Herausforderung angenommen
„Viele denken, dass Kompressionsversorgung eine einfache oder auch langweilige Angelegenheit ist – das stimmt aber nicht.“ Mit diesem Plädoyer für den Versorgungsbereich Kompression dürfte Birgit Lautenschläger vom Gesundheitszentrum Rahm in Euskirchen nicht allein stehen. Wie spannend und vor allem erfüllend die Versorgung sein kann, das zeigt die Versorgung von Lautenschlägers aktuellem Patienten. Der Mann, Jahrgang 1938, kommt mit einer Unterarmgehhilfe zum Termin. „Gestern hatte ich einen kleinen Eingriff beim Orthopäden“, berichtet er. Das Thema Kompression begleitet den 87-Jährigen seit dem Frühjahr 2025. Die Diagnose: Lymphödem. Birgit Lautenschläger hat ihn mit klassischem Flachstrick versorgt – eine gute und zweckmäßige Versorgung. Doch der Senior ist beim Anlegen der Kompression auf den Pflegedienst angewiesen. Und der kommt zuverlässig unzuverlässig, was die Zeiten betrifft. Termine gegen 22 Uhr sind dabei keine Seltenheit.
Was also tun, damit der Patient die Therapie des Lymphödems im Selbstmanagement ausführen kann? Birgit Lautenschläger will eine Alternative testen, die ihm mehr Handlungsspielraum gibt und gleichzeitig eine noch individuellere Versorgungsoption bietet. Dabei hat sie das medizinische adaptive Kompressionssystem „ReadyWrap“ von Lohmann & Rauscher mit bis zu fünf Komponenten im Kopf.


Kompression selbst in die Hand nehmen
Diese Komponenten können jeweils für einen Teilbereich des Körpers – Zehen, Fuß, Wade, Knie und Oberschenkel – angewandt werden. „Gerade im Bereich der Zehen ist der ‚ReadyWrap‘ für viele Patientinnen und Patienten interessant. Oftmals wird bei den Zehen – wenn überhaupt – vom Pflegedienst nicht ausreichend gut gewickelt. Mit der Zehenversorgung des Systems können die Patienten selbst tätig werden und Druck ausüben. Ich empfehle meinen Patienten auch gerne einmal, diese Versorgung über Nacht zu tragen“, erzählt Lautenschläger.
Auch im aktuellen Fall des 87-jährigen Patienten ist die Entstauung der Zehen ein Thema. Wegen des Eingriffs am anderen Fuß hat der Mann an diesem Tag auf seine Flachstrickversorgung verzichtet – eine Entscheidung, die sofort zu sehen und zu fühlen ist. Der Fuß ist deutlich angeschwollen, Lautenschläger muss für die Zehen eine andere Größe wählen. „Das Lymphödem macht keine Pause“, sagt die Fachkraft, die bei der ersten Anprobe hilft. Eine Erkenntnis, die in beide Richtungen funktioniert: Wer seine Versorgung gar nicht oder nur kurz trägt, der erhält spätestens am darauffolgenden Tag dafür die Quittung. Wer hingegen konsequent ist und eine hohe Therapietreue zeigt, wird mit einem Rückgang des Volumens belohnt.
Bei der Versorgung mit der Komponente „ReadyWrap Zehen“ sollten Patienten darauf hingewiesen werden, dass sie bei ihrer Krankenkasse zusätzlich einen Therapieschuh beantragen können. So lässt sich die Therapietreue auch außerhalb des häuslichen Umfelds sicherstellen und der Therapieerfolg unterstützen. Grundsätzlich trägt die Versorgung wenig auf und kann durchaus auch in normalen Schuhen getragen werden, aber die Alternative des Therapieschuhs sollte der Versorger im Hinterkopf haben.
Bei der vorliegenden Versorgung kann Lautenschläger nun alle Register ziehen. Während der „ReadyWrap“ im Zehenbereich eine „XL“ geworden ist, kann nach der Maßnahme der A‑Größe ein Fußteil in „M“ genutzt werden. Lohmann & Rauscher bietet das gesamte „ReadyWrap“-System in den Größen S bis XXL an. Wer zwischen zwei Größen liegt oder noch einen größeren Umfang benötigt, der kann auf ein Verlängerungsband zurückgreifen. In der Praxis hat sich bewährt, nicht mehr als zwei Verlängerungsbänder bei einer Versorgung zu benutzen, weil ansonsten der gewünschte Druck nicht mehr entsprechend aufgebaut werden kann.


Strumpf ist Pflicht
Nach der Maßnahme für das Fußteil wird der Unterziehstrumpf angelegt. Dieser hat keine Kompressionswirkung, ist allerdings in gleich mehrfacher Hinsicht wichtig und funktionell. Erstens kann der Strumpf gewaschen werden, was die Hygiene des Hilfsmittels erleichtert, weil nicht immer alles gewaschen werden muss. Zweitens wird der Strumpf zum Ende der Versorgung über das obere Ende der Bänder geklappt und sorgt so für einen glatten und sauberen Abschluss, der das Anziehen von zum Beispiel Hosen erleichtert und einem Verrutschen vorbeugt.
Im aktuellen Fall möchte Lautenschläger die Versorgung noch etwas mehr individualisieren. Auf der Oberseite des Fußes soll eine Schaumstoffplatte – Komprex II genannt – für mehr Druckpunkte sorgen. Es handelt sich dabei um eine gewellte Schaumstoffplatte, die aus schmalen Schaumstoffstreifen besteht, die in Vliesstoff eingebettet sind. Auch um den Knöchel herum soll mehr Druck erzeugt werden. Dafür sollen vorgefertigte Komprex-Schaumgummi-Zuschnitte verwendet werden. „Die drücken dann noch einmal mehr an den entscheidenden Punkten“, so Lautenschläger, die ergänzt: „Wenn das System nicht aus einzelnen Komponenten bestehen würde, dann könnte ich diese auf den einzelnen Patienten abgestimmte Individualisierung gar nicht vornehmen. Ich finde, dass das ein großer Pluspunkt ist.“


Ohne Übung schon ein Meister
Nachdem bei der ersten Anprobe bei den Zehen und dem Fuß noch Hilfestellung von Lautenschläger gegeben wurde, muss der Patient bei den Bändern für die Wade selbst Hand anlegen. Dank des Farbcodesystems ist es selbst für Ungeübte kein Problem, die richtige Reihenfolge für die Klettverschlüsse zu finden. Auch wenn der Senior fit ist, beim Thema Kraft ist er gegenüber der Versorgerin im Nachteil – dennoch schafft er es, die Bänder problemlos mit so viel Zug zu befestigen, dass der „ReadyWrap“ einen ausreichenden Druck auf sein Bein ausüben kann. Immer abwechselnd mit 50-prozentiger Überlappung werden die Bänder erst von links, dann von rechts festgezogen. Wichtig dabei: Zu viel Druck kann nicht ausgeübt werden, weil das Material Kurzzug-Eigenschaften aufweist und dadurch eine Dehnungssperre besitzt. Eine Überdehnung und damit zu viel Druck sind nicht möglich.
„ReadyWrap“ von Lohmann & Rauscher verfügt über ein Farbleitsystem, das die Patientinnen und Patienten führt. Begonnen werden muss immer mit dem weißen Klettverschluss. Anschließend werden der hellblaue und schließlich der dunkelblaue Klettverschluss verschlossen. Sollte es mehr als drei Klettverschlüsse geben, beginnt es wieder bei weiß. Dieses Farbcodesystem wird zudem durch senkrechte und waagerechte Klettpolster bei Versorgungen der unteren Extremitäten ergänzt. Zunächst wird die Seite mit dem waagerechten Polster mit Zug geschlossen, anschließend die Seite mit dem senkrechten Polster. Durch den Wechsel der Zugseiten kann der Druck indvidualisiert werden. Das Farbcodesystem funktioniert auch bei Menschen mit eingeschränkten Sehfähigkeiten und kann international genutzt werden. Weitere Informationen zum ReadyWrap
Der Patient empfindet die Versorgung als so angenehm, dass er beim Probelaufen seine Gehhilfe in der Ecke stehen lässt und sich frei im Raum bewegt. „Nur weil du jetzt eine neue Kompressionsversorgung hast, heißt das nicht, dass du auf einmal auf alle Hilfsmittel verzichten kannst“, mahnt die hinzugeholte Gattin des Patienten, als sie die freien Gehversuche ihres Mannes beobachtet. Doch der ist so zufrieden mit dem individuellen Druck wie auch mit der Aussicht auf ein besseres Selbstmanagement, dass er die Mahnung nur mit einem Lächeln beantwortet. „Das Anlegen klappt gut, das Schwierigste war fast schon, die Klettverschlüsse der Bänder am Anfang zu lösen und darauf zu achten, dass sich diese nicht direkt wieder aneinanderkletten. Der Druck ist gut und selbst im Vergleich mit einem Kompressionsstrumpf trägt diese Versorgung kaum mehr auf“, erklärt er.
Heiko Cordes
Die Abrechnung des medizinischen adaptiven Kompressionssystems (MAK) „ReadyWrap“ funktioniert bei korrekter Diagnose durch den Arzt relativ gut. Das modulare System verfügt über die Hilfsmittelnummern 17.06.23.0006 (Oberschenkel), 17.06.23.2004 (Wade), 17.06.23.3004 (Fuß) sowie 17.10.10.0002 (Arm) 17.10.10.1002 (Handschuh) 17.06.23.1001 (Knie) und 17.99.99.0003 (Verlängerungsbänder und Zehen-Teil). Grundsätzlich ist „ReadyWrap“ als Alternative zur Bandagierung mit Binden vorgesehen. In der Begründung einer Einzelfallgenehmigung als Alternative zur Flachstrickversorgung sollten Sanitätshäuser darauf achten, als Argument zum Beispiel die „Förderung der Selbstständigkeit“ oder den „Erhalt der Selbstständigkeit“ anzuführen.
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