Wie man sich aus einer scheinbar festgeschriebenen Welt loslöst und neue Lösungsansätze für das gesellschaftliche Miteinander formt, dafür steht Raul Aguayo-Krauthausen. Von Moderator Dr. Stefan Simmel wurde der 40-jährige Berliner als Autor, Medienmacher, aber auch als Aktivist für Inklusion und Barrierefreiheit vorgestellt.
„Wenn eine gute Fee morgen zu mir kommen würde und mir einen Wunsch gewähren würde, dann würde ich mir Barrierefreiheit wünschen und nicht, laufen zu können“, erklärte Krauthausen, wie wichtig ihm eine Gesellschaft ist, in der keiner durch Barrieren vom Partizipieren abgehalten wird. Krauthausen, der auf Grund seiner Glasknochenkrankheit auf die Unterstützung durch einen Rollstuhl angewiesen ist, zählte viele Beispiele auf, in denen der Alltag Menschen mit Behinderungen zusätzlich behindert. Etwa seien Geldautomaten weder für Blinde noch Rollstuhlfahrer konzipiert. Auf Grund der Verwendung von Touchscreens können sich blinde Menschen nicht durch haptische Führung zurechtfinden und Rollstuhlfahrer scheitern auf Grund des Höhenunterschieds zum Eingabefeld. Aber nicht nur physische Barrieren gibt es, sondern vor allem im Sprachgebrauch findet man häufig einen unreflektierten Umgang mit Behinderungen. Krauthausen stellte heraus, dass das Begriffspaar „behindert – gesund“ völlig falsch gewählt ist: „Ich kann als behinderter Mensch an Corona erkranken, dann bin ich ein kranker Behinderter oder ich bin nicht an Corona erkrankt, dann bin ich ein gesunder Behinderter.“ Eine Behinderung sei genau das – eine Behinderung und keine Krankheit.
Außerdem teilte er mit seinem virtuellen Publikum seine Erfahrung, dass die Anliegen von Menschen mit Behinderung oftmals nicht ernst genommen werden und sich die behandelnden Ärzte zum Beispiel nicht in den Patienten Krauthausen reinfühlen konnten. „Ich selbst hatte schreckliche Arzterlebnisse gehabt, die gar nicht so sehr mit Schmerzen zu tun hatten, sondern mit menschenunwürdigem Umgang mit mir, einfach nur, weil ich eine Behinderung habe. Ich wurde zum Forschungssubjekt gemacht für herbeigerufene Medizinstudierende, die sich meine Röntgenbilder anschauen sollten, ohne mich vorher um Erlaubnis zu fragen. Das heißt, es wurde permanent und über meinen Kopf hinweg entschieden“, erklärte der Keynote-Speaker.
Kritik an gesellschaftlicher Bequemlichkeit
Kritisch betrachtete Krauthausen auch die gesellschaftliche Bequemlichkeit. Mit Ausreden würde das eigene Gewissen beruhigt, so der Aktivist. „Ein Beispiel: Wenn jemand sagt, dass er keine behinderten Kunden hat, weil er keine behindertengerechte Toilette hat, dann ist das eine Rechtfertigung für die eigene Tatenlosigkeit. Stattdessen sollte man sagen: Wie bekomme ich eine behindertengerechte Toilette hin, damit ich behinderte Kunden haben kann?“, so Krauthausen.
Überhaupt sei es schwer, dass Menschen ohne Behinderung immer noch der Zugang zu vielen Dingen verwehrt bliebe. Als Beispiel, wo der Gesetzgeber bereits bessere Rahmenbedingungen geschaffen hat, nannte er die USA. Dort habe man die Möglichkeit, sein Recht einzuklagen, falls jemand der Zugang nicht ermöglicht wird. „In Deutschland sind wir auf einem ähnlichen Weg. Bis 2025 muss die öffentliche Hand barrierefrei sein. Dieses Ziel wird sie reißen, aber dann kann man immerhin dagegen klagen“, sagte Krauthausen.
„Inklusion ist alternativlos“ lautete die abschließende Forderung Krauthausens. Denn: Auch nicht behinderte Menschen hätten das Anrecht darauf, ohne Barrieren mit Menschen mit Behinderung zusammenzuleben.
Heiko Cordes
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