Nach­hal­ti­ge Mate­ria­li­en auf dem Vormarsch

„Nachhaltigkeit darf kein Luxus sein“ forderte die Hälfte aller Befragten laut einer Statista-Umfrage, die die Einstellung zum Thema Nachhaltigkeit in Deutschland im Jahr 2023 beleuchtete. Damit wird einmal mehr deutlich, dass sich das Konsumverhalten in der Bundesrepublik verändert. Klar, dass da auch Unternehmen und Hersteller reagieren.

Auch in der Ortho­pä­die-Tech­nik spielt bei der Aus­wahl von Mate­ria­li­en der Aspekt Nach­hal­tig­keit immer häu­fi­ger eine gro­ße Rol­le – sei es in Bezug auf die Mate­ri­al­ei­gen­schaf­ten oder die Pro­duk­ti­on. Im Gespräch der OT-Redak­ti­on mit Lars Hell­mich, Pro­dukt­ma­na­ger bei Otto­bock, wird daher unter die Lupe genom­men, was aktu­ell schon aus Duder­stadt an Mate­ria­li­en kommt und wann neue Ent­wick­lun­gen zu erwar­ten sind.

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OT: Herr Hell­mich, Nach­hal­tig­keit hat vie­le Defi­ni­tio­nen. Was bedeu­tet für Sie per­sön­lich Nachhaltigkeit?

Lars Hell­mich: Die Defi­ni­ti­on des Wor­tes Nach­hal­tig­keit ist sehr facet­ten­reich. Genau zu beant­wor­ten, wann bei­spiels­wei­se ein Pro­the­sen­schaft, der aus vie­len unter­schied­li­chen Mate­ria­li­en besteht, nun nach­hal­tig her­ge­stellt ist, ist für mich unmög­lich. Aus die­sem Grund ver­wen­den wir bei Otto­bock auch nicht die Bezeich­nung eines nach­hal­ti­gen Pro­dukts. Denn dafür sind die Pro­zes­se bei der Her­stel­lung eines Roh­stoffs und deren Pro­duk­ti­ons­mit­tel, der Logis­tik usw. zu kom­plex. Aus mei­ner per­sön­li­chen Sicht soll­te es aber das Ziel sein, nur so viel von der Erde zu neh­men und zu ver­brau­chen, dass es für kom­men­de Gene­ra­tio­nen wei­ter­hin zur Ver­fü­gung ste­hen kann. Das errei­chen wir zum Bei­spiel durch die Ver­wen­dung von nach­wach­sen­den Rohstoffen.

OT: Wel­chen Stel­len­wert hat Nach­hal­tig­keit für Ottobock?

Hell­mich: Bei Otto­bock sind ver­ant­wor­tungs­vol­les Han­deln und wirt­schaft­li­cher Erfolg eng mit­ein­an­der ver­knüpft. Unser Enga­ge­ment fin­det sei­nen beson­de­ren Aus­druck etwa in dem posi­ti­ven sozia­len Impact unse­rer Pro­duk­te. Zudem ist Nach­hal­tig­keit in unse­rem Unter­neh­men stra­te­gisch ver­an­kert und in die Manage­ment­pro­zes­se integriert.

OT: Mit der „Green­Line“ hat Otto­bock eine eige­ne Pro­dukt­li­nie am Markt, die nach­hal­tig sein soll. Kön­nen Sie kurz erläu­tern, was die „Green­Line“ ist, wie vie­le Pro­duk­te sie umfasst und seit wann sie ein Teil des Otto­bock-Pro­duk­t­­an­ge­bots ist?

Hell­mich: Hier darf ich die Defi­ni­ti­on des Begriffs „Green­Line“ leicht kor­ri­gie­ren. Unter dem Begriff der „Green-Line“ ver­ste­hen wir nicht, dass Pro­duk­te nach­hal­tig sind, son­dern eine oder meh­re­re Eigen­schaf­ten haben, wie eine natur­ba­sier­te bezie­hungs­wei­se orga­ni­sche Basis, Kom­pos­tier­bar­keit, Effi­zi­enz bezie­hungs­wei­se weni­ger Abfall pro­du­zie­ren oder den best­mög­li­chen Aus­schluss von gefähr­den­den Inhalts­stof­fen im Ver­ar­bei­tungs­pro­zess bie­ten. Wich­tig für uns ist der Ver­gleich zum aktu­ell ver­wen­de­ten Stan­dard­pro­dukt. Sobald wir ein Pro­dukt iden­ti­fi­zie­ren, das im Ver­gleich bes­se­re Eigen­schaf­ten hin­sicht­lich der vier genann­ten Aspek­te auf­weist, qua­li­fi­ziert es sich dafür, ein „GreenLine“-Produkt zu sein. Ein Bei­spiel wäre das Epoxid­harz „Ort­hoE­pox“, das zu 50 Pro­zent natur­ba­sier­te Roh­stof­fe sowie weni­ger gefähr­den­de Inhalts­stof­fe ent­hält. Unse­re „GreenLine“-Serie besteht aktu­ell aus vier Pro­duk­ten, die wir in den ver­gan­ge­nen fünf Jah­ren kon­ti­nu­ier­lich in unser Mate­ria­li­en-Port­fo­lio auf­ge­nom­men haben. In Deutsch­land bie­ten wir aktu­ell nur das „Ort­hoE­pox“ an. Die wei­te­ren Pro­duk­te fol­gen aber zum Mai und wer­den auf der OTWorld vor­ge­stellt. Die gro­ße Her­aus­for­de­rung und der Grund, wes­we­gen es bis­lang „nur“ vier Pro­duk­te sind, ist die tech­ni­sche Ver­gleich­bar­keit. Wir benö­ti­gen bei Ver­sor­gun­gen ein hohes Maß an Sta­bi­li­tät, um ein siche­res Hilfs­mit­tel her­zu­stel­len. Ein natur­ba­sier­tes Pro­dukt, das nicht die not­wen­di­gen Sta­bi­li­täts­stan­dards erfüllt, ist unbrauch­bar. Und das ist in der Ver­gan­gen­heit in eini­gen Fäl­len das Aus­schluss­kri­te­ri­um gewe­sen. Das Ziel ist, unse­ren Kund:innen Alter­na­ti­ven anzu­bie­ten, die bes­ser im Sin­ne der Gesund­heits- und Umwelt­aspek­te sind und gleich­zei­tig den hohen Ansprü­chen in der Ortho­pä­die-Tech­nik genügen.

OT: Sie wer­ben damit, dass Sie 50 Pro­zent des Mate­ri­als aus nach­wach­sen­den Roh­stof­fen gewin­nen. Wel­ches Mate­ri­al ist das?

Hell­mich: Beim ange­spro­che­nen Pro­dukt han­delt es sich um das „Ort­hoE­pox“, das zu 50 Pro­zent aus einem nach­wach­sen­den Roh­stoff besteht. Die­ser ist Mais.

OT: Wie kom­men Sie auf den Wert 50 Pro­zent? Ist es unter den der­zei­ti­gen Pro­duk­ti­ons­me­tho­den nicht anders mög­lich oder unwirt­schaft­lich oder steht nicht genü­gend nach­wach­sen­der Roh­stoff zur Verfügung?

Hell­mich: Der Wert stammt aus unse­rem gemein­sam mit unse­rem Part­ner durch­ge­führ­ten Ent­wick­lungs­pro­jekt. Ein höhe­rer Wert war zu die­sem Zeit­punkt noch nicht mög­lich zu errei­chen, aber es wird dar­an gear­bei­tet, ihn zu erhöhen.

OT: Ist es zukünf­tig mög­lich, die Pro­duk­te zu 100 Pro­zent „grün“ zu machen?

Hell­mich: Im Fall des „Ort­hoE­pox Green­Line“ ist das genau das Ziel. Bei den Flachs­fa­sern, die in Kür­ze auf den deut­schen Markt kom­men, ist der Roh­stoff schon zu 100 Pro­zent natur­ba­siert. Bei den Flachs­fa­sern ging es nicht dar­um, das Mate­ri­al selbst zu ent­wi­ckeln, da die­ses schon lan­ge im Markt exis­tiert, son­dern einen Lege­plan zu ent­wi­ckeln, mit dem Orthopädietechniker:innen einen siche­ren Schaft bau­en kön­nen. Des­sen Her­stel­lung aus Flachs­fa­sern ist nicht Teil ihrer Aus­bil­dung und der Umgang damit somit nicht bekannt, im Gegen­satz zu Armie­rungs­ma­te­ria­li­en wie Car­bon- oder Glas­fa­sern. Mit unse­rem ent­wi­ckel­ten Lege­plan geben wir unse­ren Kund:innen die Mög­lich­keit, mit Flachs­fa­sern einen siche­ren und geprüf­ten Schaft zu bau­en. Damit wer­den Flachs­fa­sern zu einer Alter­na­ti­ve in der Schaft­ar­mie­rung und kom­men hof­fent­lich häu­fi­ger zum Ein­satz als in der Vergangenheit.

Flachs ist ein nachwachsender Rohstoff, auf den die Materialexpert:innen aus Duderstadt setzen. Foto: Ottobock
Flachs ist ein nach­wach­sen­der Roh­stoff, auf den die Materialexpert:innen aus Duder­stadt set­zen. Foto: Ottobock

OT: Wel­che Mate­ria­li­en haben Sie iden­ti­fi­ziert, die kei­ne ­Zukunft mehr haben werden?

Hell­mich: In der Ortho­pä­die-Tech­nik kom­men im Pro­duk­ti­ons­pro­zess in der Werk­statt eine Viel­zahl von Mate­ria­li­en zum Ein­satz, die gesund­heits­ge­fähr­den­de Stof­fe im Roh­zu­stand beinhal­ten. Die Reduk­ti­on davon ist unser Ziel, und sobald ein Pro­dukt gefun­den wur­de, das weni­ger gefähr­dend bei glei­cher Funk­ti­on ist, wird es schnellst­mög­lich das Ver­gleichs­pro­dukt erset­zen und dann auch nicht mehr ange­bo­ten. Bei Alter­na­tiv­pro­duk­ten, die auf den natur­ba­sier­ten Aspekt abzie­len, ist es nicht so leicht. Car­bon zum Bei­spiel wird auf mit­tel- bis lang­fris­ti­ge Sicht sei­ne Daseins­be­rech­ti­gung in der Ortho­pä­die-Tech­nik behal­ten. Spe­zi­ell im Orthe­sen­bau benö­ti­gen wir höchst­mög­li­che Sta­bi­li­tät bei geringst­mög­li­chem Gewichtseinsatz.

OT: In Ihrem Nach­hal­tig­keits­be­richt steht: „Mit unse­rer Mate­ri­al­kom­pe­tenz arbei­ten wir mit Hoch­druck an Alter­na­ti­ven, die ganz oder teil­wei­se aus nach­wach­sen­den Roh­stof­fen auf­ge­baut sind.“ Wel­che Mate­ria­li­en haben Sie im Blick für wel­chen Verwendungszweck?

Hell­mich: Der Absatz bezieht sich auf die bei­den Pro­duk­te der Flachs­fa­sern als Armie­rungs­ma­te­ri­al im Schaft­bau und auf das Harz „Ort­hoE­pox Green­Line“. Die Flachs­fa­sern basie­ren auf einem nach­wach­sen­den Roh­stoff, dem Flachs, und das Harz basiert zu 50 Pro­zent auf dem Roh­stoff Mais, wel­ches zum Schaft- oder Orthe­sen­bau ver­wen­det wer­den kann.

OT: Wel­che Pro­duk­te eig­nen sich zukünf­tig dafür, in die „Green­Line“ auf­ge­nom­men zu werden?

Hell­mich: Pau­schal kann man das nicht genau sagen. In den kom­men­den Mona­ten wol­len wir aber eine Pro­dukt­li­nie zur Erstel­lung von Hand­la­ge­rungs­schie­nen anbie­ten. Hier sind wir im Aus­tausch mit einem exter­nen Lie­fe­ran­ten. Es han­delt sich um eine sehr span­nen­de Pro­dukt­rei­he, die auf der Basis von Espen­holz her­ge­stellt wird und das Poten­zi­al hat, den Ein­satz von Gips obso­let zu machen.
Wich­tig ist, dass wir kon­ti­nu­ier­lich am The­ma blei­ben, denn es wird nicht zu einer Art dis­rup­ti­ven Ent­wick­lung kom­men, mit der wir kurz­fris­tig alle Gesund­heits- und Umwelt­aspek­te gelöst haben. Es ist ein kon­ti­nu­ier­li­cher Pro­zess und es wird eine Viel­zahl an klei­nen Schrit­ten und Ent­wick­lun­gen not­wen­dig sein, um ans Ziel zu kommen.

OT: Wie groß ist die Nach­fra­ge bei den Kund:innen?

Hell­mich: Das Inter­es­se ist defi­ni­tiv da. In Deutsch­land ver­wen­de­ten ver­gan­ge­nes Jahr bereits 40 Pro­zent unse­rer Kund:innen das „Ort­hoE­pox Green­Line“ anstatt der Stan­dard­lö­sung. Bevor sich aber bewähr­te Pro­zes­se in einem Betrieb tat­säch­lich ändern, ver­ge­hen Mona­te bis Jah­re. Die­se Zeit sind wir aber auch bereit mitzugehen.

OT: Haben Anwender:innen bereits ein Bewusst­sein für nach­hal­ti­ge Hilfs­mit­tel und ein Bedürf­nis danach entwickelt?

Hell­mich: Der Trend in der Gesell­schaft ist ein­deu­tig und all­ge­gen­wär­tig. Wir ver­spü­ren aktu­ell noch kei­nen Druck von Anwender:innen, die natur­ba­sier­te oder „nach­hal­ti­ge­re“ Hilfs­mit­tel aktiv ein­for­dern, aber wir möch­ten die­se Vor­rei­ter­rol­le ger­ne ein­neh­men und bereit sein, wenn es dazu kommt. Wir sehen hier aber auch eine Mög­lich­keit für Ortho­pä­die­be­trie­be, sich aktiv zu posi­tio­nie­ren, einen pas­sen­den Schaft her­stel­len zu kön­nen, zum Bei­spiel aus Flachs­fa­sern, wenn Nach­hal­tig­keit ein wich­ti­ger Aspekt im Leben der Anwender:innen ist.

OT: Stich­wort Kos­ten: Sind Pro­duk­te der „Green­Line“ gegen­über ver­gleich­ba­ren Pro­duk­ten teu­rer? Kön­nen mög­li­che Mehr­kos­ten durch nach­hal­ti­ge Mate­ria­li­en auch gegen­über Kos­ten­trä­gern gel­tend gemacht werden?

Hell­mich: Zum Preis­aspekt kann ich kei­ne end­gül­ti­ge Aus­kunft geben. Aber es wird sicher­lich mög­lich sein, einen Schaft aus Flachs­fa­sern her­zu­stel­len, wenn er zuvor aus Car­bon­fa­sern gefer­tigt wur­de. Die Mög­lich­keit, Mehr­kos­ten für Mate­ria­li­en aus nach­wach­sen­den Roh­stof­fen gegen­über dem Kos­ten­trä­ger gel­tend zu machen, ist mir nicht bekannt, wür­de ich aber unter­stüt­zen. Anrei­ze die­ser Art sind not­wen­dig, um eine Ver­än­de­rung herbeizuführen.

OT: Wel­chen Bene­fit haben die Anwender:innen durch die ­Ver­wen­dung sol­cher Produkte?

Hell­mich: In der Ver­gan­gen­heit gab es hoch­wer­ti­ge Ver­sor­gun­gen und da soll es in Zukunft auch kei­nen Unter­schied geben. Die Qua­li­tät muss gewähr­leis­tet sein. Etwas ande­res ist die per­sön­li­che Ebe­ne. Ein Hilfs­mit­tel, eine Pro­the­se, der Schaft, eine indi­vi­du­el­le Orthe­se, sind sehr per­sön­li­che Din­ge, und die Iden­ti­fi­ka­ti­on mit der Ver­sor­gung bezie­hungs­wei­se dem Hilfs­mit­tel ist enorm wich­tig für die Akzep­tanz. Soll­te die­se auf­grund einer natur­ba­sier­te­ren Ver­sor­gung stei­gen, haben wir und die Orthopädietechniker:innen einen tol­len Bene­fit für die Anwender:innen geschaffen.

Die Fra­gen stell­te Hei­ko Cordes.

 

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