12. Hei­del­ber­ger Sym­po­si­um der Tech­ni­schen Orthopädie

Bereits zum zwölften Mal öffneten sich Anfang Dezember die Türen des Zentrums für Orthopädie, Unfallchirurgie und Paraplegiologie der Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg (UKHD) anlässlich des Heidelberger Symposiums Technische Orthopädie.

Ange­reist war ein interdiszi­plinäres Publi­kum mit Exper­ten aus den ver­schie­de­nen Fach­be­rei­chen sowie Stu­die­ren­de und Aus­zu­bil­den­de, die dank des abwechs­lungs­rei­chen Pro­gramms, das aktu­el­le Ent­wick­lun­gen, Her­aus­for­de­run­gen und Stan­dards in der Tech­ni­schen Ortho­pä­die beleuch­te­te, gut infor­miert wur­de. Wie in den Vor­jah­ren war die Ver­an­stal­tung auch dies­mal sehr gut besucht.

Das Sym­po­si­um, das in Koope­ra­ti­on mit der Carl-Bosch-Schu­le Hei­del­berg und dem Max-Born-Berufs­kol­leg Reck­ling­hau­sen durch­ge­führt wur­de, stell­te die inter­dis­zi­pli­nä­re Zusam­men­ar­beit in den Mit­tel­punkt. Unter der Lei­tung von Dipl.-Ing. (FH) Mer­kur Ali­mus­aj und PD Dr. med. Cor­ne­lia Putz bot die Ver­an­stal­tung eine Platt­form für den Aus­tausch zwi­schen medi­zi­ni­schen, tech­ni­schen und the­ra­peu­ti­schen Experten.

Cor­ne­lia Putz sprach in ihrem Vor­trag über die ver­än­der­te Wahr­neh­mung von Ampu­ta­tio­nen, die heu­te durch media­le Dar­stel­lun­gen und inklu­si­ves Spiel­zeug posi­tiv beein­flusst wird. Sie erläu­ter­te die Orthe­sen­ver­sor­gung am Bei­spiel des Klump­fu­ßes und die Pon­set­ti-Metho­de, bei der Orthe­sen nach Gips- und Ope­ra­ti­ons­be­hand­lun­gen eine wich­ti­ge Rol­le spie­len. Zudem stell­te sie neue post­ope­ra­ti­ve Ansät­ze in der Klump­fuß­the­ra­pie wie Orthe­sen mit ver­bes­ser­ter Fuß­fas­sung vor. Wei­te­re The­men waren Hüft­dys­pla­si­en, infan­ti­le Cere­bral­pa­re­se und deren ortho­pä­die­tech­ni­sche, aber auch chir­ur­gi­sche Ver­sor­gung. Putz beton­te, dass eine gute Ampu­ta­ti­on die Grund­la­ge für eine opti­ma­le Pro­the­sen­ver­sor­gung bil­det und hob die Not­wen­dig­keit einer engen Zusam­men­ar­beit zwi­schen Ver­tre­tern aus Medi­zin, Phy­sio­the­ra­pie und Ortho­pä­die-Tech­nik hervor.

Tur­bo­kurs in die instru­men­tel­le Bewegungsanalyse

Prof. Dr. rer. nat. Sebas­ti­an Wolf (UKHD) führ­te mit einem Tur­bo­kurs in die instru­men­tel­le Bewe­gungs­ana­ly­se ein. Er zeig­te auf, wie Bewe­gun­gen und Gehen quan­ti­fi­zier­bar wer­den, wel­che phy­si­ka­li­schen Kenn­grö­ßen mess­bar sind und wie die Metho­dik dahin­ter aus­sieht. Ein­drucks­voll demons­trier­te Wolf anhand eines Fall­bei­spiels, wel­che enor­men Leis­tun­gen ein Mensch mit einer Unter­schen­kel­am­pu­ta­ti­on im phy­si­ka­li­schen Sin­ne voll­bringt, um ein natür­li­ches und unauf­fäl­li­ges Gang­bild zu errei­chen. Im spä­te­ren Ver­lauf wur­de noch mehr­mals auf die­se The­ma­tik ein­ge­gan­gen, um auf­zu­zei­gen, wie moder­ne Pro­the­sen und Pro­the­sen­kom­po­nen­ten dazu bei­tra­gen kön­nen, die Belas­tun­gen zu redu­zie­ren und dabei wei­ter­hin einen bio­me­cha­nisch güns­ti­gen Bewe­gungs­ab­lauf zu erlauben.

Dr. Ste­fan Hem­mer dis­ku­tier­te in sei­nem Bei­trag die Behand­lung der idio­pa­thi­schen Sko­lio­se und ver­glich Ope­ra­ti­on und Kor­sett­the­ra­pie. Er stell­te die epi­de­mio­lo­gi­schen Daten der Sko­lio­se sowie die Aus­wir­kun­gen auf die Lun­gen­funk­ti­on vor. Neue dia­gnos­ti­sche Ver­fah­ren wie das bipla­na­re Rönt­gen EOS ermög­li­chen eine bes­se­re Pla­nung und Dar­stel­lung der 3D-Krüm­mung. Dr. Hem­mer beton­te die Wich­tig­keit der Pati­en­ten­schu­lung und der Com­pli­ance bei der Kor­sett­the­ra­pie, wobei das Kor­sett kon­se­quent getra­gen wer­den muss. Eine früh­zei­ti­ge Inter­ven­ti­on ist bei Pati­en­ten mit einem Cobb-Win­kel über 40 Grad erfor­der­lich, um die Lebens­qua­li­tät und Lebens­er­war­tung zu erhalten.

Embo­di­ment wich­tig für den Therapieerfolg

Dass der The­ra­pie­er­folg einer pro­the­ti­schen Ver­sor­gung davon abhängt, eine Pro­the­se als Teil des Kör­pers wahr­zu­neh­men, erklär­te Prof. Dr. Robin Bekra­ter-Bod­mann (RWTH Aachen) in sei­nem Vor­trag. Es zei­gen sich deut­li­che Zusam­men­hän­ge bei Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten mit hoher Akti­vi­tät, bei denen gleich­zei­tig ein gutes „Embo­di­ment“ der Pro­the­se besteht. Es ist also auch für die Tech­ni­ke­rin­nen und Tech­ni­kern  von Rele­vanz, wie der Ver­sorg­te sei­ne Pro­the­se wahr­nimmt, um eine erfolg­rei­che Ver­sor­gung zu ermög­li­chen. Eine funk­tio­nel­le Ver­sor­gung, die im All­tag als hilf­reich emp­fun­den wird, trägt zusätz­lich dazu bei.

Zukunfts­wei­sen­de Ent­wick­lun­gen im Bereich der Neu­ro­pro­the­tik stell­te Prof. Dr.-Ing. Rüdi­ger Rupp (UKHD) vor. Die Arbeit die­ser Fach­grup­pe zeigt jedes Jahr neue Fort­schrit­te, wie z. B. die Ent­wick­lung eines neu­en implan­tier­ba­ren neu­ro­pro­the­ti­schen Sys­tems, das das Poten­zi­al hat, in Zukunft auch bei hoch­gra­dig quer­schnitt­ge­lähm­ten Men­schen ein­ge­setzt zu wer­den. Das Pro­jekt befin­det sich der­zeit in der Test­pha­se an einem Tiermodell.

„Bio­me­cha­nik in der Pro­the­tik: Theo­rie oder Pra­xis?“ – die­ser Fra­ge ging Mer­kur Ali­mus­aj (UKHD) in sei­nem Bei­trag nach und beleuch­te­te dabei die Brü­cke zwi­schen bio­me­cha­ni­schen Prin­zi­pi­en und prak­ti­scher Anwen­dung. Wie wirkt sich die Kon­struk­ti­on und der Auf­bau einer Pro­the­se bio­me­cha­nisch aus und inwie­weit beein­flusst sie den Anwen­der? Die Bio­me­cha­nik kann hel­fen, die­se Fra­gen zu beant­wor­ten, ohne am Pati­en­ten einen lang­wie­ri­gen empi­ri­schen Pro­zess zu durch­lau­fen, der mög­li­cher­wei­se nicht zu einem guten Ergeb­nis führt. Ein grund­le­gen­des Ver­ständ­nis der Bio­me­cha­nik in der Pro­the­tik hilft den The­ra­peu­ten und Tech­ni­kern in jedem Fall in der Praxis.

Prak­ti­sche Ein­bli­cke ergän­zen Angebot

Ergänzt wur­den die­se Vor­trä­ge zu über­ge­ord­ne­ten The­men der Tech­ni­schen Ortho­pä­die durch pra­xis­ori­en­tier­te Vor­trä­ge, wie z. B. von Phy­sio­the­ra­peut Tom Lem­lein (UKHD) zum Pro­the­sen­ge­brauchs­trai­ning und von OTM Tobi­as Kuhn (UKHD) zur Pro­the­tik der unte­ren Extre­mi­tät. Hier­bei wur­den nicht nur tech­ni­sche Aspek­te unter­schied­li­cher Ver­sor­gungs­ebe­nen dis­ku­tiert, son­dern bei­de Red­ner beton­ten auch die Wich­tig­keit, die Pati­en­ten „Hands On“ zu unter­su­chen. „Da muss man schon hin­fas­sen“, erklär­te Kuhn. Es wur­de deut­lich, wie wich­tig die inter­dis­zi­pli­nä­re Arbeit an den Pati­en­ten ist. Tech­ni­sche und the­ra­peu­ti­sche Inter­ven­tio­nen müs­sen gut koor­di­niert sein und Hand in Hand gehen, um zu einem best­mög­li­chen Ergeb­nis zu gelan­gen. Kuhn hob her­vor, dass dabei trotz aller Digi­ta­li­sie­rung und der Optio­nen digi­ta­ler Model­lie­rung und wei­te­rer moder­ner Metho­den nichts dar­über hin­weg­täu­schen darf, dass es letzt­lich nach wie vor den hand­werk­li­chen Geschi­cken der Tech­ni­ker obliegt, den Test­schaft an die Dyna­mik ange­passt zu gestal­ten und die Kon­fi­gu­ra­ti­on pati­en­ten­ge­recht zu erstel­len. Gleich­wohl kön­nen digi­ta­le Instru­men­te jedoch Effi­zi­enz, Nach­voll­zieh­bar­keit und Struk­tur schaf­fen und erhalten.

Akzep­tanz von Armprothesen

OTM Boris Bert­ram (UKHD) leg­te dar, wie indi­vi­dua­li­sier­te Ansät­ze auch im Bereich der Arm­pro­the­tik den All­tag der Betrof­fe­nen ver­bes­sern kön­nen. Pati­en­ten sol­len sich in den Ver­sor­gungs­pro­zess nicht nur ein­brin­gen, son­dern sich letzt­lich auch dar­in wie­der­fin­den. Dies sind wich­ti­ge Punk­te, die zu einer Akzep­tanz von Arm­pro­the­sen bei­tra­gen, eben­so wie der Schaft­kom­fort und natür­lich die Funktion.

Erst wenn alle genann­ten Aspek­te berück­sich­tigt wer­den, ist eine erfolg­rei­che Ver­sor­gung in die­sem dif­fi­zi­len Seg­ment der Ortho­pä­die-Tech­nik mög­lich. OTM Clau­dia Weichold zeig­te, wie Orthe­sen die The­ra­pie unter­stüt­zen kön­nen, ins­be­son­de­re bei neu­ro­lo­gi­schen Grund­er­kran­kun­gen wie der infan­ti­len Zere­bral­pa­re­se. Modu­la­re Orthe­sen­sys­te­me sind in der Lage, sich an ver­än­dern­de Bedin­gun­gen anzu­pas­sen. Es han­delt sich hier um Orthe­sen­sys­te­me, die der Ent­wick­lung bei­spiels­wei­se im post­ope­ra­ti­ven Ver­lauf gerecht wer­den kön­nen, indem sie der Dyna­mik und dem Hei­lungs­ver­lauf folgen.

Wei­te­rer Refe­rent war M.Sc. Urban Daub (Fraun­ho­fer IPA-Stutt­gart), der mit dem The­ma „Pati­en­ten­be­fra­gung als Teil der kli­ni­schen Rou­ti­ne“ die Mög­lich­kei­ten moder­ner Assess­ments in der Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung auf­zeig­te. Dabei ver­deut­lich­te er, dass nicht nur die rei­ne Bewer­tung von Ist-Zustän­den rele­vant ist, son­dern viel­mehr die Mög­lich­keit bestehen soll­te, auch Pati­en­ten gegen­über zu spie­geln, wie sie sich ver­än­dern bzw. im Ver­lauf ver­bes­sern – wich­ti­ge Aspek­te und Kri­te­ri­en, die der Reha­bi­li­ta­ti­on zuträg­lich sind. Abschlie­ßend zeig­te Daub auf, wie sol­che Assess­ments in Form des lau­fen­den Pro­jekts AMP-Regis­ter, einem Pro­jekt zur Schaf­fung eines bun­des­wei­ten Ampu­ta­ti­ons­re­gis­ters der Met­Ko (Medi­zi­nisch-Tech­ni­sches Kom­pe­tenz­zen­trum für Ortho­pä­die­tech­nik – Heidelberg/ Stutt­gart), in der Pra­xis umge­setzt wer­den kön­nen. Dabei for­mu­lier­te er auch und ins­be­son­de­re die lang­fris­tig posi­ti­ven Effek­te für die Ortho­pä­die-Tech­nik, die sich aus der Schaf­fung einer evi­denz­ba­sier­ten Hand­lungs­wei­se auf Grund­la­ge der­ar­ti­ger Regis­ter­da­ten ergeben.

Duc Nguy­en als Ver­tre­ter des Bun­des­ver­ban­des für Men­schen mit Arm- oder Bein­am­pu­ta­ti­on e. V. (BMAB) run­de­te das Sym­po­si­um mit sei­nem Bericht über das Jugend-Camp des BMAB ab. Er zeig­te, wel­chen unschätz­ba­ren Wert die­se Akti­vi­tä­ten und das ehren­amt­li­che Enga­ge­ment des Ver­bands für Kin­der und Jugend­li­che haben: gemein­sam mit Gleich­ge­sinn­ten die eige­nen Gren­zen ver­schie­ben, gemein­sam spie­len, Spaß haben und der Welt, aber auch sich selbst und den Eltern zei­gen, was man ihnen zutrau­en kann. Dies stellt ein groß­ar­ti­ges und sehr för­de­rungs­wür­di­ges Pro­jekt dar, wie das Audi­to­ri­um ein­hel­lig feststellte.

Das Sym­po­si­um unter­strich die Bedeu­tung des inter­dis­zi­pli­nä­ren Aus­tauschs ent­lang der gesam­ten Ver­sor­gungs­ket­te, mit dem Ziel, eine pati­en­ten­ori­en­tier­te und qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­ge Behand­lung zu gewährleisten.

Dani­el Heit­zmann und Mer­kur Alimusaj

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