OT: Welches Versorgungsmodell steckt hinter dem Neuro-Mobility-Ansatz von Ottobock?
Philipp Hoefer: Der Begriff ergibt sich aus der Zusammenlegung der Geschäftsbereiche Neuroorthotics und Human Mobility. Beide stellen Lösungen für Patient:innen mit neurologischen Erkrankungen wie Cerebralparese, Multiple Sklerose, Schlaganfall und Rückenmarksverletzungen in den Mittelpunkt. Indem wir unsere internen und kundenorientierten Teams in der Einheit Neuro Mobility zusammenführen, rücken wir die Versorgung als Ganzes in den Fokus und wollen somit individuelle Bedürfnisse noch besser bedienen. Denn im Laufe einer Erkrankung ändern sich die Ansprüche an medizinische Hilfsmittel oft. Es geht also um ein ganzheitliches Modell, das weniger in Produktschubladen denkt.
Patient:innen in den Blick nehmen
OT: Warum ist dafür ein neues Konzept nötig?
Hoefer: In der Vergangenheit hatte Ottobock in der DACH-Region im Business-to-Business-Geschäft (B2B) drei Bereiche: Prothetik, Reha und Orthetik – entsprechend der Aufteilung bei rund 90 Prozent unserer Kundschaft. Diese produktgetriebene Aufteilung ist im Markt derzeit nach wie vor üblich. Das wollen wir in Richtung eines integrativen Konzepts – idealerweise aktiv – begleiten, das nicht an Stückzahlen in Einzelbereichen ausgerichtet ist, sondern den Bedarf der Patient:innen in den Blick nimmt und einen modernen, kombinierten Versorgungsansatz verfolgt. Um dies zu verdeutlichen, fassen wir die Geschäftsbereiche Rollstühle und Neuro-Orthetik zusammen.
OT: Welcher Nutzen ergibt sich daraus für die Patient:innen?
Hoefer: Viele Menschen mit neurologischen Erkrankungen verwenden mehrere Hilfsmittel, darunter Schienensysteme und Rollstuhl. Deren Einsatz erfolgt je nachdem, wie ihr individuelles Mobilitätsbedürfnis kompensiert werden kann. Im Rahmen des Neuro-Mobility-Konzepts bieten und entwickeln wir jetzt entsprechende Gesamtlösungen sowie Produkte, die sich gegenseitig ergänzen. Denn Patient:innen – genauso wie Orthopädietechniker:innen und Therapeut:innen – suchen nicht nach einzelnen Produkten, sondern nach einer Lösung für ihr Gesamtproblem und flexiblen, miteinander kompatiblen Unterstützungen im Alltag. Das gilt vor allem in der Erstversorgung. Solche ganzheitlichen Angebote an unsere Kund:innen ermöglichen unsere neue Ausrichtung.
Vom Elektroden-Anzug bis FES
OT: Wie sind Sanitätshäuser in das Neuro-Mobility-Modell eingebunden und welche Produkte stehen dabei im Vordergrund?
Hoefer: Die Sanitätshäuser sind verantwortlich für die konkrete Versorgung der Patient:innen. Deren Mitarbeiter:innen können die Bedürfnisse der Patient:innen unmittelbar definieren und daraus das passende Versorgungskonzept entwickeln. Wir unterstützen sie mit unserem Neuro-Mobility-Ansatz sowie den damit verbundenen Produkten und Dienstleistungen dabei, noch ganzheitlicher vorzugehen. Dazu gehören der neue Exopulse Mollii Suit – ein Elektroden-Anzug, der verkrampfte Muskeln bzw. Spastiken mit elektrischen Impulsen löst – sowie unsere Produkte mit funktioneller Elektrostimulation (FES), das computergesteuerte Orthesensystem C‑Brace und Orthesen-Passteile zum Bau von Ankle Foot Orthoses (AFOs) und Knee Ankle Foot Orthoses (KAFOs), Sitzlösungen, Buggys sowie Aktiv- und Elektrorollstühle. Dies sind gleichzeitig die Produkte für einen mobileren Alltag, welche von Patient:innen mit neurologischen Indikationen am häufigsten benötigt und in Kombination verwendet werden.
OT: Worauf müssen sich die Sanitätshäuser im Hinblick auf das Angebot von Ottobock einstellen?
Hoefer: Das Erkennen des Mobilitätsbedürfnisses neurologischer Patient:innen und dessen ganzheitlicher Kompensation sind zentrale Elemente. Um diesen Anspruch zu verwirklichen, müssen wir gemeinsam mit den Sanitätshäusern auf alle Zielgruppen im multiprofessionellen Versorgungsumfeld eingehen. Dazu gehören Ärzt:innen, Therapeut:innen, Kostenträger, Medizinischer Dienst und Angehörige gleichermaßen. Weiterhin bieten wir natürlich ein großes Angebot für die ganzheitliche Schulung der Mitarbeiter:innen im Sanitätshaus.
Neue Strukturen
OT: Warum ist ein Konzept wie Neuro Mobility notwendig?
Hoefer: Ich arbeite seit 13 Jahren für das Unternehmen Ottobock. Die Nachfrage nach integrierten Konzepten ist vor allem in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Die Anforderungen der Patient:innen an Mobilität im Alltag und soziale Teilhabe sind – zu Recht – gestiegen. Mit dem Neuro-Mobility-Konzept entsprechen wir diesen Bedürfnissen und helfen Sanitätshäusern und orthopädietechnischen Betrieben, sie lösungsorientierter zu erfüllen. Die Verknüpfung von Passteilen für die Versorgung, FES und Rollstühlen ist für einen Industrieanbieter ein ganz neuartiger Ansatz. Deren Zusammenfassung in individuellen und adaptierbaren Versorgungskonzepten ist einzigartig im Markt.
OT: Wie verändert sich das Unternehmen Ottobock dadurch und welches sind die nächsten Schritte?
Hoefer: Die damit verbundene Neuausrichtung bedingt eine komplett neue interne Struktur im Marketing und im Vertrieb für die DACH-Region. Alle Prozesse werden auf die bestmögliche Versorgung der Patient:innen zentriert. Darüber hinaus sehen wir es als unsere Aufgabe, uns – gemeinsam mit den Sanitätshäusern und der gesamten Branche – für eine faire und leistungsangepasste Erstattung zu engagieren. Hier können wir als Hersteller mithilfe von Studien den Nutzen unserer Konzepte nachweisen. Unser aller Ziel muss sein, mittels dementsprechender Hilfsmittel eine bessere Versorgung und Teilhabe der Patient:innen zu gewährleisten und damit Folgekosten im solidarischen Gesundheitssystem nachhaltig zu senken.
Die Fragen stellte Cathrin Günzel.
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