Zusam­men mit der Becken­be­we­gung wird das in die Gang­se­quenz eingebaut.

Das Lern­ziel ist, mit dem initia­len Kon­takt der Fer­se auf dem Boden sowohl die femur­sta­bi­li­sie­ren­de Akti­vi­tät der Hüft-Außen­ro­ta­to­ren als auch die drei­di­men­sio­na­le Bewe­gung des Ili­ums zu initi­ie­ren und über den Ver­lauf der Stand­bein­pha­se zu ver­stär­ken. Nach dem Beüben in der gesam­ten Stand­bein­pha­se soll dies in den Gang umge­setzt werden.

Drei­di­men­sio­na­le Ver­schrau­bung des Fußes

Der Fuß ist in der Belas­tungs­pha­se dann sta­bil, wenn er drei­di­men­sio­nal ver­schraubt ist, d. h. Supi­na­ti­on des Rück­fu­ßes gegen Pro­na­ti­on des Vor­fu­ßes ein­ge­stellt wird. Dafür muss sowohl die Gelenks­mo­bi­li­tät als auch die ent­spre­chen­de Mus­kel­ak­ti­vi­tät vor­han­den sein.

Die Pati­en­tin sitzt auf dem Boden und umfasst die Fer­se des Fußes mit der gegen­über­lie­gen­den Hand (rech­ter Fuß, lin­ke Hand). Die gleich­sei­ti­ge Hand umschließt den Fuß in Höhe des Navicu­la­res (Abb. 5). Die „Fer­sen­hand“ sta­bi­li­siert den Fuß nach außen, die ande­re Hand bewegt den Vor­fuß in einer spi­ra­li­schen Bewe­gung nach innen. Der Fuß wird unten nicht zusam­men­ge­drückt, er wird in die Län­ge gezo­gen (Abb. 6).

Ziel ist, die Wahr­neh­mung für die Ver­schrau­bungs­mög­lich­kei­ten zu schu­len und die hypo­mo­bi­len Gelen­ke zu mobi­li­sie­ren. Bei der hier vor­ge­stell­ten Pati­en­tin lag der Fokus auf der Mobi­li­sa­ti­on der Gelen­ke zwi­schen Talus und Navicu­la­re sowie dem Navicu­la­re und dem Cun­ei­for­me I. Zusätz­lich berei­tet sie das Anbah­nen der Mus­kel­ak­ti­vi­tät für die akti­ve Ver­schrau­bung vor.

Mus­ku­lä­re Ver­an­ke­rung des Meta­tar­sa­le I

Der M. fibu­la­ris longus bringt das Meta­tar­sa­le auf den Boden, der Tibia­lis pos­te­ri­or sta­bi­li­siert die Fer­se gegen das Val­gi­sie­ren, zusam­men ver­schrau­ben und sta­bi­li­sie­ren sie den Fuß. Um das aktiv zu kräf­ti­gen, sitzt die Pati­en­tin wie­der auf dem Boden, legt das Knie seit­lich auf einen Ball oder ein Kis­sen ab. Der Fuß liegt auf dem Außen­rand, das obe­re Sprung­ge­lenk ist ca. 90 Grad abge­win­kelt. Nun wird das The­r­aband so um den Groß­zeh gewi­ckelt, dass es vom Innen­rand des Fußes zum Fibu­la­köpf­chen ver­läuft (Abb. 7).

Es gilt nun, den Groß­ze­hen­bal­len bei ruhen­dem Rück­fuß gegen den Wider­stand des The­r­aban­des in Rich­tung Boden zu bewe­gen (Abb. 8). Die Straff­heit des The­r­aban­des wie auch die Wie­der­ho­lungs­zahl defi­nie­ren den Kräf­ti­gungs­ef­fekt. Die­se – in der offe­nen Ket­te – erreich­te Kräf­ti­gung muss nun auch in der geschlos­se­nen Ket­te zur Ver­fü­gung ste­hen. Dazu soll die Pati­en­tin im Ein­bein­stand den Groß­ze­hen­bal­len aktiv über Mus­kel­kraft in den Boden schie­ben. Dadurch rich­tet sich der Innen­rand ihres Fußes auf und die Fer­se wird mehr auf der gan­zen Flä­che belas­tet (weni­ger auf der Innen­sei­te). Die Pati­en­tin soll die mus­ku­lä­re Anspan­nung an der Außen­sei­te des Unter­schen­kels und den Druck unter dem Groß­zeh­bal­len spü­ren. Die­se Akti­vi­tät gilt es nun auch wäh­rend der Stand­bein­pha­se abzurufen.

Inte­gra­ti­on in den indi­vi­du­el­len Alltag

Gro­ße Bedeu­tung kommt der Umset­zung des Erlern­ten im indi­vi­du­el­len All­tag der Pati­en­tin zu. Das iso­lier­te Üben in unter­schied­li­chen Aus­gangs­stel­lun­gen macht nur dann Sinn, wenn die erwor­be­nen Fähig­kei­ten auch im All­tag nutz­bar sind. Dazu wur­de die Pati­en­tin ange­hal­ten, fol­gen­de Ver­hal­tens­än­de­run­gen vor­zu­neh­men: Beim Ste­hen soll die Auf­rich­tung der gesam­ten Wir­bel­säu­le beach­tet wer­den. Dazu wird die­ser Bewe­gungs­auf­trag an eine defi­nier­te in ihrem All­tag öfter wie­der­keh­ren­de Situa­ti­on, z. B. Ste­hen an der Ampel, gean­kert. Immer wenn sie an der Ampel steht, soll sie bewusst die Wir­bel­säu­le nach der erlern­ten Vor­stel­lung auf­rich­ten. Durch die Wie­der­ho­lung wird die Wahr­neh­mung geschult und eine neue lang­sam in die Rou­ti­ne über­ge­hen­de Hal­tung erlernt, die dann auch in ande­ren Situa­tio­nen bewusst ange­wandt wer­den soll.

Glei­ches gilt für den Ein­satz der Becken­be­we­gung und der Groß­ze­hen­ver­an­ke­rung am Boden in der Stand­bein­pha­se. Hier soll die Erin­ne­rung z. B. an das Schie­ben des Kin­der­wa­gens gean­kert wer­den. Mit der Zeit steht der Pati­en­tin die­se Bewe­gungs­vor­stel­lung im nor­ma­len Gehen zur Ver­fü­gung und kann – kom­bi­niert mit der Wir­bel­säu­len­auf­rich­tung – täg­lich umge­setzt wer­den. Und schließ­lich soll die Pati­en­tin in den bis­her schmer­z­aus­lö­sen­den Situa­tio­nen – beim Tra­gen hoher Schu­he – ganz beson­ders auf das erlern­te Bewe­gungs­ver­hal­ten sowohl der Wir­bel­säu­le als auch der Füße zurückgreifen.

Aus­blick

Die Pati­en­tin hat die ers­ten Lern­schrit­te absol­viert und kann die Auf­rich­tung der Wir­bel­säu­le kon­se­quent in ihren indi­vi­du­el­len All­tag inte­grie­ren. Die Ver­schrau­bung des Fußes hat sie eben­falls schon gelernt und arbei­tet an der Kräf­ti­gung der rele­van­ten Mus­ku­la­tur. Ihre Wahr­neh­mung für die rich­ti­ge Hal­tung hat sich eben­falls stark ver­bes­sert; so fällt es ihr heu­te auf, wenn sie wie­der in ihr altes Hal­tungs­mus­ter zurück­fällt. Sie emp­fin­det die­se Posi­ti­on dann als unan­ge­nehm und unkom­for­ta­bel. In der The­ra­pie­si­tua­ti­on kann sie schon unter Bei­be­hal­tung der Ver­schrau­bung des Fußes kon­zen­triert ers­te Schritt­se­quen­zen absol­vie­ren. Der Test – län­ger Ste­hen mit hohen Schu­hen – steht noch aus.

Der Autor:
Dr. phil. Jens Wippert
Ele­ment­he­ra GbR
Eisen­mann­stra­ße 4
80331 Mün­chen
jw@elementhera.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/Reviewed paper

Zita­ti­on
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