DGIHV zieht OTWorld-Fazit

Die OTWorld in Leipzig mit Weltleitmesse und Weltkongress steht wie kaum eine andere Veranstaltung stellvertretend für die interprofessionelle Zusammenarbeit zwischen Vertreter:innen aus Technik, Medizin, Pflege und Therapie.

Des­we­gen betei­lig­te sich fol­ge­rich­tig auch die Deut­sche Gesell­schaft für inter­pro­fes­sio­nel­le Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung e. V. (DGIHV) als Koope­ra­ti­ons­part­ner am Pro­gramm des Welt­kon­gres­ses. Dabei wur­den zwei Work­shops und zwei Sym­po­si­en orga­ni­siert, deren inhalt­li­che Aus­ge­stal­tung von der Pro­the­tik über die Kin­der­or­tho­pä­die bis hin zur Pati­en­ten­ver­sor­gung und Pati­en­ten­er­he­bung reichte.

„Ich bin beein­druckt von der Exper­ti­se und dem Enga­ge­ment der inter­na­tio­na­len und inter­dis­zi­pli­nä­ren Refe­ren­ten und Teil­neh­mer beim Welt­kon­gress der OTWorld 2024“, erklär­te Univ.-Prof. Dr. Wolf­ram Mit­tel­mei­er, Vor­stands­vor­sit­zen­der der DGIHV. „Die von der DGIHV gestal­te­ten Work­shops und Sym­po­si­en haben ein­drucks­voll gezeigt, wie wich­tig der Blick auf die indi­vi­du­el­len Wahr­neh­mun­gen und Situa­tio­nen der Pati­en­ten bei der erfolg­rei­chen Pro­the­sen­ver­sor­gung ist. Eben­so sind Pati­en­ten­er­he­bun­gen und Regis­ter für die Qua­li­täts­si­che­rung in der Ortho­pä­die-Tech­nik unerlässlich.“

Im Work­shop „Unter-/Ober­schen­kel­pro­the­tik – Wie kon­trol­lie­re ich die Pass­form des Schaf­tes? Wie sehen die Abnah­me­kri­te­ri­en aus?“ befass­ten sich die Expert:innen mit der Über­prü­fung des Pro­the­sen­schaf­tes und den Abnah­me­kri­te­ri­en einer Pro­the­se. Den Anfang mach­te Ortho­pä­die­tech­ni­ker-Meis­ter Samu­el Wied­mann, der in sei­nem Bei­trag „Pass­form­kon­trol­le bei Ober- und Unter­schen­kel­pro­the­sen“ deut­lich mach­te, dass die Anwender:innen häu­fig über ähn­li­che Schaft­pro­ble­me, wie Druck am Stump­fen­de, berich­ten. Hin­ter solch gleich­lau­ten­den Aus­sa­gen kön­nen jedoch unter­schied­li­che Ursa­chen ste­hen. Der Ortho­pä­die­tech­ni­ker müs­se daher Maße und Kon­text­aus­sa­gen beson­ders im Blick behal­ten, so Wied­mann. Auch beim Anle­gen von Pro­the­sen soll­ten die Orthopädietechniker:innen anwe­send sein, da man­che Pro­ble­me bei die­sem Schritt schon sicht­bar wer­den. Mit Bild- und Video­ma­te­ri­al zeig­te Wied­mann am ech­ten Pati­en­ten und Ske­lett, wel­che Grif­fe am Schaft gemacht wer­den müs­sen, um die Pass­form zu über­prü­fen. Sein ein­dring­li­cher Appell: Jedem Ortho­pä­die­tech­ni­ker bzw. jeder Ortho­pä­die­tech­ni­ke­rin muss klar sein, dass man für die Kon­trol­le sehr nah an die Patient:innen her­an muss – auch in inti­me­re Berei­che. Anschlie­ßend behan­del­te Johan­nes Sie­gel das The­ma: „Abnah­me­kri­te­ri­en bei Unter­schen­kel- und Ober­schen­kel­pro­the­sen“. Er star­te­te sei­ne Aus­füh­run­gen mit einer Ein­ord­nung der Abnah­me der Pro­the­se inner­halb des Ver­sor­gungs­pro­zes­ses. Die­se fin­det wäh­rend der Qua­li­täts­kon­trol­le, in der auch das Reha­bi­li­ta­ti­ons­er­geb­nis über­prüft wird, statt. Zur Abnah­me ver­wen­de man bei sei­nem Unter­neh­men die Kri­te­ri­en, wel­che im Kom­pen­di­um „Qua­li­täts­stan­dard im Bereich Pro­the­tik der unte­ren Extre­mi­tät“ der DGIHV zu fin­den sind.

Frank Nau­mann eröff­ne­te das Sym­po­si­um „Kin­der­or­tho­pä­die: 3D-Prin­ting – neue Mög­lich­kei­ten in der Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung“ und ging der Fra­ge nach „Wer wächst schnel­ler, das Kind oder die Orthe­se?“. Ste­fan Kunz stell­te die „Con­cept 4D-Orthe­se von Kin­dern mit geburts­trau­ma­ti­scher Ple­xus-Pare­se“ vor, wäh­rend Sophia Rauch über „3D-Print Armor­the­sen mit Sim-Brace-Ver­fah­ren zur Funk­ti­ons­si­mu­la­ti­on im Ver­sor­gungs­pro­zess“ berich­te­te. Dabei erklär­te sie, wie im Sim-Brace-Ver­fah­ren die Funk­ti­on der Orthe­se noch vor der Fer­ti­gung und Anpas­sung simu­liert wird. Prof. Dr. Georg Oster­hoff beschäf­tig­te sich mit der Fra­ge „3D-Prin­ting indi­vi­du­el­le Ver­sor­gungs­mög­lich­kei­ten für Groß und Klein?“, ehe Prof. Mit­tel­mei­er in sei­nem Vor­trag „Ein­satz von dyna­mi­schem 3D-Prin­ting in der Schaft­ver­sor­gung von Klein­kin­dern“ die neu­es­ten Ent­wick­lun­gen in die­sem Feld dar­leg­te. Er gab Ein­blick in die Ver­laufs­stu­die der Ortho­pä­di­schen Kli­nik in Ros­tock, die eine beein­dru­cken­de Serie zur 3D-Schaft­ver­sor­gung von Klein­kin­dern mit Knie-Exar­ti­ku­la­tio­nen ver­folgt. Dank die­ses Ver­fah­rens konn­te das Alter der Ver­sorg­ten auf zwei Jah­re gesenkt werden.

„Pati­en­ten­ver­sor­gung sicher­stel­len und wie uns Regis­ter­for­schung dabei hilft: Eine inter­na­tio­na­le Per­spek­ti­ve“ lau­te­te der Titel des zwei­ten DGIHV-Sym­po­si­ums. Es beschäf­tig­te sich mit der Qua­li­täts­si­che­rung in der Pati­en­ten­ver­sor­gung und benann­te bei­spiel­haft inter­na­tio­na­le Regis­ter, die dabei unter­stüt­zen kön­nen. Olaf Gaw­ron star­te­te mit einem „Über­blick über die aktu­el­le pro­the­ti­sche Behand­lung in Deutsch­land“ und ver­deut­lich­te, dass es in Deutsch­land kei­ne Erhe­bun­gen der pro­the­ti­schen Ver­sor­gun­gen gibt. Dabei kann es ohne Erhe­bun­gen kei­ne Struk­tu­ren und kei­ne ein­heit­li­chen Reha­bi­li­ta­ti­ons­stan­dards geben. Daten­er­he­bun­gen sind für eine strin­gen­te Ver­sor­gungs­la­ge uner­läss­lich. Anschlie­ßend stell­te Timo Stehn, Geschäfts­füh­rer Endo­pro­the­sen­re­gis­ter Deutsch­land (EPRD) das Erfas­sungs­sys­tem EPRD-Edit vor. In die­sem Sys­tem sind etwa 2,85 Mil­lio­nen Doku­men­ta­tio­nen erfasst. Es unter­stützt Evi­denz­da­ten für die Medi­cal Device Regu­la­ti­on (MDR). Ein aktu­el­les Pro­jekt des EPRD gemein­sam mit dem Fraun­ho­fer Insti­tut und dem Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Hei­del­berg ist „ortho con­nect“, in dem Ver­läu­fe doku­men­tiert und Regis­ter ver­knüpft wer­den sol­len. Dann gab Prof. Dr. Ken­ton Kauf­man Ein­bli­cke in „Die Ent­wick­lung des ‚Limb Loss and Pre­ser­va­ti­on Regis­try (LLPR)‘ in den USA“. Das LLPR star­te­te 2022 die Erhe­bun­gen und erhält bereits Daten von 221 Stand­or­ten in den USA. Das Regis­ter umfasst bereits über 11 Mio. Behand­lungs­fäl­le und mehr als 400.000 indi­vi­du­el­le Pati­en­ten­da­ten. Damit sol­len Erkennt­nis­se gewon­nen wer­den, um eine qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­ge Ver­sor­gung zu defi­nie­ren. Auch Bengt Söder­berg konn­te mit „Swe­de­AMP – Erkennt­nis­se aus dem Land der Bewei­se“ zei­gen, dass es inter­na­tio­na­le Vor­bil­der gibt, die die Not­wen­dig­keit von Daten­er­he­bun­gen und Regis­ter­for­schun­gen bewei­sen. Den Abschluss mach­te Ortho­pä­die­tech­ni­ke­rin Julia Block mit ihrem Vor­trag „Zur Ent­wick­lung eines deut­schen Ampu­ta­ti­ons­re­gis­ters“. Sie stell­te das Pro­jekt AMP-Regis­ter des Medi­zi­nisch-Tech­ni­schen Kom­pe­tenz­zen­trums (MeT­KO) vor. In ihm wur­den die Fra­ge­bö­gen – Teil A für den Pati­en­ten und Teil B für den Exper­ten – der DGIHV zur Daten­er­he­bung in einer App ein­ge­bun­den. Das Ziel: Ver­sor­gungs­ab­läu­fe nicht ver­zö­gern und die Regie­rung zur Ein­füh­rung eines Regis­ters bewe­gen. Dies kann aber nur durch das ste­ti­ge Ein­pfle­gen von Daten funk­tio­nie­ren, des­halb soll die App zukünf­tig an bestehen­de Infra­struk­tu­ren und Sys­te­me ange­bun­den und um wei­te­re Anwen­der erwei­tert wer­den. Aller­dings müs­sen dafür auch die Ortho­pä­die­tech­ni­ker sen­si­bi­li­siert wer­den, wes­halb es im Zuge die­ses Pro­jekts auch Work­shops an Meis­ter­schu­len gibt.

Wie aus Theo­rie Pra­xis wird, das zeig­te sich direkt im Anschluss an das Sym­po­si­um. Denn im Work­shop „Pati­en­ten­er­he­bun­gen in der Ortho­pä­die­tech­nik – Ein­satz und Umset­zung im All­tag“ nahm Julia Block die Teil­neh­men­den mit und demons­trier­te die App des AMP-Regis­ters live im Vor­trags­raum. Zur Ein­stim­mung gab aller­dings Urban Daub mit sei­nem Bei­trag „Assess­ments in der Tech­ni­schen Ortho­pä­die: Was kann ich am und mit dem Pati­en­ten erhe­ben?“ einen Über­blick ver­schie­de­ner Tests zur Beur­tei­lung der kör­per­li­chen Funk­tio­nen – wie dem L‑Test der funk­tio­nel­len Mobi­li­tät. Beim L‑Test müs­sen Patient:innen ins­ge­samt 20 Meter gehen und dabei zwei Trans­fers sowie vier Dre­hun­gen durch­füh­ren. Der Test ist zur Beur­tei­lung der Mobi­li­tät von Patient:innen mit Ampu­ta­tio­nen der unte­ren Extre­mi­tä­ten gedacht. Durch die L‑Form der Geh­stre­cke wird gewähr­leis­tet, dass die Test­per­son die Dre­hung des Kör­pers beim Gehen in bei­de Rich­tun­gen durch­füh­ren muss. Dies ver­an­schau­lich­te Daub mit Bild- und Video­ma­te­ri­al und erklär­te, dass es rund 50 ver­schie­de­ne Tests gäbe, die einen Ver­gleich schwie­rig mach­ten. Daher müs­se man auf fol­gen­de Anfor­de­run­gen ach­ten: Vali­di­tät, Sen­si­bi­li­tät für Ver­än­de­run­gen, Sen­si­ti­vi­tät für Para­me­ter, Ver­läss­lich­keit und Prak­ti­ka­bi­li­tät. Erfüllt ein Test all die­se Anfor­de­run­gen, kön­nen die Ergeb­nis­se wert­voll für die intra- und inter­dis­zi­pli­nä­re Kom­mu­ni­ka­ti­on sein, zum Leit­fa­den für the­ra­peu­ti­sche Befund­er­he­bun­gen wer­den und die Effek­te der Behand­lung doku­men­tie­ren. Im Anschluss wur­de eine digi­ta­le Pro­fil­erhe­bung von Patient:innen mit Bein­am­pu­ta­ti­on live im Pra­xis­test vor­ge­führt. Das Pro­jekt zur Erstel­lung eines Regis­ters des Uni­ver­si­täts­kli­ni­kums Hei­del­berg digi­ta­li­siert die DGIHV-Fra­ge­bö­gen, die zuvor hän­disch aus­ge­füllt wur­den und daher viel Büro­kra­tie bedeu­te­ten. Den ers­ten Teil des Fra­ge­bo­gens füllt der Pati­ent wäh­rend sei­ner War­te­zeit selbst­stän­dig aus und gibt dem Ortho­pä­die­tech­ni­ker so die Mög­lich­keit, sich schon vor­ab einen ers­ten Ein­druck zu ver­schaf­fen. Der zwei­te Teil des Fra­ge­bo­gens wird wäh­rend der Unter­su­chung aus­ge­füllt und teilt sich in drei Tei­le: einen Teil mit der Stumpf­un­ter­su­chung, einen Pro­the­sen­teil und schließ­lich einen Teil mit den Tests der kör­per­li­chen Funk­tio­nen. Neben den Ankreuz­fra­gen gibt es immer auch die Mög­lich­keit, Bemer­kun­gen ein­zu­tra­gen, denn Patient:innen müs­sen immer indi­vi­du­ell beschrie­ben wer­den. Bei den inklu­dier­ten Tests ist eine digi­ta­le Stopp­uhr hin­ter­legt, die die Ergeb­nis­se sofort über­nimmt, es braucht also kein wei­te­res Equip­ment. Die Erhe­bun­gen las­sen sich schließ­lich auch expor­tie­ren – ent­we­der kom­plett oder nur in Tei­len, wie etwa den in den Ver­trä­gen mit den Kos­ten­trä­gern inte­grier­ten BIV-Bogen. Eben­so ist es mög­lich, aktu­ell nur die­sen Teil der Fra­ge­bö­gen aus­zu­fül­len und bei der Wie­der­vor­la­ge eines Pati­en­ten bzw. einer Pati­en­tin die Daten einer vor­he­ri­gen Unter­su­chung zu ändern. Ein Sta­tis­tik­mo­dul ermög­licht außer­dem den Ver­gleich – intern oder mit allen App-Nutzern.

Tei­len Sie die­sen Inhalt
Anzeige