An manchen Dingen kann man rütteln und schütteln – ein Stehaufmännchen kennt stets den Weg nach oben. Krisen, Kriege und Katastrophen stellten das Sanitätshaus Brandau in den vergangenen Jahren zwar auf die eine oder andere Probe, konnten dem Fortbestand aber nichts anhaben. 1874 eröffnete Orthopädietechnik-Meister Reinhard Brandau einst den Betrieb am Karlsplatz in Kassel. Noch heute stehen dort die Türen für die Kund:innen offen. Im Juni feierte das Team nun das 150-jährige Bestehen. Heike Peter steht in vierter Generation an der Spitze – und eine Nachfolge für die Geschäftsführung könnte wieder in den eigenen Reihen gefunden werden.
Deutsches Kaiserreich, Nachkriegswehen, Industrialisierung – Heike Peter selbst hat die Zeit um 1870 zwar nicht miterlebt, doch durch die Geschichte ihres Betriebs gehören diese Ereignisse zum Teil zu ihrer Geschichte. Auch, weil manche davon noch immer ihre Schatten auf das Heute werfen. 1883 wurde die Krankenversicherung in Deutschland eingeführt, ein Jahr später folgte die Unfallversicherung, 1889 dann die Invaliden- und Altersversicherung. „Das System hat heute noch Bestand und ist die Grundlage, auf der alles aufgebaut hat“, sagt die 60-Jährige. Jede Zeit und auch jeder Generationswechsel brachten Veränderungen mit sich, denen sich Geschäftsführung und Mitarbeitende stellten. Nach dem Tod von Reinhard Brandau übernahm 1923 dessen Sohn Hanns die Leitung. 1943 wurde das Geschäftshaus durch einen Bombenangriff zerstört, 1945 auch die behelfsmäßige Unterbringung. Der Wiederaufbau erfolgte 1952, sechs Jahre später ging es nach einem Standortwechsel dann an den Karlsplatz zurück. Auf Hanns Brandau folgten 1969 Anni Burghardt und Georg Peter als Geschäftsführung, 1999 übernahmen Heike Peter und Jochen Burghardt, der 2007 wieder ausschied.
Strukturen aufgebrochen
Stark aufeinander prallten die Generationen laut Heike Peter nie, Funkenschläge gab es aber durchaus und Veränderungen, ohne die sie heute wohl nicht an der Spitze stehen würde. Im Testament hatte Hanns Brandau einst festgehalten, dass kein weiblicher Nachkomme je mehrheitlich das Unternehmen führen darf. Ohne Peters Engagement wäre die Stelle dann aber unbesetzt geblieben. Auch mit dem nächsten Generationswechsel könnte das Zepter in weiblicher Hand bleiben. Peters Tochter Sara, Kauffrau im Gesundheitswesen, ist seit 2009 im Unternehmen tätig. „Ob sie tatsächlich in meine Fußstapfen treten wird, wird sich zeigen“, so Heike Peter.
Patriarchal geprägte Strukturen wurden in den zurückliegenden Jahren abgebaut, die Fäden laufen nicht länger in einer Hand zusammen. Heute prägt Teamarbeit den Alltag. Die Meinung jedes Einzelnen werde gehört, man nehme sich selbst auch mal zurück, eine zweite Führungsebene sei benannt worden. „Nicht alle Entscheidungen, wohl aber die Vorbereitungen werden im Team getroffen“, betont Peter. Dankbar ist die Geschäftsführerin für den stabilen Mitarbeiterstamm. „Das ist unglaublich wertvoll. Die Teams haben die Veränderungen – und das waren teilweise intensive Prozesse – gut mitgemacht und zusammengestanden.“ Zur Philosophie des Betriebs gehört für sie auch die tiefe regionale Verwurzelung und Bodenständigkeit. Es sei nie das Ziel gewesen, sich groß aufzustellen. Alle fünf Standorte befinden sich im Landkreis Kassel – dort, wo alles anfing.
Lautlose Fortschritte mit großer Wirkung
Highlights in all den Jahren kann Peter gar nicht so leicht aufzählen. Für sie sind es weniger die großen Ereignisse, die mit einem lauten Knall eingeschlagen haben, sondern vielmehr die kleinen Dinge, die nach außen fast lautlos vonstattengingen. „Es stand und steht immer die kontinuierliche Arbeit im Vordergrund“, berichtet sie. „Besonders im Zuge der Digitalisierung haben wir viele Prozesse umgestellt, verschlankt und verbessert.“ Dazu zählen die Finanzbuchhaltung und Warenwirtschaft sowie die Ausstattung der Mitarbeiter:innen und der Werkstätten. Diese Umstellung habe sich nicht nur wirtschaftlich ausgezahlt, sondern spiegele sich auch in der Zufriedenheit des Teams und der Kund:innen wider. Aber: „Gewohnte Prozesse umzustellen, ist erst einmal krumpelig, die Zeit, bis wieder alles gebügelt ist, unangenehm. Wenn dann aber alles fertig ist und läuft – das ist ein tolles Gefühl. Das sind die Highlights.“
Um mit dem Voranschreiten der Digitalisierung Schritt halten zu können, legt das Sanitätshaus viel Wert auf die Fort- und Weiterbildung der Mitarbeitenden. Ebenso, um den Arbeitsplatz attraktiv zu halten. Auch wenn der Fachkräftemangel im Betrieb (noch) nicht spürbar ist, verunsichert der Blick auf den Markt doch. „Es sind keine Leute da“, so Peter. Letztlich zähle für die Mitarbeiter:innen, was für jede:n zählt, und zwar, wie viel am Anfang des Monats auf das Konto eingeht. „Wir haben gemacht, was wir konnten“, erzählt sie mit Blick auf die Zahlung von Corona- und Inflationsprämien. Doch in manchen Bereichen seien dem Betrieb die Hände gebunden. „Wir können unsere Preise nicht anheben wie andere Branchen. Da haben wir schlechte Karten.“ Die Corona-Pandemie sei für sie mit die größte Krise gewesen – herausfordernd, anstrengend und belastend. „Ich hatte immer Angst, dass ich eine Nachricht verpasse.“ Stolz ist sie auf ihr Team, das die Zeit im Schulterschluss gut bewältigt hat.
Darauf stießen die Mitarbeiter:innen – aktuelle und ehemalige – am 22. Juni bei der Jubiläumsfeier an. Einen Tag zuvor wurde mit Vertreter:innen aus der Branche sowie mit Patient:innen und allen weiteren Interessenten gefeiert. Persönlich überbrachte auch Alf Reuter, Präsident des Bundesinnungsverbandes für Orthopädie-Technik (BIV-OT), seine Glückwünsche: „Seit 150 Jahren zeigt das Sanitätshaus Brandau schon, wie vielschichtig die Orthopädie-Technik ist. Stetig hat es sich den Herausforderungen gestellt – immer hat es den Stand der Technik mitgestaltet und Lebensqualität und Mobilität in seiner Region verbessert. Das Team in den Häusern zeigt, warum Kompetenz und Fachwissen den Unterschied macht.“
Während der Feierlichkeiten boten die verschiedenen Fachbereiche einen Einblick in ihre Arbeit und die Möglichkeit, sich über das gesamte Leistungsspektrum des Hauses zu informieren – von der Versorgung mit Gehhilfen über die ganzheitliche Betreuung nach einem Schlaganfall bis zur Versorgung mit Prothesen. Selbst ausprobieren konnten die Gäste Gesundheitschecks wie eine Fußdruckmessung sowie einen Schnelltest zur Venenklappenfunktion. Gefeiert wurden das Gestern, das Heute und auch das Morgen. Heike Peter blickt optimistisch in die Zukunft. „Bei allem, was kommt, ist es wichtig, flexibel zu bleiben und vorausschauend und rechtzeitig auf die Gegebenheiten zu reagieren“, betont sie. Wer die Gelegenheit hat, sollte immer mal den Deckel bei den Kolleg:innen anheben, um in deren Topf zu schauen. Mal zu kosten, könne sich auszahlen, nicht aber unbedingt das Rezept nachzukochen. „Es lässt sich nicht alles eins zu eins auf den eigenen Betrieb übertragen – die Strukturen sind vielleicht ganz anders“, sagt sie. „Wenn etwas nicht zu einem passt, wird es auch nichts.“
Pia Engelbrecht
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