War das Leitmotto der Veranstaltung „Konservativ first“ im Vorfeld noch mit einem Frage- und Ausrufezeichen versehen, so wurde an diesem Tag an der Medizinischen Hochschule in Hannover deutlich, wie sehr Patientinnen und Patienten sowie das Gesundheitssystem in Summe von Versorgungswegen jenseits operativer Eingriffe profitieren können.
GVSG kommt
Unmittelbar vor Beginn der Fachtagung war bekannt geworden, dass der Bundestag im Rahmen des Beschlusses des Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetzes (GVSG) den Weg frei gemacht hat für eine bessere und unbürokratischere Versorgung von Menschen mit Schwererkrankungen und Behinderungen mit Hilfsmitteln im Rahmen der Versorgung in Sozialpädiatrischen Zentren (SPZ) und in Medizinischen Zentren für Erwachsene mit Behinderung (MZEB). Aus Sicht von Prof. Dr. Wolfram Mittelmeier, Vorstandsvorsitzender der DGIHV, eine dringend notwendige Entscheidung: „Sozialpädiatrische Zentren benötigen dringend stabile Kapazitäten, um eine qualitativ hochwertige Versorgung sicherzustellen.“ Auch Dr. Bernhard van Treeck, unparteiisches Mitglied des Gemeinsamen Bundesausschusses (G‑BA), begrüßte im Rahmen seines Vortrags zum Auftrag und Gestaltungsrahmen des G‑BA in der Hilfsmittelversorgung das neu beschlossene Gesetz.
Einen ganzen Reigen an Beispielen aus dem Gesundheitssystem, bei denen entweder zu früh zu einer Operation tendiert oder die Möglichkeiten der konservativen Orthopädie nicht ausreichend genutzt werden, brachte BIV-OT-Vizepräsident Albin Mayer in seinem Impulsbeitrag zur Sprache. So bezeichnete der Orthopädietechnik-Meister u. a. die Anwendung einer Kompressionstherapie bei Lymphödem oder die getroffenen Maßnahmen bei Diabetes als stark ausbau- bzw. verbesserungsfähig: „Wenn wir die konservative Versorgung stärken, Kompetenzen klar zuweisen und die Versorgung von bürokratischen Prozessen trennen – Stichwort Entbürokratisierung –, profitieren alle – Patienten, Leistungserbringer und das Gesundheitssystem.“
Bürokratieabbau dank Digitalisierung?
Eine Möglichkeit, die Last der Bürokratisierung für die Beteiligten im Gesundheitssystem zu reduzieren, ist der erweiterte Einsatz von digitalen Automatismen. „Die Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Sie dient dazu, die nötigen Informationen per Knopfruck zu erhalten, damit mehr Zeit für die Versorgung bleibt“, stellte Jörg Rübensam heraus. Er selbst ist Produktmanager bei der Gematik und sieht die Transformation mit Blick auf die auf den Weg gebrachte Telematikinfrastruktur (TI) als Anlass, bestehende Abläufe und Strukturen zu hinterfragen, bevor sie 1:1 vom Analogen ins Digitale übernommen werden. Der DGIHV-Vorsitzende Mittelmeier ergänzte im Zuge dessen noch einen weiteren wichtigen Punkt: „Zugleich kann die Digitalisierung die verschiedenen Akteure besser miteinander vernetzen. Sie trägt so unter anderem dazu bei, Doppelversorgungen zu vermeiden und damit weitere Kosten im Gesundheitssystem zu senken.“
Keinen leichten Stand hatte Andreas Brandhorst in Hannover. Der Referatsleiter Hilfsmittel im Bundesministerium für Gesundheit (BMG), sah sich Forderungen ausgesetzt, im Sinne der Teilhabe am sozialen Leben die Rahmenbedingungen für die erweiterte Kostenübernahme durch die Krankenkassen zu verbessern. Dafür sieht Brandhorst allerdings so gut wie keinen Spielraum: „Gesetzliche Leistungsausweitungen sind angesichts der Finanzierungssituation der GKV unwahrscheinlich.“ Der Politiker ergänzte deutlich: „Die Förderung von Freizeitsport und Vereinssport gehören nicht zu den Aufgaben der Krankenkassen bei der Hilfsmittelversorgung.“ Über diese Position konnte Benedikt Ewald, Direktor Sportentwicklung beim Deutschen Behindertensportverband e. V. (DBS) nur den Kopf schütteln: „Kein Wunder, dass von den mehr als 13 Millionen Menschen mit Behinderung in Deutschland 55 Prozent keinen Sport treiben.“
Armut darf kein Faktor bei der Versorgungsqualität sein
Prof. Mittelmeier erweiterte das Spektrum der Diskussion um das Schultern der Versorgung durch die Kostenträger noch um einen weiteren gesamtgesellschaftlichen Aspekt: „Eigenanteile könnten dazu führen, dass einkommensschwächere Versicherte auf notwendige Hilfsmittel verzichten – mit weitreichenden Folgen für ihre Gesundheit und das Gesundheitssystem.“ Sein Fazit anlässlich der Fachtagung lautete: „Leitlinien, Versorgungspfade und Lehrpläne müssen interdisziplinär abgestimmt und von Kostenträgern anerkannt werden. Gleichzeitig brauchen wir eine leistungsgerechte Vergütung, die Qualität und Effizienz belohnt. Und nicht zuletzt müssen wir den enormen bürokratischen Aufwand und seine Kosten senken. So geben wir am Ende weniger aus, erreichen aber mehr für die Gesundheit unserer Gesellschaft.“
Orthopädische Hilfsmittel …
- unterstützen maßgeblich Versorgungserfolge
- entlasten die Ausgaben im Gesundheitssystem
- müssen für die Gesamtbevölkerung gleichermaßen finanzierbar sein
- müssen für Kinder und erwachsende Pflegebedürftige unbürokratisch zugänglich sein.
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