Hoch­schu­le erprobt SmArt‑E

Sechs Termine à 15 bis 25 Minuten, danach muss in Eigenverantwortung weiter trainiert werden. Der bekannte innere Schweinehund stellt sich jedoch nicht selten in den Weg. Wäre bei Hüft- und Kniearthrose eine Digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) für das Training zu Hause die Lösung?

Jein, fin­det Prof. Dr. Dirk Pesch­ke, Pro­fes­sor für Ver­sor­gungs­for­schung an der Hoch­schu­le für Gesund­heit in Bochum, und hofft, mit dem Pro­jekt SmArt‑E (Smart­phone-assis­tier­tes Arth­ro­se­trai­ning mit Edu­ka­ti­on) die posi­ti­ven Effek­te von klas­si­scher Phy­sio­the­ra­pie vor Ort mit denen digi­ta­ler Anwen­dun­gen kom­bi­nie­ren zu können.

Anzei­ge

SmArt‑E ist ein Trai­nings- und Edu­ka­ti­ons­pro­gramm, das zunächst in aus­ge­wähl­ten Phy­sio­the­ra­pie­pra­xen ange­lei­tet wird und anschlie­ßend mit Unter­stüt­zung einer App von zu Hau­se aus fort­ge­führt wer­den kann. Ob die­ses Pro­gramm – auch im Ver­gleich zur Regel­ver­sor­gung – (kosten)effektiv ist, soll eine mul­ti­zen­tri­sche Stu­die der Bochu­mer Hoch­schu­le für Gesund­heit (die von Prof. Dr. Dirk Pesch­ke, Prof. Dr. Chris­ti­an Grün­berg und Prof. Dr. Chris­ti­an Thiel gelei­tet wird) gemein­sam mit wei­te­ren Koope­ra­ti­ons­part­nern zei­gen. Zum Ende des Jah­res 2022 sind die ers­ten von geplant 330 Proband:innen grup­pen­wei­se (weni­ge ein­zeln) in die ers­te Pha­se, die Prä­senz­pha­se, gestar­tet, ande­re stei­gen gera­de in die dar­auf fol­gen­de Distanz­pha­se ein. In den ers­ten sechs bis zwölf Wochen kom­men die Test­grup­pen an zwölf Ter­mi­nen in den teil­neh­men­den Phy­sio­the­ra­pie­pra­xen zusam­men. Gemein­sam mit den eigens für das Pro­gramm geschul­ten Therapeut:innen geht es hier aber nicht nur um das Trai­ning, also die Übun­gen, selbst. Wie das „E“ in SmArt‑E ver­mu­ten lässt, spielt auch Edu­ka­ti­on eine Rol­le. Das heißt, die Teil­neh­men­den wer­den mit wei­te­ren Infor­ma­tio­nen und Tipps rund um das The­ma Arthro­se ver­sorgt: Was ver­steht man unter der Erkran­kung? Wie lässt sich das Trai­ning trotz Schmer­zen gestal­ten? Und was ist zu tun, wenn die Moti­va­ti­on schwin­det? Wäh­rend die­ser Pha­se wird bereits die App genutzt. Der Über­gang zur Distanz­pha­se, also zum eigen­ver­ant­wort­li­chen Trai­ning zu Hau­se, gestal­tet sich dadurch nicht abrupt. Durch den Kon­takt soll sicher­ge­stellt wer­den, dass die Proband:innen die Übun­gen rich­tig aus­füh­ren. Wer Zwei­fel hat, kann sei­ne Therapeut:innen über die Chat- und Video­funk­ti­on kon­tak­tie­ren. Die­se erfah­ren über die App auto­ma­tisch auch, wie anspruchs­voll und schmerz­haft die ein­zel­nen Übun­gen waren und ob Anpas­sungs­be­darf besteht. Die Kon­troll­grup­pe dage­gen nimmt die übli­che Regel­ver­sor­gung in Anspruch.

Moti­va­ti­on durch Grup­pe und App

Berück­sich­tigt die App eben­falls die indi­vi­du­el­len Bedürf­nis­se der Nutzer:innen? „Wir haben uns stark am Ver­sor­gungs­all­tag ori­en­tiert und des­we­gen kein Stan­dard­pro­gramm ent­wi­ckelt“, bejaht Pro­jekt­lei­ter Dirk Pesch­ke die Fra­ge. Die Therapeut:innen kön­nen die Übun­gen für alle Patient:innen – und somit abhän­gig von Aus­gangs­la­ge, ande­ren Erkran­kun­gen oder The­ra­pie­ziel – ein­zeln aus­wäh­len. Und wer­den so tat­säch­lich Beweg­lich­keit, Kraft sowie Akti­vi­tät gestei­gert und gleich­zei­tig Schmer­zen redu­ziert? Das wer­den die Stu­di­en­ergeb­nis­se 2025 zei­gen. Die ers­ten Rück­mel­dun­gen der Teilnehmer:innen las­sen Pesch­ke opti­mis­tisch in die Zukunft schau­en. „Die Phy­sio­the­ra­peu­ten lei­ten sehr gut an, moti­vie­ren und gehen auf die Bedürf­nis­se jedes Ein­zel­nen ein“, zitiert er. Ein wei­te­rer Plus­punkt: die sozia­le Unter­stüt­zung. Durch die Grup­pen­struk­tur tref­fen Men­schen mit glei­cher Erkran­kung und ähn­li­chen Pro­ble­men auf­ein­an­der und kön­nen sich dank der über­schau­ba­ren Grö­ße (jeweils 5 bis 8 Per­so­nen) aus­tau­schen. Spaß ist kein zu unter­schät­zen­der Erfolgs­fak­tor. Geht er mit Ende der Prä­senz- und damit Grup­pen­pha­se ver­lo­ren? „Es kön­nen sich Teil­neh­men­de mit ähn­li­chen Inter­es­sen wie Rad­fah­ren oder Schwim­men ver­net­zen und zum Bei­spiel Trai­ning­stan­dems bil­den. Das ist ihnen über­las­sen“, so Pesch­ke. Der Moti­va­ti­ons­coach in Pha­se zwei ist dann die App. Und die hat ver­schie­de­ne ani­mie­ren­de Ele­men­te. Die App gibt den Nutzer:innen Feed­back, zeigt zum Bei­spiel die täg­lich erreich­ten Akti­vi­täts­mi­nu­ten an, auch im Abgleich mit einem sel­ber fest­ge­leg­ten Ziel, sowie das Errei­chen der geplan­ten Übun­gen. Zudem for­dert sie ein Pati­en­ten­feed­back zu den ein­zel­nen Übun­gen und die Reflek­ti­on von Edu­ka­ti­ons­in­hal­ten ein. Von Lösun­gen, die nur app­ba­siert sind, hält Pesch­ke wenig und wenn dann nur für sehr aus­ge­wähl­te Pati­en­ten­grup­pen. Ohne Prä­senz­pha­se ist ihm das Trai­ning zu unsi­cher. Nach Halb­zeit der Distanz­pha­se fin­den erneut eini­ge Vor-Ort-Ter­mi­ne statt. Therapeut:innen und Patient:innen bespre­chen hier u. a., ob die Inte­gra­ti­on von Trai­ning und Akti­vi­tät in den eige­nen All­tag gelun­gen ist.

Auch die teil­neh­men­den Physiotherapeut:innen schät­zen die Grup­pen­dy­na­mik. Man höre aber auch her­aus, so der Pro­jekt­lei­ter, dass es – beson­ders mit Blick auf die Edu­ka­ti­ons­in­hal­te – einer inten­si­ven Vor­be­rei­tung bedarf und dass sie sich auf solch eine neue Rou­ti­ne im Pra­xis­all­tag erst ein­mal ein­stel­len müssen.

Selbst­ma­nage­ment ist entscheidend

„Es braucht neue Ver­sor­gungs­for­men“, ist Pesch­ke über­zeugt. Oft­mals gebe es eine Unter­ver­sor­gung, heißt, nicht alle an Arthro­se Erkrank­ten erhal­ten eine kon­ser­va­ti­ve Ver­sor­gung, oder aber es liegt eine Fehl­ver­sor­gung vor, sprich, Ope­ra­tio­nen wer­den ohne vor­he­ri­ge kon­ser­va­ti­ve Ver­sor­gung gemacht. „Es ist wenig erforscht, aber es gibt in ein­zel­nen Stu­di­en Hin­wei­se dar­auf, dass bei der kon­ser­va­ti­ven The­ra­pie bei­spiels­wei­se die Trai­nings­um­fän­ge nicht so weit erreicht wer­den, wie es not­wen­dig wäre, um aus­rei­chend Mus­kel­kraft auf­zu­bau­en und die Koor­di­na­ti­on zu ver­bes­sern.“ Ein wei­te­rer wich­ti­ger Aspekt: Es zei­ge sich, dass das Leben nicht dahin­ge­hend geän­dert wird, dass die Patient:innen das Trai­ning als fes­ten Bestand­teil ihres All­tags auf­fas­sen. Genau das ist laut Pesch­ke aber ent­schei­dend für den Erfolg der The­ra­pie. Betrof­fe­ne könn­ten – allein schon aus öko­no­mi­schen Grün­den – nicht ein Leben lang regel­mä­ßig zur Phy­sio­the­ra­pie­pra­xis geschickt wer­den. Und: Aus der Erfah­rung weiß er, dass vie­le Patient:innen die­se stän­di­gen Ter­mi­ne auch gar nicht möch­ten. Die Fra­ge sei also: Wie kann man es schaf­fen, Erkrank­te die not­wen­di­gen Kom­pe­ten­zen auf­bau­en zu las­sen, sodass sie ihr Trai­ning selbst­stän­dig steu­ern kön­nen und den­noch nicht allein gelas­sen wer­den? Dafür hat das For­schungs­team das Kon­zept Blen­ded Care auf­ge­grif­fen, das auf eine Kom­bi­na­ti­on von per­sön­li­chen mit digi­ta­len Kon­tak­ten zwi­schen Patient:innen und Therapeut:innen setzt. Ein wich­ti­ger Fak­tor in die­sem Zusam­men­hang: Selbst­ma­nage­ment. „Es braucht einen Kul­tur­wan­del – auf­sei­ten der Leis­tungs­er­brin­ger und der Pati­en­ten.“ Die Devi­se „Ich behand­le und repa­rie­re“ müs­se sich wan­deln in „Ich befä­hi­ge Men­schen dazu, mög­lichst selbst­stän­dig für ihre Gesund­heit zu sor­gen“ – vor­aus­ge­setzt, es gibt Pro­gram­me, die das ermög­li­chen. In eini­gen Pra­xen wer­de die­ses Prin­zip bereits gelebt, damit bil­den sie laut Pesch­ke aber nicht die Regel, son­dern die Aus­nah­me, wobei die Stu­di­en­la­ge zuge­ge­be­ner­ma­ßen hier jedoch dünn sei. Was wäh­rend der Phy­sio­the­ra­pie­ein­hei­ten an Inter­ak­ti­on geschieht und wie sich das anschlie­ßend im All­tag der Patient:innen aus­wirkt, das ist für Pesche zwar kei­ne Black‑, aber immer noch eine Greybox.

Im Som­mer 2024 soll die Inter­ven­ti­on mit den Proband:innen abge­schlos­sen sein, ein Jahr spä­ter die gesam­te Stu­die. Pesch­ke hofft auf posi­ti­ve Ergeb­nis­se, also im Ver­gleich zur Kon­troll­grup­pe auf eine Stei­ge­rung der Funk­tio­nen sowie eine deut­li­che Schmerz­re­duk­ti­on, um so den Weg in die Regel­ver­sor­gung zu ebnen. „Unse­rer Vor­stel­lung nach soll SmArt‑E in Zukunft fes­ter Bestand­teil der phy­sio­the­ra­peu­ti­schen Arbeit wer­den“, betont er und sieht in die­ser Inte­gra­ti­on neu­er Ver­sor­gungs­kon­zep­te und digi­ta­ler Tech­ni­ken einen wich­ti­gen Bei­trag, um die Phy­sio­the­ra­pie künf­tig zu professionalisieren.

Pia Engel­brecht

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