Der Weg in die Addi­ti­ve Fertigung

Wenn man die Entwicklung des 3D-Drucks und all seiner angehängten Prozesse und Produkte in den vergangenen Jahren betrachtet, dann ist festzustellen, dass längst nicht mehr von einem Trend die Rede sein kann. Vielmehr hat sich die Additive Fertigung zu einem neuen, digitalen Werkzeug in der Werkzeugkiste des Orthopädietechnikers entwickelt, welches immer häufiger in der Praxis eingesetzt wird. Doch was bedeutet das konkret für die Betriebe?

Im ers­ten Teil unse­rer Serie „Addi­tive Fer­ti­gung“ ver­su­chen wir genau dar­auf die pas­sen­de Ant­wort zu geben. Wobei es rich­ti­ger wäre, von Ant­wor­ten, also der Mehr­zahl, zu spre­chen. Denn: Den einen Weg in der Welt der Addi­ti­ven Fer­ti­gung gibt es nicht. Man fühlt sich ein biss­chen an die U‑Bahn-Net­ze der gro­ßen euro­päi­schen Metro­po­len erin­nert. Dort gibt es vie­le Mög­lich­kei­ten ein- und aus­zu­stei­gen, ver­schie­de­ne Weg zu einem Ziel zu neh­men oder auch ein­fach mal nicht wei­ter­zu­fah­ren. Ähn­lich ist es in der Addi­ti­ven Fer­ti­gung. Möch­te ich als Betrieb in die­se Tech­no­lo­gie ein­stei­gen, muss ich mich auch fra­gen: An wel­cher Stel­le möch­te ich zusteigen?

Wie gelingt der Einstieg

Ist es sinn­voll, beim Scan­nen zu begin­nen? Was sind die Vor­tei­le, wenn ich zum Bei­spiel auf den Gips­raum (teil­wei­se) ver­zich­te? Oder in der Ein­la­gen­ver­sor­gung nicht den Tritt­schaum aus­pa­cken muss? Über­las­se ich das Kon­stru­ie­ren Kon­fi­gu­ra­to­ren und KI, oder neh­me ich den Scan als Grund­la­ge für mei­ne eige­ne Kon­struk­ti­on? Las­se ich dru­cken oder frä­sen? Oder baue ich ganz kon­ven­tio­nell mein Hilfs­mit­tel? Vie­le Fra­gen, die Unter­neh­me­rin­nen und Unter­neh­mer aus tech­ni­scher, juris­ti­scher oder öko­no­mi­scher Sicht beant­wor­ten müs­sen. Aus den Ant­wor­ten ergibt sich dann die jeweils auf den eige­nen Betrieb zuge­schnit­te­ne Stra­te­gie in Sachen Addi­ti­ve Fertigung.

Foto: BIV-OT/Rausch
Foto: BIV-OT/­Rausch

Was ist eigent­lich Scannen?

Klar, Scan­nen kennt eigent­lich jeder aus dem All­tag – sei es aus Büro, Schu­le oder Werk­statt. Aber ein kur­zer Blick zurück lohnt sich. Scan­nen bezeich­net den Pro­zess der sys­te­ma­ti­schen Erfas­sung, Digi­ta­li­sie­rung und Ana­ly­se von ana­lo­gen Infor­ma­tio­nen durch das Abtas­ten eines Objekts oder einer Ober­flä­che mit­tels opti­scher, elek­tro­ni­scher oder magne­ti­scher Sen­so­ren. Dabei wer­den die erfass­ten Daten in eine digi­ta­le Form über­führt, um sie wei­ter­zu­ver­ar­bei­ten, zu spei­chern oder zu analysieren.

Ent­ste­hungs­ge­schich­te

Das Prin­zip des Scan­nens basiert auf der Idee, Infor­ma­tio­nen schritt­wei­se zu erfas­sen und in einer sys­te­ma­ti­schen Struk­tur wie­der­zu­ge­ben. Ers­te Kon­zep­te die­ser Metho­de rei­chen in das 19. Jahr­hun­dert zurück, als opti­sche Ver­fah­ren zur Über­tra­gung von Bil­dern und Tex­ten ent­wi­ckelt wurden.

Ein zen­tra­ler Mei­len­stein war die Erfin­dung der Tele­pho­to­gra­fie im Jahr 1843 durch Alex­an­der Bain, der mit einem frü­hen Fax­ge­rät Bild­in­for­ma­tio­nen in Lini­en abtas­te­te und über Tele­gra­fen­ver­bin­dun­gen über­trug. In den 1920er Jah­ren ent­wi­ckel­te Karl Küpf­mül­ler in Deutsch­land die Grund­la­gen der Ras­ter­ab­tas­tung, die spä­ter für Fern­seh­tech­no­lo­gie und digi­ta­le Bild­ver­ar­bei­tung genutzt wurden.
Der ers­te digi­ta­le Bild­scan­ner wur­de 1957 von Rus­sell Kirsch am Natio­nal Bureau of Stan­dards (heu­te NIST) ent­wi­ckelt. Sein Scan­ner digi­ta­li­sier­te ein Bild mit einer Auf­lö­sung von 176 × 176 Pixel und leg­te damit den Grund­stein für moder­ne digi­ta­le Bild­ver­ar­bei­tungs­tech­ni­ken. Seit­dem hat sich das Scan­nen ste­tig wei­ter­ent­wi­ckelt und ist heu­te eine Schlüs­sel­tech­no­lo­gie in Berei­chen wie Doku­­­­­mentenerfassung, Medi­zin­tech­nik, 3D-Model­lie­rung und indus­tri­el­ler Qualitätssicherung.

Auf den Punkt
  • Scan­nen wur­de ­bereits im 19. Jahr­hun­dert erfunden.
  • Scans wer­den im STL- oder OBJ-­For­mat ausgegeben.
  • Für die OT gibt es min­des­tens fünf ­ver­schie­de­ne Scanverfahren. 

 

Wel­che Ver­fah­ren gibt es?

Digi­ta­le Scan­ver­fah­ren spie­len eine zuneh­mend wich­ti­ge Rol­le in der Ortho­pä­die-Tech­nik und Ortho­­pä­die-Schuh­tech­nik. Ins­be­son­de­re sta­tio­nä­re Scan­ner wer­den zur exak­ten Erfas­sung von Patienten­modellen oder For­men genutzt. Dabei kom­men unter­schied­li­che Tech­no­lo­gien zum Ein­satz, die auf ver­schie­de­nen phy­si­ka­li­schen Prin­zi­pi­en basieren.

Ein ver­brei­te­tes Ver­fah­ren ist die Laser-Tri­an­gu­la­ti­on. Hier pro­ji­ziert ein Scan­ner eine Laser­li­nie oder einen Punkt auf die Ober­flä­che des Objekts. Eine Kame­ra erfasst die reflek­tier­te Licht­li­nie, wobei durch die bekann­te Posi­ti­on und den Win­kel zwi­schen Laser und Kame­ra die Ober­flä­chen­struk­tur berech­net wird. Um ein voll­stän­di­ges 3D-­Mo­dell zu erzeu­gen, muss das Objekt ent­we­der gedreht oder der Scan­ner bewegt wer­den. Die­se Metho­de wird bei­spiels­wei­se in Voll­fuß­scan­nern genutzt.

Ein wei­te­res Tri­an­gu­la­ti­ons­ver­fah­ren nutzt Struk­tur­licht. Dabei wird ein Punkt­mus­ter durch eine Infra­rot-Licht­quel­le auf das Objekt pro­ji­ziert. Kame­ras ana­ly­sie­ren die Ver­zer­run­gen des Mus­ters und berech­nen dar­aus die dreidimen­sionale Struk­tur. Die­se Tech­nik wird unter ande­rem von der Kinect 360 oder dem Artec Eva Scan­ner verwendet.

Bei der Time-of-Flight-Tech­no­lo­gie (ToF) wird nicht die Win­kel­po­si­ti­on, son­dern die Lauf­zeit eines aus­ge­sen­de­ten Laser­strahls gemes­sen. Der Scan­ner sen­det kur­ze Licht­im­pul­se aus und ermit­telt anhand der Reflek­ti­ons­zeit den Abstand zum Objekt. Die­se Metho­de wird in LiDAR-Sen­so­ren genutzt, wie sie bei­spiels­wei­se im iPad Pro oder aktu­el­len iPho­nes zu fin­den sind.

Die Pho­to­gram­me­trie kommt ohne akti­ve Licht­quel­le aus. Statt­des­sen wer­den zahl­rei­che Fotos aus unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven auf­ge­nom­men und mit spe­zi­el­ler Soft­ware ver­ar­bei­tet. Gemein­sam erkenn­ba­re Punk­te in den Bil­dern die­nen als Refe­renz zur drei­di­men­sio­na­len Rekon­struk­ti­on. Die Metho­de erfor­dert eine hohe Rechen­leis­tung, ist jedoch fle­xi­bel ein­setz­bar. Auch die Ste­reo­sko­pie nutzt ein pas­si­ves Ver­fah­ren. Zwei Kame­ras neh­men gleich­zei­tig Bil­der eines Objekts auf. Anhand der unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven kann durch Tri­an­gu­la­ti­on die Tie­fe berech­net wer­den. Infra­rot-Pro­jek­to­ren unter­stüt­zen oft die Detek­ti­on von Ober­flä­chen­struk­tu­ren, um genaue­re Ergeb­nis­se zu erzie­len. Ein Bei­spiel für die­se Tech­no­lo­gie ist der Intel Real­Sen­se 435D.

Unab­hän­gig von der ver­wen­de­ten Scan­tech­no­lo­gie ist das Resul­tat des Pro­zes­ses eine digi­ta­le 3D-Datei. Häu­fig wird das STL-For­mat genutzt, das ein Objekt über Drei­ecke appro­xi­miert. Aller­dings spei­chert STL kei­ne Farb­infor­ma­tio­nen. Sol­len auch Tex­tu­ren erfasst wer­den, bie­tet sich das OBJ-For­mat an, das zusätz­liche Mate­ri­al- und Farb­infor­ma­tio­nen spei­chert. Neben die­sen For­ma­ten exis­tie­ren zahl­rei­che wei­te­re, die jedoch haupt­säch­lich in geschlos­se­nen Sys­te­men Ver­wendung finden.

Von der Theo­rie in die Praxis

Die Anwen­dung die­ser theo­re­ti­schen Erklä­run­gen in der Pra­xis gehört zu den Auf­ga­ben von fach­kun­di­gen Ortho­pä­die­tech­ni­kern und Ortho­pädieschuhmachern. Was Scan­nen für den All­tag im Betrieb bedeu­tet, wel­che Scan­ner­mo­del­le es gibt und wie die­se in den ver­schie­de­nen Ver­sor­gungs­be­rei­chen aktiv genutzt wer­den, das wird auf ins­ge­samt 18 Sei­ten im ers­ten Teil unse­rer neu­en drei­tei­li­gen Serie „Addi­ti­ve Fer­ti­gung“ erklärt.

Hei­ko Cordes

Digi­ta­ler Workflow
Was ist eigent­lich der Vor­teil eines Scans? Zum Bei­spiel die digi­ta­le Wei­ter­be­ar­bei­tung des gewon­nen Bil­des. Wenn ein Tech­ni­ker den Scan durch­ge­führt hat, über­führt er das Ergeb­nis auf einen Com­pu­ter. Und das ist dann der Start­schuss für die Kon­struk­ti­on bzw. Model­lie­rung des Hilfs­mit­tels. Der Scan kann also die Basis sein für die Arbeit der Tech­ni­ker, ergänzt um die Infor­ma­tio­nen, die im per­sön­li­chen Gespräch erho­ben oder durch die phy­si­sche Unter­su­chung im Rah­men der Ana­mne­se gewon­nen werden. 

 

Hier fin­den Sie alle 6 Arti­kel unse­rer neu­en Serie „Addi­ti­ve Fer­ti­gung – Teil 1: Scannen“:

 

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