Vor Ort in Berlin führte die wissenschaftliche Leiterin des Symposiums Dr. med. Anett Reißhauer, Leitung Arbeitsbereich Physikalische Medizin und Rehabilitation an der Charité-Universitätsmedizin Berlin, durch die Programmpunkte. Die Referenten wurden entweder per Videoschaltung eingebunden oder, wenn sie vor Ort in Berlin waren, referierten sie direkt von Podium aus. Per Chat konnten die Zuschauer Fragen stellen. In den Pausen stellte eine Ärztin entstauende Übungen vor, lud eine diese auszuprobieren. Diese Übungen können bei Patienten mit Lymphödem der oberen und der unteren Extremität angewendet werden. Insgesamt 100 Zuschauer national und 80 international folgten dem „ersten“ Online-Symposium. Ein Resümee gibt die wissenschaftliche Leiterin des Symposiums Dr. med. Anett Reißhauer im Interview mit der OT.
OT: Wie ist Ihr Fazit? War die Entscheidung „nur online“ rückblickend richtig?
Dr. med. Anett Reißhauer: Im ersten Moment waren wir alle betrübt, weil wir die Online-Variante wählen mussten. Keine Präsenzveranstaltung, keine Gespräche untereinander, so unsere damalige Befürchtung. Aber am Ende unseres Symposiums waren wir begeistert. Drei Simultanübersetzer machten es möglich, dass wir in 19 Länder übertragen wurden. Das wäre ohne die virtuelle Umsetzung in der Form nicht möglich gewesen. Parallel konnten im Chat unmittelbar die Fragen aller Teilnehmer aus In- und Ausland beantwortet werden. Das hat uns auch von allen Seiten viel Lob eingebracht. Die Online-Variante hat uns ein neues Tor und viele Chancen eröffnet, die wir für unsere zukünftigen Symposien auf jeden Fall berücksichtigen werden.
OT: Spannend waren insbesondere die Vorträge aus dem Bereich „Neues aus der Forschung“: Hier wurden Studien zum Thema „Medizinisch-adaptive Kompressionssysteme (MAK) vs. Flachstrick-Kompressionsstrumpf nach Maß“ vorgestellt. Welches sind die wichtigsten Ergebnisse?
Reißhauer: Die Quintessenz dieser Studie lautet meiner Meinung nach, dass die MAK, ohne dass sie nachjustiert werden muss, einem maßangefertigten Flachstrickkompressionstrumpf nicht unterlegen ist — weder in Bezug auf die Volumeneffekte noch auf den Druck. Beim Druck waren die MAK sogar tendenziell bei dieser Studie stabiler. Aufgrund dieser Ergebnisse sehe ich die MAK als gute Ergänzung für spezielle Anforderungen an: Beispielsweise, wenn die Patienten offene Wunden am Bein haben oder eine Bandagierung gerade nicht möglich ist oder wenn am Wochenende bei der Versorgung eine schnelle Ersatzlösung gefunden werden muss. Auch in Pflegeheimen kann ich mir den Nutzen der MAK gut vorstellen. Zum Beispiel, wenn im Einzelfall vonseiten der Angehörigen oder dem Pflegepersonal keine Anziehhilfe geleistet werden kann. Natürlich ist die Versorgung am Fuß mit MAK immer problematisch, da die MAK-Versorgung etwas unförmig ist und die Patienten damit schlecht in Schuhe passen. Deshalb ist für mich auch klar: Die MAK kann den Flachstrick-Kompressionsstrumpf nach Maß nicht ersetzen, aber sie schließt im Bedarfsfall eine Lücke, die gleichwertig ist. Sie kann eine wichtige ergänzende Versorgung sein.
OT: Des Weiteren haben Sie erste Studienergebnisse zum Thema „Kompressionstherapie mit innovativem, teils vorkonfektioniertem Polstermaterial“ vorgestellt. Wie sind da die ersten Tendenzen?
Reißhauer: Polstermaterial ist in bei der KPE I ja unumgänglich. Sie dient der Drucknivellierung und zum Hautschutz, aber die üblichen Materialien verursachen auch viel Müll. In unserer Studie wurde gezeigt, dass dieses neue, innovative Polstermaterial in seiner Wirkung – also bei der Volumen- und Umfangsreduktion sowie bei der Abnahme des Spannungsgefühls– dem üblichen Polstermaterial nicht unterlegen ist. Darüber hinaus zeigt es eindeutige Vorteile: Es ist waschbar und wiederverwertbar. Die Patienten, die an unserer Studie teilgenommen haben, kommen noch heute zu den Nachuntersuchungen mit ihrem gewaschenen Material. Das gibt sowohl ihnen als auch uns Behandlern ein gutes, umweltfreundliches Gefühl.
Schulungskonzept für Medizinstudenten
OT: Studien zeigen: Interprofessionalität verbessert das therapeutische Ergebnis. So ist auch der Diagnose Lymphödem davon auszugehen. Unter Ihrer Leitung wurde ein neues Schulungskonzept für Medizinstudierenden, bezogen auf die Diagnose Lymphödem, entwickelt. Was sind die Pfeiler dieser Schulung?
Reißhauer: Seit Jahren bieten wir Wahlpflichtmodule im Bereich Lymphödem und Wunde an. Nun haben wir dies um das Modul „Kompressionsversorgung bei Lymphödem“ nochmals ergänzt. Dabei ist es unser Ziel, dass die Studierenden sich nicht nur Klinik und Diagnostik der Lymphödemerkrankungen und deren Therapiebausteinen auseinandersetzen, sondern dass sie im Rahmen der Selbsterfahrung erleben, was es für die Patienten bedeutet am Arm oder Bein ein Lymphödem zu haben. Um die Funktionsdefizite selbst zu erfahren, setzen wir Ödem-Simulatoren kombiniert mit Gewichtsmanschetten ein.
OT: Was erhoffen Sie sich von dem Konzept?
Reißhauer: Damit die Therapien erfolgreich sind, muss das ganze Team, also der Arzt, die Pflegekraft, die Physiotherapie, die Sanitätshausfachangestellten usw. gut zusammenarbeiten. Das Schulungskonzept hilft den Studierenden, die Patienten besser zu verstehen. Das ist so wichtig und kann auf jede der beteiligten Berufsgruppe übertragen werden.
Die Fragen stellte Irene Mechsner.