Damit zukünftig erst gar keine Aufregung entsteht, sondern Kinder und Erzieher:innen schon frühzeitig über das Thema Orthopädie-Technik und Orthoprothesen im Speziellen aufgeklärt werden, hat OTM Samuel Wiedmann gemeinsam mit dem Kinderarzt Prof. Dr. med. Holm Schneider das Buch „Ole und die Werkstatt für zu kurze Beine“ geschrieben. Das Kinderbuch, seit Dezember 2022 erhältlich, erzählt die Geschichte eines Jungen mit Orthoprothese, von den Abenteuern, die er trotz – oder gerade wegen – seiner Prothese erlebt, und schildert, was die Aufgaben von Orthopädietechniker:innen sind. Es führt schon junge Kinder an die Thematik der orthopädietechnischen Versorgungen heran und fördert das Verständnis von Klein – und natürlich auch von Groß – für die Versorgungen. Im Gespräch mit der OT-Redaktion erzählt Wiedmann, wie es zu dem Buch kam und was die Ziele sind.
OT: Herr Wiedmann, in Ihrem Buch „Ole und die Werkstatt für zu kurze Beine“ gibt es eine Stelle, in der über die Gerüche der Werkstatt gesprochen wird. Ist das eine der prägnantesten Sinneseindrücke, die kleine und große Patient:innen aus Ihrer Sicht haben?
Samuel Wiedmann: Wir zeigen neuen Patient:innen und deren Eltern immer mal wieder unsere Werkstatt. Der Klebergeruch in der Werkstatt und natürlich auch die Geruchsexplosion im Laminierraum sind für „ungewohnte Nasen“ sehr beeindruckend. Dazu kommen aber natürlich auch die vielen Werkzeuge, Öfen und die Maschinen.
OT: Was hat Sie dazu bewegt, ein Kinderbuch zu schreiben?
Wiedmann: Wie viele gute Ideen kam auch diese nach einer Anfrage von Patienteneltern. Das betroffene Kind hatte den Wechsel in eine andere Kindergartengruppe vor sich. Die Idee der Eltern war, dass die Erzieherin der neuen Gruppe ein Kinderbuch zum Vorlesen und Zeigen an die Hand bekommt und die Gruppe auf die Thematik einer Beinverkürzung und der Prothesenversorgung vorbereitet werden kann. Natürlich mit dem Ziel der Verbesserung der Inklusion und dem Abbauen von Hemmschwellen. Solch ein Buch gab es bisher – zumindest meines Wissens nach – noch nicht. Also musste eines geschrieben werden.
OT: Wie viele Stunden haben Sie an dem Buch gearbeitet?
Wiedmann: Die tatsächlichen Schreibstunden habe ich nicht gezählt. Die Herausforderung für mich war eher, mir den kreativen Freiraum im Kopf zu schaffen, um neue Ideen zu entwickeln. Der ganze Prozess hat fast ein Jahr in Anspruch genommen.
OT: Warum haben Sie sich für die „Versorgung“ mit einer Orthoprothese bei Ole entschieden?
Wiedmann: Ich durfte über einige Jahre ausschließlich Orthoprothesen-Patient:innen in unserer Heidelberger Niederlassung bei der Firma Pohlig betreuen. In dieser Zeit kam auch die Inspiration für dieses Buchprojekt. Die Orthoprothetik begeistert mich nach wie vor sehr, da hier so viele Elemente der Orthopädie-Technik benötigt werden.
OT: Wer stand für die Figur des Ole Pate?
Wiedmann: Da gibt es so einige… Wir wundern uns immer mal wieder, wie so eine Orthoprothesenversorgung nach einem Vierteljahr schon aussehen kann und was da immer mal kaputt geht. Da lag der Verdacht nahe, dass da das ein oder andere Abenteuer bestritten wurde. Felix Streng, der das Nachwort zum Buch geschrieben hat, hat das sehr treffend formuliert, dass er seine Prothese „häufiger an ihre Grenzen bringt als sie ihn“.
OT: Wie viel Samuel Wiedmann steckt in dem Orthopädietechniker Herr Ottmeier aus der Geschichte?
Wiedmann: Meine Eltern haben bereits analysiert, dass sowohl Herr Ottmeier als auch Oles Papa gewisse Parallelen zu mir aufweisen. Die Frisur von Herrn Ottmeier ist auf jeden Fall von mir.
OT: An einer Stelle muss – so viel darf man verraten – Herr Ottmeier einen ungewöhnlichen Außeneinsatz absolvieren. Ist das auch ein Bild, das Sie vom Handwerk zeichnen wollen, nämlich, dass es in vielen Lebenslagen hilfreich ist, wenn man dank beruflicher Ausbildung Probleme mit den eigenen Händen und dem eigenen Wissen lösen kann?
Wiedmann: Das begegnet uns unter Kolleg:innen tatsächlich sehr häufig, dass sich die vielfältigen Fähigkeiten unseres wunderbaren Berufs in der Freizeit widerspiegeln. Das geht von Fahrradreparatur über Bootsbau und Bauen eines Hühnerstalls bis hin zur Fahrzeugrestauration. Immer wieder gibt es auch im Kontext von Hilfsmittelversorgungen Anforderungen, für die es noch keine „Standardlösung“ gibt. Die Orthoprothetik ist auch hierfür ein Paradebeispiel.
OT: Sie sind selbst vierfacher Vater. Wie oft mussten Sie Ihren Kindern „Ole und die Werkstatt für die zu kurzen Beine“ vorlesen und hatten die Kinder ein kleines Mitspracherecht?
Wiedmann: Die beiden Jüngeren waren mit mittlerweile sechs und neun Jahren immer sehr gute Zuhörer und durften sich jede geänderte Version anhören. Da gab es schon immer mal kleine Diskussionen und gemeinsame Überlegungen, wie es denn weitergehen könnte. Die beiden Großen haben sich eher wenig eingemischt und mir völlig freie Hand gelassen.
OT: Im Anhang des Buches finden Leser:innen Fotografien von einer echten Versorgung. Warum haben Sie sich dazu entschieden diese zu zeigen?
Wiedmann: Bisher im Stachelbart-Verlag erschienene Bücher haben einen starken Realitätsbezug. Das war auch bei dieser Geschichte sehr wichtig. Was eine Orthoprothese ist und wie „sowas“ aussieht, ist über die Grenzen der Orthopädie-Technik hinaus nicht wirklich bekannt. Um eine realistische Vorstellung zu bekommen, helfen die Fotos schon sehr. Gerade mit der Zielsetzung der Inklusion ist es wichtig, ein möglichst realistisches Bild zu vermitteln. Alina Bodeit, die Fotografin, hat den kleinen Patienten und seine Mama bei zwei Anprobesessions begleitet und die Fotos geschossen. Auch das war Teil des Entstehungsprozesses im vergangenen Jahr.
OT: Sie haben das Buch zusammen mit dem Kinderarzt Prof. Dr. Holm Schneider verfasst. Wie lief diese interprofessionelle Zusammenarbeit der besonderen Art?
Wiedmann: Herr Schneider war zunächst eher Lektor des Stachelbart-Verlages, den er gemeinsam mit seiner Frau und seinen Kindern betreibt. Er hat sich im Verlauf des Schreibprozesses immer mehr eingebracht, wofür ich sehr dankbar bin. Das Abenteuer von Ole hat durch Herrn Schneiders Schreiberfahrung verschiedener (Kinder-)Bücher sehr profitiert. Wie er mir berichtete, hat er durch seine Tätigkeit am Klinikum in Erlangen regelmäßig Kontakt zu Betroffenen und deren Eltern. Dadurch bekommt er aus erster Hand die Ängste der Betroffenen und die Vorbehalte ihres Umfeldes mit. Im Schreibprozess haben wir uns die jeweils aktualisierten Versionen immer mit entsprechendem Feedback hin und her geschickt. So konnte jeder entsprechend seiner alltäglichen Verpflichtungen weiterarbeiten.
OT: Könnten Sie sich vorstellen noch mehr Kinderbücher dieser Art zu verfassen?
Wiedmann: Aktuell versuche ich die Tatsache zu genießen, dass ich „mein eigenes Buch“ in den Händen halten kann. Mal schauen, ob mal noch ein neues Thema um die Ecke kommt. Geplant habe ich es gerade nicht.
Die Fragen stellte Heiko Cordes.
Mit Ole unterwegs zu sein, ist nichts für schreckhafte Lehrerinnen. Wer ihn begleitet, auf den warten Abenteuer – manchmal ohne Rettung in Sicht. Wäre da nicht Mathes, Oles bester Freund, der meistens das Richtige tut, seine nachdenkliche, tapfere Freundin Anne und Oles Vater, dem natürlich immer etwas einfällt. Und wenn auch sie keine Lösung wissen, dann vielleicht Herr Ottmeier aus der Werkstatt für zu kurze Beine… Erzählt wird von einem Jungen mit angeborenem Handicap, das dank einer Prothese im Alltag kaum eine Rolle spielt. Dennoch muss Ole Herausforderungen meistern, die anderen Kindern erspart bleiben. Worauf es ankommt, wenn kurze Arme oder Beine das Leben nicht behindern sollen, davon handelt dieses Kinderbuch. „Ole und die Werkstatt für zu kurze Beine“ ist für Kinder von sechs bis acht Jahren gedacht, enthält neben der Abenteuergeschichte eine Fotoserie, die den Realitätsbezug verdeutlicht.
ISBN 978–3‑945648117; 64 S.,14,90 Euro.
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