Neue alte Dop­pel­spit­ze des BIV-OT – auf Kri­sen­ma­nage­ment folgt Gestaltung

28,8 Millionen Menschen üben in der Bundesrepublik laut des 5. Deutschen Freiwilligensurveys von 2019 ein Ehrenamt aus. Dieses Engagement in Vereinen, Politik und Institutionen wie Feuerwehr oder Technisches Hilfswerk (THW) ist gesellschaftlich nicht nur gewünscht, sondern auch dringend notwendig, um ein gutes Miteinander zu ermöglichen. Auch die Präsidentschaft des Bundesinnungsverbandes für Orthopädie-Technik ist ein Ehrenamt. Es bringt viele – teils zeitintensive – Aufgaben mit sich, aber wer Spaß am Gestalten hat, der kann in diesem Amt viel bewirken. Alf Reuter und Albin Mayer sind im Mai 2023 von der Delegiertenversammlung des BIV-OT an der Spitze des Verbandes bestätigt worden.

Im Gespräch mit der OT schaut das Prä­si­di­um auf die Höhe‑, aber auch Tief­punk­te sei­ner ers­ten Amts­zeit zurück und erklärt, was für Auf­ga­ben es für die kom­men­den drei Jah­re iden­ti­fi­ziert hat.

Anzei­ge

OT: Herr Reu­ter, Herr May­er, herz­li­chen Glück­wunsch zur ­Wie­der­wahl. Wie fühlt es sich an, erneut das Ver­trau­en für drei wei­te­re Jah­re an der Spit­ze des Bun­des­in­nungs­ver­ban­des über­tra­gen zu bekommen?

Alf Reu­ter: Sehr gut! Das stärkt den Rücken für künf­ti­ge Herausforderungen.

Albin May­er: Es fühlt sich rich­tig an. Wir wur­den mit allen Stim­men wie­der­ge­wählt. Das ist ein dickes Lob und eine Wert­schät­zung der geleis­te­ten Arbeit. Mit die­sem Ver­trau­en lässt es sich die nächs­ten drei Jah­re gut arbei­ten. Wir haben sehr beweg­te Zei­ten mit gro­ßen Her­aus­for­de­run­gen. Wir wol­len die­se so gut wie nur mög­lich für unser Fach meistern.

Gro­ßer Zusammenhalt

OT: Herr Reu­ter, drei Jah­re an vor­ders­ter Front des Bundes­innungsverbandes für Ortho­pä­die-Tech­nik lie­gen hin­ter Ihnen. Gleich in den ers­ten Stun­den im Amt muss­ten Sie mit­ent­schei­den, ob die OTWorld ver­scho­ben wird. Haben Sie nach die­sem Start Ihre Ent­schei­dung zur Kan­di­da­tur in den ers­ten Tagen bereut oder war es mehr ein Motivationsschub?

Reu­ter: In den Wochen und Mona­ten nach mei­ner Wahl im März 2020 haben sich die Ereig­nis­se stän­dig über­schla­gen. Da blieb kei­ne Zeit, über sol­che Fra­gen nach­zu­den­ken. Wir muss­ten han­deln, damit unse­re Häu­ser wei­ter­ar­bei­ten konn­ten. Das allein zähl­te. In der gan­zen Zeit von Coro­na­pan­de­mie über die soge­nann­te Online-Ein­la­gen­ver­sor­gung bis zum Ukrai­ne-Krieg habe ich einen so star­ken Zusam­men­halt in der Bun­des­in­nung, in den Lan­des­in­nun­gen, im Fach mit Leis­tungs­er­brin­ger­ge­mein­schaf­ten und medi­zi­ni­schen Fach­ge­sell­schaf­ten erlebt wie nie zuvor. Das gab und gibt Kraft für die vie­len gro­ßen Auf­ga­ben, die vor uns liegen.

OT: Herr May­er, Sie enga­gie­ren sich schon lan­ge im Ehren­amt. Was hat sich in den ver­gan­ge­nen drei Jah­ren für Sie verändert?

May­er: Ich bin noch nie so viel gereist wie in den letz­ten drei Jah­ren! Ver­än­dert hat sich vor allem mein Blick auf das eige­ne Fach. Unse­re Situa­ti­on wird immer schwie­ri­ger, da wir schon lan­ge zu nied­ri­ge Stun­den­ver­rech­nungs­sät­ze haben, die uns in Zei­ten der Infla­ti­on und der fet­ten Tarif­run­den für ande­re Beru­fe mas­siv auf die Füße fal­len. Uns lau­fen die Mit­ar­bei­ter fort in Rich­tung bes­ser bezahl­te und unkom­pli­zier­te Beru­fe. Wenn wir es nicht schaf­fen, die Kos­ten­trä­ger von deut­lich höhe­ren Stun­den­ver­rech­nungs­sät­zen zu über­zeu­gen, sehe ich schwarz für die Zukunft unser aller Betrie­be und damit für die Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung in Deutsch­land. Ich bin aber opti­mis­tisch, dass wir in den kom­men­den drei Jah­ren stu­fen­wei­se eine deut­li­che Erhö­hung des Stun­den­ver­rech­nungs­sat­zes errei­chen können.

Über­ra­schen­de Herausforderungen

OT: Sie, Herr Reu­ter, haben als dama­li­ger Vize­prä­si­dent natür­lich schon Ein­bli­cke in das Tun Ihres Vor­gän­gers gehabt. Was hat Sie den­noch über­rascht bzw. kann man Ihre ers­te Amts­zeit auf­grund von Pan­de­mie, Krieg und Ener­gie­kri­se und Kos­ten­ex­plo­si­on mit ande­ren Prä­si­dent­schaf­ten vergleichen?

Reu­ter: Man kann die Prä­si­dent­schaf­ten grund­sätz­lich nicht ver­glei­chen, da jeder Prä­si­dent anders ist und das Amt anders aus­füllt sowie begreift. Kri­sen muss­ten auch mei­ne Vor­gän­ger meis­tern. Ein Bei­spiel: Die Ein­füh­rung des Wett­be­werbs­stär­kungs­ge­set­zes 2007 unter der Gesund­heits­mi­nis­te­rin Ulla Schmidt war eine Zäsur für unse­re Betrie­be und der Beginn des seit­her immer grö­ßer wer­den­den Büro­kra­tie­mons­ters. Damals war Frank Jütt­ner Prä­si­dent und es war sicher nicht ein­fach, die Mit­glie­der und ihre Betrie­be durch die­se Zäsur zu beglei­ten und zu füh­ren. Es stimmt aber schon, dass sich in mei­nen ers­ten drei Prä­si­den­ten­jah­ren die Kri­sen gehäuft haben. Es wird nun aber Zeit, dass lang­sam wie­der Nor­ma­li­tät ein­kehrt. Damit wir wie­der agie­ren und gestal­ten kön­nen und nicht haupt­säch­lich reagie­ren müssen.

Kri­sen mana­gen und Ver­band gestalten

OT: Eine Fra­ge an Sie bei­de: Das Stich­wort Pan­de­mie ist bereits gefal­len. Der Beginn Ihrer Prä­si­dent­schaft fällt qua­si auf den Tag genau mit dem all­ge­mei­nen Umden­ken von „Das ist eine Pha­se“ zu „Das ist eine Bedro­hung“. Bil­der aus Ber­ga­mo, wo im Anschluss an ein Fuß­ball­spiel zahl­rei­che Tote auf­grund von Covid-19 zu bekla­gen waren, gin­gen um die Welt und ver­deut­lich­ten, wie ernst die Lage war. Muss­ten Sie auf­grund der Pan­de­mie eher zum Kri­sen­ma­na­ger wer­den statt zum Gestalter?

Reu­ter: Wir waren ganz klar haupt­säch­lich Kri­sen­ma­na­ger und konn­ten daher nicht alles umset­zen, was wir uns gestal­te­risch vor der Wahl vor­ge­nom­men hat­ten. Des­halb war uns bei­den die zwei­te Amts­pe­ri­ode so wich­tig. Neben dem Kri­sen­ma­nage­ment konn­ten wir den­noch ein paar Pflö­cke ein­schla­gen. So steht heu­te zum Bei­spiel die Bun­des­fach­schu­le für Ortho­pä­die-Tech­nik wirt­schaft­lich auf eige­nen Bei­nen. Der Ver­lag OT konn­te sich noch wei­ter pro­fes­sio­na­li­sie­ren und betreibt mit 360-ot.de eine erfolg­rei­che und im deutsch­spra­chi­gen Raum ein­zig­ar­ti­ge Nach­rich­ten­platt­form für unser Fach. Aus der Kri­se ent­stan­den, gelang es uns auch, das Bünd­nis „Wir ver­sor­gen Deutsch­land“ mit Leis­tungs­er­brin­ger­ge­mein­schaf­ten zu schmie­den, um eine star­ke Stim­me im poli­ti­schen Ber­lin erhe­ben zu kön­nen. Wir haben aus dem Desas­ter der eRe­zept-Ein­füh­rung für Arz­nei­mit­tel gelernt und ein deutsch­land­weit ein­zig­ar­ti­ges Pilot­pro­jekt zur eVer­ord­nung für Hilfs­mit­tel auf­ge­setzt. Der Gesetz­ge­ber sieht ja die ver­bind­li­che Ein­füh­rung der eVer­ord­nung für Hilfs­mit­tel für den 1. Juli 2026 vor. Wir woll­ten von dem Pro­zess nicht über­rollt wer­den wie die Apo­the­ker und Ärz­te, son­dern ihn im Gegen­teil sel­ber gestalten.

May­er: Der Wirt­schafts­aus­schuss und die Abtei­lung Wirt­schaft und Ver­trä­ge haben gemein­sam in den letz­ten drei Jah­ren so vie­le Ver­trä­ge mit Kos­ten­trä­gern neu ver­han­delt wie nie zuvor. Dabei sind uns ein paar Mei­len­stei­ne gelun­gen, wie etwa bei der Pro­dukt­grup­pe 24.

OT: Am 24. Febru­ar 2022 über­fiel Russ­land die Ukrai­ne. ­Einen Tag spä­ter wur­den die Zeug­nis­se für die frisch­ge­ba­cke­nen Meister:innen der Bun­des­fach­schu­le für Ortho­pä­die-Tech­nik digi­tal über­ge­ben. Als Sie, Herr Reu­ter, spra­chen, konn­te man bereits eine klei­ne Flag­ge in Blau und Gelb in Ihrem Büro ­sehen. Wie sehr hat es Sie per­sön­lich geschockt, dass der Krieg wie­der auf euro­päi­schem Boden zurück ist?

Reu­ter: Ich habe nicht damit gerech­net, dass inner­halb Euro­pas so schnell ein Krieg aus­bricht. Was mich beson­ders scho­ckiert, ist die Bru­ta­li­tät, mit der der Krieg gegen die ukrai­ni­sche Zivil­be­völ­ke­rung geführt wird. Russ­land ver­hin­dert Ein­bli­cke in sei­ne Ver­lus­te an Men­schen und Gesund­heit. Aus der Ukrai­ne erfah­ren wir da deut­lich mehr. Vie­le Kol­le­gen haben inzwi­schen genau wie ich Ver­wun­de­te aus der Ukrai­ne ver­sorgt. Da wird einem so rich­tig bewusst, was der Krieg für jeden ein­zel­nen Men­schen bedeutet.

May­er: Das geht mir genau­so. Jede Begeg­nung mit einem Ver­wun­de­ten aus der Ukrai­ne macht dir wie­der deut­lich, was für ein Glück wir hier in Deutsch­land haben. Wir kön­nen nur hof­fen, dass der Krieg bald endet und sich nicht auf wei­te­re Regio­nen ausweitet.

Alar­mie­ren­der (Fach)kräftemangel

OT: Eine Her­aus­for­de­rung des Fachs ist auch der Fach­kräf­te­man­gel. Sehen Sie in abseh­ba­rer Zeit die Ver­sor­gungs­si­cher­heit bezie­hungs­wei­se die Ver­sor­gungs­qua­li­tät bei der Ver­sor­gung von Patient:innen bedroht?

May­er: Defi­ni­tiv ent­wi­ckelt sich der (Fach)kräftemangel zur größ­ten Bedro­hung für die Men­schen mit Ein­schrän­kun­gen und unse­re Betrie­be. Wenn es so wei­ter­geht und die Gesetz­li­chen Kran­ken­kas­sen den Stun­den­ver­rech­nungs­satz für unse­re Mit­ar­bei­ter wei­ter­hin so gering­schät­zen wie den Stun­den­lohn eines Hilfs­ar­bei­ters, dann wird unser Fach aus­ster­ben. Egal mit wel­chem unse­rer Kol­le­gen ich spre­che, alle haben das glei­che Pro­blem: Es gibt zu wenig Inter­es­sier­te für die Aus­bil­dungs­plät­ze, wer eine Aus­bil­dung absol­viert, geht oft nach weni­gen Jah­ren in ande­re Beru­fe oder Branchen.

OT: Wie kann der Ver­band sei­ne Häu­ser bei der Suche nach neu­em Per­so­nal unterstützen?

May­er: Die wich­tigs­te Unter­stüt­zung für die Betrie­be sind höhe­re Stun­den­ver­rech­nungs­sät­ze, die wir mit den Kos­ten­trä­gern ver­han­deln wer­den. Inhalt­lich ist unser Beruf der schöns­te der Welt. Aber unse­re Mit­er­bei­ter wer­den mit Mas­sen an Büro­kra­tie belas­tet und zusätz­lich weit­aus schlech­ter ent­lohnt als Men­schen mit ver­gleich­ba­ren Beru­fen. Um die Erwar­tun­gen ein wenig zu dämp­fen: Wir wer­den beim Stun­den­ver­rech­nungs­satz nicht von Null auf Hun­dert kom­men. Ich gehe von einer stu­fen­wei­sen Anhe­bung in den nächs­ten Jah­ren aus. Dazu bin ich im Gespräch mit Ver­tre­tern der Kos­ten­trä­ger. Wenn sich die Ent­loh­nung nicht ver­än­dert, bekom­men wir defi­ni­tiv einen Ver­sor­gungs­not­stand im Bereich der Ortho­pä­die-Tech­nik. Die Men­schen ver­las­sen die Bran­che wegen des Ein­kom­mens, nicht wegen der Attrak­ti­vi­tät. Wer aus der Bran­che geht, kommt nie wie­der zurück. Die Fra­ge ist doch, wol­len wir das so. Möch­ten die Gesetz­li­chen Kran­ken­ver­si­che­run­gen die Ver­sor­gung gefähr­det wissen?

Star­ke Stim­me in Berlin

OT: Ein Groß­teil Ihrer Arbeit steckt auch in der Kommunika­tion mit der Poli­tik. Dort gab es 2021 eine Bun­des­tags­wahl, die die Mehr­heits­ver­hält­nis­se ver­än­der­te. Die neue Ampel-Koali­ti­on ver­sprach im Koali­ti­ons­ver­trag einen Büro­kra­tie-Abbau. Das müss­te doch Musik in Ihren Ohren sein. Wie bewer­ten Sie Anspruch und Wirk­lich­keit in Ihren Häusern?

Reu­ter: Ehr­lich gesagt, poli­ti­sche Arbeit ist in hohem Maße frus­trie­rend. Da steckt der Teu­fel im Detail, und zwar im Detail der Kli­en­tel­po­li­tik. Das sehen wir seit Jah­ren im Bereich der Gesetz­li­chen Kran­ken­kas­sen, aber auch der Apo­the­ken. Manch­mal bin ich zutiefst erschro­cken, wie wenig Wis­sen in der poli­ti­schen und media­len Öffent­lich­keit über die zuge­ge­ben kom­ple­xen Rege­lun­gen für die Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung in Deutsch­land vor­han­den ist. Ande­rer­seits erfah­re ich in den per­sön­li­chen Gesprä­chen mit Abge­ord­ne­ten und Medi­en­ver­tre­tern auch viel Offen­heit unse­rem Fach gegen­über. Wenn es aber an die Detail­ar­beit geht, Büro­kra­tie kon­kret abzu­bau­en, sehe ich wenig Fort­schrit­te. Im Moment setz­te ich gro­ße Hoff­nung auf die durch das Bun­des­amt für Sozia­le Siche­rung (BAS) im ver­gan­ge­nen Herbst ange­sto­ße­ne Reform der Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung. Da ist etwas in Bewe­gung gera­ten. Dank unse­rem Bünd­nis „Wir ver­sor­gen Deutsch­land“ kön­nen wir unse­re Reform­ideen ein­brin­gen. Was das Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Gesund­heit dar­aus macht, ist aller­dings noch nicht abzusehen.

OT: Im Bünd­nis „Wir ver­sor­gen Deutsch­land“ enga­gie­ren Sie, Herr Reu­ter, sich in Ihrer Eigen­schaft als BIV-OT-Prä­si­dent im Vor­stand. Wie bewer­ten Sie das ers­te Jahr? Ist WvD die rich­ti­ge Stim­me des Fachs, damit man in Ber­lin Gehör findet?

Reu­ter: Defi­ni­tiv. Wir sind als Bünd­nis inzwi­schen im Bewusst­sein der gesund­heits­po­li­ti­schen Spre­cher der Bun­des­tags­frak­tio­nen und der rele­van­ten Insti­tu­tio­nen wie dem Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Gesund­heit, dem Bun­des­amt für Sozia­le Siche­rung oder dem GKV-Spit­zen­ver­band fest ver­an­kert. Unse­re Reform­vor­schlä­ge zur Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung in Deutsch­land haben im März im poli­ti­schen Ber­lin viel Auf­merk­sam­keit erzielt.

OT: Wie sieht der aktu­el­le Stand in Sachen Hilfs­mit­tel­re­form aus?

Reu­ter: Wir waren mit dem Bünd­nis „Wir ver­sor­gen Deutsch­land“ die Ers­ten, die kon­kre­te Refor­men for­mu­liert hat­ten. Inzwi­schen gibt es auch Vor­schlä­ge und Posi­ti­ons­pa­pie­re von ver­schie­de­nen Kos­ten­trä­gern. Das Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Gesund­heit prüft sämt­li­che Unter­la­gen und wird ver­mut­lich in der zwei­ten Jah­res­hälf­te einen ers­ten Refe­ren­ten­ent­wurf mit Refor­men vorstellen.

OT: Herr May­er, Sie sind bei den Ver­trags­ver­hand­lun­gen mit den Kas­sen an vor­ders­ter Front betei­ligt. Haben Sie von die­sen zu den Reform­vor­schlä­gen ein Feed­back erhalten?

May­er: Bis­her nicht. Es ist auch zu frisch, um bei einer Ver­hand­lung dar­über zu spre­chen. Natür­lich wol­len bei­de Sei­ten Refor­men und jeder sieht es von sei­ner Sicht­wei­se. Der Ver­hand­lungs­tisch ist für Gesprä­che über Refor­men eher nicht geeignet.

Poli­tik und Enttäuschung

OT: Aus der Bran­che wird in dem Zusam­men­hang häu­fig die Absen­kung und Har­mo­ni­sie­rung der Mehr­wert­steu­er auf 7 Pro­zent gefor­dert. Eigent­lich sind sich alle einig, aber das Finanz­mi­nis­te­ri­um stellt sich quer. Sind Sie nicht manch­mal fas­sungs­los, wie Chan­cen und Mög­lich­kei­ten zur Ver­bes­se­rung der Situa­ti­on der Bran­che regel­recht weg­ge­wor­fen wer­den von der Politik?

Reu­ter: Das ist genau das, was ich vor­hin als ent­täu­schend bezeich­net habe. Es gibt gar kein Argu­ment für die unter­schied­li­chen Mehr­wert­steu­er­sät­ze. Nicht eins! Und den­noch reicht ein Macht­wort eines Minis­ters, um gegen jede Ver­nunft sol­che unsin­ni­gen büro­kra­tisch auf­wen­di­gen Rege­lun­gen am Leben zu erhalten.

Kei­ne Aus­nah­men für Apotheken

OT: Herr Reu­ter, das poli­ti­sche Ber­lin zu beackern ist eine Mam­mut­auf­ga­be. Wie sehr scho­ckiert es Sie, dass der Gesetz­ge­ber jetzt den Begriff der apo­the­ken­üb­li­chen Hilfs­mit­tel ein­ge­führt hat und damit Apo­the­ken von der PQ für die­se Pro­dukt­be­rei­che aus­ge­nom­men hat?

Reu­ter: Es reicht mir mit der Kli­en­tel­po­li­tik der Apo­the­ken. Es muss Schluss sein mit der ein­sei­ti­gen Benach­tei­li­gung unse­rer Betrie­be in der Poli­tik. Es kann nicht sein, dass mit 2,5 Mil­lio­nen Euro Lob­by­gel­dern, die die Bun­des­ver­ei­ni­gung Deut­scher Apo­the­ker­ver­bän­de e. V. für ihre Arbeit im poli­ti­schen Ber­lin aus­gibt, Poli­tik gekauft wer­den kann!

OT: Was kön­nen Mit­glieds­be­trie­be vor Ort tun und wie unter­stützt sie der BIV-OT dabei?

Reu­ter: Ob Prä­qua­li­fi­zie­rung, Mehr­wert­steu­er oder Refor­men – jeder Betrieb kann etwas aus­rich­ten, sich mit den von uns zur Ver­fü­gung gestell­ten Mate­ria­li­en an die Abge­ord­ne­ten vor Ort wen­den, Poli­ti­ker in ihre Häu­ser ein­la­den und über die Situa­ti­on infor­mie­ren. Im Grun­de muss sogar jeder Betrieb sich ein­mi­schen, sonst drin­gen wir mit unse­rer Stim­me nicht durch.

Sys­tem­re­le­vant

OT: Ein letz­ter Blick zurück – was waren Ihre per­sön­li­chen High­lights, aber auch Tief­punk­te Ihrer Amtszeit?

Reu­ter: Ein Gesund­heits­mi­nis­ter und eine gan­ze Bun­des­re­gie­rung, die in Zei­ten einer Pan­de­mie die Ver­sor­gung von Men­schen mit Ein­schrän­kun­gen durch unse­re Betrie­be kom­plett ver­ges­sen – ehr­lich, schlim­mer geht nim­mer. Das dach­te ich zumin­dest im Früh­jahr 2021. Mit der Kam­pa­gne #sys­tem­re­le­vant konn­ten wir das Schlimms­te ver­hin­dern. Ein wei­te­rer Tief­punkt war am Mor­gen des 24. Febru­ar 2022 erreicht – der Beginn des Angriffs­krie­ges Russ­lands auf die Ukrai­ne und die damit ver­bun­de­ne Zei­ten­wen­de. Eine Zei­ten­wen­de, die uns beson­ders viel abver­langt. Wir ver­sor­gen vie­le der Ver­sehr­ten, erle­ben den Schre­cken des Krie­ges näher als ande­re in Deutsch­land. Gleich­zei­tig gesteht der GKV-Spit­zen­ver­band uns kei­ne ange­mes­se­ne Ent­loh­nung zu und die Poli­tik hat uns in kei­nem ihrer Pake­te zur Abmil­de­rung der aus den Kri­sen ent­stan­de­nen Mehr­kos­ten bedacht, im Gegen­teil. Der Bun­des­tag stimm­te sogar zuletzt für die Auf­he­bung der Prä­qua­li­fi­zie­rung der Apo­the­ken. Den­noch gab es vie­le per­sön­li­che Höhe­punk­te. Zuerst die OTWorld, ein­mal vir­tu­ell, ein­mal in Prä­senz. Ein­mal fast allein mit Ber­gen von Über­tra­gungs­tech­nik und das zwei­te Mal mit Hun­der­ten fei­er­wü­ti­gen Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen aus aller Welt. So etwas ver­gisst man nicht. Ein ­wei­te­res High­light ist für mich jedes Jahr die Über­ga­be der Meis­ter­brie­fe in der Bufa. Wenn man die­se jun­gen Leu­te, unse­ren Nach­wuchs, sieht, macht es gro­ßen Spaß, Prä­si­dent zu sein! Und natür­lich zählt die Grün­dung von „Wir ver­sor­gen Deutsch­land“ dazu. Mit den Mit­glieds­ver­bän­den, die noch vor fünf Jah­ren kaum ein Wort mit­ein­an­der gespro­chen haben, an einem Strang zu zie­hen und sich stän­dig aus­zu­tau­schen, ist ein rie­si­ger Schritt und tut uns allen gut.

May­er: Zu unse­rem Klas­sen­tref­fen in Leip­zig herrscht immer gute Stim­mung. 2022 fand ich die Atmo­sphä­re gera­de­zu über­wäl­ti­gend. Ange­sichts des Ukrai­ne-Krie­ges kam die OTWorld auch fach­lich zur rech­ten Zeit, um sich inter­na­tio­nal über die Ver­sor­gungs­mög­lich­kei­ten aus­zu­tau­schen. Das war defi­ni­tiv der Höhe­punkt in mei­ner Amts­zeit. Ein Dau­er­tief­punkt bleibt die nach wie vor sehr nied­ri­ge Wert­schät­zung gegen­über unse­rem Fach. Wir inte­grie­ren Men­schen. Wir sichern die Teil­ha­be und schaf­fen wie­der ein gutes Leben für Men­schen trotz Han­di­cap. Es ist ein sehr schwe­rer Beruf mit einer sehr hohen Fach­kom­pe­tenz. Das wird von allen Sei­ten lei­der nicht so gesehen.

Mehr Enga­ge­ment der Jün­ge­ren und höhe­re Stundenverrechnungssätze

OT: Wo wol­len Sie als Prä­si­dent bezie­hungs­wei­se Vize­prä­si­dent noch neue Impul­se für den Ver­band setzen?

Reu­ter: Mein größ­tes Ziel ist es, die Mit­glieds­be­trie­be der Lan­des­in­nung zu mehr Mit­ar­beit zu moti­vie­ren. Wir brau­chen enga­gier­te jun­ge Men­schen, die unser Fach ver­tre­ten. Wenn wir nicht in der Brei­te hör- und sicht­bar sind, wer­den wir über­hört und über­se­hen. Das darf nicht geschehen!

May­er: Am Ende der Amts­pe­ri­ode, die defi­ni­tiv mei­ne letz­te sein wird, soll es einen deut­lich erhöh­ten Stun­den­ver­rech­nungs­satz für unse­re Mit­ar­bei­ter geben. Dafür wer­de ich gemein­sam mit den Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen im Wirt­schafts­aus­schuss und der Abtei­lung Wirt­schaft und Ver­trä­ge mit aller Kraft strei­ten. Denn unse­re Zukunft muss auf siche­re Füße gestellt wer­den. Das Fach darf nicht wei­ter­hin kurz ober­halb des Min­dest­loh­nes ver­gü­tet wer­den. Schließ­lich sind wir Spe­zia­lis­ten, die ihren Job am Men­schen tun. Wir schaf­fen Bewe­gung, Sicher­heit, Wert­schät­zung, Inte­gra­ti­on, Teil­ha­be und Lebens­freu­de. Durch unse­re Tätig­keit kön­nen Men­schen wie­der gehen und lau­fen. Wir füh­ren den Men­schen zurück zum Arbeits­platz, in die Fami­lie und das gesam­te sozia­le Umfeld. Unser Beruf ist enorm wich­tig für die Gesell­schaft. Das muss in die Köp­fe. Ansons­ten gibt es kei­ne Fach­kräf­te mehr.

OT: Wor­auf freu­en Sie sich in den kom­men­den drei Jahren?

Reu­ter: Wenn die Kri­sen dann mal vor­bei sind, freue ich mich, end­lich gestal­ten zu kön­nen und das Fach noch wei­ter vor­an­zu­brin­gen. Dazu gehört auch, end­lich wie­der rei­sen zu kön­nen. Durch unse­re ein­zig­ar­ti­ge Stel­lung als Hand­wer­ker sind wir in einer inter­na­tio­nal aka­de­mi­sier­ten Welt ziem­lich gefragt. Wir machen vie­les anders und man­ches viel­leicht auch bes­ser. Das muss genutzt wer­den. Denn es gibt Her­aus­for­de­run­gen, die nur inter­na­tio­nal gelöst wer­den kön­nen. Auch natio­nal freue ich mich auf den Besuch von Kol­le­gen­tref­fen jeg­li­cher Art, ob Lan­des­in­nungs­ver­samm­lun­gen, ERFA, Mes­sen, Kon­gres­se, Dele­gier­ten­ver­samm­lun­gen oder ein­fach nur so. Denn mit­ein­an­der reden bringt mich wei­ter. Eben­so ist die gemein­sa­me Arbeit mit den ehren­amt­li­chen und den haupt­amt­li­chen Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen im BIV-OT eine gro­ße Freu­de. Das ist schon eine erst­klas­si­ge Mannschaft.

May­er: Ich freue mich, wenn wir mit der GKV und der Poli­tik einen gemein­sa­men Nen­ner fin­den, um die Ver­sor­gung mit Hilfs­mit­teln für die Men­schen tech­nisch, fach­lich und in hoher Qua­li­tät rea­li­sie­ren kön­nen. Das geht. Wir müs­sen dafür die vor­han­de­nen Poten­zia­le nut­zen. Um die­se Poten­zia­le aus­zu­schöp­fen, haben wir die Reform­vor­schlä­ge vor­ge­legt. Wenn wir einen gemein­sa­men Nen­ner errei­chen, geht es jedem Men­schen mit Han­di­cap auch wei­ter­hin gut. Denn der Mensch steht im Mit­tel­punkt unse­rer Arbeit, das dür­fen wir nicht ver­ges­sen. Auch wir kom­men ein­mal in die­se Situa­ti­on und freu­en uns dann auf Hilfe.

Die Fra­gen stell­te Hei­ko Cordes.

 

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