Rund 180 Teilnehmer:innen nutzten die Gelegenheit und besuchten die Orthopädische Universitätsklinik in Heidelberg-Schlierbach, um im großen Hörsaal verschiedenste Beiträge zu verfolgen. In den Kliniken der Orthopädie, Unfallchirurgie sowie des Querschnittzentrums am Universitätsklinikum Heidelberg stellt die Technische Orthopädie einen integralen Baustein der konservativen Maßnahmen dar. Das Ziel der Veranstaltung ist es, die enge Zusammenarbeit und den daraus resultierenden fachlichen Austausch zwischen ärztlichen, physiotherapeutischen und orthopädietechnischen Expert:innen zu fördern, um dadurch die Versorgungsqualität für Menschen, die auf Hilfsmittel angewiesen sind, zu sichern und zu verbessern. Aus diesem Grund richtet sich die Veranstaltung nicht nur an Kolleg:innen, die bereits im Berufsleben stehen, sondern auch explizit an Auszubildende und Meisterschüler:innen sowie Studierende der Hochschulen und Universitäten im Bereich der Technischen Orthopädie, damit sich die Notwenigkeit eines interdisziplinären Vorgehens schon früh in den Köpfen der jungen Kolleg:innen manifestiert.
Die Organisatoren hoffen, dieses hehre Ziel erneut erreicht zu haben. Wie in den Jahren zuvor waren Expert:innen unterschiedlichster Disziplinen am Programm beteiligt. Nach der Begrüßung durch Univ.-Prof. Dr. med. Tobias Renkawitz, Ärztlicher Direktor der Orthopädischen Klinik Heidelberg, folgte eine kurze Online-begrüßung durch Dipl.-Ing. Merkur Alimusaj. Im weiteren Verlauf führten Dipl.-Ing. Julia Block und Dipl.-Ing. Daniel Heitzmann vor Ort durch das Programm, welches zunächst die ärztlichen Aspekte beleuchtete. PD Dr. med. Cornelia Putz unterstrich in ihrem Vortrag „Technische Orthopädie aus ärztlicher Sicht“ die Wichtigkeit der Interdisziplinarität. Diese wird an der Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg bewusst gelebt, was z. B. durch die Spezialsprechstunde für Hilfsmittel der Technischen Orthopädie unterstrichen wird.
Operativ oder konservativ therapieren?
Dr. med. Stefan Hemmer sprach im Anschluss über die Behandlung der idiopathischen Skoliose und stellte die Frage nach einer operativen oder konservativen Therapie in den Raum. Diese Frage beantwortete er mit der Vorstellung eines strukturierten Vorgehens zur Behandlung dieser Patient:innen und unterstrich die Wichtigkeit der Erfassung der klassischen Maße – Cobb-Winkel und Alter bzw. Wachstumspotential –, um die Entscheidung für eine operative oder konservative Therapie zu unterstützen. Zusammenfassend nannte er klare Werte (20° bis 40° nach Cobb = Korsetttherapie/40° bis 50° nach Cobb = OP-Indikation) und bekräftigte, dass die Perspektive der Wirbelsäulenfehlstellung mit den Patient:innen gemeinsam erarbeitet werden muss, da der Erfolg einer konservativen Korsetttherapie insbesondere von der Compliance abhängig ist. Im Anschluss sprach OTM Claudia Weichold über die orthetische Versorgung bei neuromuskulärer Grunderkrankung und zeigte die Vielfalt an Möglichkeiten auf. Angefangen von DAFOs bei leichter betroffenen und gehfähigen Patient:innen bis hin zu individuellen Liegeschalen-Versorgungen bei schwerer betroffenen Patient:innen. Ein weiteres Highlight war der Vortrag von OTM Klaus Wiese, Geschäftsführer OT Kiel. Sein Vortrag zum aktuellen Versorgungsverfahren mit Sitzschalen bei Patient:innen mit einem GMFCS-Level 4 und 5 zeigte, dass Reha-Technik alles andere als langweilig und angestaubt ist. Vielmehr kann der sinnvolle und bedachte Einsatz von Hightech-Verfahren zu einer verbesserten, schnelleren und insgesamt professionelleren Versorgung der teils schwer betroffenen Menschen beitragen. Als Beispiel zeigte Wiese neben den schon verbreiteten Techniken wie Vakuumkissen zur Abformung mit anschließendem Scannen, Modellieren und Fräsen der Sitzschalen, dass mittlerweile selbst die Schnittmuster der Sitzbezüge digital erstellt werden können. Der OTM unterstrich, dass bei ihm im Unternehmen sämtliche Arbeitsschritte, auch die „digitalen“, durch Orthopädietechniker:innen durchgeführt werden, da deren Know-how unabdingbar sei.
3D-Bewegungsanalytik vielfältig einsetzbar
Das Team der Bewegungsanalytik um Prof. Dr. rer. nat. Sebastian Wolf, Universitätsklinikum Heidelberg, zeigte in drei Vorträgen die Einsatzmöglichkeiten der instrumentellen 3D-Bewegungsanalytik („Turbokurs Instrumentelle Bewegungsanalyse“ von Prof. Dr. Wolf) wie auch von praktikablen Messmethoden zur Bewertung von Hilfsmitteln auf („Bewertung von Hilfsmittelfunktion ohne teure Apparaturen“ von Daniel Heitzmann). Julia Block zeigte in ihrem Vortrag zum Einfluss von Orthesenversorgungen auf die Biomechanik und Lebensqualität deutlich, dass ein strukturiertes Vorgehen bei der Dokumentation von Hilfsmitteln zu neuen Erkenntnissen in der Versorgung und gegebenenfalls zu Anpassungen führt. So appelliert sie an die verordnenden Ärzt:innen und auch Orthopädietechniker:innen, klare Trageschemata für Orthesen mit den Anwender:innen zu kommunizieren, um letztendlich auch die angestrebten Therapieziele zu erreichen.
Nach der Mittagspause strömten die Zuhörer:innen gestärkt in den Hörsaal zurück. Prof. Dr.-Ing. R. Rupp wurde exzellent durch Björn Hessing aus seiner Arbeitsgruppe zum Thema Greifneuroprothesen bei Hochquerschnittgelähmten vertreten. Dieser Vortrag sowie der Beitrag von Physiotherapeut Tomas Lemlein zur Prothesengebrauchsschulung zeigten auf, dass die Technische Orthopädie ein weites Feld ist, in dem verschiedenste Disziplinen beteiligt sein können. OTM Boris Bertram und OTM Frank Rating als Abteilungsleiter der Prothetik der oberen respektive der unteren Extremität am Uniklinikum Heidelberg berichteten über ihre Vorgehensweise bei der Versorgung von Menschen mit Amputationen. In beiden Vorträgen wurden die Vorteile von Silikon aufgezeigt. So zeigten die Referenten, wie sich Silikon positiv auf Narbenoberflächen auswirkt oder auch wie die exzellente Elastizität und Adhäsion des Silikons neue Schaftformen mit einer vergrößerten Bewegungsfreiheit erst ermöglichen.
Ein Videobeitrag mit anschließender Onlinediskussion von Merkur Alimusaj zur Biomechanik in der Prothetik untermauerte deutlich, dass die Beachtung von biomechanischen Aspekten kein „nettes Feature“, sondern die Voraussetzung für eine funktionierende Beinprothese ist. So führe bspw. die Missachtung einer vorliegenden Hüftbeugekontraktur dazu, dass die Prothese nicht genutzt werden kann und das Rehabilitationsziel somit verfehlt werde. Beispiele von Versorgungen aus der Spezialsprechstunde für Hilfsmittel an der Orthopädie Heidelberg zeigten jedoch immer wieder, dass teilweise einfache Grundprinzipien missachtet würden. Auch die Verwendung von hochpreisigen Passteilen führe hier nicht zu einer funktionierenden Prothese. Diese Aussagen bestätigen einen roten Faden, der sich durch die Veranstaltung zog: dass der Schaft der wichtigste Bestandteil einer prothetischen Versorgung ist.
„Klassisches“ OT-Wissen bleibt zentraler Bestandteil der Versorgung
Den abschließenden Vortrag des Symposiums hielt OT Michael Krämer zum 3D-Druck in der Technischen Orthopädie und räumte mit der Meinung auf, dass der 3D-Druck automatisch zu perfekt sitzenden Pro- oder Orthesen führe. Der gezielte Einsatz dieser Technik könne zwar zur Arbeitsersparnis beitragen und teilweise auch neue Strukturen ermöglichen, die mit traditionellen Techniken nicht zu fertigen sind. In die Passform müsse aber immer noch orthopädietechnisches Wissen investiert werden und die 3D-Druck-Technik alleine verhelfe nicht per se zu einem guten Hilfsmittel.
Matthias Quante vom Max-Born-Berufskolleg und Bastian Richter von der Carl-Bosch-Schule gehörten die abschließenden Worte der Veranstaltung. Beide bedankten sich bei den Organisatoren und hoffen, auch im kommenden Jahr diese Veranstaltung erneut in Kooperation mit der Technischen Orthopädie Heidelberg ausrichten zu können. Das Team um Merkur Alimusaj gab den Dank seinerseits weiter an die Referent:innen, ohne deren Unterstützung und Bereitschaft, das eigene Wissen mit den Teilnehmenden zu teilen, das Symposium nicht möglich gewesen wäre. Ein weiteres Dankeschön ging schließlich an die Sponsoren der Veranstaltung sowie an die Klinik für Orthopädie des Universitätsklinikums Heidelberg, die die Räumlichkeiten kostenfrei zur Verfügung stellte.
Julia Block, Merkur Alimusaj und Daniel Heitzmann
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