Im ersten Teil unserer Serie „Additive Fertigung“ versuchen wir genau darauf die passende Antwort zu geben. Wobei es richtiger wäre, von Antworten, also der Mehrzahl, zu sprechen. Denn: Den einen Weg in der Welt der Additiven Fertigung gibt es nicht. Man fühlt sich ein bisschen an die U‑Bahn-Netze der großen europäischen Metropolen erinnert. Dort gibt es viele Möglichkeiten ein- und auszusteigen, verschiedene Weg zu einem Ziel zu nehmen oder auch einfach mal nicht weiterzufahren. Ähnlich ist es in der Additiven Fertigung. Möchte ich als Betrieb in diese Technologie einsteigen, muss ich mich auch fragen: An welcher Stelle möchte ich zusteigen?
Wie gelingt der Einstieg
Ist es sinnvoll, beim Scannen zu beginnen? Was sind die Vorteile, wenn ich zum Beispiel auf den Gipsraum (teilweise) verzichte? Oder in der Einlagenversorgung nicht den Trittschaum auspacken muss? Überlasse ich das Konstruieren Konfiguratoren und KI, oder nehme ich den Scan als Grundlage für meine eigene Konstruktion? Lasse ich drucken oder fräsen? Oder baue ich ganz konventionell mein Hilfsmittel? Viele Fragen, die Unternehmerinnen und Unternehmer aus technischer, juristischer oder ökonomischer Sicht beantworten müssen. Aus den Antworten ergibt sich dann die jeweils auf den eigenen Betrieb zugeschnittene Strategie in Sachen Additive Fertigung.

Was ist eigentlich Scannen?
Klar, Scannen kennt eigentlich jeder aus dem Alltag – sei es aus Büro, Schule oder Werkstatt. Aber ein kurzer Blick zurück lohnt sich. Scannen bezeichnet den Prozess der systematischen Erfassung, Digitalisierung und Analyse von analogen Informationen durch das Abtasten eines Objekts oder einer Oberfläche mittels optischer, elektronischer oder magnetischer Sensoren. Dabei werden die erfassten Daten in eine digitale Form überführt, um sie weiterzuverarbeiten, zu speichern oder zu analysieren.
Entstehungsgeschichte
Das Prinzip des Scannens basiert auf der Idee, Informationen schrittweise zu erfassen und in einer systematischen Struktur wiederzugeben. Erste Konzepte dieser Methode reichen in das 19. Jahrhundert zurück, als optische Verfahren zur Übertragung von Bildern und Texten entwickelt wurden.
Ein zentraler Meilenstein war die Erfindung der Telephotografie im Jahr 1843 durch Alexander Bain, der mit einem frühen Faxgerät Bildinformationen in Linien abtastete und über Telegrafenverbindungen übertrug. In den 1920er Jahren entwickelte Karl Küpfmüller in Deutschland die Grundlagen der Rasterabtastung, die später für Fernsehtechnologie und digitale Bildverarbeitung genutzt wurden.
Der erste digitale Bildscanner wurde 1957 von Russell Kirsch am National Bureau of Standards (heute NIST) entwickelt. Sein Scanner digitalisierte ein Bild mit einer Auflösung von 176 × 176 Pixel und legte damit den Grundstein für moderne digitale Bildverarbeitungstechniken. Seitdem hat sich das Scannen stetig weiterentwickelt und ist heute eine Schlüsseltechnologie in Bereichen wie Dokumentenerfassung, Medizintechnik, 3D-Modellierung und industrieller Qualitätssicherung.
- Scannen wurde bereits im 19. Jahrhundert erfunden.
- Scans werden im STL- oder OBJ-Format ausgegeben.
- Für die OT gibt es mindestens fünf verschiedene Scanverfahren.
Welche Verfahren gibt es?
Digitale Scanverfahren spielen eine zunehmend wichtige Rolle in der Orthopädie-Technik und Orthopädie-Schuhtechnik. Insbesondere stationäre Scanner werden zur exakten Erfassung von Patientenmodellen oder Formen genutzt. Dabei kommen unterschiedliche Technologien zum Einsatz, die auf verschiedenen physikalischen Prinzipien basieren.
Ein verbreitetes Verfahren ist die Laser-Triangulation. Hier projiziert ein Scanner eine Laserlinie oder einen Punkt auf die Oberfläche des Objekts. Eine Kamera erfasst die reflektierte Lichtlinie, wobei durch die bekannte Position und den Winkel zwischen Laser und Kamera die Oberflächenstruktur berechnet wird. Um ein vollständiges 3D-Modell zu erzeugen, muss das Objekt entweder gedreht oder der Scanner bewegt werden. Diese Methode wird beispielsweise in Vollfußscannern genutzt.
Ein weiteres Triangulationsverfahren nutzt Strukturlicht. Dabei wird ein Punktmuster durch eine Infrarot-Lichtquelle auf das Objekt projiziert. Kameras analysieren die Verzerrungen des Musters und berechnen daraus die dreidimensionale Struktur. Diese Technik wird unter anderem von der Kinect 360 oder dem Artec Eva Scanner verwendet.
Bei der Time-of-Flight-Technologie (ToF) wird nicht die Winkelposition, sondern die Laufzeit eines ausgesendeten Laserstrahls gemessen. Der Scanner sendet kurze Lichtimpulse aus und ermittelt anhand der Reflektionszeit den Abstand zum Objekt. Diese Methode wird in LiDAR-Sensoren genutzt, wie sie beispielsweise im iPad Pro oder aktuellen iPhones zu finden sind.
Die Photogrammetrie kommt ohne aktive Lichtquelle aus. Stattdessen werden zahlreiche Fotos aus unterschiedlichen Perspektiven aufgenommen und mit spezieller Software verarbeitet. Gemeinsam erkennbare Punkte in den Bildern dienen als Referenz zur dreidimensionalen Rekonstruktion. Die Methode erfordert eine hohe Rechenleistung, ist jedoch flexibel einsetzbar. Auch die Stereoskopie nutzt ein passives Verfahren. Zwei Kameras nehmen gleichzeitig Bilder eines Objekts auf. Anhand der unterschiedlichen Perspektiven kann durch Triangulation die Tiefe berechnet werden. Infrarot-Projektoren unterstützen oft die Detektion von Oberflächenstrukturen, um genauere Ergebnisse zu erzielen. Ein Beispiel für diese Technologie ist der Intel RealSense 435D.
Unabhängig von der verwendeten Scantechnologie ist das Resultat des Prozesses eine digitale 3D-Datei. Häufig wird das STL-Format genutzt, das ein Objekt über Dreiecke approximiert. Allerdings speichert STL keine Farbinformationen. Sollen auch Texturen erfasst werden, bietet sich das OBJ-Format an, das zusätzliche Material- und Farbinformationen speichert. Neben diesen Formaten existieren zahlreiche weitere, die jedoch hauptsächlich in geschlossenen Systemen Verwendung finden.
Von der Theorie in die Praxis
Die Anwendung dieser theoretischen Erklärungen in der Praxis gehört zu den Aufgaben von fachkundigen Orthopädietechnikern und Orthopädieschuhmachern. Was Scannen für den Alltag im Betrieb bedeutet, welche Scannermodelle es gibt und wie diese in den verschiedenen Versorgungsbereichen aktiv genutzt werden, das wird auf insgesamt 18 Seiten im ersten Teil unserer neuen dreiteiligen Serie „Additive Fertigung“ erklärt.
Heiko Cordes
Was ist eigentlich der Vorteil eines Scans? Zum Beispiel die digitale Weiterbearbeitung des gewonnen Bildes. Wenn ein Techniker den Scan durchgeführt hat, überführt er das Ergebnis auf einen Computer. Und das ist dann der Startschuss für die Konstruktion bzw. Modellierung des Hilfsmittels. Der Scan kann also die Basis sein für die Arbeit der Techniker, ergänzt um die Informationen, die im persönlichen Gespräch erhoben oder durch die physische Untersuchung im Rahmen der Anamnese gewonnen werden.
Hier finden Sie alle 6 Artikel unserer neuen Serie „Additive Fertigung – Teil 1: Scannen“:
- Der Weg in die Additive Fertigung
- 3D-Scanner im Überblick
- Praxisbeispiel zur additiv gefertigten Einlagenversorgung
- Praxisbeispiel zur additiv gefertigten Sitzschalenversorgung
- Per Korrekturgestell zum individuellen Korsett
- Mit Punktwolke zur Präzision
- Anzeigespeedhand – die nächste Generation — 3. Juni 2025
- OT-Leserumfrage: Ihre Meinung zahlt sich aus! — 28. Mai 2025
- Iken Höntzsch folgt auf Sören Heinz — 23. Mai 2025