OT: Wie viele Auszubildende besuchen aktuell den Bildungsgang Orthopädietechnik?
Daniel Schulze Frenking: Wir haben ein großes Einzugsgebiet aus dem Regierungsbezirk Münster, Detmold und Arnsberg und zum Teil auch darüber hinaus. Daher besuchen in diesem Schuljahr insgesamt ca. 180 Azubis in sieben verschiedenen Klassen unseren Bildungsgang an der Schule.
OT: Wie hat das Kolleg auf die Schulschließungen in Nordrhein-Westfalen (NRW) reagiert?
Schulze Frenking: Bevor ich die Situation an meinem Berufskolleg schildere, möchte ich in meiner Funktion als Präsident der Arbeitsgemeinschaft aller Lehrerinnen und Lehrer für Orthopädietechnik und Förderer (ALLOF) e.V. kurz vorweg erklären, dass jeder Schulstandort in Deutschland unterschiedliche Rahmenbedingen wie Block- oder Teilzeit-Unterricht und länderspezifische Vorgaben wie Unterrichtsstunden und Lehrpläne hat. Dies ist in der Länderhoheit so gewollt und auch gut so, da man sich mit der schulischen Bildung auf die jeweiligen Gegebenheiten vor Ort beziehen muss. Daher finden die Abschlussprüfungen auch dezentral statt, was ich nicht nur in dieser speziellen Situation als unabdingbar und klaren Vorteil sehe. Wir am MBBK fahren einen Teilzeitunterricht: Unsere Auszubildenden kommen im ersten und zweiten Ausbildungsjahr pro Woche an je einem Tag und vierzehntägig an einem zusätzlichen zweiten fachpraktischen Tag und in den Oberstufenklassen an jeweils einem Tag zu uns.
Als am Freitagnachmittag, dem 13. März, unser NRW-Ministerpräsident Armin Laschet die Schulschließungen verkündete, hatten wir bereits einen Homepage-Eintrag vorbereitet, damit sich alle Schülerinnen und Schüler und deren Betriebe über unsere Homepage informieren konnten. Dort wurden im Folgenden tagesaktuelle Informationen eingestellt. Zunächst wurde die Priorität auf die Umstellung zur Online-Beschulung der Vollzeit-Klassen gelegt. Das sind von unseren insgesamt 3.200 Schülern fast die Hälfte! Schon seit längerem hat unser Schulträger für alle Lehrerinnen und Lehrer als auch für die Schülerinnen und Schüler einen persönlichen Zugang zu einer gemeinsamen Lernplattform zur Verfügung gestellt. Nun galt es, aus der Ferne allen Schülern bei der weiteren Einrichtung und praktischen Nutzung dieser Plattform Unterstützung zu geben.
OT: Wie sah das konkret in Ihrem Bildungsgang aus?
Schulze Frenking: In unserem Bildungsgang haben wir für die anstehende Gesellenprüfung II (GPII) für die knapp 50 Prüflinge Prüfungsaufgaben online gestellt und besprochen. Für das 1. und 2. Ausbildungsjahr „ruhte“ in dieser Zeit der Berufsschulunterricht. Unsere Schülerinnen und Schüler gingen an fünf Tagen die Woche in ihre Ausbildungsbetriebe.
OT: Wie organisieren Sie die Zusammenarbeit mit den Ausbildungsbetrieben?
Schulze Frenking: Zunächst wurden alle Ausbildungsbetriebe aller Gewerke über die Schulhomepage und per Mail über die Schließung informiert. Mittlerweile schreiben wir Ausbildungsbetriebe unserer Orthopädietechnik-Schüler per Mail an, wenn es Neuerungen gibt. Zudem haben wir über die Online-Plattform direkten Kontakt mit den Azubis, die dann wiederum Informationen parallel weitergeben können.
OT: Wie sieht der Unterricht derzeit aus?
Schulze Frenking: Nach den Osterferien musste unsere Schule zunächst für die Prüfungsklassen ein Hygienekonzept zur Wiederaufnahme des Unterrichts entwickeln. Da an unserem Berufskolleg alle unterschiedlichen Schulabschlüsse des deutschen Bildungssystems erworben werden können, ergibt das für uns eine enorme Anzahl an Prüflingen! Wir hatten hier den großen Vorteil, dass einige Kolleginnen und Kollegen, die früher in der Wirtschaft im Bereich der Medizintechnik gearbeitet haben, aufgrund ihrer Erfahrung in kürzester Zeit ein praktikables Konzept entwickeln konnten. Zu unserem Konzept gehört das Tragen von Nasen-Mundschutz und die maximale Beschulung von sieben Schülerinnen und Schülern pro Klassenraum. Wir haben also die Abschlussklasse auf insgesamt sieben Kleingruppen an unterschiedlichen Tagen bzw. unterschiedlichen Klassenräumen aufteilen müssen.
Das 1. und 2. Ausbildungsjahr wurde parallel mit Prüfungsaufgaben online beschult. Für mich als Lehrer war es sehr spannend, welche tollen Ergebnisse über diese Möglichkeit entstanden sind. Es gab sogar Schüler, die Lernvideos für alle erstellt haben!
Seit dem 25.05. ist es uns möglich, auch das 1. und 2. Ausbildungsjahr in einem rollierenden System zu unterrichten. Dazu wird jede Klasse an ihrem nun 14-tägigen Unterrichtstag verteilt auf zwei Klassenräume unterrichtet mit nun maximal 14 Schülerinnen und Schülern pro Klassenraum.
OT: Können die Auszubildenden ihre Gesellenprüfungen ablegen?
Schulze Frenking: Die GP II und die verschobenen GP I finden nun gerade mit reduzierten Gruppengrößen parallel zum Unterricht bis zu den Sommerferien statt. Dank der sehr guten Ausstattung unserer Werkstätten, können auch hier am MBBK Prüfungen durchgeführt werden. Natürlich müssen hier sehr starke Hygienevorschriften eingehalten werden, aber der Prüfungsablauf und ‑inhalt ist wie gehabt.
OT: Was bedeuten die Veränderungen für den praktischen Teil der Ausbildung am Kolleg?
Schulze Frenking: Für die Arbeit in Werkstätten gibt es zurzeit noch stärkere Auflagen als für den Theorie-Unterricht. Normalerweise teilen wir in dem 14-tägig stattfindenden fachpraktischen Unterricht die Lerngruppe in zwei Gruppen auf, jetzt müssten wir sie vierteln! Zudem haben wir aufgrund der Ausnahmesituation und den aktuell verdichtet stattfindenden Gesellenprüfungen personelle und räumliche Engpässe. Daher „ruht“ dieser Unterricht zunächst bis zu den Sommerferien.
OT: Welche Reaktionen gab es vonseiten der Auszubildenden?
Schulze Frenking: Die meisten Schülerinnen und Schüler waren froh, dass Inhalte nun online vermittelt werden können. Allerdings gab es einige technische Probleme zu überwinden und manchmal lag das Problem der Anwendung der Software „zwischen den Ohren“ des Azubis. Die Software kann sowohl am PC, Handy oder Tablet genutzt werden. Zudem haben sehr viele Ausbildungsbetriebe ihren Auszubildenden die Möglichkeit gegeben, die betrieblichen Ressourcen nutzen zu können. Hierüber freue ich mich als Lehrer besonders, schließlich ist diese enge Zusammenarbeit zwischen Betrieb und Schule der Kern und Erfolg der dualen Ausbildung in Deutschland!
OT: Mit welchen Konzepten starten Sie ins neue Schuljahr?
Schulze Frenking: Wir sind gerade dabei, die Stundenpläne für das nächste Schuljahr zu erstellen. Hier planen wir zunächst den Unterricht wie gewohnt. Sollte es zu einem erneuten regionalen Lockdown kommen, können wir sehr schnell auf den Online-Unterricht bzw. auf das rollierende Unterrichten umstellen.
OT: Wagen Sie eine Prognose, ob sich der Unterricht nach der Corona-Pandemie am Kolleg ändern wird?
Schulze Frenking: Die digitalen Konzepte, die wir gerade nutzen wie flipped Classroom – das Erarbeiten der Lerninhalte zu Hause und die Anwendung desselben im Unterricht –, distance Learning (Fernunterricht), blended Learning – eine Kombination der Vorteile des Online-Unterrichts mit denen des Präsenzunterrichts – sind nicht neu. Allerdings waren wir nun alle – Lehrer wie Schüler – gezwungen, diese zu nutzen. Gerade in der Orthopädie-Technik, wo die Berufsschulen ein sehr großes Einzugsgebiet haben, kann man diese Plattformen und Konzepte auch zukünftig sehr gut als Add-on zum Präsenzunterricht nutzen. Dieser, auch das zeigen meine aktuellen Erfahrungen, ist auf Dauer nicht gänzlich zu ersetzen. Unterricht lebt von der Interaktion von Schülern und Lehrern. Meine Prognose: Die Ausrede „ich habe alle Aufgaben gemacht, aber der Hund hat meine Hausaufgaben gefressen“ wird nun abgelöst durch „ich habe alle Aufgaben gemacht, aber ich habe irgendwie vergessen zu speichern“. Auf jeden Fall wird uns dieses Schuljahr als ein ganz besonderes in Erinnerung bleiben!
Die Fragen stellte Ruth Justen.
Daniel Schulze Frenking, 1983 in Münster geboren, absolvierte zunächst eine Ausbildung zum Orthopädie-Mechaniker. Von 2006 bis 2010 schloss er ein Studium als Diplom-Ingenieur für Orthopädietechnik inklusive Meisterprüfung und von 2010 bis 2013 ein Lehramtsstudium an. Zum Max Born Berufskolleg kam er 2010 als Seiteneinsteiger. Seit 2015 ist er Studienrat und leitet den Bildungsgang Orthopädietechnik. Zudem ist er als Prüfer im Regierungsbezirk Arnsberg, Bielefeld, Münster tätig. Im September 2019 wurde er für drei Jahre zum Präsidenten der ALLOF e.V. gewählt.