OT: Bis zur Auflösung des ZVOS und der Neugründung des neuen Spitzenverbandes war es von außen betrachtet ein steiniger Weg. Wie haben Sie die Entwicklung wahrgenommen?
Jens Schulte: Es war ein langer Anlauf und zeitweise anstrengend, aber da es keine wirklichen Alternativen gab, war ich immer überzeugt, wir bekommen das hin.
Bernd Rosin-Lampertius: Auch aus meiner internen Sichtweise war es ein steiniger und mühseliger Weg, zumal auch ein Scheitern durchaus im Rahmen des Möglichen gewesen ist. Letztlich war aber allen Beteiligten klar, dass ein Scheitern fatale Folgen gehabt hätte.
OT: Ist mit der Neugründung des Spitzenverbandes die größte Hürde bereits genommen oder steht sie erst noch bevor?
Rosin-Lampertius: Die Neugründung ist erst der Startschuss und in dem folgenden Dauer- und Hindernislauf sind nur die ersten Hindernisse zu erkennen, weitere werden mit Sicherheit folgen.
Schulte: Jetzt stehen die tagespolitischen Herausforderungen an.
OT: „Stirbt der Zentralverband, stirbt das Handwerk“, sagte Werner Dierolf 2019 im Rahmen der Übergabe des Vorsitzes an Stephan Jehring und mit Blick auf die massiven Unstimmigkeiten innerhalb des ZVOS. Dieses Szenario konnten Sie mit der Neugründung abwenden. Die Erwartungen aber sind hoch. Wie gehen Sie mit dieser Verantwortung um?
Rosin-Lampertius: Ja, dieses Worst-Case-Szenario einer verbandspolitischen Zersplitterung ist mit der Gründung des SpiOST abgewendet. Ansonsten kann ich hier natürlich nur für mich sprechen. Aber die mit der Vorstandsarbeit verbundene Verantwortung empfinde ich nicht als Last. Ich habe klare Vorstellungen, von denen ich überzeugt bin und die ich umsetzen möchte.
Schulte: Die Erwartungen sind hoch – zu Recht. Mir ist klar, dass man kritisch auf uns schaut, insbesondere auf meine Person. Aber wir werden unser Bestes geben und durch unsere Leistung überzeugen. Zumal wir von unserem Konzept überzeugt sind, das auch von unseren Mitgliedsinnungen getragen wird. Darüber hinaus ist die Zusammenarbeit im Vorstand fantastisch. Ich hoffe, dass wir diesen Spirit lange mitnehmen können.
Keine Lücke zulassen
OT: Angestrebt wird ein nahtloser Übergang vom ZVOS zum SpiOST: Wie genau soll der aussehen?
Schulte: Indem wir hier keine Lücke zulassen, sondern umgehend die Aufgaben eines Bundesverbandes übernehmen. Die Formalien werden brauchen, aber die Arbeit wird angepackt und geleistet.
Rosin-Lampertius: Da muss man definieren, was man als nahtlosen Übergang versteht. Einerseits ist der SpiOST nicht der Rechtsnachfolger des ZVOS und andererseits wird es formalrechtlich an der deutschen Bürokratie, nämlich einer zeitnahen Eintragung ins Vereinsregister, scheitern. Unabhängig davon werden wir jedoch durch unsere Arbeit kein Vakuum zulassen. Andererseits waren viele Beteiligte und Innungen auch Mitglied im ZVOS, so dass wir nicht bei null anfangen und deshalb die Punkte und Aufgaben übernehmen, die in der Natur einer beruflichen Interessenvertretung liegen.
OT: 105 Jahre gab es den ZVOS. Wie viel Tradition des ZVOS wird im SpiOST weiterleben?
Schulte: Sowohl in unseren Mitgliedsinnungen als auch in unserem Vorstand sind Persönlichkeiten vertreten, die im und für den ZVOS engagiert waren. Das wird auch im
SpiOST weiterwirken.
OT: Nicht alle Landes- und regionalen Innungen gehören dem SpiOST an. Vertritt der Spitzenverband dennoch die Interessen der Mehrheit der OST-Betriebe?
Schulte: Auf jeden Fall. Wenn ich jetzt noch die Interessensbekundungen von Betrieben zum Maßstab mache, die mit dem Gedanken einer Einzelmitgliedschaft spielen, repräsentieren wir alle Bundesländer in Ost und West.
Rosin-Lampertius: Selbstverständlich, denn nicht nur, dass er die meisten Betriebe vertritt, sondern darüber hinaus ist er gleichmäßig auf die alten und die neuen Bundesländer verteilt. Und damit sind noch nicht einmal die Mitgliedsanfragen von Betrieben aus Innungsbereichen angesprochen, die noch nicht Mitglied im SpiOST sind. Bei der Fragestellung werden wir aber mit großem Fingerspitzengefühl vorgehen.
OT: Warum ziehen nicht alle Innungen mit?
Schulte: Unser Konzept überzeugt hier noch nicht. Ich sage bewusst „noch“ und hoffe auch hier, dass sich das mit zunehmenden Erfolgen ändern wird. Die Türen sind aber in beide Richtungen offen und wir werden sie nutzen, zum Wohle aller Betriebe in Deutschland.
Rosin-Lampertius: Hier gab es unterschiedliche inhaltliche Vorstellungen und wir konnten mit unserem Konzept einer eher dezentralen Struktur nicht überzeugen. Das finde ich aber noch nicht problematisch, solange man sich im Austausch befindet und uns die Chance gegeben wird zu überzeugen, was im Augenblick gegeben ist.
Verantwortung auf viele Schultern verteilen
OT: „Das haben wir schon immer so gemacht“ ist mit Sicherheit kein erfolgsversprechendes Leitmotiv. Was wollen Sie ändern, damit sich der Spitzenverband zu einer starken Vertretung der OST-Branche im Bund entwickeln kann?
Schulte: Erreichen wollen wir das durch unser dezentrales Konzept, das die einzelnen Innungen stärker einbindet und damit einen geschlossenen, flexiblen und damit schlagkräftigen Verbund gewährleistet. Das ist natürlich mit mehr Verantwortung für die einzelne Mitgliedsinnung verbunden, die sich dadurch aber auf viele Schultern verteilt.
OT: Gibt es dennoch Dinge, an die Sie anknüpfen möchten?
Rosin-Lampertius: Ja, denn wir fangen ja nicht bei null an, sondern werden sukzessive die verbandspolitischen Aufgaben übernehmen, die eine berufspolitische Interessenvertretung zu leisten hat. Und da war der ZVOS ja keineswegs untätig.
OT: Welche Ziele haben Sie sich für die Zukunft gesteckt?
Schulte: Wir möchten uns als eine einheitliche bundesweite Vertretung aller Betriebe der Orthopädie-Schuhtechnik etablieren und haben dabei den Anspruch, in kürzester Zeit als kompetenter Bundesverband wahrgenommen zu werden.
Rosin-Lampertius: Ziel ist ein schneller Aufbau einer schlagkräftigen und flexiblen Verbandsstruktur, verbunden mit einer deutlichen personellen Verjüngung.
OT: Welche konkreten Projekte wollen Sie priorisiert angehen?
Schulte: Bestehende Kontakte nicht abreißen lassen und diese mit dem SpiOST zu verbinden.
Rosin-Lampertius: Wir wollen ein politisches Netzwerk systematisch nach außen aufbauen und die Kommunikationsprozesse nach innen optimieren.
Profil schärfen
OT: Was sind aktuell die größten Herausforderungen der OST-Branche? Wie wollen Sie diesen begegnen?
Rosin-Lampertius: Die größten Herausforderungen dürften nicht auf die OST begrenzt sein, nämlich die zunehmende Digitalisierung, verbunden mit neuen Marktteilnehmern sowie die Abhängigkeit von politischen Entscheidungen in Verbindung mit zunehmenden Verteilungskonflikten. In diesem Kontext muss die Orthopädie-Schuhtechnik jedoch ihr Profil stärken. Das bedarf aber einer umfassenden Strategie, die bisher nur andiskutiert wurde und nun eine strategische Hauptaufgabe des neuen Vorstands sein dürfte.
OT: Wo sehen Sie den SpiOST in fünf Jahren?
Schulte: Weit vorn, als flexibler und schlagkräftiger Verband. Ich werde dafür das mir Mögliche tun.
Rosin-Lampertius: An der Spitze des Hindernis- und Hürdenlaufs.
Die Fragen stellte Pia Engelbrecht.
Ende Juni 2022 war der Beschluss einstimmig von den Mitgliedern erfolgt. Nun steht der Termin offiziell fest: Der Zentralverband Orthopädieschuhtechnik (ZVOS) wird zum 31. Dezember 2022 aufgelöst. Die Vorstandsmitglieder Stephan Jehring, Thomas Ehrle und Birgit Funk-Kleinknecht werden ab dem 1. Januar 2023 die Abwicklung als Liquidator:innen durchführen. Die Gläubiger:innen können nun ihre Ansprüche geltend machen und anmelden. Möglich ist das vom 1. Januar bis 30. Juni 2023 unter der Postanschrift: Zentralverband Gesundheitshandwerk Orthopädieschuhtechnik, Ricklinger Stadtweg 92, 30459 Hannover oder per E‑Mail an info@zvos.de. Vom 1. Juli bis 31. Dezember 2023 müssen die Ansprüche direkt bei Stephan Jehring (Talstr. 5, 08248 Klingenthal) angemeldet werden.
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