Fehl­ver­hal­ten im Gesund­heits­we­sen nimmt zu

Die Finanzierung des deutschen Gesundheitssystems ist aktuell eine große Herausforderung. Fast alle Kranken­kassen haben ihre Zusatzbeiträge erhöht – zum Teil deutlich. Deshalb ist es umso ärgerlicher, wenn es im System Teilnehmer gibt, die es betrügen und unrechtmäßig Geld entziehen.

Der GKV-Spit­zen­ver­band hat jüngst sei­nen nun­mehr ach­ten Bericht zum Fehl­ver­hal­ten im Gesund­heits­we­sen ver­öf­fent­licht. Das Fazit: Nach einem Rück­gang zu Anfang der Coro­na-Pan­de­mie sind in der zwei­ten Pan­de­mie­hälf­te die Fäl­le wie­der deut­lich ange­stie­gen. Für den Berichts­zeit­raum 2022/2023 doku­men­tier­te der GKV-Spit­zen­ver­band einen Scha­den in Höhe von über 200 Mil­lio­nen Euro. Zum Ver­gleich: 2020/2021 waren es noch 132 Mil­lio­nen Euro. Auf den Hilfsmittel­bereich ent­fal­len dabei exakt 13.739.873,77 Euro – ins­ge­samt Rang vier in den Leis­tungs­be­rei­chen. Ange­führt wird die Sta­tis­tik von Arz­nei- und Ver­bands­mit­teln mit 85,9 Mil­lio­nen Euro Scha­den, gefolgt von der häus­li­chen Kran­ken­pfle­ge (32,8 Mio. Euro) und Pfle­ge­ver­si­che­rung (29,7 Mio. Euro).

Wenig Aus­fall

Aller­dings ändert sich die Per­spek­ti­ve auf die­se Zahl, wenn man sieht, wie hoch die Quo­te bei den gesi­cher­ten For­de­run­gen ist. Wäh­rend bei­spiels­wei­se in der Pflege­versicherung rund 25 Mil­lio­nen Euro „offen“ blei­ben oder auch bei Arz­nei- und Ver­band­mit­tel den Kran­ken­kas­sen ca. 49 Mil­lio­nen Euro ent­ge­hen, sieht es im Bereich Hilfs­mit­tel deut­lich anders aus. 8.460.309 Euro gesi­cher­te For­de­run­gen ver­mel­det der GKV-Spit­zen­ver­band im Bereich Hilfs­mit­tel – das ent­spricht etwa 62 Prozent.

Dr. Mar­tin Kras­ney, Vor­stand des GKV-Spit­zen­ver­ban­des, sag­te anläss­lich der Ver­öf­fent­li­chung des Berichts: „Drei­stel­li­ge Mil­lio­nen­be­trä­ge, die durch Fehl­ver­hal­ten im Gesund­heits­we­sen ver­lo­ren­ge­hen, feh­len zugleich für die medi­zi­ni­sche und pfle­ge­ri­sche Ver­sor­gung der Men­schen. Dabei müs­sen wir lei­der noch von einer deut­lich höhe­ren Scha­dens­dun­kel­zif­fer aus­ge­hen. Seit über 20 Jah­ren bekämp­fen die Fehl­ver­hal­tens­stel­len der Kran­ken- und Pfle­ge­kas­sen den Abrech­nungs­be­trug und alle wei­te­ren For­men von Fehl­ver­hal­ten. Auf­grund der bestehen­den gesetz­li­chen Rege­lun­gen kön­nen sie dabei aber die neu­en tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten nicht nut­zen. Den Fehl­ver­hal­tens­stel­len muss des­we­gen ins­be­son­de­re die Mög­lich­keit gege­ben wer­den, Abrech­nungs­da­ten zen­tral an einer Stel­le pro­ak­tiv zusammenzu­führen. Mit­hil­fe von Künst­licher Intel­li­genz könn­ten so end­lich auch kri­mi­nel­le Sach­ver­hal­te erkannt wer­den, die mit den bis­he­ri­gen Mög­lich­kei­ten einer ein­zel­nen Kran­ken­kas­se nicht auf­ge­deckt wer­den kön­nen. Im Inter­es­se aller müs­sen auch die Kran­ken- und Pfle­ge­kas­sen die bestehen­den tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten nut­zen und wei­ter­ent­wi­ckeln dür­fen, um so den kri­mi­nel­len Machen­schaf­ten Ein­zel­ner bes­ser begeg­nen zu kön­nen. Die­se Weni­gen scha­den skru­pel­los den Bei­trags­zah­len­den und brin­gen damit gan­ze Berufs­grup­pen zu Unrecht in Miss­kre­dit. Dies muss mit allen zur Ver­fü­gung ste­hen­den Mit­teln bekämpft werden.“

Darstellung der tatsächlich entstandenen Schäden in Euro und der davon gesicherten Forderungen in Euro, nach betrof­fenen Leistungsbereichen. Quelle: GKV-Spitzenverband
Dar­stel­lung der tat­säch­lich ent­stan­de­nen Schä­den in Euro und der davon gesi­cher­ten For­de­run­gen in Euro, nach betrof­fenen Leis­tungs­be­rei­chen. Quel­le: GKV-Spitzenverband

Digi­ta­li­sie­rung beugt vor

Vor allem die Zahl pro­fes­sio­nell gefälsch­ter Papier­re­zep­te hat im Berichts­zeit­raum dras­tisch zuge­nom­men. Kri­mi­nel­len gelingt es dabei immer öfter, gefälsch­te Ver­ord­nun­gen für beson­ders hoch­prei­si­ge Arz­nei­mit­tel, wie z. B. Ozem­pic oder Moun­ja­ro, aber auch Schmerz­mit­tel wie Fen­ta­nyl oder Til­idin, in Apo­the­ken ein­zu­lö­sen, die dann zu Las­ten der Kos­ten­trä­ger abge­rech­net wer­den. Auch ver­gleichs­wei­se weni­ge Fäl­le ver­ur­sa­chen hier im Ergeb­nis hohe Scha­dens­sum­men. Die kon­se­quen­te Nut­zung des eRe­zep­tes dürf­te die­se Fäl­schun­gen in Zukunft aller­dings deut­lich erschwe­ren, for­mu­liert der Spit­zen­ver­band der Gesetz­li­chen Kran­ken­kas­sen hoffnungsvoll.

„Ver­hin­der­ter“ Schaden

Nach der Neu­re­ge­lung des § 197a Absatz 5 Satz 3 SGB V muss zukünf­tig im Fehl­ver­hal­tens­be­richt auch der „ver­hinderte Scha­den“ bezif­fert wer­den. Nach der Gesetzes­begründung soll hier der jewei­li­ge Gesamt­scha­den für die gesetz­li­che Kran­ken- und Pfle­ge­ver­si­che­rung berech­net wer­den, „der durch Prü­fun­gen ver­mie­den wer­den konnte“.

Doch wie soll der Scha­den ermit­telt wer­den? In Deutsch­land ist nicht defi­niert, wie im Gesund­heits­we­sen der ver­hin­der­te Scha­den ermit­telt wer­den kann. Etwa­ige Stu­di­en sind nicht in Auf­trag gege­ben wor­den, statt­des­sen rich­te­te sich der Blick nach Großbritannien.
Dort wird bereits eine amt­li­che Sta­tis­tik geführt, nach der nicht nur die Höhe der „gesi­cher­ten For­de­run­gen“ (reco­veries) und die Höhe der „ent­stan­de­nen Schä­den“ (detec­ted fraud) bezif­fert wer­den, son­dern auch die Höhe der „ver­hin­der­ten Schä­den“ (pre­ven­ted fraud). Die amt­li­chen Ver­öf­fent­li­chun­gen zei­gen zwar ein­drucks­voll, dass die Höhe der ver­hin­der­ten Schä­den dabei nicht nur die Höhe der gesi­cher­ten For­de­run­gen, son­dern sogar die Höhe der ent­stan­de­nen Schä­den regel­mä­ßig um ein Mehr­fa­ches über­steigt. Die amt­li­chen Ver­öf­fent­li­chun­gen las­sen aber bis­lang kei­ne tie­fer­ge­hen­den Rück­schlüs­se auf die inso­weit her­an­ge­zo­ge­nen Metho­den erken­nen. Auf Nach­fra­ge wur­de dem GKV-Spit­zen­ver­band bestä­tigt, dass allen nach­ge­ord­ne­ten Behör­den, wie z. B. auch der „Natio­nal Health Ser­vice Coun­ter Fraud Aut­ho­ri­ty“ (NHSCFA), von der Regie­rung im Rah­men des „Fraud Mea­su­re­ment and Assu­rance Pro­gram­me“ Bera­tungs­an­ge­bo­te und auto­ri­sier­te Leit­fä­den zum inter­nen Dienst­ge­brauch zur Ver­fü­gung gestellt wer­den. Die sach­li­che Zustän­dig­keit für die­ses Regie­rungs­pro­gramm wur­de zu Beginn des Jah­res 2022 aller­dings auf eine neue Behör­de über­tra­gen, die sich zunächst noch im Auf­bau befand, die „Public Sec­tor Fraud Aut­ho­ri­ty“ (PSFA). Ein Aus­tausch zwi­schen den bri­ti­schen und deut­schen Behör­den bezüg­lich des The­mas ist gewünscht und soll vorange­trieben werden.

 

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