Jein, findet Prof. Dr. Dirk Peschke, Professor für Versorgungsforschung an der Hochschule für Gesundheit in Bochum, und hofft, mit dem Projekt SmArt‑E (Smartphone-assistiertes Arthrosetraining mit Edukation) die positiven Effekte von klassischer Physiotherapie vor Ort mit denen digitaler Anwendungen kombinieren zu können.
SmArt‑E ist ein Trainings- und Edukationsprogramm, das zunächst in ausgewählten Physiotherapiepraxen angeleitet wird und anschließend mit Unterstützung einer App von zu Hause aus fortgeführt werden kann. Ob dieses Programm – auch im Vergleich zur Regelversorgung – (kosten)effektiv ist, soll eine multizentrische Studie der Bochumer Hochschule für Gesundheit (die von Prof. Dr. Dirk Peschke, Prof. Dr. Christian Grünberg und Prof. Dr. Christian Thiel geleitet wird) gemeinsam mit weiteren Kooperationspartnern zeigen. Zum Ende des Jahres 2022 sind die ersten von geplant 330 Proband:innen gruppenweise (wenige einzeln) in die erste Phase, die Präsenzphase, gestartet, andere steigen gerade in die darauf folgende Distanzphase ein. In den ersten sechs bis zwölf Wochen kommen die Testgruppen an zwölf Terminen in den teilnehmenden Physiotherapiepraxen zusammen. Gemeinsam mit den eigens für das Programm geschulten Therapeut:innen geht es hier aber nicht nur um das Training, also die Übungen, selbst. Wie das „E“ in SmArt‑E vermuten lässt, spielt auch Edukation eine Rolle. Das heißt, die Teilnehmenden werden mit weiteren Informationen und Tipps rund um das Thema Arthrose versorgt: Was versteht man unter der Erkrankung? Wie lässt sich das Training trotz Schmerzen gestalten? Und was ist zu tun, wenn die Motivation schwindet? Während dieser Phase wird bereits die App genutzt. Der Übergang zur Distanzphase, also zum eigenverantwortlichen Training zu Hause, gestaltet sich dadurch nicht abrupt. Durch den Kontakt soll sichergestellt werden, dass die Proband:innen die Übungen richtig ausführen. Wer Zweifel hat, kann seine Therapeut:innen über die Chat- und Videofunktion kontaktieren. Diese erfahren über die App automatisch auch, wie anspruchsvoll und schmerzhaft die einzelnen Übungen waren und ob Anpassungsbedarf besteht. Die Kontrollgruppe dagegen nimmt die übliche Regelversorgung in Anspruch.
Motivation durch Gruppe und App
Berücksichtigt die App ebenfalls die individuellen Bedürfnisse der Nutzer:innen? „Wir haben uns stark am Versorgungsalltag orientiert und deswegen kein Standardprogramm entwickelt“, bejaht Projektleiter Dirk Peschke die Frage. Die Therapeut:innen können die Übungen für alle Patient:innen – und somit abhängig von Ausgangslage, anderen Erkrankungen oder Therapieziel – einzeln auswählen. Und werden so tatsächlich Beweglichkeit, Kraft sowie Aktivität gesteigert und gleichzeitig Schmerzen reduziert? Das werden die Studienergebnisse 2025 zeigen. Die ersten Rückmeldungen der Teilnehmer:innen lassen Peschke optimistisch in die Zukunft schauen. „Die Physiotherapeuten leiten sehr gut an, motivieren und gehen auf die Bedürfnisse jedes Einzelnen ein“, zitiert er. Ein weiterer Pluspunkt: die soziale Unterstützung. Durch die Gruppenstruktur treffen Menschen mit gleicher Erkrankung und ähnlichen Problemen aufeinander und können sich dank der überschaubaren Größe (jeweils 5 bis 8 Personen) austauschen. Spaß ist kein zu unterschätzender Erfolgsfaktor. Geht er mit Ende der Präsenz- und damit Gruppenphase verloren? „Es können sich Teilnehmende mit ähnlichen Interessen wie Radfahren oder Schwimmen vernetzen und zum Beispiel Trainingstandems bilden. Das ist ihnen überlassen“, so Peschke. Der Motivationscoach in Phase zwei ist dann die App. Und die hat verschiedene animierende Elemente. Die App gibt den Nutzer:innen Feedback, zeigt zum Beispiel die täglich erreichten Aktivitätsminuten an, auch im Abgleich mit einem selber festgelegten Ziel, sowie das Erreichen der geplanten Übungen. Zudem fordert sie ein Patientenfeedback zu den einzelnen Übungen und die Reflektion von Edukationsinhalten ein. Von Lösungen, die nur appbasiert sind, hält Peschke wenig und wenn dann nur für sehr ausgewählte Patientengruppen. Ohne Präsenzphase ist ihm das Training zu unsicher. Nach Halbzeit der Distanzphase finden erneut einige Vor-Ort-Termine statt. Therapeut:innen und Patient:innen besprechen hier u. a., ob die Integration von Training und Aktivität in den eigenen Alltag gelungen ist.
Auch die teilnehmenden Physiotherapeut:innen schätzen die Gruppendynamik. Man höre aber auch heraus, so der Projektleiter, dass es – besonders mit Blick auf die Edukationsinhalte – einer intensiven Vorbereitung bedarf und dass sie sich auf solch eine neue Routine im Praxisalltag erst einmal einstellen müssen.
Selbstmanagement ist entscheidend
„Es braucht neue Versorgungsformen“, ist Peschke überzeugt. Oftmals gebe es eine Unterversorgung, heißt, nicht alle an Arthrose Erkrankten erhalten eine konservative Versorgung, oder aber es liegt eine Fehlversorgung vor, sprich, Operationen werden ohne vorherige konservative Versorgung gemacht. „Es ist wenig erforscht, aber es gibt in einzelnen Studien Hinweise darauf, dass bei der konservativen Therapie beispielsweise die Trainingsumfänge nicht so weit erreicht werden, wie es notwendig wäre, um ausreichend Muskelkraft aufzubauen und die Koordination zu verbessern.“ Ein weiterer wichtiger Aspekt: Es zeige sich, dass das Leben nicht dahingehend geändert wird, dass die Patient:innen das Training als festen Bestandteil ihres Alltags auffassen. Genau das ist laut Peschke aber entscheidend für den Erfolg der Therapie. Betroffene könnten – allein schon aus ökonomischen Gründen – nicht ein Leben lang regelmäßig zur Physiotherapiepraxis geschickt werden. Und: Aus der Erfahrung weiß er, dass viele Patient:innen diese ständigen Termine auch gar nicht möchten. Die Frage sei also: Wie kann man es schaffen, Erkrankte die notwendigen Kompetenzen aufbauen zu lassen, sodass sie ihr Training selbstständig steuern können und dennoch nicht allein gelassen werden? Dafür hat das Forschungsteam das Konzept Blended Care aufgegriffen, das auf eine Kombination von persönlichen mit digitalen Kontakten zwischen Patient:innen und Therapeut:innen setzt. Ein wichtiger Faktor in diesem Zusammenhang: Selbstmanagement. „Es braucht einen Kulturwandel – aufseiten der Leistungserbringer und der Patienten.“ Die Devise „Ich behandle und repariere“ müsse sich wandeln in „Ich befähige Menschen dazu, möglichst selbstständig für ihre Gesundheit zu sorgen“ – vorausgesetzt, es gibt Programme, die das ermöglichen. In einigen Praxen werde dieses Prinzip bereits gelebt, damit bilden sie laut Peschke aber nicht die Regel, sondern die Ausnahme, wobei die Studienlage zugegebenermaßen hier jedoch dünn sei. Was während der Physiotherapieeinheiten an Interaktion geschieht und wie sich das anschließend im Alltag der Patient:innen auswirkt, das ist für Pesche zwar keine Black‑, aber immer noch eine Greybox.
Im Sommer 2024 soll die Intervention mit den Proband:innen abgeschlossen sein, ein Jahr später die gesamte Studie. Peschke hofft auf positive Ergebnisse, also im Vergleich zur Kontrollgruppe auf eine Steigerung der Funktionen sowie eine deutliche Schmerzreduktion, um so den Weg in die Regelversorgung zu ebnen. „Unserer Vorstellung nach soll SmArt‑E in Zukunft fester Bestandteil der physiotherapeutischen Arbeit werden“, betont er und sieht in dieser Integration neuer Versorgungskonzepte und digitaler Techniken einen wichtigen Beitrag, um die Physiotherapie künftig zu professionalisieren.
Pia Engelbrecht
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