Um die beste Versorgung für die Patient:innen zu gewährleisten, müssen ein Team aus Medizin, Technik und Physiotherapie zusammenarbeiten. Das wurde einmal mehr deutlich beim OTWorld-Symposium: „Innovationen in der Amputationsmedizin — Chirurgie, Orthopädietechnik und Rehabilitation“ bei dem Vertreter:innen aller Fachrichtungen in Leipzig auf die Bühne gingen. Den Vorsitz hatten Lars Jäger und Dr. Jennifer Ernst inne, Letztgenannte war auch gleich in Doppelfunktion aktiv und übernahm den Auftaktvortrag „Was gibt’s Neues? TMR und Osseointegration“. Dabei zeigte sie auf, dass nicht nur in der Verbesserung von Prothesen Fortschritte gemacht werden, sondern auch in der Operationstechnik. „Diese werden cleverer“, erklärte Ernst und beschrieb, was aktuell möglich ist. Vor allem bei den Themen Osseointegration als auch Targeted Muscle Reinnervation (TMR) zeigte Ernst nicht nur die Grundlagen, sondern auch die Möglichkeiten auf.
Aus orthopädietechnischer Sicht näherte sich Hans-Magnus Holzfuss, Gesundheitszentrum Greifswald GmbH, ebenfalls TMR und Osseointegration. Er brachte ein konkretes Fallbeispiel mit. Einem Triathleten musste im Jahr 2020 nach einem Schiffsunfall ein Arm amputiert werden. Dabei wurde in einem interdisziplinären Team gearbeitet, Meinungen ausgetauscht, um so die beste Versorgung zu ermöglichen. „Das Wichtigste war, ein Versorgungskonzept zu erstellen“, erklärte Holzfuss. Auf Basis dessen und dem Wunsch des Patienten, nicht nur im Leben, sondern auch im Hobby wieder anzuknüpfen, wurde entschieden, eine osseointegrative Versorgung vorzunehmen. Kombiniert wurde dies mit der TMR, welche allerdings im weiteren Prozess teilweise zu einem Problem wurde. Da die Ansteuerungspunkte nicht immer von den Elektroden abgedeckt werden konnten – bei Bewegung verloren die aufgeklebten Elektroden den Halt –, war mit einem temporären Funktionsausfall zu rechnen. Das Problem wurde aber mittels einer konfektionierten Schulterbandage gelöst, die den Anpressdruck der Elektroden auf der Haut erhöhte und, als positiver Nebeneffekt, auch noch dafür sorgte, dass zwischen Arm und Achsel ein Polster entstand, das von dem Patienten als besonders angenehm empfunden wurde und gleichzeitig eine Elektrode schützte.
Professor Alexander Gardetto übernahm ebenfalls den medizinischen Part bei der Vorstellung des TSR-Impacts von vibrotaktilem Feedback auf Gehvermögen und Schmerzen. Eine Forderung von ihm lautet: „Amputation muss auch Präparation sein!“ Gemeint ist damit, dass bei einer Amputation die Folgeversorgungen als Ganzes bedacht werden sollen und bereits die Grundlagen für eine erfolgreiche Behandlung der Patient:innen gelegt wird. Zudem stellte er das vibrotaktile System Saphenus vor, das mittels einer mit Sensoren ausgestatteten Socke beim Auftreten Feedback an einen Empfänger schickt.
Wie dieses System in der Praxis funktioniert, dass erzählte Lutz Niehage (John und Bamberg). Dabei berichtete er von den Startschwierigkeiten und wie er und sein Team es gemeinsam geschafft haben, dass das vibrotaktile Feedback beim Patienten ankam. Der Effekt war ein Gefühl von Sicherheit, das allerdings nur durch dauerhafte Nutzung reproduziert werden konnte.
Prof. Dr. Jan Geertzen setzte den Schlusspunkt unter eine interessante Veranstaltung. Er berichtete von seinen Erfahrungen aus über drei Jahrzehnten in der Medizin und stellte die Frage: „Amputation oder nicht bei komplexem regionalen Schmerzsyndrom?“. Eine eindeutige Antwort darauf hat sich in seiner Laufbahn nicht ergeben. Viele Patient:innen haben ihn aufgesucht und um eine Amputation gebeten. „Aber nur in einem von zehn Fällen ist es überhaupt zu Amputation gekommen“, so Geertzen, der betonte, dass der Einzelfall entscheidet. Was aus den abgelehnten Fällen wurde, das untersuchte Geertzen ebenfalls in einer Interviewstudie und kam zu dem Ergebnis, dass Patient:innen, die sich eine Amputation wünschten, über die Jahre teilweise den Wunsch ad acta legten.
Heiko Cordes