Poh­lig Bio­nic Socket Sys­tem (PBSS) – ers­te kli­ni­sche Erfah­rung mit einem neu­ar­ti­gen System

S. Domayer, M. Schmidt, N. Kommer, S. Geisler, K. Schüller, M. Schäfer, K. Pohlig
Die optimale Anpassung des Schaftes bleibt besonders nach einer Oberschenkelamputation für Techniker wie für Ärzte eine Herausforderung. Das Pohlig Bionic Socket System (PBSS) zielt mit einem völlig neuen, technisch sehr umfangreichen Anfertigungskonzept darauf ab, die Anpassung bestmöglich und objektiv reproduzierbar zu machen. Neben objektiven Kriterien bleibt aber das Befinden des Patienten selbst das wichtigste Kriterium zur Beurteilung des Erfolges. Die vorliegende Studie hatte zum Ziel, die ersten Fälle, welche mit PBSS versorgt wurden, klinisch zu untersuchen, um erste Daten zur Effizienz der neuen Technologien zu erhalten.

Ein­lei­tung

Inno­va­tio­nen im Bereich des Schaf­tes blei­ben ein Span­nungs­feld der Exo­pro­the­tik. Trotz der jahr­zehn­te­lan­gen Bemü­hun­gen, die Anbin­dung der Pro­the­se an den Pati­en­ten vor allem bei Ober­schen­kel­am­pu­ta­tio­nen zu opti­mie­ren, blei­ben grund­le­gen­de Aspek­te wie die Rota­ti­ons­sta­bi­li­tät, die exak­te Pass­form oder die Ther­mo­re­gu­la­ti­on oft nicht zufrie­den­stel­lend gelöst. Nach der aus heu­ti­ger Sicht über­hol­ten que­r­ova­len Schaft­form setz­te sich die längs­ova­le Schaft­form in der Ortho­pä­die-Tech­nik nur sehr lang­sam durch, da die Anpas­sung nur mit sehr hohem per­so­nel­len und mate­ri­el­len Auf­wand durch­zu­füh­ren ist und eine äußerst prä­zi­se Modell­ab­nah­me des Ober­schen­kel­stump­fes sowie eine sys­te­ma­ti­sche, spe­zi­ell auf die Kri­te­ri­en des längs­ova­len Schaf­tes abge­stimm­te Model­lier­tech­nik erfor­dert 1 2. Den­noch blieb das Kon­zept des längs­ova­len Schaf­tes Grund­la­ge wei­te­rer Ent­wick­lun­gen; aus dem CAT-CAM-Schaft wur­de der IC-Socket (Ischi­al Con­tain­ment Socket), und neue Vari­an­ten wie der M.A.S.-Schaft (Mar­lo Ana­to­mic­al Socket­) ­wur­den rea­li­siert. 2002 inte­grier­te Mar­lo Ortiz schließ­lich in sei­ne M.A.S.-Technik Kom­po­nen­ten des qua­dri­la­te­ra­len Schaft­sys­tems 3. Die dadurch ermög­lich­te unauf­fäl­li­ge, gesäß­freie und kör­per­na­he Form­ge­stal­tung des Schaf­trand­ver­laufs wird beson­ders von Pro­the­sen­trä­ge­rin­nen sehr geschätzt, wenn­gleich die maxi­ma­le Reduk­ti­on der Last­auf­nah­me­flä­chen und die resul­tie­ren­den Mehr­be­las­tun­gen zu einem Ver­sa­gen des Sys­tems füh­ren kön­nen 4.

Rand­all Alley ging 2011 neue Wege mit der Krea­ti­on des HiFi-Inter­face-Moduls und des trans­fe­mo­ra­len Kom­pres­si­ons­schafts, der das Kon­zept der Osse­oper­zep­ti­on ein­führ­te. Erst­mals wur­de die Kom­pres­si­ons­fä­hig­keit der Weich­tei­le gemes­sen und die Mus­ku­la­tur des Stumpf­füh­rungs­be­reichs mit­tels vier lon­gi­tu­di­nal um das Femur her­um ver­lau­fen­der Stüt­zen, die im 90°-Winkel zuein­an­der ange­ord­net sind, ver­klam­mert 5. Die Posi­tio­nie­rung und auch die Stär­ke der Kom­pres­si­on die­ser Zonen erfolgt beim Gips­ab­druck mit einer stan­dar­di­sier­ten Vor­rich­tung („Imager”), deren Metall­stüt­zen hori­zon­tal an den Stumpf her­an­ge­führt wer­den. Durch die­se Metho­de sei es, so Alley, in vie­len Fäl­len mög­lich, auf eine Ein­bet­tung des Beckens (Tuber ischia­di­cum) in den Pro­the­sen­schaft zu verzichten.

Form­er­fas­sung und Erstel­lung der Funk­ti­ons­form des Pro­the­sen­schaf­tes blei­ben jedoch Unsi­cher­heits­fak­to­ren. Das Ver­sor­gungs­er­geb­nis weicht

  • bei Anwen­dung glei­cher Routinen
  • von OT-Tech­ni­ker zu OT-Tech­ni­ker deut­lich ab. Auch eine form- und volu­men­ge­naue Repro­duk­ti­on der Schaft­form scheint nicht mög­lich zu sein. Dar­über hin­aus wird die Qua­li­tät des Gips­ab­drucks durch das hand­werk­li­che Geschick des Tech­ni­kers genau­so beein­flusst wie durch die ange­wand­te Wickel­tech­nik, den Zug der Gips­bin­den sowie – wegen des Abformgriffs
  • die Form der Füh­rungs­zo­nen. Die Weich­tei­le wer­den dabei von den Ortho­pä­die-Tech­ni­kern unter­schied­lich hef­tig mani­pu­liert – mit der Fol­ge unkon­trol­lier­ba­rer Verschiebungen.

Vor die­sem Hin­ter­grund zielt das Poh­lig Bio­nic Socket Sys­tem (PBSS) 6 neben der dista­len Schaft­sta­bi­li­sie­rung zur Maxi­mie­rung der Bewe­gungs­frei­heit auf eine objek­tiv repro­du­zier­ba­re Anfer­ti­gung ab. Die Form­er­fas­sung erfolgt berüh­rungs­los via Scan­ner auf einer spe­zi­ell für PBSS-Belan­ge kon­stru­ier­ten drei­di­men­sio­nal ein­stell­ba­ren Sitz­ein­heit. Nach ent­spre­chen­der Vor­be­rei­tung dau­ert der defi­ni­ti­ve Scan nur 45 Sekun­den, inner­halb derer die Mus­ku­la­tur ange­spannt wird, sodass sich ein per­fek­tes Reli­ef rea­li­sie­ren lässt (Abb. 1). Im wei­te­ren Ver­lauf wer­den alle Stumpf­um­fang­ma­ße zusätz­lich mit einem durch eine Gas­druck­fe­der nor­mier­ten Maß­band ermit­telt. Zudem wird der gesam­te Stumpf sono­gra­fisch aus­ge­mes­sen, sodass der Ver­lauf der Mus­ku­la­tur, mög­li­che Ver­knö­che­run­gen oder Exosto­sen, vor allem aber die axia­len Mus­kel­lü­cken ermit­telt und gekenn­zeich­net wer­den kön­nen. Dadurch kön­nen die Sta­bi­li­sa­to­ren unver­gleich­lich genau­er posi­tio­niert wer­den (Abb. 2).

Die kli­ni­sche Beur­tei­lung der Qua­li­tät der Schaft­ver­sor­gung bleibt jedoch viel­schich­tig. Neben all den tech­ni­schen Aspek­ten und objek­ti­ven Kri­te­ri­en, die Ortho­pä­die-Tech­ni­ker wie Ärz­te her­an­zie­hen, bleibt die jewei­li­ge sub­jek­ti­ve Beur­tei­lung durch den Pati­en­ten der Gold­stan­dard; dabei wer­den stets auch die Mobi­li­täts­klas­se, der kor­rek­te Pro­the­sen­auf­bau, die ver­wen­de­ten Modu­le oder auch Grund­er­kran­kun­gen Ein­fluss auf das Gesamt­be­fin­den neh­men. Es muss daher kli­nisch getes­tet wer­den, ob der hohe tech­ni­sche Auf­wand des PBSS tat­säch­lich gegen­über eta­blier­ten Schaft­tech­no­lo­gien dem Pati­en­ten eine signi­fi­kan­te Ver­bes­se­rung wird brin­gen können.

Ziel der vor­lie­gen­den Stu­die war es daher, jene Fäl­le, die mit dem neu­en Sys­tem erst­ver­sorgt wur­den, mög­lichst genau zu eva­lu­ie­ren, um mög­li­che Stär­ken und Schwä­chen des Sys­tems früh zu erken­nen. Zudem wur­de ein ers­ter Lite­ra­tur­ver­gleich durch­ge­führt, um die Ergeb­nis­se im fach­spe­zi­fi­schen Kon­text bewer­ten zu können.

Metho­dik

Das Design der Stu­die ent­spricht einer Pilot­stu­die im Sin­ne einer kon­se­ku­ti­ven Fall­se­rie. Nach Geneh­mi­gung durch die Baye­ri­sche Ethik­kom­mis­si­on wur­den sämt­li­che Pati­en­ten, die ver­sorgt wor­den waren, zur Nach­un­ter­su­chung ein­ge­la­den. Ins­ge­samt waren von Janu­ar 2012 bis Mai 2013 36 Fäl­le mit PBSS ver­sorgt wor­den, von denen sich 22 für die Nach­un­ter­su­chung zur Ver­fü­gung stell­ten und ihre Ein­wil­li­gung in die Durch­füh­rung der Stu­die gaben.

Das Inter­vall zwi­schen Ver­sor­gung und Nach­un­ter­su­chung betrug min­des­tens 8 Wochen; in sämt­li­chen Fäl­len lag die Ampu­ta­ti­on län­ger als ein Jahr zurück, sodass es sich aus­schließ­lich um vor­ver­sorg­te Fäl­le han­del­te. Die Pati­en­ten waren alle ein­sei­tig trans­fe­mo­ral ampu­tiert und wur­den aus sämt­li­chen Mobi­li­täts­klas­sen (IIV) rekrutiert.

Nach­un­ter­su­chung

Der Ampu­ta­ti­ons­stumpf wur­de kli­nisch unter­sucht, um Druck­stel­len zu erhe­ben. Die Län­ge vom Tro­chan­ter major bis zum Stump­fen­de sowie der Stumpf­um­fang 10 cm pro­xi­mal des Stump­fen­des wur­den erho­ben und die Indi­ka­ti­on für die Ampu­ta­ti­on sowie das Inter­vall bis zur Ver­sor­gung mit PBSS doku­men­tiert. Des Wei­te­ren wur­den Alter und Body-Mass-Index (BMI) erhoben.

Zur kli­ni­schen Eva­lu­ie­rung wur­de die deut­sche Ver­si­on des Pro­sthe­sis Eva­lua­ti­on Ques­ti­on­n­aire (PEQ) ver­wen­det 7. Das PEQ-Sys­tem umfasst 85 Fra­gen, die in 7 Kate­go­rien geglie­dert sind, um 9 ver­schie­de­ne PEQ-Scores zu erhe­ben. Neben der Aus­führ­lich­keit des PEQ-Sys­tems besteht sein Haupt­vor­teil im spe­zi­fi­schen Design für Pati­en­ten nach Ampu­ta­ti­on der unte­ren Extre­mi­tät. Der Score wird vom Pati­en­ten aus­ge­füllt, und es wer­den durch­ge­hen­de Bal­ken, ähn­lich dem VAS-Sys­tem, mar­kiert. Bei der Aus­wer­tung wer­den die­sen Mar­kie­run­gen Wer­te zwi­schen 0 und 100 zuge­ord­net, sodass sich nume­ri­sche Resul­ta­te erge­ben. Aus den jewei­li­gen Fra­gen in sämt­li­chen 7 Kate­go­rien lässt sich dann der jewei­li­ge PEQ-Score als Durch­schnitts­wert berechnen.

Die 9 PEQ-Scores umfas­sen: ­(I) „Ambu­la­ti­on” als Indi­ka­tor für die Geh­fä­hig­keit, (II) „Appearance” für das kos­me­ti­sche Erschei­nungs­bild der Ver­sor­gung, (III) „Frus­tra­ti­on” für gene­rel­le Pro­ble­me mit der Prothese­, (IV) „Per­cei­ved Respon­se”, reprä­sen­ta­tiv für die Reak­tio­nen durch Drit­te,­ (V) „Resi­du­al Limb Health” für den Zustand des Stump­fes, (VI) „Social Bur­den” für die Integra­tion in den sozia­len Kon­text im All­tag,­ (VII) „Sounds” für Pro­ble­me durch Pro­the­sen­ge­räu­sche, (VIII) „Uti­li­ty”­ für die Pro­the­sen­hand­ha­be und (IX) „Well-Being” für den gene­rel­len Gesundheitszustand.

Zusätz­lich wur­de im Sin­ne einer Bewer­tung über Bal­ken gefragt, wie viel bes­ser die Pass­form durch PBSS gegen­über der Vor­ver­sor­gung war und ob durch das Scan­ver­fah­ren Nach­tei­le gegen­über dem Gips­ab­druck gese­hen wurden.

Sta­tis­ti­sche Auswertung

Die sta­tis­ti­sche Aus­wer­tung die­ser Stu­die wur­de unab­hän­gig extern durch­ge­führt (http://www.stat-up.com/de/). Neben der deskrip­ti­ven Sta­tis­tik zur Erhe­bung von Mit­tel­wert und Stan­dard­ab­wei­chung der Basis­kri­te­ri­en sowie der PEQ-Scores wur­den Fak­tor­ana­ly­sen durch­ge­führt, um mög­li­che Kor­re­la­tio­nen zwi­schen den Ergeb­nis­sen zu ermitteln.

Zur Berück­sich­ti­gung von Alter, Geschlecht und Akti­vi­täts­klas­se wur­de bei einem Signi­fi­kanz­ni­veau von 5 % auf Unter­schie­de zwi­schen den jüngs­ten 50 % und den ältes­ten 50 % mit­tels 2‑seitiger t‑Tests getes­tet. Es wur­de auch über­prüft, ob die emp­fun­de­nen Schmer­zen für die Bewer­tung der Scores eine Rol­le spiel­ten. Hier­für wur­de eine Fak­to­ren­ana­ly­se mit Vari­max-Rota­ti­on für sämt­li­che Fra­gen des Fra­ge­bo­gens durch­ge­führt, in denen es um das Schmerz­emp­fin­den geht.

Dabei wur­de deut­lich, dass zwei Fak­to­ren wesent­lich waren: Der 1. Fak­tor (F1) beschreibt die Häu­fig­keit oder Dau­er jeg­li­cher emp­fun­de­ner Schmer­zen (also nicht nur Phan­tom­schmer­zen und Stumpf­schmer­zen, son­dern auch Schmer­zen im ande­ren Bein sowie im Rücken), der 2. Fak­tor (F2) dage­gen die Inten­si­tät des Schmer­zes und die Belas­tung durch jene Schmer­zen – wie­der von allen mög­li­chen Schmer­zen. Über Relia­bi­li­täts­ana­ly­sen wur­den jene Fra­gen, die für die­se Fak­to­ren reprä­sen­ta­tiv waren, selek­tiert (Cron­bachs Alpha 0,859 für F1 und 0,982 für F2) und im Fol­gen­den als „HD-Score” („Häu­fig­keits-/Dau­er-Score”) bzw. „IB-Score” („Inten­si­täts-/Be­las­tungs­Score”) bezeichnet.

Um zu über­prü­fen, ob die Schmer­zen tat­säch­lich eine Rol­le bei der Beur­tei­lung der ande­ren Ska­len spie­len, wur­de schließ­lich der Zusam­men­hang der im HD-Score und IB-Score ermit­tel­ten Wer­te mit den Wer­ten der rest­li­chen Scores untersucht.

Ergeb­nis­se

Pati­en­ten

Ins­ge­samt wur­den 22 Fäl­le nach­un­ter­sucht, von denen 17 männ­lich und 5 weib­lich waren. Der BMI lag in sämt­li­chen Fäl­len unter 30, das mitt­le­re Alter betrug 58 Jah­re, Mobi­li­täts­klas­sen waren Mob. I in 2 Fäl­len, Mob. II in 2 Fäl­len, Mob. III in 15 Fäl­len und Mob. IV in 3 Fällen.

Ursa­che für die Ampu­ta­ti­on war in 7 Fäl­len ein Gefäß­ver­schluss, 11 Fäl­le wur­den auf­grund von Trau­ma­ta ampu­tiert, 2 Pati­en­ten hat­ten eine Tumor­er­kran­kung und wei­te­re 2 eine schwe­re, nicht beherrsch­ba­re Infek­ti­on nach Knie-Pro­the­se erlit­ten. Die Stumpf­län­ge vari­ier­te zwi­schen 20 und 38 cm (Mit­tel­wert 28.6 ± 5.2 cm), der Stumpf­um­fang zwi­schen 18.7 und 58 cm (Mit­tel­wert 40.6 ± 11.5 cm).

PEQ-Scores

Der PEQ-Score zeig­te in sämt­li­chen Kate­go­rien sehr gute bis exzel­len­te Ergeb­nis­se (Abb. 3). Beson­ders die Kate­go­rien „Uti­li­ty”, „Frus­tra­ti­on” und „Resi­du­al Limb Health” waren als reprä­sen­ta­tiv für die Güte der Schaft­ver­sor­gung zu wer­ten und lagen bei 79 % oder mehr des erreich­ba­ren Höchst­wer­tes (sie­he Abb. 3, Tab. 1).

Auf die spe­zi­fi­sche Fra­ge­stel­lung hin, ob PBSS eine Ver­bes­se­rung der Pass­form im Ver­gleich zur Vor­ver­sor­gung erbracht habe, wur­de die Ver­bes­se­rung des Schaft­sit­zes mit durch­schnitt­lich 80 % ange­ge­ben. Des Wei­te­ren fan­den die Pati­en­ten, dass der Scan gegen­über der Gips­ab­druck­tech­nik kei­ner­lei Nach­tei­le brachte.

Kor­re­la­ti­ons­ana­ly­sen

Unter Berück­sich­ti­gung von Alter, Geschlecht und Akti­vi­täts­klas­se bei einem Signi­fi­kanz­ni­veau von 5 % wur­den kei­ne signi­fi­kan­ten Unter­schie­de ermit­telt. Auf­grund des gerin­gen Umfangs der Unter­su­chung kann jedoch ver­mu­tet wer­den, dass die Unter­schie­de zwi­schen den jüngs­ten 50 % und den ältes­ten 50 % bei einer grö­ße­ren Stich­pro­be signi­fi­kant wer­den, ins­be­son­de­re hin­sicht­lich der „Ambu­la­ti­on Sca­le”, der „Frus­tra­ti­on Sca­le” und des „Well-Being Score”. Bei die­sen drei Scores war die Ten­denz zu einer schlech­te­ren Bewer­tung mit zuneh­men­dem Alter zu erken­nen (Tab. 2).

Wäh­rend kein Zusam­men­hang zwi­schen Häu­fig­keit und Dau­er der Phan­tom­schmer­zen oder Schmer­zen im Stumpf und den rest­li­chen Scores fest­zu­stel­len war, konn­te mit­tels des IB-Scores durch­aus anhand der Pearson’schen Kor­re­la­ti­on mit den rest­li­chen Scores ein Trend zu einer nega­ti­ven Kor­re­la­ti­on hin dar­ge­stellt wer­den; die­se war im Hin­blick auf die „Uti­li­ty Sca­le” signi­fi­kant (r = – 0.463, p = 0.035). Folg­lich führ­te ein nied­ri­ge­rer IB-Score als Indi­ka­tor für ein höhe­res Schmerz­emp­fin­den ten­den­zi­ell zu höhe­ren Anga­ben in den rest­li­chen Scores. Die­se Ten­denz deu­tet dar­auf hin, dass Pati­en­ten mit gestei­ger­tem all­ge­mei­nem Schmerz­emp­fin­den von PBSS stär­ker pro­fi­tie­ren als sol­che mit einem schwa­chen all­ge­mei­nen Schmerz­emp­fin­den. Im kli­ni­schen Kon­text kann dies in der Wei­se inter­pre­tiert wer­den, dass eine Bes­se­rung von Beschwer­den von die­sen Pati­en­ten stär­ker wahr­ge­nom­men wurde.

Lite­ra­tur­ver­gleich

Nach ent­spre­chen­der Lite­ra­tur­su­che wur­den drei Stu­di­en aus­ge­wählt, die das PEQ-Sys­tem in ähn­li­cher Fra­ge­stel­lung ver­wen­det hat­ten 7 8 9). Die Ergeb­nis­se in den jewei­li­gen PEQ-Scores wur­den sta­tis­tisch gegen die Ergeb­nis­se der vor­lie­gen­den Stu­die getestet.

Dank der hohen Stich­pro­ben­grö­ße von 92 Befrag­ten stell­te dabei die von Legro et al. 6 ver­öf­fent­lich­te Stu­die „Pro­sthe­sis eva­lua­ti­on ques­ti­on­n­aire for per­sons with lower limb ampu­ta­ti­ons: asses­sing pro­sthe­sis-rela­ted qua­li­ty of life” einen guten Ver­gleichs­da­ten­satz dar. Tat­säch­lich erga­ben sich im Ver­gleich signi­fi­kan­te Unter­schie­de: Sowohl in der „Frus­tra­ti­on Sca­le” als auch im „Social Bur­den Score” ver­ga­ben PBSS-Pati­en­ten signi­fi­kant höhe­re Bewer­tun­gen. In der „Uti­li­ty Sca­le”­ lag der p‑Wert mit 0.0678 knapp über dem 5-%-Signifikanzniveau, sodass hier ein ein­deu­ti­ger Trend zu ver­zeich­nen war. Auch ins­ge­samt gaben PBSS-Pati­en­ten durch­schnitt­lich in allen 9 Scores höhe­re Zufrie­den­heits­wer­te an.

Im Ver­gleich mit den Daten von Haf­ner und Smith 8 („Dif­fe­ren­ces in func­tion and safe­ty bet­ween Medi­ca­re Func­tion­al Clas­si­fi­ca­ti­on Level‑2 and ‑3 trans­fe­mo­ral ampu­tees and influence of pro­sthe­tic knee joint con­trol”) war dage­gen kein ent­schei­den­der Unter­schied zu erken­nen. In man­chen Scores gaben die Befrag­ten bei Haf­ner und Smith höhe­re Wer­te an, in ande­ren dage­gen die Teil­neh­mer der PBSS-Studie.

Bei der Gegen­über­stel­lung der PBSS-Ergeb­nis­se mit den Ergeb­nis­sen des von Thee­ven et al. 9 ver­öf­fent­lich­ten Fach­bei­tra­ges „Influence of advan­ced pro­sthe­tic knee joints on per­cei­ved per­for­mance and ever­y­day life acti­vi­ty level of low-func­tion­al per­sons with a trans­fe­mo­ral ampu­ta­ti­on or knee dis­ar­ti­cu­la­ti­on” war wie­der­um eine nahe­zu durch­gän­gi­ge bes­se­re Bewer­tung durch die PBSS-Pati­en­ten zu beob­ach­ten, wenn­gleich die Unter­schie­de nicht signi­fi­kant waren. So ergab sich im Ver­gleich in der „Uti­li­ty Sca­le” ein p‑Wert von 0.0528.

Dis­kus­si­on

Sämt­li­che Pati­en­ten pro­fi­tier­ten von der Ver­sor­gung mit PBSS. Offen­bar hat­ten Pati­en­ten mit beson­ders hohem Schmerz­ni­veau einen beson­de­ren Bene­fit durch die Ver­sor­gung. Der PEQ-Score als beson­ders detail­lier­tes, aber vor allem auf der sub­jek­ti­ven Wahr­neh­mung beru­hen­des Eva­lu­ie­rungs­sys­tem zeig­te, dass die Ergeb­nis­se ver­gleich­bar oder bes­ser waren als in ande­ren Studien.

Die Unter­schie­de zwi­schen Pati­en­ten unter bzw. über 55 Jah­ren erschei­nen gut nach­voll­zieh­bar und sind nicht als Fol­ge von PBSS zu inter­pre­tie­ren. Inter­es­sant ist, dass sich kein Zusam­men­hang zwi­schen den PEQ-Score-Ergeb­nis­sen und den Mobi­li­täts­gra­den ergab. Damit ist zu erwar­ten, dass Pati­en­ten sämt­li­cher Mobi­li­täts­klas­sen glei­cher­ma­ßen von der Ver­sor­gung mit dem neu­en Schaft­sys­tem pro­fi­tie­ren wer­den. Die axia­le Län­ge der in den Schaft inte­grier­ten PBSS-Sta­bi­li­sa­to­ren kor­re­liert mit der Stumpf­län­ge. Die Brei­te wur­de, abhän­gig von den Stumpf­um­fang­ma­ßen, mit 45 mm ± 5 mm, die Höhe mit 5 mm ± 1 mm fest­ge­legt (Abb. 4).

Gera­de bei jenen schwer zu ver­sor­gen­den Fäl­len mit adi­pö­sen Stümp­fen konn­te die Ein­press­tie­fe erhöht wer­den mit dem Ziel, das Fett­ge­we­be die­ser Pro­blem­stümp­fe durch ver­mehr­te Kom­pres­si­on gezielt zu sta­bi­li­sie­ren. Der Umstand, dass Pati­en­ten mit höhe­rem Schmerz­emp­fin­den einen Trend zu mehr Zufrie­den­heit mit der Ver­sor­gung zeig­ten, mag hier­durch beein­flusst wor­den sein; eine Fol­ge­un­ter­su­chung über den beson­de­ren Nut­zen bei adi­pö­sen Stümp­fen erscheint jeden­falls sinn­voll. Eben­so bleibt zu beob­ach­ten, ob sich die von Pati­ent zu Pati­ent unter­schied­li­che Fähig­keit zur Anspan­nung der Mus­ku­la­tur auf die Pass­form aus­wirkt (Abb. 5).

Ins­ge­samt wei­sen die Ergeb­nis­se die­ser Stu­die dar­auf hin, dass der Auf­wand der objek­tiv repro­du­zier­ba­ren und nor­mier­ten Fer­ti­gung für die kli­ni­schen Ergeb­nis­se güns­tig ist. Sämt­li­che Pati­en­ten berich­te­ten, dass der Schaft­sitz durch die Ver­sor­gung ver­bes­sert wor­den sei. Es gilt hier­bei fest­zu­hal­ten, dass es sich aus­schließ­lich um Pati­en­ten mit Lang­zeit­er­fah­rung han­del­te und dass damit ein beson­ders kri­ti­sches Pati­en­ten­gut in die­se Stu­die ein­ge­schlos­sen wor­den war. In kei­nem Fall tra­ten „adver­se events”, also nach­tei­li­ge Erfah­run­gen, auf. Ins­ge­samt kann damit von sehr ermu­ti­gen­den ers­ten Ergeb­nis­sen berich­tet werden.

Als Limi­ta­ti­on die­ser Stu­die bleibt fest­zu­hal­ten, dass es sich um eine Pilot­stu­die mit klei­ner Fall­zahl und limi­tier­tem Evi­denz­grad bedingt durch das Stu­di­en­de­sign einer Fall­se­rie han­delt. In der vor­lie­gen­den Stu­die konn­te mit 22 von 36 Fäl­len zwar eine reprä­sen­ta­ti­ve Stich­pro­ben­grö­ße erho­ben wer­den, den­noch blei­ben wei­ter­füh­ren­de Stu­di­en in höhe­ren Fall­zah­len und ein direk­ter Ver­gleich mit ande­ren Schaft­sys­te­men durchzuführen.

Für die Autoren:
PD Dr. Ste­phan Domay­er, PhD
Ärzt­li­cher Leiter
Ortho­pä­di­sches Rehabilitationszentrum
SKA Zick­see
Otto Pohan­ka Platz
A‑7161 St. Andrä am Zicksee
stephan.domayer@skazicksee.at

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Domay­er S, Schmidt M, Kom­mer N, Geis­ler S, Schül­ler K, Schä­fer M, Poh­lig K. Poh­lig Bio­nic Socket Sys­tem (PBSS) – ers­te kli­ni­sche Erfah­rung mit einem neu­ar­ti­gen Sys­tem. Ortho­pä­die Tech­nik, 2014; 65 (11): 34–40
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