Der Coach kümmert sich beispielsweise an der Bundesfachschule für Orthopädie-Technik (Bufa) in einem Seminar genau um Menschen in dieser Rolle im Sanitätshaus. Was die Teilnehmenden erwartet und welche Herausforderungen auf Menschen in diesen Positionen warten, das erläutert er im OT-Interview.
OT: Herr Schmidt, eine grundsätzliche Frage: Wie viel Führung ist 2024 in einem Sanitätshaus nötig?
Friedrich W. Schmidt: Viel, sehr viel. Ihr kommt sogar eine zentrale Bedeutung zu. Warum? Die Gesundheitsbranche unterliegt ständigen Veränderungen, sei es durch technologische Fortschritte, gesetzliche Anpassungen oder demografische Entwicklungen. Führungskräfte in Sanitätshäusern müssen in der Lage sein, flexibel auf diese Veränderungen zu reagieren und ihre Organisation entsprechend anzupassen. Mit zunehmendem Fokus auf Qualitätssicherung und Patientensicherheit sind klare Führungsrichtlinien unerlässlich. Führungskräfte müssen sicherstellen, dass ihre Sanitätshäuser die relevanten Qualitätsstandards und Zertifizierungen erfüllen, um Vertrauen bei Patienten, Partnern und den Gesundheitsbehörden zu gewährleisten. Gerade die Bedürfnisse der Patienten stehen dabei im Mittelpunkt der Gesundheitsversorgung. Hier spielen die Führungskräfte in Sanitätshäusern eine Schlüsselrolle. Sie haben die Aufgabe, eine patientenzentrierte Kultur zu fördern, die sich auf hohe Servicequalität, individuelle Betreuung und die Integration neuer Technologien zur Verbesserung der Patientenerfahrung konzentriert.
Moderne Führung trifft auf etablierte Strukturen
OT: Können Sie aus ihrer Erfahrung heraus berichten, wie sich das Thema Führung im Sanitätshaus verändert hat?
Schmidt: Sanitätshäuser werden größer. Einkaufsgemeinschaften haben sich gebildet. Work-Life-Balance spielt im Bereich der Mitarbeitenden eine stärker werdende Rolle. Frauen besetzen immer häufiger Führungspositionen. Junge, frisch ausgebildete Meister kommen in die Betriebe. Ihr Wissenstand ist „State of the Art“. Sie treffen nicht selten auf Strukturen im Betrieb, die von Ritualen geprägt sind. Diesen Herausforderungen adäquat zu begegnen und altgediente Teammitglieder mitzunehmen, war zwar schon immer ein wichtiger Führungsaspekt, hat aber durch die eben beschriebenen Punkte eine Dynamik bekommen.
OT: In einem Sanitätshaus gibt es häufig verschiedene Führungsebenen. In einem Seminar der Bundesfachschule für Orthopädie-Technik gehen Sie auf die Sandwich-Position ein, die in der mittleren Ebene anzusiedeln ist. Können Sie erklären, was diese Position ausmacht?
Schmidt: In der Sandwich-Position, die auch als Mittlerrolle bekannt ist, stehen Personen oft „zwischen den Stühlen“. Einerseits Mitarbeitender, andererseits Führungsverantwortlicher. Eine der zentralen Herausforderungen dieser Position besteht darin, effektiv zwischen den Erwartungen und Bedürfnissen der Vorgesetzten/Inhaberschaft sowie denen der Mitarbeiter zu navigieren. Dies erfordert ausgeprägte Kommunikations- und Konfliktlösungsfähigkeiten, um sicherzustellen, dass die Anliegen beider Seiten berücksichtigt werden. Oft kommen die Personen aus dem produzierenden Umfeld, waren selbst in der Werkstatt als Mitarbeitender aktiv. Hier den Spagat zu finden zwischen Handwerk und Führung fordert die Menschen im Bereich ihres Zeit- und Ressourcenmanagements. Das ist in dieser Position besonders anspruchsvoll, da die Sandwich-Position oft mit einem erhöhten Arbeitsaufkommen und eben vielfältigen Verantwortlichkeiten verbunden ist. Daher ist es entscheidend, eine ausgewogene Balance zu finden, um den Anforderungen von oben und unten gerecht zu werden und gleichzeitig die eigene Effizienz und Arbeitszufriedenheit zu wahren.
Mitarbeitende müssen sich im „Sandwich“ zurecht finden
OT: Warum brauchen Mitarbeitende in dieser Position ein besonderes Coaching?
Schmidt: Mitarbeitende in der Sandwich-Position können von einem Coaching beziehungsweise von einem Training stark profitieren, das auf ihre speziellen Herausforderungen und Verantwortlichkeiten zugeschnitten ist. Ein solches Coaching beziehungsweise Training muss verschiedene Aspekte abdecken. Zum Beispiel das Konfliktmanagement: Da Personen in der Sandwich-Position zwischen verschiedenen Hierarchieebenen agieren, ist es wichtig, ihnen Techniken des Konfliktmanagements beizubringen. Dies kann dazu beitragen, effektiv mit unterschiedlichen Erwartungen und Interessen umzugehen. Ein weiterer Aspekt ist die Kommunikationsfähigkeit. Ein besonderer Fokus auf Kommunikationsfähigkeiten ist entscheidend. Das Ziel: klare und effektive Kommunikation sowohl mit Vorgesetzten als auch Mitarbeitenden zu fördern, um Missverständnisse zu minimieren. Zeit- und Stressmanagement: Aufgrund der erhöhten Verantwortung und der Notwendigkeit, zwischen verschiedenen Aufgaben zu jonglieren, ist außerdem ein Coaching im Bereich Zeit- und Stressmanagement wichtig, um eine ausgewogene Arbeitsbelastung zu gewährleisten. Und schließlich Selbstführung: Mitarbeitende in der Sandwich-Position müssen, wie auf jeder Führungsebene, vor allem in der Lage sein, sich selbst zu führen. Dies beinhaltet die Identifizierung von Prioritäten, die effiziente Nutzung von Ressourcen und die Pflege der eigenen Arbeitszufriedenheit.
Betriebsgröße hat Einfluss, ob ein Sandwich entsteht
OT: Welche Herausforderungen kommen ausschließlich in der Sandwich-Position auf einen zu?
Schmidt: Die Antwort ergibt sich eigentlich aus dem vorher Gesagten, abhängig von der Reife der Person, aber auch abhängig von der Größe des Betriebes. Wenn zum Beispiel ein Abteilungsleiter einen Geschäftsführer als vorgesetzte Führungskraft hat und verantwortlich ist für drei, vier Teamleitungen, dann ist er bezogen auf seine Situation auch in einer Sandwich-Position.
Führungskraft und Untergebener – wie ist die Wahrnehmung?
OT: Einerseits sind die Mitarbeitenden Führungskräfte, andererseits Untergebene – wie wird diese Ambivalenz von außen wahrgenommen?
Schmidt: Die Wahrnehmung der Ambivalenz von Führungskräften der mittleren Ebene hängt von verschiedenen Faktoren ab und wird von den Mitarbeitenden unterschiedlich interpretiert werden. Widersprüchliche Verhaltensweisen, unklare Kommunikation sind die häufigsten Ursachen für ambivalente Wahrnehmungen. Wie verhält sich die Führungskraft in bestimmten Situationen? Ist sie berechenbar und konsistent? Ambivalente Führung könnte sich auch in der Art und Weise manifestieren, wie Führungskräfte kommunizieren. Unklare Botschaften oder widersprüchliche Anweisungen führen zu Unsicherheit und Verwirrung unter den Mitarbeitenden. Führungskräfte, die in ihrer Entscheidungsfindung unsicher oder unklar wirken, erzeugen Ambivalenz. Mitarbeitende könnten Schwierigkeiten haben, die Grundlagen für bestimmte Entscheidungen zu verstehen oder zu akzeptieren. Ambivalenz kann auch auftreten in der Art, wie Führungskräfte mit ihren Mitarbeitenden interagieren. Sind sie klar in ihrer Führung oder ein „Fähnchen im Wind“? Die Wahrnehmung von Ambivalenz hängt aber natürlich stark von der individuellen Perspektive der Mitarbeitenden ab. Einige könnten Ambivalenz als Flexibilität oder Anpassungsfähigkeit wahrnehmen, während andere sie als Unsicherheit oder Inkonsistenz interpretieren könnten. Deshalb grundsätzlich: Effektive Kommunikation, klare Erwartungen formulieren und ein konsistenter Führungsstil tragen dazu bei, die Ambivalenz zu minimieren und die Zusammenarbeit in einem Team zu verbessern.
OT: Können Sie umreißen, welche Fähigkeiten im Rahmen Ihres Seminars an der Bufa vermittelt werden?
Schmidt: Natürlich. Ich bringe es mal kurz auf den Punkt. Die zuvor beschriebenen Herausforderungen zu meistern, mit ihnen zukünftig besser umgehen zu können, die Hintergründe und das Handwerkszeug dazu sind wesentliche Bestandteile des Seminars. Der Leitgedanke nach Peter Drucker lautet: Eine Führungskraft kann und muss im Grunde nur eine Person führen: sich selbst. Selbstführung bedeutet, in der Lage sein, sich selbst zu führen. Prioritäten setzen, Ressourcen effektiv nutzen, Achtsamkeit. Techniken des Konfliktmanagements kennen und anwenden. Ein besonderer Fokus liegt auf Kommunikationsfähigkeiten. Ziel ist, die klare und effektive Kommunikation mit Vorgesetzten und Mitarbeitenden zu fördern. Hier erwartet die Teilnehmenden Handwerkszeug und Praxisrelevanz sowie „Ausflüge“ ins Zeitmanagement. Alles konkret auf die Bedarfe der Teilnehmenden bezogen.
No-Gos in der Führung vermeiden und To-dos erfolgreich umsetzen
OT: Was sind aus Ihrer Sicht No-Gos, die sich Personen in der mittleren Führungsebene verkneifen sollten?
Schmidt: „No-Gos“ ist so ein geflügelter Begriff geworden. Manchmal hilft es, sich auf alte Regeln zu besinnen: „Was du nicht willst, das man dir tut, das füg’ auch keinem andern zu.“ Ich finde deshalb To-dos spannender als sich mit No-Gos zu beschäftigen. Klare, offene Kommunikation im Team. Transparenz. Hinter dem Team stehen. Unterstützung bieten. Vertrauen und Motivation schaffen. Leistungen und Bemühungen der Teammitglieder anerkennen. Auf Konflikte innerhalb des Teams angemessen reagieren, konstruktiv lösen. Aufgaben effektiv delegieren, das Potenzial der Mitarbeiter voll ausschöpfen. Sich aktiv für die berufliche Entwicklung der Mitarbeitenden interessieren und Möglichkeiten zur Weiterentwicklung bieten. Kreativität und Eigenverantwortung der Mitarbeitenden fördern und stärken. Sicherstellen, dass alle Teammitglieder fair behandelt werden und Chancengleichheit gefördert wird. Mut als Führungskraft, eigenes Verhalten zu reflektieren und gegebenenfalls anzupassen. Klare Ziele setzen und sicherstellen, dass das Team sie versteht. Grundgedanke: Führungskräfte der mittleren Ebene spielen eine entscheidende Rolle bei der Umsetzung der Unternehmensziele und der Motivation der Mitarbeiter. Indem sie No-Gos vermeiden und diese To-dos umsetzen, können sie eine positive und produktive Arbeitsumgebung fördern.
OT: Was würden Sie einem Betriebsinhaber raten, dessen Mitarbeiter sich in der Sandwich-Position unwohl fühlen – lieber durchhalten und mit Coaching an der Aufgabe wachsen oder der Person ermöglichen, zunächst einmal einen Schritt zurückzugehen?
Schmidt: Diese Frage kann und muss individuell beantwortet werden. Beide Wege beinhalten Vor- und Nachteile. Ein Betriebsinhaber sollte sich aber vorab fragen, warum er ausgerechnet diese Person in die Rolle gebracht hat. Aber auch die Mitarbeitenden, denen die Sandwich-Rolle angetragen wird, sollten sich fragen, ist es der „Federschmuck des Häuptlings“, der mich reizt oder bin ich mir bewusst, dass die Übernahme der Rolle auch für mich Konsequenzen hat? Ich rate deshalb dringend, wenn die Entscheidung für eine Person gefallen ist, dieser möglichst schnell diese Fortbildung zu ermöglichen.
Die Fragen stellte Heiko Cordes.
Friedrich W. Schmidt ist seit 1986 Trainer/Coach und Unternehmensberater mit seiner Agentur „Schmidt – Training und Beratung“ in Herdecke. Der gelernte Krankenkassenbetriebswirt hält seit über 25 Jahren Vorträge, gibt Seminare und Schulungen für verschiedene Akteur:innen des Gesundheitswesens. Im Rahmen des Seminarprogramms der Bundesfachschule für Orthopädie-Technik (Bufa) in Dortmund spricht Schmidt beispielsweise über „Zwischen Chefin oder Chef und Team: Einfach, aber nicht leicht! Als „Sandwich“ überleben – Führen und geführt werden“ mit Mitarbeitenden aus Sanitätshäusern, die ihren Platz in der mittleren Führungsebene haben. Das nächste Seminar findet am 24. April von 9 bis 16 Uhr in Dortmund statt.
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