Im Fokus: Para­dig­men­wech­sel beim Lipödem

„Ich stelle immer wieder fest, dass die Thematik bei Ärzt:innen auf geringes Interesse stößt“, betonte Dr. med. Hans-Walter Fiedler, leitender Arzt im Gefäßmedizinischen Versorgungszentrum Kreis Soest am Praxisstandort Werl und Gründungsmitglied der „International Lipoedema Association“, vor rund 220 Sanitätsfachhändlern und Therapeut:innen aus Deutschland und Österreich auf dem 17. Jobst-Symposium in Wiesbaden zum Thema „Paradigmenwechsel beim Lipödem“. Das Hygiene- und Gesundheitsunternehmen Essity hatte eingeladen, um das Wissen rund um die Lymph- und Lipödem-Therapie der Teilnehmer:innen zu erweitern.

„Für Betrof­fe­ne ist ein akti­ves Selbst­ma­nage­ment natür­lich schwie­ri­ger als eine, wie bis­her emp­foh­le­ne, pas­si­ve manu­el­le Lymph­drai­na­ge, was die Akzep­tanz des neu­en the­ra­peu­ti­schen Ansat­zes schmä­lert“, berich­te­te Fied­ler. Er weiß, dass sich eini­ge Vor­ur­tei­le gegen den Para­dig­men­wech­sel auch immer noch hal­ten: „Zu kaum einer ande­ren Erkran­kung der Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten in unse­rer Pra­xis wur­den und wer­den so vie­le Fehl- und Falsch­in­for­ma­tio­nen ver­brei­tet.“ Dank neu­er Erkennt­nis­se von Expert:innen konn­ten vie­le die­ser Behaup­tun­gen inzwi­schen wider­legt wer­den – bei­spiels­wei­se die Fehl­an­nah­me, das Lipö­dem sei eine Öde­m­er­kran­kung und die manu­el­le Lymph­drai­na­ge (MLD) daher das zen­tra­le The­ra­pie­ele­ment zur erfor­der­li­chen Ent­stau­ung. Seit eini­gen Jah­ren voll­zieht sich in der Behand­lung die­ser sehr belas­ten­den chro­ni­schen, aber eben nicht pro­gres­si­ven Erkran­kung ein Para­dig­men­wech­sel. Im Vor­der­grund steht nun nicht mehr die Not­wen­dig­keit einer Ent­stau­ung des Gewe­bes, son­dern die Schmerz­re­duk­ti­on, wel­che durch die Kom­bi­na­ti­on von psy­cho­lo­gi­scher Mit­be­hand­lung, kör­per­li­cher Akti­vi­tät – wie bei­spiels­wei­se Sport – und Kom­pres­si­ons­the­ra­pie erreicht wer­den kann. Wich­tig ist laut Fie­der neben einer aus­führ­li­chen Ana­mne­se auch eine Unter­su­chung der betrof­fe­nen Stel­len. Nur so kön­ne ein Spannungs‑, Berüh­rungs- oder Druck­schmerz fest­ge­stellt wer­den. Denn: „Das Lipö­dem ist kei­ne Blickdiagnose.“

Phy­sio- und Bewe­gungs­the­ra­pie, Kom­pres­si­ons­the­ra­pie, Psy­cho­so­zia­le The­ra­pie, Gewichts­ma­nage­ment, Lipo­suk­ti­on und Selbst­ma­nage­ment – auf die­sen Säu­len fußt der aus den zen­tra­len Beschwer­den der Lipö­dem-Pati­en­tin­nen abge­lei­te­te und von Expert:innen im Rah­men des inter­na­tio­na­len Kon­sen­sus ver­öf­fent­lich­te The­ra­pie­an­satz. „Die manu­el­le Lymph­drai­na­ge ist hin­ge­gen nur zu Beginn einer Behand­lung auf­grund ihrer schmerz­lin­dern­den und anti­de­pres­si­ven Wir­kung zur Bes­se­rung des All­ge­mein­be­fin­dens vor­über­ge­hend und zeit­lich begrenzt sinn­voll“, sag­te Fied­ler. Wenn kein Ödem nach­weis­bar sei, gebe es auch nichts zu entstauen.

Wäh­rend die Gewichts­re­duk­ti­on ein wesent­li­cher und alter­na­tiv­lo­ser Aspekt sei, sol­le eine Lipo­suk­ti­on nur unter sei­tens der Expert:innen des Kon­sen­sus vor­ge­schla­ge­nen Vor­aus­set­zun­gen erwo­gen wer­den, so der Gefäß­spe­zia­list. Dazu gehö­ren eine erfolg­lo­se kon­ser­va­ti­ve The­ra­pie und eine Gewichts­sta­bi­li­tät von zwölf Mona­ten. Zudem müs­se die Ope­ra­ti­on in ein gesamt­the­ra­peu­ti­sches Kon­zept ein­ge­bun­den sein. Eine Flachstrick­kom­pres­si­on zur sym­pto­ma­ti­schen Behand­lung zählt nach wie vor zur wich­ti­gen Säu­le der Kom­pres­si­ons­the­ra­pie. „Wir sehen, dass Kom­pres­si­ons­the­ra­pie zu einer sofor­ti­gen Wir­kung führt. Sie wird jedoch nicht zur Ent­stau­ung ein­ge­setzt, son­dern auf­grund ihrer anti­in­flamm­a­to­ri­schen Effek­te im Gewe­be und der damit ver­bun­de­nen Schmerzlinderung.“

Hau­ke Cor­nel­sen, Ham­bur­ger Wund­the­ra­peut, zeig­te neue Wege in der Ver­sor­gung chro­ni­scher Wun­den auf, Ralph Mar­tig, Sani­täts­haus Schaub in Frei­burg, refe­rier­te über Neu­ig­kei­ten aus der Pro­dukt­grup­pe 17 und Pri­vat-Dozent Dr. Mar­tin Leu, Ober­arzt an der Kli­nik und Poly­kli­nik für Strah­len­the­ra­pie & Radio­on­ko­lo­gie am Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Göt­tin­gen, infor­mier­te die Run­de über moder­ne Bestrah­lungs­tech­ni­ken in der Krebs­the­ra­pie. Es folg­te eine Dis­kus­si­ons­run­de, in der die Exper­ten gemein­sam über aktu­el­le The­men spra­chen und den Teilnehmer:innen für Fra­gen zur Ver­fü­gung stan­den. Ein High­light des Sym­po­si­ums war der Moti­va­ti­ons­vor­trag des Extrem­sport­lers Joey Kel­ly, der über das Errei­chen von selbst­ge­setz­ten Zie­len und die Über­win­dung von inne­ren Hür­den sprach. Der zwei­te Tag des Sym­po­si­ums hielt ein viel­fäl­ti­ges Work­shop-Ange­bot bereit – von Anmess- und Pro­dukt­trai­nings über medi­zi­ni­sche The­men bis hin zu Kom­mu­ni­ka­ti­ons- und Verkaufstrainings.

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