„Die Gefahr, dass mit der Hilfsmittelversorgung ein relevantes Segment des Gesundheitswesens kollabiert, ist nicht gebannt. Die Situation ist noch weit von einer Normalität entfernt“, konstatiert BIV-OT-Präsident Alf Reuter, der 14 Landesinnungen und mehr als 2.500 Hauptbetriebe mit insgesamt rund 40.000 Beschäftigten vertritt. Das zeige die aktuelle Befragung zu den Auswirkungen der Corona-Krise auf die Branche, an der zwischen dem 4. und 10. Mai 2020 bundesweit 357 Mitgliedsbetriebe des BIV-OT teilgenommen haben (1. Befragungswelle im April: 599 Betriebe). Insgesamt habe sich die Lage im Vergleich zur ersten Befragung zwar verbessert, so Reuter: „Die Häuser haben sich mit hohem Engagement auf die Versorgung unter schwierigen Bedingungen eingestellt, beispielsweise persönliche Schutzausrüstung (PSA) beschaffen können. Hier haben unsere die gemeinsamen Anstrengungen vom GKV-Spitzenverband und uns bzgl. der Verwaltungsvereinfachungen gut gegriffen. Allerdings machen mir die hohen Einbrüche bei der Auftragslage weiter Sorgen. Hier sieht man deutlich, dass der normale Klinikbetrieb nicht zum Normalbetrieb übergehen konnte und auch die Arztbesuche und Verordnungen der niedergelassenen Ärzte noch deutlich unter dem Durchschnitt liegt. Hier droht nach wie vor für viele Betriebe ein finanzieller Kollaps. Auch das weitere Verschieben von notwendigen Versorgungen kommt an seine Grenzen – wenn das weiter so geht laufen wir Gefahr, dass Patienten gesundheitliche Schäden riskieren.“
Eingeschränkt arbeitsfähig
Auch die Auswertung der zweiten Befragung zu den Corona-Auswirkungen im Mai ergab in etlichen Betrieben keine volle Arbeitsfähigkeit in den verschiedenen Versorgungssegmenten. Indes stellten sich die Einschränkungen weniger ausgeprägt dar als bei den Antworten im April. Die Angaben, welche Bereiche im Unternehmen „eher bzw. voll arbeitsfähig“ sind, lauteten bei den befragten Unternehmen wie folgt: Sanitätshaus 63,5 Prozent (Angabe bei 1. Befragung: 42,5); Orthopädie-Technik 62,1 Prozent (1. Befragung: 48,5 Prozent); Orthopädie-Schuhtechnik 45,6 Prozent (1. Befragung: 44,2 Prozent); Reha 64,9 Prozent (1. Befragung: 53,1 Prozent); Home Care 64,1 Prozent (1. Befragung: 47,6 Prozent) und Medizintechnik 54 Prozent (1. Befragung: 42,2 Prozent).
Der Mangel an PSA bleibt ein Thema in den Häusern, freilich nicht mehr so ausgeprägt und mit anderen Schwerpunkten. So wurde fehlendes Desinfektionsmittel von 45,1 Prozent der Befragten als ein Grund benannt, der „aktuell oder innerhalb der nächsten Woche“ zu Einschränkungen ihrer Lieferfähigkeit führt (Angabe bei 1. Befragung: 71,3 Prozent) – gefolgt von FFP2/3‑Mundschutz mit 38,94 Prozent (1. Befragung: 82,3 Prozent) und Einweghandschuhen mit 38,94 Prozent (1. Befragung: 54,1 Prozent). In der ersten Befragung im April führte noch der FFP2/3‑Mundschutz das Ranking an.
Nach wie vor Engpässe
„In den Antworten der Betriebe lassen sich immer noch Engpässe bei der Versorgung der Patientinnen und Patienten ablesen, trotzdem sich die Sachlage auf vielen Feldern deutlich verbessert hat“, stellt BIV-OT-Präsident Reuter fest. „Bei mehreren Produktgruppen (PG) erwies sich die Lieferfähigkeit aufgrund fehlender Handelsware oder Materialien zur Produktion als eingeschränkt. Das betrifft in besonders hohem Maße die zum Verbrauch bestimmten Pflegehilfsmittel (PG 54), hier scheint sich die Lage im Vergleich zur ersten Befragung gar nicht entspannt zu haben.“ Ausgeprägtere Gefährdungen der Lieferfähigkeit offenbart die Befragung ebenfalls bei Inhalations- und Atemtherapiegeräten (PG 14), Pflegehilfsmitteln zur Körperpflege/Hygiene und zur Linderung von Beschwerden (PG 51) sowie zur Erleichterung der Pflege (PG 50) und Krankenpflegeartikeln (PG 19).
Harte wirtschaftliche Einschnitte
Erneut legte die Befragung wirtschaftliche Folgen der Corona-Krise für die Unternehmen offen, speziell Umsatz- und Auftragseinbrüche. So gaben 92,2 Prozent der Befragten an, dass ihr Umsatz im April 2020 im Vergleich zum April 2019 abgenommen bzw. stark abgenommen habe (1. Befragung, Vergleich März: 82 Prozent). Für die Auftragslage sagten dies 90,3 Prozent (1. Befragung, Vergleich März: 88,8 Prozent). „Im Median hat der Umsatz demnach um durchschnittlich 30 Prozent und die Auftragslage im Durchschnitt um 35 Prozent abgenommen“, stellt Reuter fest. In naher Zukunft wird von den befragten Firmen eine Besserung erwartet: Im Ausblick auf den Folgemonat Juni ergab die Befragung ein freundlicheres Bild, Einbußen werden im Vorjahresvergleich aber weiterhin erwartet.
Reaktionen auf die wirtschaftlichen Realitäten lassen sich in den Antworten auf die Frage „Welche Maßnahmen im Hinblick auf Ihre Beschäftigten planen Sie für Ihren Betrieb umzusetzen?“ ablesen: 45,1 Prozent der befragten Betriebe planen demnach Urlaub für (Teile der) Belegschaft (1. Befragung: 61,4 Prozent), 43,7 Prozent den Abbau von Arbeitszeitkonten (1. Befragung: 60,3 Prozent), 42,02 Prozent Kurzarbeit, sofern diese noch nicht umgesetzt wurde (1. Befragung: 70,6 Prozent) sowie 12,04 Prozent die Kündigung von Mitarbeitern (1. Befragung: 16,4 Prozent) und 9,52 Prozent ziehen vorübergehende Betriebsschließungen (Standorte oder Filialen) in Erwägung (1. Befragung: 8,8 Prozent).
Politische Unterstützung gefragt
„Die Sanitätshäuser und orthopädie-technischen Betriebe arbeiten weiterhin mit Hochdruck daran, eine qualitätsgesicherte Versorgung mit allen notwendigen Hilfsmitteln zu gewährleisten“, unterstreicht Reuter. „Deshalb sind Schließungen nur ein allerletzter Ausweg, ebenso wie Kündigungen.“ Letztlich hänge vieles davon ab, wie sich die Versorgung in den Krankenhäusern und Arztpraxen in den nächsten Wochen entwickelt: „Bislang sind die meisten elektiven – also planbaren – ambulanten und stationären Operationen verschoben worden, etliche Arztpraxen hatten ihre Arbeit eingeschränkt, genauso wie Physiotherapeuten. Das Gesundheitswesen muss wieder ‚hochfahren’ – und vor allem müssen die Patientinnen und Patienten wieder Vertrauen fassen und in die Praxen kommen. Denn sonst droht eine Verschleppung nötiger Behandlungen inklusive Folgeschäden“, so Reuter.
Außerdem sei die Politik gefragt: „Unsere Betriebe müssen endlich deutlich als systemrelevanter Komplex des Gesundheitswesens benannt werden“, betont er. „Ebenso wie Kliniken, Ärzte und Heilmittelerbringer sind auch unsere Betriebe ein tragender Pfeiler des GKV-Systems und für die qualitätsgesicherte und flächendeckende Versorgung unverzichtbar. Da kann das Bundesministerium in Sachen Schutzschirms nicht mit zweierlei Maß messen. Denn es gibt noch keine Entwarnung. Experten rechnen mit einer zweiten Corona-Welle im Herbst. Dann sollten nicht Fehler ein zweites Mal passieren. Man darf die Sicherheit der Versorgung nicht fahrlässig gefährden.“
Um die weiteren Auswirkungen der Corona-Krise auf die Branche zu dokumentieren, wird die Befragung der Mitgliedsbetriebe des BIV-OT fortgesetzt. Die dritte Befragungswelle wird ab 01. Juni bis einschließlich 14. Juni stattfinden.
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