Bio­me­cha­ni­sche Opti­mie­rung von Schu­hen unter Berück­sich­ti­gung der Fer­sen­pols­ter- und Achillessehnenbelastung

M. Kardeh, G. Silber
Ein Hauptkriterium für die Entwicklung von Gesundheits- und Sportschuhen stellt immer noch die statische bzw. dynamische Ganganalyse gegebenenfalls in Kombination mit Drucksensor-Einlegematten dar. Diese Verfahren beschränken sich neben kinematischen Aussagen auf Messungen von Kontaktkräften zwischen Schuh und Fußsohle bzw. Fuß und Untergrund, können aber nicht die innerhalb der Weichgeweberegionen des menschlichen Bewegungsapparates (wie etwa im Fersenpolster und in der Achillessehne) tatsächlich auftretenden Druck-, Zug- und Scherspannungen angeben. Darüber hinaus wird ein hoher experimenteller Aufwand zur Bestimmung der mechanischen Eigenschaften von Sohlenmaterialien betrieben, wobei der Nutzer/Patient aber gar nicht oder nur unzureichend einbezogen wird. Im Folgenden wird auf Basis virtueller Menschmodelle mit in vivo-Eigenschaften ein neuer Weg aufgezeigt, bei dem das bereits mehrfach (Silber G. Eine neue Methode in der präventiven Biomechanik –Biomechanische Formoptimierung von Liege- und Sitzoberflächen mit Menschmodellen, Orthopädie Technik, 2013; 64 (3): 48-53; Silber G, Then C. Preventive Biomechanics –Optimizing Support Systems for the Human Body in the Lying and Sitting Position (Lehrbuch), Springer, 2013) vorgestellte neue BOSS-Verfahren (Body Optimization & Simulation System) zur biomechanischen Optimierung von Gesundheitsschuhen zum Einsatz kommt.

1. Ein­füh­rung

Für eine adäqua­te Opti­mie­rung von Schu­hen ist die Kennt­nis der sich im Inne­ren der Kör­per­struk­tu­ren wäh­rend einer Bewe­gung (etwa dem Abroll­vor­gang beim Gehen oder Ren­nen) abspie­len­den Mecha­nis­men und der auf­tre­ten­den mecha­ni­schen Belas­tun­gen in den Weich­ge­we­be­re­gio­nen eine Con­di­tio sine qua non. Der mensch­li­che Kör­per ist ein hoch­kom­ple­xes Sys­tem, wobei wäh­rend einer Bewe­gung zusätz­lich vie­le Mecha­nis­men von ver­schie­de­nen Struk­tu­ren ein­an­der bedin­gen und in stän­di­ger Inter­ak­ti­on mit­ein­an­der ste­hen. Des­we­gen sind für eine rea­lis­ti­sche Ein­schät­zung von im Kör­per auf­tre­ten­der Belas­tun­gen (Kräf­te, Momen­te, Span­nun­gen) wäh­rend eines dyna­mi­schen Bewe­gungs­ab­lau­fes geeig­ne­te in vivo-Ver­su­che an Pro­ban­den unver­zicht­bar. Es exis­tie­ren zwar bereits ver­ein­zel­te Metho­den, um dies zu bewerk­stel­li­gen, jedoch sind die­se meist mit mas­si­ven inva­si­ven Ein­grif­fen am mensch­li­chen Kör­per ver­bun­den 1. Wei­ter­hin sind die gewon­ne­nen Daten meist nur auf ein loka­les Gebiet begrenzt und somit für aus­sa­ge­kräf­ti­ge Ana­ly­sen nur in ein­ge­schränk­tem Maße verwertbar.

Das BOSS-Ver­fah­ren 2 3 1 ist nun in der Lage, die vor­han­de­nen Infor­ma­ti­ons­lü­cken zu schlie­ßen. Die­ses Ver­fah­ren basiert auf einer Ver­knüp­fung einer Rei­he von Ein­zel­me­tho­den wie der Magnet-Reso­nanz Tomo­gra­phie (MRT) als bild­ge­ben­des Ver­fah­ren, CAD-Tech­no­lo­gien (3D-Rekon­struk­ti­on), der klas­si­schen Bewe­gungs­ana­ly­se, in vivo-Mate­ri­al­cha­rak­te­ri­sie­run­gen der betrof­fe­nen Weich­ge­we­be­re­gio­nen und der Fini­te Ele­men­te Metho­de (FEM) sowie gege­be­nen­falls der Hin­zu­zie­hung einer Mehr­kör­per­sys­tem­soft­ware (MKS, etwa Any­Bo­dy). Auf Basis die­ses sehr umfas­sen­den Ver­fah­rens las­sen sich dann auch bei dyna­mi­schen Bewe­gungs­ab­läu­fen die mecha­ni­schen Span­nun­gen in tie­fer gele­ge­nen Gewe­be­schich­ten bis hin zum Kno­chen in drei­di­men­sio­na­ler Form dar­stel­len und analysieren.

2. BOSS-Mensch­mo­dell für Geh- und Rennvorgänge

Zur Berech­nung der mecha­ni­schen Inter­ak­tio­nen zwi­schen Fuß, Schuh und Unter­grund wäh­rend des Abroll­vor­gan­ges wur­den zunächst Schnitt­bil­der der rele­van­ten Kör­per­re­gio­nen (hier ein­schließ­lich vom Fuß bis zum Hüft­ge­lenk) an je einem weib­li­chen und männ­li­chen Pro­ban­den mit den fol­gen­den Cha­rak­te­ris­ti­ka mit­tels MRT erzeugt (Abb. 1a):

Männ­li­cher Proband:
Alter: 35 Jahre
Grö­ße: 183 cm
Gewicht: 75 kg
BMI: 22,4

Weib­li­cher Proband:
Alter: 25 Jahre
Grö­ße: 181 cm
Gewicht: 67 kg
BMI: 20,5

Anschlie­ßend erfolg­te die Selek­ti­on der unter­schied­li­chen Gewe­be­ar­ten (Haut/Fettgewebe, Mus­keln, Kno­chen, Seh­nen, Bän­der und Knor­pel) sowie deren Ober­flä­chen­rück­füh­rung mit­hil­fe von 3D-Rekon­struk­ti­ons­tools, auf deren Basis dann mit­tels der Fini­te Ele­men­te Metho­de (FEM) das digi­ta­li­sier­te Bein­mo­dell gene­riert wer­den konn­te (Abb. 1b bis d).

3. Expe­ri­men­tel­le Befunde

Gang­ana­ly­se

Für die Gene­rie­rung der Fini­te Ele­men­te (FE)-Modelle und für die spä­te­re Berech­nung der Inter­ak­tio­nen Fuß/Schuh/Unterlage beim Abroll­vor­gang des Fußes wur­den Bewe­gungs­ana­ly­sen (Video-High-Speed-Daten) kom­bi­niert mit Boden­re­ak­ti­ons­kraft­mes­sun­gen durch­ge­führt. Dabei wur­den cha­rak­te­ris­ti­sche Posi­tio­nen auf der Haut­ober­flä­che des Pro­ban­den mit Mar­kern ver­se­hen, wel­che beim Lau­fen (jeweils bar­fuß und mit Jog­ging­schu­hen mit der Lauf­ge­schwin­dig­keit von 2,8 m/s) die erfor­der­li­chen Signa­le für die kine­ma­ti­schen Daten lie­fer­ten (Abb. 2). Auf Basis der in Form von Human Moti­on Cap­tu­re (HMC)-Daten und der gemes­se­nen Boden­re­ak­ti­ons­druck­kräf­te erfass­ten kine­ma­ti­schen und kine­ti­schen Daten erfolg­ten die spä­te­ren nume­ri­schen Berech­nun­gen zu den Inter­ak­tio­nen 4.

Dyna­mi­sche in vivo-Cha­rak­te­ri­sie­rung des Fersenpolsters

Zur Gewin­nung adäqua­ter dyna­mi­scher in vivo-Mate­ri­al­ei­gen­schaf­ten des Fer­sen­pols­ters der Pro­ban­den wur­de eine Pen­del­schlag-Vor­rich­tung zur Mes­sung der Beschleu­ni­gungs-Zeit-Daten beim Impact ent­wi­ckelt. Um die Elas­ti­zi­tät der Fix­a­ti­ons­vor­rich­tung des Fußes und damit mög­li­cher­wei­se ver­bun­de­ne Mess­feh­ler mini­mie­ren zu kön­nen, wur­den indi­vi­du­el­le Fix­a­ti­ons­scha­len aus Fiber­glas kom­bi­niert mit Edel­stahl ange­fer­tigt. Auf Basis der Mess­da­ten erfolg­te dann mit­hil­fe eines nume­ri­schen Opti­mie­rungs­al­go­rith­mus und der inver­sen FEM die Iden­ti­fi­zie­rung der dyna­mi­schen Mate­ri­al­pa­ra­me­ter des Fer­sen­pols­ters mit­tels eines geeig­ne­ten Mate­ri­al­ge­set­zes line­ar-vis­koelas­ti­scher nicht-line­ar-hyperelas­ti­scher Mate­ria­li­en (Abb. 3) 5 2 4 6 7 8. Zur Beschrei­bung der Fett­ge­we­be­re­gio­nen des Soh­len­be­rei­ches und des Fuß­bal­lens wur­den im Rah­men einer ers­ten Nähe­rung die­sel­ben Mate­ri­al­pa­ra­me­ter verwendet.

Mate­ri­al­pa­ra­me­ter ande­rer Weich­ge­we­be­struk­tu­ren des Fußes

Die wei­te­ren Mate­ri­al­pa­ra­me­ter, sol­che huma­ne Weich­ge­we­be­struk­tu­ren betref­fend wie etwa Bän­der, Knor­pel, Seh­nen und Mus­keln, wur­den im Rah­men der vor­lie­gen­den Betrach­tung der ein­schlä­gi­gen Lite­ra­tur 9 ent­nom­men (Tab. 1). Obwohl das bio­lo­gi­sche Ver­hal­ten von Weich­ge­we­be nach dem Stand von Wis­sen­schaft und Tech­nik a prio­ri vis­koelas­ti­scher und meis­tens nicht-line­ar elas­ti­scher Natur ist, konn­ten kei­ne die­ses Ver­hal­ten abbil­den­den Mate­ri­al­pa­ra­me­ter in der Lite­ra­tur recher­chiert wer­den. Viel­mehr beschrän­ken die­se sich ledig­lich auf line­ar-elas­ti­sches Materialverhalten.

Dyna­mi­sche Mate­ri­al­cha­rak­te­ri­sie­rung der Sohlenmaterialien

Die Bestim­mung der dyna­mi­schen Werk­stoff­kenn­wer­te der zum Ein­satz kom­men­den Soh­len­ma­te­ria­li­en erfolg­te an quad­er­för­mi­gen Mate­ri­al­pro­ben (20 x 20 x 20 mm3) im Rah­men von (dyna­mi­schen) Impact­ver­su­chen bei defi­nier­ten Kli­ma­ta (vgl. Abb. 4). Die Durch­füh­rung der Ver­su­che erfolg­te in Koope­ra­ti­on mit dem Labor für Mecha­nik (Prof. S. Kol­ling) der Tech­ni­schen Hoch­schu­le Mit­tel­hes­sen an der dort vor­han­de­nen Ver­suchs­vor­rich­tung in Form eines Pen­del­schlag­wer­kes. Mit­hil­fe eines im FE-Sol­ver Aba­qus imple­men­tier­ten kon­ti­nu­ums­me­cha­ni­schen Mate­ri­al­ge­set­zes für deh­nungs­ab­hän­gi­ge Mate­ria­li­en sowie eines nume­ri­schen Opti­mie­rungs­al­go­rith­mus 10 wur­den auf Basis der dyna­mi­schen expe­ri­men­tel­len Befun­de (Beschleu­ni­gungs-Zeit-Daten) die Mate­ri­al­pa­ra­me­ter der Soh­len­ma­te­ria­li­en unter der Vor­aus­set­zung einer best­mög­li­chen Abbil­dung der dyna­mi­schen Span­nungs-Deh­nungs-Daten in Abhän­gig­keit der Dehn­ra­ten identifiziert.

4. Ergeb­nis­se

Berech­nung der Achillessehnenkräfte

Mit­hil­fe der Soft­ware Any­Bo­dy wur­den die in der Achil­les­seh­ne auf­tre­ten­den Kräf­te wäh­rend der Stand­pha­se am Bei­spiel eines weib­li­chen und männ­li­chen Pro­ban­den jeweils mit Schuh und bar­fuß berech­net und an die FE-Model­le aus­ge­ge­ben. Bei Any­Bo­dy han­delt es sich um eine Mehr­kör­per­si­mu­la­ti­ons-Soft­ware zur Abbil­dung vor allem der mensch­li­chen Ske­lett­mus­ku­la­tur (ohne Berück­sich­ti­gung von Weich­ge­we­be­struk­tu­ren in Form von Fett-Mus­kel-Ver­bün­den) bei diver­sen Bewe­gungs­zu­stän­den. Die Soft­ware ist spe­zi­ell für die Rück­wärts­be­rech­nung (inver­se Dyna­mik) von Gelenk­re­ak­tio­nen und Mus­kel­kräf­ten kon­zi­piert, wobei auf Basis defi­nier­ter Bewe­gungs­da­ten und Rand­be­din­gun­gen des Modell­sys­tems die Bestim­mung von Mus­kel­ak­ti­vi­tä­ten und dar­aus resul­tie­ren­der Gelenk­kräf­te ermög­licht wird.

In die­sem Pro­gramm ist aller­dings die Achil­les­seh­ne nicht direkt imple­men­tiert, son­dern nur die Seh­nen der ein­zel­nen Mus­kel­strän­ge im Wesent­li­chen von M. soleus und M. gas­tro­c­ne­mi­us jeweils late­ral und medi­al, wel­che am Cal­ca­neus in einem Punkt zusammenlaufen.

Da sich die Deh­nun­gen der ein­zel­nen Mus­kel­strän­ge von­ein­an­der unter­schei­den, die Berech­nung einer „Gesamt“-Dehnung der Achil­les­seh­ne infol­ge der Ein­zel­deh­nun­gen die­ser Strän­ge gemäß der Soft­ware jedoch völ­lig unklar ist, wur­de auf deren Berech­nung verzichtet.

Die maxi­ma­le Belas­tung der Achil­les­seh­ne betrug im Rah­men der vor­lie­gen­den Ana­ly­se etwa das 7,3‑fache des Kör­per­ge­wichts der jewei­li­gen Pro­ban­den beim Bar­fuß­lauf (Abb. 5a). Dar­über hin­aus wur­de auch die maxi­ma­le Kraft der Achil­les­seh­ne bei der Abstoß­pha­se quan­ti­fi­ziert. Bei der Abstoß­pha­se wird die Fer­se ange­ho­ben und das Bein bewegt sich durch Abrol­len über den Vor­fuß nach vor­ne. Wäh­rend der gesam­ten Pha­se befin­det sich das Kör­per­ge­wicht auf dem Vor­fuß, wobei dies mit einer hohen Mus­kel­kraft der Achil­les­seh­ne ein­her­geht. Anhand von Abbil­dung 5b ist wei­ter­hin zu erken­nen, dass sich der Kraft-Zeit-Ver­lauf der Achil­les­seh­ne beim weib­li­chen Pro­ban­den beim Bar­fuß­lauf inso­fern qua­li­ta­tiv abhebt, als dass in der Anfangs­pha­se bei etwa 0,04 s ein Neben­ma­xi­mum in Form einer höhe­ren Kraft im Ver­gleich zu den ande­ren Kraft-Zeit-Ver­läu­fen auf­tritt. Dies ist durch den Vor­fuß­lauf­stil der Pro­ban­din erklär­bar (Abb. 5c).

Dyna­mi­sche Inter­ak­ti­ons­be­rech­nun­gen Fuß/Schuh

Für die FE-Berech­nun­gen der dyna­mi­schen Inter­ak­tio­nen zwi­schen Fuß, Schuh und Unter­grund bzw. zwi­schen Fuß und Unter­grund wäh­rend der Stand­pha­se wur­de der ABA­QUS-Sol­ver „expli­cit“ ange­wandt. Hier­zu wur­den die aus den Gang­ana­ly­sen gewon­ne­nen kine­ti­schen und kine­ma­ti­schen Daten, die Mate­ri­al­pa­ra­me­ter aller Kom­po­nen­ten sowie die mit­hil­fe der Any­Bo­dy-Soft­ware berech­ne­ten Achil­les­seh­nen­kräf­te den FE-Model­len zuge­ord­net. Die Aus­wer­tung der Ergeb­nis­se fokus­siert auf die mecha­ni­schen Span­nun­gen in der Achil­les­seh­ne und im Fer­sen­pols­ter, sodass aus Grün­den mög­lichst klei­ner Rechen­zei­ten die im FE-Bein­mo­dell ent­hal­te­nen Kno­chen in ver­ein­fach­ter Wei­se als Starr­ele­men­te defi­niert wur­den. Eine wei­te­re Ver­ein­fa­chung der FE-Model­le erfolg­te durch die Ent­fer­nung der Mus­kel- und Fett­ge­we­be in den Unter­schen­kel- und Oberschenkelregionen.

Um die Span­nun­gen im Inne­ren der Achil­les­seh­ne auf­de­cken zu kön­nen, wur­de ein Kno­ten­pfad von der Inser­ti­on am Cal­ca­neus bis zum Gas­tro­c­ne­mi­us defi­niert (Abb. 7a). Hier­bei wur­de die von MISES-Span­nung*) aller FE-Model­le bei maxi­ma­ler Achil­les­seh­nen­kraft in einem Dia­gramm dar­ge­stellt (Abb. 7b). Die maxi­ma­len Span­nun­gen aller FE-Model­le tre­ten etwa 60 mm ober­halb der Inser­ti­on der Achil­les­seh­ne am mini­ma­len Quer­schnitt auf (in vie­len Publi­ka­tio­nen als „kri­ti­sche Stel­le“ bezeich­net) (Abb. 8a). Es ist fest­zu­stel­len, dass, obwohl die Kräf­te in der Achil­les­seh­ne beim weib­li­chen FE-Modell klei­ner als die­je­ni­gen beim männ­li­chen Modell sind, die Span­nun­gen an der kri­ti­schen Stel­le des weib­li­chen Achil­les­seh­nen­mo­dells grö­ßer sind (sie­he Abb. 7b). Dies kann einer­seits auf die klei­ne­re Quer­schnitt­flä­che der weib­li­chen Achil­les­seh­ne mit 46 mm2 im Ver­gleich zur männ­li­chen Achil­les­seh­ne mit 55 mm2 und ande­rer­seits auf den Lauf­stil der Pro­ban­din mit leich­ter Über­pro­na­ti­on zurück­ge­führt werden.

Dar­über hin­aus wur­de an der kri­ti­schen Stel­le der Achil­les­seh­ne das­je­ni­ge Fini­te Ele­ment mit der größ­ten Span­nung aus­ge­wählt und die Span­nung über die Zeit dar­ge­stellt (Abb. 8b). Dabei ist ersicht­lich, dass die Span­nungs-Zeit-Ver­läu­fe bei allen FE-Model­len mit den Achil­les­seh­nen-Kraft-Zeit-Ver­läu­fen des jewei­li­gen Modells in qua­li­ta­ti­ver Hin­sicht sehr ähn­lich sind. Erwar­tungs­ge­mäß tritt hier die maxi­ma­le Span­nung der Achil­les­seh­ne wäh­rend der Abstoß­pha­se auf. Betrach­tet man die weib­li­chen und männ­li­chen Model­le sepa­rat, wei­sen die­se Model­le beim Abroll­vor­gang mit Schuh eine nied­ri­ge­re Span­nung als beim Bar­fuß­lauf aus (Abb. 8b).

Als ein wei­te­res Kri­te­ri­um zur Beur­tei­lung des Lauf­schuhs wur­den die Span­nungs­ver­tei­lun­gen im Fer­sen­pols­ter her­an­ge­zo­gen. Abbil­dung 9a bzw. Abbil­dung 10 zei­gen die von MISES-Span­nun­gen bzw. die Scher­span­nung S23 über die Zeit an das­je­ni­ge Fini­te Ele­ment mit der größ­ten Span­nung im Fer­sen­pols­ter. Hier­bei ist ein deut­li­cher Span­nungs­un­ter­schied zwi­schen dem Bar­fuß-Modell und dem Modell mit Schuh zu erken­nen. Da der Lauf­stil des männ­li­chen Pro­ban­den durch einen Fer­sen­lauf gekenn­zeich­net ist, tritt erwar­tungs­ge­mäß die größ­te Span­nung im Fer­sen­pols­ter beim männ­li­chen Bar­fuß-Modell auf. Die Span­nungs­ent­wick­lung in Abhän­gig­keit der Zeit deu­tet dar­auf hin, dass bei den Bar­fuß-Model­len wäh­rend der Belas­tungs­ant­wort etwa zum Zeit­punkt t = 0,02 s die Span­nungs­spit­ze ent­steht. Dage­gen tritt die Span­nungs­spit­ze bei Model­len mit Schuh etwas spä­ter, etwa zum Zeit­punkt t = 0,04 s mit gerin­ge­ren Span­nungs­wer­ten, auf, was mög­li­cher­wei­se auf die Dämp­fungs­ei­gen­schaf­ten der Soh­le zurück­zu­füh­ren ist.

Der Ver­gleich der Span­nungs­spit­zen im Fer­sen­pols­ter mit den jewei­li­gen Boden­re­ak­ti­ons­kräf­ten (Abb. 11) zeigt deut­lich, dass die maxi­ma­len Span­nun­gen zu den Zeit­punk­ten der maxi­ma­len Boden­re­ak­ti­ons­kräf­te wäh­rend der Belas­tungs­ant­wort (ers­te Kraft­spit­ze) auf­tre­ten, aller­dings mit Aus­nah­me des weib­li­chen Bar­fuß-Modells, was wie­der auf den Vor­fuß­lauf zurück­ge­führt wer­den kann. Die Modell­rech­nun­gen mit Schu­hen zei­gen eine deut­li­che Span­nungs­re­du­zie­rung gegen­über den Bar­fuß-Model­len. Die­ses Phä­no­men lässt sich durch die pas­sen­de und opti­mier­te Form des Schuhs zur Fuß­soh­le und die Dämp­fung des Auf­prall­sto­ßes der Schuh­soh­le erklären.

5. Resü­mee

Die bis­lang zum Ein­satz kom­men­den Metho­den zur Gestal­tung von Schu­hen im Sport- und Reha­be­reich, wie etwa der Gang­ana­ly­se in Kom­bi­na­ti­on mit Druck­sen­sor-Ein­le­ge­mat­ten, geben kei­nen Auf­schluss über das kom­ple­xe drei­di­men­sio­na­le Inter­ak­ti­ons­ge­sche­hen zwi­schen dem mensch­li­chen Bewe­gungs­ap­pa­rat (ins­be­son­de­re Fuß) und Schuh bzw. zwi­schen Fuß und Unter­grund. Auf Basis des BOSS-Ver­fah­rens kön­nen mit­hil­fe von Pro­ban­den erzeug­te digi­ta­le Mensch­mo­del­le mit in vivo-Eigen­schaf­ten durch rea­li­täts­na­he Com­pu­ter­si­mu­la­tio­nen erst­ma­lig die infol­ge der Inter­ak­tio­nen mit einem Schuh ent­ste­hen­den mecha­ni­schen Druck- und Zug- sowie die mög­li­cher­wei­se viel gefähr­li­che­ren Scher­span­nun­gen sogar in tie­fe­ren Gewe­be­schich­ten bis hin zum Kno­chen prin­zi­pi­ell an jeder belie­bi­gen Stel­le im Bewe­gungs­ap­pa­rat drei­di­men­sio­nal dar­ge­stellt („sicht­bar“ gemacht) wer­den. Im Ver­gleich zu den bis­her übli­chen Metho­den wird das zen­tra­le Poten­ti­al die­ses Ver­fah­rens in der Ent­wick­lung und Opti­mie­rung von Schu­hen der­art lie­gen kön­nen, dass das Inter­ak­ti­ons­sze­na­rio am Rech­ner mit Blick auf eine opti­ma­le Ver­let­zungs­prä­ven­ti­on bzw. einen maxi­ma­len Kom­fort solan­ge durch­ge­spielt wer­den kann, bis Span­nun­gen an gefähr­de­ten ana­to­mi­schen Stel­len (etwa Fer­sen­pols­ter und Achil­les­seh­ne) mini­miert wor­den sind. Es ist zu erwar­ten, dass sol­che unter Berück­sich­ti­gung bio­me­cha­nisch ent­wi­ckel­ter Design­vor­ga­ben, vor einer auf­wen­di­gen und teu­ren Fer­ti­gung per Simu­la­tio­nen am Rech­ner gestal­te­ten und dann erst gefer­tig­ten Schuh­sys­te­me das Ver­let­zungs­ri­si­ko sehr effi­zi­ent ver­min­dern und/oder den Tra­ge­kom­fort erhö­hen werden.

Die Autoren:
M. Eng. Dipl.-Ing. Majid Kardeh
Fach­be­reich 2: Infor­ma­tik und
Inge­nieur­wis­sen­schaf­ten
kardeh@fb2.fh-frankfurt.de

Prof. Dr.-Ing. habil. Ger­hard Silber
Geschäfts­füh­ren­der Direk­tor des
Insti­tuts für Mate­ri­al­wis­sen­schaf­ten (IfM)
Pro­fes­sur für Materialmodellierung,
Bau­teil­op­ti­mie­rung, Kon­ti­nu­ums­me­cha­nik, Mate­ri­al­theo­rie
Fach­hoch­schu­le Frank­furt am Main
- Uni­ver­si­ty of Appli­ed Sciences –
Nibe­lun­gen­platz 1
60318 Frank­furt
silber@fb2.fh-frankfurt.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/Reviewed paper

* Im Raum exis­tie­ren im All­ge­mei­nen ins­ge­samt 6 Span­nun­gen (je 3 Nor­mal- und Scher­span­nun­gen). Bei der von MISES-Span­nung han­delt es sich um eine „Ver­gleichs­span­nung“ in Form einer ein­zi­gen Zahl, wel­che in bestimm­ter Wei­se aus den 6 Nor­mal- und Scher­span­nun­gen S11, S22 und S33 und S12, S13 und S23 gebil­det wird und inso­fern sehr oft als „Maß“ für die räum­li­che Last­si­tua­ti­on her­an­ge­zo­gen wird, als dass man nicht müh­sam 6 Span­nun­gen ana­ly­sie­ren muss.

Zita­ti­on
Kar­deh M, Sil­ber G. Bio­me­cha­ni­sche Opti­mie­rung von Schu­hen unter Berück­sich­ti­gung der Fer­sen­pols­ter- und Achil­les­seh­nen­be­las­tung. Ortho­pä­die Tech­nik, 2013; 64 (7): 54–59
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  2. Sil­ber G. Eine neue Metho­de in der prä­ven­ti­ven Bio­me­cha­nik –Bio­me­cha­ni­sche Form­op­ti­mie­rung von Lie­ge- und Sitz­ober­flä­chen mit Mensch­mo­del­len, Ortho­pä­die Tech­nik, 2013; 64 (3): 48–53
  3. Sil­ber G, Then C. Pre­ven­ti­ve Bio­me­cha­nics –Opti­mi­zing Sup­port Sys­tems for the Human Body in the Lying and Sit­ting Posi­ti­on (Lehr­buch), Sprin­ger, 2013
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  5. Sil­ber G. Ein neu­ar­ti­ges Ver­fah­ren zur Gestal­tung, Bewer­tung und Prü­fung von Anti-Deku­bi­tus-Sys­te­men, Ortho­pä­die-Tech­nik, 2007; 58 (8): 583–589
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