Die Grund­pfei­ler gelun­ge­ner Kommunikation

Bandage, Orthese, Rollstuhl – wer ein Sanitätshaus betritt, erhofft sich eine Unterstützung für den Alltag. Aber welche „Hilfsmittel“ benötigen eigentlich die Mitarbeiter:innen? Denn nicht jedes Kundengespräch verläuft nach Plan.

Kom­mu­ni­ka­ti­ve Werk­zeu­ge kön­nen dabei hel­fen, her­aus­for­dern­de Gesprächs­si­tua­tio­nen erfolg­reich zu meis­tern. Wel­che das sind und wie sie ein­ge­setzt wer­den kön­nen, das ler­nen die Teilnehmer:innen in einem neu­en Semi­nar der Con­fairm­ed ken­nen. Im Gespräch mit der OT-Redak­ti­on erläu­tert Refe­ren­tin Julia Kam­lei­ter, Kom­mu­ni­ka­ti­ons­be­ra­te­rin, Manage­ment­coach und sys­te­mi­sche The­ra­peu­tin, wann Bera­tung anfängt und war­um eine wert­schät­zen­de Grund­hal­tung die Basis für jede Kom­mu­ni­ka­ti­on ist.

OT: In der Werk­statt braucht es Inbus­schlüs­sel, Säge, Fei­le und Co. Auch im Ver­kaufs­raum wird – wenn auch ande­res – Werk­zeug benö­tigt. War­um ist es für die Mitarbeiter:innen im Sani­täts­haus hilf­reich, ihren „Werk­zeug­kof­fer“ gezielt zusammenzustellen?

Julia Kam­lei­ter: Das ist ein tol­les Bild, das Sie da ver­bal zeich­nen, Frau Engel­brecht! Es stimmt. Auch in der Kom­mu­ni­ka­ti­on gibt es Werk­zeu­ge: die For­mu­lie­run­gen, die ich wäh­le, die Fra­gen, die ich stel­le, mei­ne Stim­me und natür­lich mei­ne Kör­per­spra­che. Die Men­schen, die ins Sani­täts­haus kom­men, befin­den sich oft in sen­si­blen Lebens­si­tua­tio­nen. Die Gesund­heit ist beein­träch­tigt, sie haben viel­leicht Schmer­zen, oder sie sind in Sor­ge um einen nahe­ste­hen­den Men­schen. Je vul­nerabler die Situa­ti­on ist, des­to wich­ti­ger ist es, wert­schät­zend und ver­ständ­nis­voll, aller­dings auch klar und ein­deu­tig mit dem Men­schen umzu­ge­hen. Da ist ein gut gefüll­ter Kom­mu­ni­ka­ti­ons-Werk­zeug­kof­fer Gold wert. Denn wie so oft im Leben liegt der gro­ße Unter­schied oft in den klei­nen Dingen.

OT: Ver­kaufs­ge­sprä­che fin­den in so ziem­lich jeder Bran­che statt. Inwie­fern unter­schei­det sich das Sani­täts­haus als Gesprächs­ort von anderen?

Kam­lei­ter: Ein gro­ßer Unter­schied ist, dass auch 2024 die aller­meis­ten Men­schen mit einem Rezept ins Sani­täts­haus kom­men. Das heißt, die Men­schen waren beim Arzt und hat­ten meis­tens einen Grund, dort­hin zu gehen. Der Arzt stellt eine Dia­gno­se und rezep­tiert ein dazu pas­sen­des Pro­dukt und mit die­sem Bedarf, den der Arzt ermit­telt hat, kom­men die Men­schen ins Sani­täts­haus. Sie wer­den also geschickt. Die meis­ten ande­ren Bran­chen müs­sen viel mehr dafür tun, ihre Kun­den ins Geschäft zu holen. Im Gespräch mit dem Kun­den geht es nun dar­um, her­aus­zu­fin­den, wel­ches Bedürf­nis die­ses Pro­dukt erfül­len soll. Ist das Basis­pro­dukt für den Kun­den aus­rei­chend? Wel­che Wün­sche hat er an die Qua­li­tät des Pro­dukts, die über die medi­zi­ni­sche Not­wen­dig­keit hin­aus­ge­hen? Eine gedank­li­che Brü­cke ist hier auch manch­mal das Bild: Das Rezept ist wie ein Gut­schein. Und den Betrag, der über den Rezept­wert hin­aus­geht, zahlt der Kun­de selbst. Ein wei­te­rer Unter­schied ist, dass der Kun­de im Sani­täts­haus – dem Fach­markt für die Hilfs­mit­tel – die Sicher­heit hat, hoch­wer­ti­ge Pro­duk­te zu erhal­ten. Alle Pro­duk­te, die eine Hilfs­mit­tel­num­mer besit­zen, haben ein auf­wen­di­ges Prüf­sys­tem durch­lau­fen. Selbst das preis­wer­tes­te Pro­dukt erfüllt die medi­zi­ni­sche Not­wen­dig­keit. Salopp gesagt: Im Sani­täts­haus gibt es kei­nen Ramsch. Und ein drit­ter Aspekt ist: Im Sani­täts­haus geht es immer um die Gesund­heit des Men­schen. Hier erle­be ich deutsch­land­weit in den Sani­täts­häu­sern nahe­zu immer, dass die Mit­ar­bei­ten­den wirk­lich hel­fen wol­len und sich sehr stark enga­gie­ren, um das Bes­te für den Kun­den her­aus­zu­ho­len. Es geht um das, was jeder Mensch nur ein­mal hat: sei­ne Gesundheit!

OT: Bera­tung beginnt schon, wenn sich die Laden­tür öff­net. Wie kann man die Kund:innen bereits in den ers­ten Sekun­den für sich gewinnen?

Kam­lei­ter: Ich gehe sogar noch einen Schritt wei­ter. Bera­tung beginnt schon lan­ge, bevor die Laden­tür sich öff­net: bei der inne­ren Hal­tung des Mit­ar­bei­ten­den. Wie blickt der Mit­ar­bei­ten­de auf die Pro­duk­te? Bewer­tet er sie selbst als teu­er oder sieht er, dass sie ihren Preis wert sind? Wie blickt er auf die Men­schen? Ist das Mit­leid im Vor­der­grund oder schafft er es, aus dem Geld­beu­tel des Kun­den aus­zu­stei­gen und die Ent­schei­dung über den Geld­beu­tel beim Kun­den zu las­sen? Wenn dann die Tür auf­geht, ist es am wich­tigs­ten, den Kun­den wahr­zu­neh­men. Ein Lächeln, ein Blick­kon­takt, ein freund­li­ches Nicken und ein Gruß sind auch 2024 Tür­öff­ner für Ver­trau­en und das Gefühl: In die­se Hän­de gebe ich mei­ne Gesund­heit gerne!

OT: Jeder Mensch und jedes Gespräch sind anders. Kann es über­haupt all­ge­mein­gül­ti­ge Regeln geben, die auf jede:n Kund:in anwend­bar sind?

Kam­lei­ter: Die Kom­mu­ni­ka­ti­on ist immer ein Uni­kat. Das steckt sogar schon in dem Wort Komm-uni­kat-ion. Den­noch gibt es eini­ge Punk­te, die in den meis­ten Fäl­len anwend­bar sind: Neh­men Sie den Kun­den bit­te wahr, sobald er zur Tür her­ein­kommt. Spre­chen Sie ihn bit­te mit Namen an – spä­tes­tens im daten­schutz­si­che­ren Bereich des Bera­tungs­raums und stel­len Sie sich auch mit Ihrem Namen vor –, das sorgt für eine pro­fes­sio­nel­le Atmo­sphä­re. Fra­gen Sie Ihren Kun­den nach sei­nen Erfah­run­gen und ach­ten Sie dar­auf, dass das Gespräch ein Dia­log bleibt. Eine wert­schät­zen­de Grund­hal­tung und das wirk­li­che Zuhö­ren, also das Wahr­neh­men des­sen, was der ande­re tat­säch­lich gesagt hat, die­nen als Basis für den Kon­takt zwi­schen Men­schen – auch im Kundenkontext.

OT: Wel­che Rol­le spielt dabei Spon­ta­ni­tät – und kann man sie lernen?

Kam­lei­ter: Bei den meis­ten Men­schen ent­wi­ckeln sich – je öfter sie etwas tun – Auto­ma­tis­men. Oft­mals mer­ken die Men­schen dann gar nicht mehr, was sie wirk­lich sagen oder tun. Sie machen das, was sie immer machen. Die­se Fähig­keit ist hilf­reich, weil es dadurch mög­lich wird, zügig und pro­fes­sio­nell zu arbei­ten und sich par­al­lel dazu noch mit dem Kun­den zu unter­hal­ten. Spon­ta­ni­tät ist wich­tig, um sich nach jedem Kun­den­ge­spräch spon­tan auf den nächs­ten Kun­den ein­zu­stel­len – ande­rer Mensch, ande­re Situa­ti­on, ande­re Bedürf­nis­se. Hier gilt es, die Balan­ce zu fin­den zwi­schen den rou­ti­nier­ten Abläu­fen und den indi­vi­du­el­len Bedürf­nis­sen und Gesprächssituationen.

OT: Sie selbst haben eine Schau­spiel­aus­bil­dung durch­lau­fen. Kann es – abseits der Büh­ne – auch in der Bera­tung von Vor­teil sein, ande­re Rol­len zu spielen?

Kam­lei­ter: Das stimmt – ich bin im Grund­be­ruf Büh­nen­schau­spie­le­rin. Im Grun­de genom­men ist der Ver­kaufs­raum die Büh­ne des Bera­ters. Hier gilt es, pro­fes­sio­nell zu agie­ren, die eige­nen pri­va­ten The­men „im Spind“ zu las­sen und sich ein­zu­stel­len auf den Men­schen, der sei­ne Gesund­heit in mei­ne Hän­de legt. Augen und Ohren für die­sen Men­schen zu haben und ihn dabei zu beglei­ten, sei­ne eige­ne Ent­schei­dung zu fin­den. Dabei kann bei­spiels­wei­se auch die Team­klei­dung hel­fen, in die Bera­ter­rol­le zu schlüp­fen, einen pro­fes­sio­nel­len Abstand zu wah­ren und in anstren­gen­den Situa­tio­nen ruhig zu bleiben.

OT: Wie bewahrt man sich dabei die eige­ne Authentizität?

Kam­lei­ter: Dazu ist es wich­tig, sich bewusst zu machen, was authen­tisch sein für mich bedeu­tet. Wann bin ich authen­tisch? Wir alle sind ja stän­dig in unter­schied­li­chen Rol­len – ich bei­spiels­wei­se bin Kom­mu­ni­ka­ti­ons­trai­ne­rin, Ehe­frau, Mut­ter, Freun­din und noch vie­les mehr. Wann bin ich in wel­cher Rol­le in wel­cher Situa­ti­on authen­tisch? Wie agie­re ich dann? Die Mit­ar­bei­ten­den im Sani­täts­haus sind in ihrer Rol­le als bera­ten­de Per­so­nen. Dabei geht es nicht dar­um, ob sie für sich per­sön­lich die Ban­da­ge als teu­er bewer­ten oder den preis­wer­te­ren Rol­la­tor auch aus­rei­chend fin­den. Ihre Auf­ga­be ist es, den Kun­den dabei zu beglei­ten, die Ent­schei­dung zu tref­fen, die für ihn, sei­ne Lebens­si­tua­ti­on, sei­ne gesund­heit­li­chen Bedürf­nis­se die rich­ti­ge ist.

OT: Wer im Sani­täts­haus arbei­tet, hat häu­fig mit sehr sensi­blen The­men und emo­tio­na­len Situa­tio­nen zu tun. Wie schafft man es, den­noch pro­fes­sio­nell zu blei­ben und das The­ma und die Gefüh­le des Gegen­übers nicht zu nah an sich heranzulassen?

Kam­lei­ter: Das stimmt. Die Mit­ar­bei­ten­den im Sani­täts­haus erle­ben die Betrof­fe­nen und ihre Ange­hö­ri­gen oft in Aus­nah­me­si­tua­tio­nen des Lebens. Es geht dar­um, sich genau das immer wie­der bewusst zu machen. Mein Gesprächs­part­ner meint in den aller­meis­ten Situa­tio­nen nicht mich per­sön­lich, wenn er emo­tio­nal wird. Er ist gestresst und im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes in „Not“! Dazu passt auch der schö­ne Satz: „Hin­ter jeder Wut steckt eine Not.“ Dar­über spre­che ich mit mei­nen Teil­neh­men­den oft, wenn es dar­um geht, mit den emo­tio­na­len Situa­tio­nen im All­tag umzu­ge­hen. Ech­tes Ver­ständ­nis zu zei­gen, den Blick auf das Posi­ti­ve zu behal­ten und im Zwei­fels­fall mit den rich­ti­gen Wor­ten eine Gren­ze zu set­zen, ist die wah­re Kunst in der Kommunikation.

OT: Sie selbst haben bestimmt schon vie­le her­aus­for­dern­de Gesprächs­si­tua­tio­nen erlebt. Wel­che ist Ihnen beson­ders in Erin­ne­rung geblie­ben? Und (wie) haben Sie die­se gemeistert?

Kam­lei­ter: Da haben Sie Recht und auch ich bin nur ein Mensch – mal gelingt es mir ein­fa­cher, die Situa­ti­on zu meis­tern und auch in mei­nem Leben gibt es Men­schen und Situa­tio­nen, die mei­ne „roten Knöp­fe“ her­vor­ra­gend drü­cken kön­nen. Bevor ich „aus der Haut fah­re“, drü­cke ich inner­lich „die emo­tio­na­le Pau­se­tas­te“ oder ver­las­se die Situa­ti­on. Als nächs­tes über­le­ge ich mir, wie die ande­re Per­son die Situa­ti­on wohl erlebt hat und wie sie sich viel­leicht gera­de fühlt. Dadurch fällt es mir leich­ter, die Situa­ti­on aus der Sicht des ande­ren zu betrach­ten, ich erwei­te­re mei­ne Wahr­neh­mung und meist fal­len mir vie­le Din­ge auf, die ich dem ande­ren posi­tiv zurück­mel­den könn­te. Ver­ste­hen kön­nen beginnt mit ver­ste­hen wol­len. Der Schlüs­sel dafür ist das Ver­ständ­nis zeigen.

OT: Trotz guter Vor­be­rei­tung kann ein Gespräch schief­lau­fen: Der Arbeits­tag ist zu Ende und der Frust hängt noch nach. Wel­che Wor­te soll­te man für sich selbst nach einem sol­chen Tag finden?

Kam­lei­ter: „Ich habe mein Bes­tes gege­ben, ein ande­res Bes­tes hat­te ich nicht.“ Und sich selbst die Fra­ge beant­wor­ten: „Was war das schöns­te Erleb­nis des Tages?“ – denn jeder Frust­tag hat­te auch einen schöns­ten Moment!

OT: Sie bie­ten für die Con­fairm­ed zwei Semi­na­re an. Sind die­se „für Anfän­ger“ und „für Fort­ge­schrit­te­ne“ geeig­net oder ist es sinn­voll, in jedem Fall erst den zwei­tei­li­gen Ein­stei­ger- und dann den Auf­bau­kurs zu besuchen?

Kam­lei­ter: Die Semi­na­re, die ich für Con­fairm­ed anbie­te, sind für alle Men­schen geeig­net, die sich für Kom­mu­ni­ka­ti­on und Gesprächs­füh­rung inter­es­sie­ren. Sie bau­en auf­ein­an­der auf und ver­mit­teln einen Ein­blick in die rie­si­ge Welt der Kom­mu­ni­ka­ti­on im Kon­text Sani­täts­haus. Men­schen, die neu im Sani­täts­haus anfan­gen, pro­fi­tie­ren viel­leicht auf eine ande­re Wei­se von die­sen drei Impul­sen als Men­schen, die schon vie­le Jah­re in der Bran­che sind. Da jeder Impuls nur einen hal­ben Tag geht, ist es auf jeden Fall sinn­voll, alle drei Bau­stei­ne zu besu­chen. 1,5 Tage Invest für etwas, das wir jeden Tag vie­le Stun­den tun, ist auf jeden Fall gut inves­tier­te Zeit.

OT: An wen rich­ten sich die bei­den Semi­na­re? Kön­nen auch Füh­rungs­kräf­te davon profitieren?

Kam­lei­ter: Die Semi­na­re rich­ten sich an alle Men­schen, die im Sani­täts­haus mit Men­schen kom­mu­ni­zie­ren. Der Kom­mu­ni­ka­ti­on ist es letzt­end­lich egal, ob eine Füh­rungs­kraft mit einem Mit­ar­bei­ten­den oder eine Bera­te­rin mit einem Kun­den spricht. Es geht immer dar­um, den Kon­takt zwi­schen Men­schen wei­ter­zu­ent­wi­ckeln. Was dabei den Pro­fi vom Lai­en unter­schei­det? Der Pro­fi weiß, dass es nötig ist, bestän­dig zu üben und zu trai­nie­ren, um sei­ne kom­mu­ni­ka­ti­ven und per­sön­li­chen Kom­pe­ten­zen zu erwei­tern und sei­ne Werk­zeu­ge zu schärfen.

Die Fra­gen stell­te Pia Engelbrecht.


Wei­te­re Infor­ma­tio­nen zu den Semi­na­ren sowie anste­hen­de Ter­mi­ne fin­den Sie unter confairmed.de.

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