Prof. Dr. David Matusiewicz, Dekan des Hochschulbereichs Gesundheit & Soziales der FOM Hochschule mit 30 Hochschulzentren in Deutschland und Österreich fordert angesichts der zunehmenden Digitalisierung im Gesundheitswesen ein Umdenken der Krankenhäuser. Im Gespräch mit der OT-Redaktion erklärt der Betriebswirtschaftswissenschaftler, auf welcher Grundlage das Geschäftsmodell von Krankenhäusern zukünftig basieren könnte.
OT: Warum halten Sie das bisherige Geschäftsmodell von Krankenhäusern für überholt?
Prof. Dr. David Matusiewicz: Generell gilt, dass sich Systeme alle 10 bis 15 Jahre auf Veränderungen einstellen müssen. Im Gesundheitssystem ist es jetzt Zeit dafür, damit die neuen technischen Möglichkeiten abgebildet werden und Innovationen im Markt ankommen können. Derzeit fi nanzieren sich die Krankenhäuser über das in Deutschland im Jahr 2003 eingeführte System der „Diagnosis Related Groups (DRGs)“. Dieses System ist kurz vor dem Erodieren. Viel zu komplex sind die Krankheitsbilder, als dass sie sich in den Fallpauschalen noch abbilden lassen und vor allem wird hier der Aspekt der Qualität außer Acht gelassen. Gerade in den kleineren Kliniken gibt es bei einigen Krankheitsbildern viel zu geringe Fallzahlen, um die Patienten gut zu versorgen. Zu diesem Schluss kommt ja auch die im Juli veröffentlichte Bertelsmann-Studie. Die Autoren der Studie empfehlen eine Verringerung der aktuell knapp 1.400 Krankenhäuser in Deutschland auf deutlich unter 600 Häuser, um die Qualität der Versorgung für Patienten zu verbessern und bestehende Engpässe bei Ärzten und Pfl egepersonal zu mildern.
OT: Inwieweit taugen medizinische Daten als Geschäftsmodell?
Matusiewicz: Wir beobachten derzeit eine spannende Entwicklung. Erste Genossenschaften betreiben, selbstverständlich nur mit Einverständnis der jeweiligen Personen, mit den Daten ihrer Mitglieder einen Handel. Im Gegenzug erhalten die Mitglieder zum Beispiel kostenfreie Services oder werden in Form von Euro oder digitaler Währungen wie Bitcoin bezahlt. Gesundheitsdaten werden stückweise eine Währung. Smart Data, also qualitativ hochwertige Daten, machen das möglich. Zur Bekämpfung seltener Erkrankungen kann man so beispielsweise auf Daten weltweit zugreifen.
OT: Was müssen Krankenhäuser und ihre Kooperationspartner bei diesem Modell beachten?
Matusiewicz: Das ist noch völlig unklar. Zunächst sollten sich die Krankenhausleitungen bewusst werden, was für ein Asset, also Vermögenswert, Gesundheitsdaten für sie darstellen. Wenn sie dann im zweiten Schritt mit externen Experten an technischen Lösungen arbeiten, müssen sie unbedingt darauf achten, dass ihr Know-how nicht an die Partner abfließt. Hier liegt eine große Gefahr! Daher empfehle ich den Häusern, eigene Strukturen zu errichten, damit die Kompetenz im Unternehmen bleibt.
OT: Wie wird die zunehmende Digitalisierung in den Krankenhäusern die Zusammenarbeit mit weiteren Leistungserbringern wie Orthopädie-Technikern beeinflussen?
Matusiewicz: Schon jetzt beobachten wir die Tendenz zur Netzwerkmedizin, ob auf regionaler oder überregionaler Ebene, die den Patienten auf der Reise „Patient Journey“ begleitet. Von der engen Zusammenarbeit zwischen Krankenhäusern und weiteren Leistungserbringern profi tieren alle Seiten: Die Wartezeiten verkürzen sich und dem Patienten steht das gebündelte Fachwissen zur Verfügung. Diese Tendenz – der Aufbruch der klassischen Struktur von stationären auf der einen und ambulanter Versorgung auf der anderen Seite – wird sich verstärken. Ich bin mir sicher, dass der Patient künftig den Schlüssel zu seinen Daten in der Hand hält. Er entscheidet als Administrator seiner Daten, welcher Institution, welchem Arzt oder Leistungserbringer er Zugang dazu gewährt.
OT: Welche Businessmodelle könnten sich aus den Veränderungen in den Krankenhäusern zukünftig auch für Leistungserbringer in nicht-medizinischen Gesundheitsberufen ergeben?
Matusiewicz: Ob Leistungserbringer oder nicht, die Plattformökonomie ist schon jetzt sehr spannend und wird noch stärker werden. Warum soll es denn nicht möglich sein, etwa den eigenen Fuß per Smartphone einzuscannen und die Daten zwecks Diagnose und Versorgungsempfehlung zu verschicken? Oder denken Sie an das große Feld des Monitorings. Das kontinuierliche Beobachten von relevanten Gesundheitsdaten und Weiterleiten an Experten bietet große Chancen. Digital vor ambulant vor stationär – müsste es zeitgemäß heißen.
OT: Welche Chancen und Risiken sehen Sie für den Fall, dass Sprachassistenten direkt mit Menschen interagieren?
Matusiewicz: Ich sehe das nicht schwarz oder weiß, auch wenn uns natürlich im Bereich Datenschutz Missbrauchsfälle bekannt sind. Wir sollten uns vielmehr darauf konzentrieren, welche Möglichkeiten uns in Zukunft mit den Innovationen zur Verfügung stehen. Entwicklungen wie „Alexa“ (Sprachassistent von Amazon) sind noch sehr jung. Sie haben Kinderkrankheiten. Aber grundsätzlich ist die direkte Ansprache gerade von älteren Menschen durch intelligente Systeme von Vorteil. Sie nehmen die Schwellenangst der Menschen vor Computern und tippen muss auch niemand mehr.
Die Fragen stellte Ruth Justen.
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