Hüft­or­the­se zur Coxarthrose-Therapie

Wenn jeder Schritt schmerzt, wird Bewegung oft vermieden. Dabei ist sie gerade bei der Behandlung von Cox­arthrose essenziell. Können Orthesen dabei unterstützen? Dieser Frage ist das Bio-Motion-Center des Instituts für Sport und Sportwissenschaften am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) nachgegangen und hat dafür den Einfluss der von Bauerfeind entwickelten CoxaTrain untersucht.

Für die OT stellt Stu­di­en­lei­te­rin Han­nah Stein­gre­be die Ergeb­nis­se vor, beschreibt, was der Orthe­sen­ein­satz für den Ver­sor­gungs­all­tag von Patient:innen und Behandler:innen bedeu­ten kann, und macht deut­lich, wel­che Fra­gen (noch) unbe­ant­wor­tet bleiben.

Anzei­ge

OT: Cox­ar­thro­se ist nach der Gonar­thro­se die häu­figs­te Gelenk­er­kran­kung. Wel­che kon­ser­va­ti­ven The­ra­pie­me­tho­den sind etabliert?

Han­nah Stein­gre­be: Im Bereich der nicht­phar­ma­ko­lo­gi­schen The­ra­pien ist haupt­säch­lich die Bewe­gungs­the­ra­pie eta­bliert. Dar­in ent­hal­ten sind aero­bes Trai­ning wie z. B. Rad­fah­ren, Wal­ken oder Schwim­men sowie Kraft­trai­ning. Erhöht wird die Wirk­sam­keit durch eine umfas­sen­de und beglei­ten­de Pati­en­ten­auf­klä­rung. Auch die Ernäh­rung ist ein wich­ti­ger Fak­tor im Bereich der kon­ser­va­ti­ven Behand­lung. Bei über­ge­wich­ti­gen Pati­en­ten kann sich zusätz­lich eine Gewichts­re­duk­ti­on posi­tiv auf das Schmerz­emp­fin­den auswirken.

OT: Cox­ar­thro­se und Orthe­sen­the­ra­pie – wie passt das zusammen?

Stein­gre­be: Bis­lang sind die Kennt­nis­se zum Nut­zen von Orthe­sen in der kon­ser­va­ti­ven The­ra­pie von Cox­ar­thro­se sehr begrenzt. Daher wer­den sie in den The­ra­pie­leit­li­ni­en zumeist auch nicht berück­sich­tigt. Dies ist auch legi­tim, da die Leit­li­ni­en Pati­en­ten vor unwirk­sa­men oder sogar kon­tra­pro­duk­ti­ven Behand­lun­gen schüt­zen sol­len. Es bedarf also drin­gend eines Wirk­sam­keits­nach­wei­ses für den Ein­satz von Orthe­sen in der Behand­lung der Cox­ar­thro­se. Genau dar­an arbei­ten wir zurzeit.

OT: Im ers­ten Schritt haben Sie in der Stu­die unter­sucht, wel­chen Ein­fluss Cox­ar­thro­se auf Gang­bild, Schmerz­emp­fin­den und Pro­prio­zep­ti­on der Betrof­fe­nen hat. Im zwei­ten Schritt, ob und in wel­chem Umfang die Cox­a­Train das Gang­bild ver­bes­sern und Schmer­zen redu­zie­ren kann. Wie wur­den die Daten erhoben?

Stein­gre­be: In unse­re Unter­su­chung haben wir zwei Grup­pen von Per­so­nen ein­ge­schlos­sen: eine Grup­pe von Per­so­nen mit mil­der bis mode­ra­ter uni­la­te­ra­ler Cox­ar­thro­se sowie eine Grup­pe mit gesun­den Kon­troll­pro­ban­den, die der Arthro­se­grup­pe hin­sicht­lich Alter, BMI und Geschlech­ter­ver­tei­lung glich. Mit bei­den Grup­pen haben wir eine bio­me­cha­ni­sche Bewe­gungs­ana­ly­se von ver­schie­de­nen All­tags­be­we­gun­gen (z. B. Gehen, Trep­pen­stei­gen) durch­ge­führt. Zusätz­lich haben wir über einen Win­kel­re­pro­duk­ti­ons­test die Pro­prio­zep­ti­on im Hüft­ge­lenk und über einen 6‑Mi­nu­ten-Wal­king-Test die funk­tio­nel­le Kapa­zi­tät erfasst. So konn­ten wir zunächst die durch die Cox­ar­thro­se her­vor­ge­ru­fe­nen Ver­än­de­run­gen und Ein­schrän­kun­gen prä­zi­se erfas­sen. Anschlie­ßend wur­den die Cox­ar­thro­se­pa­ti­en­ten mit einer Hüft­or­the­se – Cox­a­Train der Bau­er­feind AG – ver­sorgt und die Unter­su­chung zu zwei Zeit­punk­ten wie­der­holt: unmit­tel­bar nach der Orthe­sen­ap­pli­ka­ti­on und nach einer Tra­ge­zeit von einer Woche. So konn­ten wir sowohl die kurz­fris­ti­gen als auch die mit­tel­fris­ti­gen Effek­te der Orthe­sen­ap­pli­ka­ti­on erfas­sen. Zusätz­lich wur­de das Schmerz­emp­fin­den in einer Refe­renz­wo­che sowie wäh­rend der Tra­ge­pha­se erfasst.

OT: Was sind die zen­tra­len Ergebnisse?

Stein­gre­be: Zunächst konn­ten wir zei­gen, dass die Pati­en­ten mit Cox­ar­thro­se lang­sa­mer und mit redu­zier­ter Schritt­län­ge gehen, ver­bun­den mit einer ver­min­der­ten Hüf­tex­ten­si­on und einem redu­zier­ten Bewe­gungs­ra­di­us in der Sagit­tal­ebe­ne. Die­se Ver­än­de­run­gen im Gang­bild spie­geln sich auch in einer redu­zier­ten Geh­stre­cke beim 6‑Mi­nu­ten-Wal­king-Test wider. Eine Ver­än­de­rung in der Hüft­pro­prio­zep­ti­on konn­ten wir hin­ge­gen nicht fest­stel­len. Nach einer Woche Orthe­sen­nut­zung nah­men die Gang­ge­schwin­dig­keit und die Schritt­län­ge zu, wodurch auch eine signi­fi­kant höhe­re Geh­stre­cke beim Wal­king-Test zurück­ge­legt wer­den konn­te. Trotz unver­än­der­tem Bewe­gungs­ra­di­us im Hüft­ge­lenk kam es zu einer Erhö­hung des exter­nen Hüft­ad­duk­ti­ons­mo­ments. Zusätz­lich nahm der Bewe­gungs­ra­di­us des Beckens für die Becken­kip­pung sowie ‑rota­ti­on zu. Die Pro­ban­den hat­ten zudem in der Tra­ge­pha­se signi­fi­kant redu­zier­te Schmer­zen bei Gang­be­we­gun­gen sowie einen redu­zier­ten Nachtschmerz.

OT: Gibt es auch Neben­wir­kun­gen bei der Nut­zung der Orthese?

Stein­gre­be: Von unse­ren 21 Stu­di­en­teil­neh­mern zeig­ten 18 eine Schmerz­re­duk­ti­on beim Gehen und 14 eine Reduk­ti­on der Nacht­schmer­zen. Bei den ver­blei­ben­den Pro­ban­den kam es durch die Orthe­sen­nut­zung nicht zu einer Ver­än­de­rung im Schmerz­emp­fin­den oder der Schmerz nahm sogar zu. Eine soge­nann­te Respon­der-Ana­ly­se unse­rer Daten, das heißt eine Ana­ly­se, war­um eini­ge Pro­ban­den posi­tiv und ande­re nicht oder nega­tiv auf die Inter­ven­ti­on reagie­ren, steht aller­dings noch aus.
Etwas, das man im Blick hal­ten muss, ist die orthe­sen­in­du­zier­te Erhö­hung der Becken­be­we­gung. Durch die enge Kop­pe­lung der Bewe­gung von Hüf­te, Becken und Len­den­wir­bel­säu­le ist es wahr­schein­lich, dass auch die Mobi­li­tät in der Len­den­wir­bel­säu­le ver­än­dert wird. Gera­de Pati­en­ten mit Cox­ar­thro­se lei­den häu­fig unter Schmer­zen im unte­ren Rücken. Jedoch ist die Ergeb­nis­la­ge zum Zusam­men­hang von Becken­be­we­gung und Schmer­zen im unte­ren Rücken wider­sprüch­lich. Um den Ein­fluss der Becken­be­we­gung zu bewer­ten, soll­te dazu eine Ana­ly­se der LWS-Bewe­gung sowie der lang­fris­ti­gen Orthe­sen­ef­fek­te erfolgen.

OT: Wie war die Com­pli­ance der Nutzer:innen?

Stein­gre­be: Die Orthe­se wur­de von unse­ren Stu­di­en­teil­neh­mern sehr gut ange­nom­men. Vie­le unse­rer Pro­ban­den woll­ten die Orthe­se auch nach Stu­di­en­en­de ger­ne wei­ter­nut­zen. Die hohe Com­pli­ance zeigt sich auch in der durch­schnitt­li­chen Tra­ge­dau­er von 10,1 (± 3,5) Stun­den pro Tag, wel­che weit über der von uns vor­ge­ge­be­nen Min­dest­tra­ge­dau­er von 4 Stun­den pro Tag liegt. Dabei ist es aber sehr wich­tig, die Pati­en­ten gera­de am Anfang der Tra­ge­pha­se inten­siv zu beglei­ten, um even­tu­el­le Schwie­rig­kei­ten beim Anle­gen der Orthe­se schnell zu lösen oder auch Ver­än­de­run­gen in der Orthe­sen­kon­fi­gu­ra­ti­on vorzunehmen.

OT: Haben Orthe­sen wie die Cox­a­Train Gren­zen? Wann sind ande­re Maß­nah­men wie Ope­ra­tio­nen notwendig?

Stein­gre­be: In unse­re Stu­die haben wir aus­schließ­lich die Effek­te der Orthe­se bei Pati­en­ten mit mil­der bis mode­ra­ter Cox­ar­thro­se unter­sucht. Die bil­den auch die Pati­en­ten­grup­pe, für die tra­di­tio­nell kon­ser­va­ti­ve Metho­den in Betracht gezo­gen wer­den. Ob auch Pati­en­ten mit schwerg­ra­di­ge­rer Cox­ar­thro­se vom Tra­gen einer Orthe­se pro­fi­tie­ren kön­nen, muss erst noch unter­sucht wer­den. Grund­sätz­lich kann man sagen, dass, wenn die Schmer­zen zu groß wer­den und die Lebens­qua­li­tät stark ein­ge­schränkt ist, eine ope­ra­ti­ve Behand­lung in Betracht gezo­gen wer­den sollte.

OT: Wel­che Schluss­fol­ge­run­gen zie­hen Sie aus den Ergeb­nis­sen? Was bedeu­ten die Stu­di­en­ergeb­nis­se für den Ver­sor­gungs­all­tag von Ärzt:innen, Orthopädietechniker:innen und Physiotherapeut:innen?

Stein­gre­be: Unse­re Stu­di­en­ergeb­nis­se zei­gen, dass das Tra­gen der Orthe­se mit­tel­fris­tig die Schmer­zen redu­zie­ren und die funk­tio­nel­le Kapa­zi­tät erhö­hen kann. Dies kann sicher­lich dazu bei­tra­gen, dass die Pati­en­ten ihren All­tag akti­ver gestal­ten kön­nen, was sich wie­der­um posi­tiv auf die Lebens­qua­li­tät aus­wirkt. Unse­re Stu­die gibt also einen ers­ten Hin­weis dar­auf, dass Orthe­sen eine Opti­on in der kon­ser­va­ti­ven The­ra­pie bei Cox­ar­thro­se sein kön­nen. Wenn Ärz­te bei der indi­vi­du­el­len The­ra­pie­pla­nung mehr Aus­wahl­mög­lich­kei­ten haben, führt das ins­ge­samt zu einem bes­se­ren The­ra­pie­kon­zept für jeden ein­zel­nen Patienten.

OT: Kann die Cox­a­Train auch bei anspruchs­vol­len Alltags­bewegungen wie Trep­pen­stei­gen oder beim Sport eine Unter­stüt­zung sein?

Stein­gre­be: Durch ihre fle­xi­ble Bau­wei­se ist die Cox­a­Train grund­sätz­lich auch für das Tra­gen bei anspruchs­vol­le­ren All­tags­be­we­gun­gen und auch beim Sport geeig­net. In unse­rer Stu­die wur­de unter ande­rem auch das Kur­ven­ge­hen unter­sucht, wel­ches vor allem in der Fron­tal- und Trans­ver­sal­ebe­ne mehr Mobi­li­tät im Hüft­ge­lenk erfor­dert als nor­ma­les Gehen. Auch bei die­ser Bewe­gung konn­ten wir posi­ti­ve Effek­te durch das Tra­gen der Orthe­se fest­stel­len. Ob und wie die Orthe­se bei sport­li­chen Bewe­gun­gen wirkt, haben wir noch nicht unter­sucht. Dies ist aber für Fol­ge­stu­di­en ein inter­es­san­tes Feld, da es sowohl für die Behand­lung der Cox­ar­thro­se als auch den all­ge­mei­nen gesund­heit­li­chen Zustand wich­tig ist, den Pati­en­ten zu ermög­li­chen, sport­lich aktiv zu sein und zu bleiben.

OT: Sind noch Fra­gen offen? Sind wei­te­re Stu­di­en geplant?

Stein­gre­be: Die Stu­di­en­la­ge zur Wir­kung von Orthe­sen bei Cox­ar­thro­se ist immer noch sehr ein­ge­schränkt. Wir haben mit unse­rer Stu­die nun ers­te grund­le­gen­de Erkennt­nis­se gewin­nen kön­nen. Den­noch blei­ben noch vie­le Fra­gen unge­klärt, zum Bei­spiel: Wie sind die lang­fris­ti­gen Effek­te der Orthe­sen­nut­zung? Kann durch das kon­ti­nu­ier­li­che Tra­gen einer Orthe­se ein ope­ra­ti­ver Ein­griff ver­hin­dert oder zumin­dest ver­zö­gert wer­den? Wie wirkt sich das Tra­gen der Orthe­se auf benach­bar­te Gelen­ke wie z. B. das Knie­ge­lenk oder die Ili­o­sa­kral­ge­len­ke aus? Was pas­siert durch das Tra­gen der Orthe­se bei sport­li­chen Bewe­gun­gen wie dem Ren­nen oder Rad­fah­ren? Um Orthe­sen als fes­ten Bestand­teil im The­ra­pie­plan für Cox­ar­thro­se zu ver­an­kern, bedarf es hier noch wei­te­rer For­schung. Ich bin aber sicher, dass hier in den kom­men­den Jah­ren noch eini­ges pas­sie­ren wird.

Die Fra­gen stell­te Pia Engelbrecht.

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