Hei­del­ber­ger Sym­po­si­um: „Der Schaft ist der wich­tigs­te Bestandteil“

Am 7. Dezember 2022 fand zum 10. Mal das Heidelberger Symposium der Technischen Orthopädie statt. Nachdem im Jahr zuvor die Veranstaltung aufgrund der Corona-Pandemie online durchgeführt werden musste, fand das Symposium nun wie üblich wieder in persona statt. Die Organisation übernahm Merkur Alimusaj, Leiter der Technischen Orthopädie am Universitätsklinikum Heidelberg, in Zusammenarbeit mit der Carl-Bosch-Schule Heidelberg und dem Max-Born-Berufskolleg Recklinghausen.

Rund 180 Teilnehmer:innen nutz­ten die Gele­gen­heit und besuch­ten die Ortho­pä­di­sche Uni­ver­si­täts­kli­nik in Hei­del­berg-Schlier­bach, um im gro­ßen Hör­saal ver­schie­dens­te Bei­trä­ge zu ver­fol­gen. In den Kli­ni­ken der Ortho­pä­die, Unfall­chir­ur­gie sowie des Quer­schnitt­zen­trums am Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Hei­del­berg stellt die Tech­ni­sche Ortho­pä­die einen inte­gra­len Bau­stein der kon­ser­va­ti­ven Maß­nah­men dar. Das Ziel der Ver­an­stal­tung ist es, die enge Zusam­men­ar­beit und den dar­aus resul­tie­ren­den fach­li­chen Aus­tausch zwi­schen ärzt­li­chen, phy­sio­the­ra­peu­ti­schen und ortho­pä­die­tech­ni­schen Expert:innen zu för­dern, um dadurch die Ver­sor­gungs­qua­li­tät für Men­schen, die auf Hilfs­mit­tel ange­wie­sen sind, zu sichern und zu ver­bes­sern. Aus die­sem Grund rich­tet sich die Ver­an­stal­tung nicht nur an Kolleg:innen, die bereits im Berufs­le­ben ste­hen, son­dern auch expli­zit an Aus­zu­bil­den­de und Meisterschüler:innen sowie Stu­die­ren­de der Hoch­schu­len und Uni­ver­si­tä­ten im Bereich der Tech­ni­schen Ortho­pä­die, damit sich die Not­we­nig­keit eines inter­dis­zi­pli­nä­ren Vor­ge­hens schon früh in den Köp­fen der jun­gen Kolleg:innen manifestiert.

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Die Orga­ni­sa­to­ren hof­fen, die­ses heh­re Ziel erneut erreicht zu haben. Wie in den Jah­ren zuvor waren Expert:innen unter­schied­lichs­ter Dis­zi­pli­nen am Pro­gramm betei­ligt. Nach der Begrü­ßung durch Univ.-Prof. Dr. med. Tobi­as Ren­ka­witz, Ärzt­li­cher Direk­tor der Ortho­pä­di­schen Kli­nik Hei­del­berg, folg­te eine kur­ze Online-begrü­ßung durch Dipl.-Ing. Mer­kur Ali­mus­aj. Im wei­te­ren Ver­lauf führ­ten Dipl.-Ing. Julia Block und Dipl.-Ing. Dani­el Heit­zmann vor Ort durch das Pro­gramm, wel­ches zunächst die ärzt­li­chen Aspek­te beleuch­te­te. PD Dr. med. Cor­ne­lia Putz unter­strich in ihrem Vor­trag „Tech­ni­sche Ortho­pä­die aus ärzt­li­cher Sicht“ die Wich­tig­keit der Inter­dis­zi­pli­na­ri­tät. Die­se wird an der Ortho­pä­di­schen Uni­ver­si­täts­kli­nik Hei­del­berg bewusst gelebt, was z. B. durch die Spe­zi­al­sprech­stun­de für Hilfs­mit­tel der Tech­ni­schen Ortho­pä­die unter­stri­chen wird.

Ope­ra­tiv oder kon­ser­va­tiv therapieren?

Dr. med. Ste­fan Hem­mer sprach im Anschluss über die Behand­lung der idio­pa­thi­schen Sko­lio­se und stell­te die Fra­ge nach einer ope­ra­ti­ven oder kon­ser­va­ti­ven The­ra­pie in den Raum. Die­se Fra­ge beant­wor­te­te er mit der Vor­stel­lung eines struk­tu­rier­ten Vor­ge­hens zur Behand­lung die­ser Patient:innen und unter­strich die Wich­tig­keit der Erfas­sung der klas­si­schen Maße – Cobb-Win­kel und Alter bzw. Wachs­tums­po­ten­ti­al –, um die Ent­schei­dung für eine ope­ra­ti­ve oder kon­ser­va­ti­ve The­ra­pie zu unter­stüt­zen. Zusam­men­fas­send nann­te er kla­re Wer­te (20° bis 40° nach Cobb = Korsetttherapie/40° bis 50° nach Cobb = OP-Indi­ka­ti­on) und bekräf­tig­te, dass die Per­spek­ti­ve der Wir­bel­säu­len­fehl­stel­lung mit den Patient:innen gemein­sam erar­bei­tet wer­den muss, da der Erfolg einer kon­ser­va­ti­ven Kor­sett­the­ra­pie ins­be­son­de­re von der Com­pli­ance abhän­gig ist. Im Anschluss sprach OTM Clau­dia Weichold über die orthe­ti­sche Ver­sor­gung bei neu­ro­mus­ku­lä­rer Grund­er­kran­kung und zeig­te die Viel­falt an Mög­lich­kei­ten auf. Ange­fan­gen von DAFOs bei leich­ter betrof­fe­nen und geh­fä­hi­gen Patient:innen bis hin zu indi­vi­du­el­len Lie­ge­scha­len-Ver­sor­gun­gen bei schwe­rer betrof­fe­nen Patient:innen. Ein wei­te­res High­light war der Vor­trag von OTM Klaus Wie­se, Geschäfts­füh­rer OT Kiel. Sein Vor­trag zum aktu­el­len Ver­sor­gungs­ver­fah­ren mit Sitz­scha­len bei Patient:innen mit einem GMFCS-Level 4 und 5 zeig­te, dass Reha-Tech­nik alles ande­re als lang­wei­lig und ange­staubt ist. Viel­mehr kann der sinn­vol­le und bedach­te Ein­satz von High­tech-Ver­fah­ren zu einer ver­bes­ser­ten, schnel­le­ren und ins­ge­samt pro­fes­sio­nel­le­ren Ver­sor­gung der teils schwer betrof­fe­nen Men­schen bei­tra­gen. Als Bei­spiel zeig­te Wie­se neben den schon ver­brei­te­ten Tech­ni­ken wie Vaku­um­kis­sen zur Abfor­mung mit anschlie­ßen­dem Scan­nen, Model­lie­ren und Frä­sen der Sitz­scha­len, dass mitt­ler­wei­le selbst die Schnitt­mus­ter der Sitz­be­zü­ge digi­tal erstellt wer­den kön­nen. Der OTM unter­strich, dass bei ihm im Unter­neh­men sämt­li­che Arbeits­schrit­te, auch die „digi­ta­len“, durch Orthopädietechniker:innen durch­ge­führt wer­den, da deren Know-how unab­ding­bar sei.

3D-Bewe­gungs­ana­ly­tik viel­fäl­tig einsetzbar

Das Team der Bewe­gungs­ana­ly­tik um Prof. Dr. rer. nat. Sebas­ti­an Wolf, Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Hei­del­berg, zeig­te in drei Vor­trä­gen die Ein­satz­mög­lich­kei­ten der instru­men­tel­len 3D-Bewe­gungs­ana­ly­tik („Tur­bo­kurs Instru­men­tel­le Bewe­gungs­ana­ly­se“ von Prof. Dr. Wolf) wie auch von prak­ti­ka­blen Mess­me­tho­den zur Bewer­tung von Hilfs­mit­teln auf („Bewer­tung von Hilfs­mit­tel­funk­ti­on ohne teu­re Appa­ra­tu­ren“ von Dani­el Heit­zmann). Julia Block zeig­te in ihrem Vor­trag zum Ein­fluss von Orthe­sen­ver­sor­gun­gen auf die Bio­me­cha­nik und Lebens­qua­li­tät deut­lich, dass ein struk­tu­rier­tes Vor­ge­hen bei der Doku­men­ta­ti­on von Hilfs­mit­teln zu neu­en Erkennt­nis­sen in der Ver­sor­gung und gege­be­nen­falls zu Anpas­sun­gen führt. So appel­liert sie an die ver­ord­nen­den Ärzt:innen und auch Orthopädietechniker:innen, kla­re Tra­ge­sche­ma­ta für Orthe­sen mit den Anwender:innen zu kom­mu­ni­zie­ren, um letzt­end­lich auch die ange­streb­ten The­ra­pie­zie­le zu erreichen.

Nach der Mit­tags­pau­se ström­ten die Zuhörer:innen gestärkt in den Hör­saal zurück. Prof. Dr.-Ing. R. Rupp wur­de exzel­lent durch Björn Hes­sing aus sei­ner Arbeits­grup­pe zum The­ma Greif­n­eu­ro­pro­the­sen bei Hoch­quer­schnitt­ge­lähm­ten ver­tre­ten. Die­ser Vor­trag sowie der Bei­trag von Phy­sio­the­ra­peut Tomas Lem­lein zur Pro­the­sen­ge­brauchs­schu­lung zeig­ten auf, dass die Tech­ni­sche Ortho­pä­die ein wei­tes Feld ist, in dem ver­schie­dens­te Dis­zi­pli­nen betei­ligt sein kön­nen. OTM Boris Bert­ram und OTM Frank Rating als Abtei­lungs­lei­ter der Pro­the­tik der obe­ren respek­ti­ve der unte­ren Extre­mi­tät am Uni­kli­ni­kum Hei­del­berg berich­te­ten über ihre Vor­ge­hens­wei­se bei der Ver­sor­gung von Men­schen mit Ampu­ta­tio­nen. In bei­den Vor­trä­gen wur­den die Vor­tei­le von Sili­kon auf­ge­zeigt. So zeig­ten die Refe­ren­ten, wie sich Sili­kon posi­tiv auf Nar­ben­ober­flä­chen aus­wirkt oder auch wie die exzel­len­te Elas­ti­zi­tät und Adhä­si­on des Sili­kons neue Schaft­for­men mit einer ver­grö­ßer­ten Bewe­gungs­frei­heit erst ermöglichen.

Ein Video­bei­trag mit anschlie­ßen­der Online­dis­kus­si­on von Mer­kur Ali­mus­aj zur Bio­me­cha­nik in der Pro­the­tik unter­mau­er­te deut­lich, dass die Beach­tung von bio­me­cha­ni­schen Aspek­ten kein „net­tes Fea­ture“, son­dern die Vor­aus­set­zung für eine funk­tio­nie­ren­de Bein­pro­the­se ist. So füh­re bspw. die Miss­ach­tung einer vor­lie­gen­den Hüft­beu­ge­kon­trak­tur dazu, dass die Pro­the­se nicht genutzt wer­den kann und das Reha­bi­li­ta­ti­ons­ziel somit ver­fehlt wer­de. Bei­spie­le von Ver­sor­gun­gen aus der Spe­zi­al­sprech­stun­de für Hilfs­mit­tel an der Ortho­pä­die Hei­del­berg zeig­ten jedoch immer wie­der, dass teil­wei­se ein­fa­che Grund­prin­zi­pi­en miss­ach­tet wür­den. Auch die Ver­wen­dung von hoch­prei­si­gen Pass­tei­len füh­re hier nicht zu einer funk­tio­nie­ren­den Pro­the­se. Die­se Aus­sa­gen bestä­ti­gen einen roten Faden, der sich durch die Ver­an­stal­tung zog: dass der Schaft der wich­tigs­te Bestand­teil einer pro­the­ti­schen Ver­sor­gung ist.

„Klas­si­sches“ OT-Wis­sen bleibt zen­tra­ler Bestand­teil der Versorgung

Den abschlie­ßen­den Vor­trag des Sym­po­si­ums hielt OT Micha­el Krä­mer zum 3D-Druck in der Tech­ni­schen Ortho­pä­die und räum­te mit der Mei­nung auf, dass der 3D-Druck auto­ma­tisch zu per­fekt sit­zen­den Pro- oder Orthe­sen füh­re. Der geziel­te Ein­satz die­ser Tech­nik kön­ne zwar zur Arbeits­er­spar­nis bei­tra­gen und teil­wei­se auch neue Struk­tu­ren ermög­li­chen, die mit tra­di­tio­nel­len Tech­ni­ken nicht zu fer­ti­gen sind. In die Pass­form müs­se aber immer noch ortho­pä­die­tech­ni­sches Wis­sen inves­tiert wer­den und die 3D-Druck-Tech­nik allei­ne ver­hel­fe nicht per se zu einem guten Hilfsmittel.

Mat­thi­as Quan­te vom Max-Born-Berufs­kol­leg und Bas­ti­an Rich­ter von der Carl-Bosch-Schu­le gehör­ten die abschlie­ßen­den Wor­te der Ver­an­stal­tung. Bei­de bedank­ten sich bei den Orga­ni­sa­to­ren und hof­fen, auch im kom­men­den Jahr die­se Ver­an­stal­tung erneut in Koope­ra­ti­on mit der Tech­ni­schen Ortho­pä­die Hei­del­berg aus­rich­ten zu kön­nen. Das Team um Mer­kur Ali­mus­aj gab den Dank sei­ner­seits wei­ter an die Referent:innen, ohne deren Unter­stüt­zung und Bereit­schaft, das eige­ne Wis­sen mit den Teil­neh­men­den zu tei­len, das Sym­po­si­um nicht mög­lich gewe­sen wäre. Ein wei­te­res Dan­ke­schön ging schließ­lich an die Spon­so­ren der Ver­an­stal­tung sowie an die Kli­nik für Ortho­pä­die des Uni­ver­si­täts­kli­ni­kums Hei­del­berg, die die Räum­lich­kei­ten kos­ten­frei zur Ver­fü­gung stellte.

Julia Block, Mer­kur Ali­mus­aj und Dani­el Heitzmann

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