Wie aus alten Rei­fen neue Kom­pres­si­on wird

Kompression aus Altreifen: Ofa setzt bei medizinischer Kompressionsware auf nachhaltiges Polyamid aus recyceltem Gummi – ohne Abstriche bei Qualität, Komfort oder Funktion.

Poly­amid ist aus der Tex­til­in­dus­trie nicht mehr weg­zu­den­ken. Auch bei der Her­stel­lung von Kom­pres­si­ons­wa­re über­zeugt das Mate­ri­al durch sei­ne Eigen­schaf­ten. Doch für die Umwelt stellt der gän­gi­ge Haupt­roh­stoff zur Erstel­lung der Fasern eine Belas­tung dar. Auf eine Alter­na­ti­ve setzt der Medi­zin­pro­dukte­her­stel­ler Ofa. Statt Erd­öl kom­men alte Rei­fen zum Ein­satz. Wie das funk­tio­niert und wel­chen Ein­fluss die­se „Res­sour­ce“ auf die Pro­duk­te hat, ver­rät Pro­dukt­ma­na­ge­rin Jen­ni­fer Hor­nung im Gespräch mit der OT-Redaktion.

Anzei­ge

Unter­neh­men gehen ver­schie­de­ne Wege, um ihren öko­lo­gi­schen Fuß­ab­druck zu ver­rin­gern. Ofa setzt unter ande­rem beim Mate­ri­al an. Wie viel Poten­zi­al steckt in die­sem Bereich?
Jen­ni­fer Hor­nung: Wir sehen dar­in enor­mes Poten­zi­al, denn Kom­pres­si­ons­strümp­fe bestehen häu­fig zu mehr als 50 Pro­zent aus Poly­amid – her­ge­stellt aus der end­li­chen Res­sour­ce Erd­öl. Mit der Nut­zung von nach­hal­ti­ge­rem Poly­amid kön­nen wir und die gesam­te Indus­trie eini­ges bewir­ken, denn neben den posi­ti­ven Aus­wir­kun­gen auf unse­re Umwelt machen wir uns gleich­zei­tig unab­hän­gi­ger von einem end­li­chen Rohstoff.

Poly­amid gilt als Stan­dard für die ­Her­stel­lung von Kom­pres­si­ons­wa­re. Gibt es denk­ba­re Alternativen?
Mit her­aus­ra­gen­den Eigen­schaf­ten in Fes­tig­keit, Form­beständigkeit und Elas­ti­zi­tät sowie Haut­ver­träg­lich­keit und Halt­bar­keit ist Poly­amid der­zeit ein unver­zicht­ba­res Mate­ri­al in der Pro­duk­ti­on von medi­zi­nisch wirk­sa­mer Kom­pres­si­on. Die bes­te Alter­na­ti­ve aus unse­rer Sicht ist des­halb ein nach­hal­ti­ge­res Herstellungsverfahren.

Poly­amid wird vor­wie­gend aus Erd­öl her­ge­stellt. Sie set­zen auf Alt­rei­fen. War­um fiel die Wahl aus­ge­rech­net auf die­ses Material?
Zuge­ge­ben, die Kom­bi­na­ti­on Rei­fen und Strümp­fe klingt erst ein­mal aus­ge­fal­len. Es gibt aller­dings eine inno­va­ti­ve und tech­nisch aus­ge­reif­te Lösung, um aus Alt­rei­fen soge­nann­tes Pyro­ly­se­öl zu gewin­nen. Die­ses kann bei der Her­stel­lung von Poly­amid gro­ße Tei­le des sonst not­wen­di­gen Roh­öls erset­zen. Da wir wis­sen, dass für vie­le Kun­den Nach­hal­tig­keit noch nicht das Kauf­kri­te­ri­um Num­mer eins ist, haben wir uns dazu ent­schlos­sen, nicht eine wei­te­re nach­hal­ti­ge Alter­na­ti­ve auf den Markt zu brin­gen, son­dern ein eta­blier­tes und belieb­tes Pro­dukt – unse­re ele­gan­te medi­zi­ni­sche Kom­pres­si­on „Memo­ry“ – mit die­sem nach­hal­ti­ge­ren Poly­amid weiterzuentwickeln.

Beschrei­ben Sie bit­te kurz den Recyclingprozess.
Für die Her­stel­lung unse­res Garns wird das soge­nann­te Pyro­ly­se­ver­fah­ren genutzt. Dabei wer­den die Koh­len­stoff­ket­ten in den Rei­fen in einem ther­mo­che­mi­schen Pro­zess auf mole­ku­la­rer Ebe­ne zer­legt und che­misch umge­wan­delt. Das dar­aus gewon­ne­ne Pyro­ly­se­öl wird dann in die Poly­amid-Her­stel­lung inte­griert und kann gro­ße Tei­le des sonst benö­tig­ten Roh­öls erset­zen. Der nach­hal­ti­ge­re Roh­stoff wird unse­rem zer­ti­fi­zier­ten Poly­amid über den soge­nann­ten Mas­sen­bi­lanz­an­satz zuge­rech­net, was im Pro­duk­ti­ons­pro­zess letzt­end­lich CO2-Emis­sio­nen einspart.

Der Recyclingprozess auf einen Blick: Aus Altreifen wird ­Pyrolyseöl hergestellt, das zusammen mit Rohöl zu Polyamid ­weiterverarbeitet wird. Grafik: Ofa
Der Recy­cling­pro­zess auf einen Blick: Aus Alt­rei­fen wird ­Pyro­ly­se­öl her­ge­stellt, das zusam­men mit Roh­öl zu Poly­amid ­wei­ter­ver­ar­bei­tet wird. Gra­fik: Ofa

 

Inwie­fern genau ver­rin­gert sich durch die­ses Ver­fah­ren der öko­lo­gi­sche Fußabdruck?
Wir kön­nen die Emis­si­ons­re­duk­tio­nen durch eine Ana­ly­se des gesam­ten Lebens­zy­klus des Mate­ri­als er­mitteln. Das nach­hal­ti­ge­re Aus­gangs­ma­te­ri­al von BASF ver­fügt über eine zer­ti­fi­zier­te Umwelt­bi­lanz. Die­se Bilanz, die nach den Stan­dards der ISO 14040/44 erstellt und von unab­hän­gi­gen Fach­leu­ten über­prüft wur­de, zeigt eine ­CO2-Ein­spa­rung von etwa 67 Pro­zent im Ver­gleich zur Her­stel­lung von her­kömm­li­chem Poly­amid-Garn. Zusätz­lich recy­celn wir durch die Ver­wer­tung von Alt­rei­fen ein Mate­ri­al, das schwer recy­cel­bar ist. Das bedeu­tet, wir tra­gen nicht nur zur Redu­zie­rung von Emis­sio­nen bei, son­dern hel­fen auch, Abfall zu mini­mie­ren und Res­sour­cen zu schonen.

Wel­cher Pro­zess­schritt ist beson­ders herausfordernd?
Der Pyro­ly­se­pro­zess, den einer unse­rer Vor­lie­fe­ran­ten durch­führt, ist tech­nisch sehr anspruchs­voll. Für uns bei Ofa liegt die eigent­li­che Her­aus­for­de­rung jedoch in einem ande­ren Bereich. Medi­zi­ni­sche Hilfs­mit­tel unter­lie­gen stren­gen Regu­la­to­ri­en und Nor­men. Das bedeu­tet, dass wir nicht nur den kom­ple­xen Pro­zess der Garn­her­stel­lung berücksich­tigen müs­sen, son­dern auch sicher­stel­len müs­sen, dass unse­re Pro­duk­te trotz des Ein­sat­zes neu­er Gar­ne mit einem Anteil von recy­cel­tem Mate­ri­al alle Qua­li­täts- und Sicher­heits­stan­dards gemäß RAL (Deut­sches Insti­tut für Güte­si­che­rung und Kenn­zeich­nung, Anm. der Red.) und MDR (Medi­cal Device Regu­la­ti­on, Anm. der Red.) erfül­len. Um dies zu gewähr­leis­ten, haben wir umfang­rei­che Tests und Prüf­ver­fah­ren imple­men­tiert. Unse­re Pro­duk­te durch­lau­fen stren­ge Qua­li­täts­kon­trol­len intern sowie extern. So stel­len wir sicher, dass unse­re medi­zi­ni­schen Hilfs­mit­tel nicht nur nach­hal­tig, son­dern auch sicher und zuver­läs­sig sind.

Gibt es Unter­schie­de im Aus­se­hen, Tra­ge­ge­fühl oder in der Funk­tio­na­li­tät zwi­schen Kom­pres­si­ons­wa­re aus her­kömm­li­chem Poly­amid und sol­cher aus recy­cel­ten Reifen?
Nein, hier gibt es abso­lut kei­ne Unter­schie­de. Wir haben inten­siv dar­an gear­bei­tet, sicher­zu­stel­len, dass unse­re neue Kom­pres­si­on die­sel­ben hohen Stan­dards erfüllt. Unse­re Kun­den erhal­ten den Kom­fort und die Qua­li­tät, Optik und Hap­tik, die sie gewöhnt sind – nur eben nachhaltiger.

Sie sag­ten, dass bei vie­len Kun­den Nach­hal­tig­keit nicht das Kauf­kri­te­ri­um Num­mer eins ist. Spielt das The­ma bei der Ent­schei­dung den­noch eine Rolle?
Solan­ge Preis, Optik und Kom­fort stim­men, ist Nach­hal­tig­keit für einen wach­sen­den Anteil an Kun­den und Pati­en­ten ein ent­schei­den­des Kri­te­ri­um. Der nach­hal­ti­ge Erfolg unse­rer Bemü­hun­gen hängt von der Akzep­tanz unse­rer Pro­duk­te ab, denn Inves­ti­tio­nen in Inno­va­tio­nen loh­nen sich nur dann, wenn die Pro­duk­te auch ange­nom­men wer­den. Außer­dem gibt es bereits Bestre­bun­gen von Kran­ken­kas­sen, Nach­hal­tig­keit als Fak­tor für Erstat­tungs­prei­se und die Zulas­sung von Hilfs­mit­teln zu eta­blie­ren. Das wie­der­um wür­de auch die Kauf­ent­schei­dung von Kli­ni­ken, Kran­ken­häu­sern, Groß­händ­lern und Ver­bän­den beeinflussen.

Die Fra­gen stell­te Pia Engelbrecht.

Tei­len Sie die­sen Inhalt
Anzeige