In den vergangenen fünf Jahren hat das Unternehmen seine Expansion fortgesetzt, Tochtergesellschaften in Norwegen und der Türkei gegründet und sein Händlernetz auf der ganzen Welt erweitert. Seit September 2019 fi rmiert das Unternehmen nun auf allen Märkten unter seinem Stammnamen Blatchford. Die ambitionierten Briten haben sich 2015 das Ziel gesetzt, bis zum Jahre 2025 zur Nummer drei der weltweit führen- den Anbieter von Passteilen aufzusteigen, und damit Ottobock und Össur dauerhaft unter Innovations- und Effektivitätsdruck zu setzen. Das nötige Kapital für die ehrgeizigen Ziele sicherte sich Blatchford durch den Verkauf sei- ner Mehrheitsbeteiligung an CBPE Capital. Mit dieser Entscheidung stellt sich das Unternehmen für seine Ziele neu auf. Stephen Blatchford, der das Familienunternehmen zuletzt in vierter Generation führte, wechselte in die Rolle eines nicht geschäftsführenden Direktors. Im Interview mit der OT verrät Blatchford-CEO Adrian Stenson, mit welchen Strategien das Unternehmen zur drittgrößten Passteil-Marke weltweit aufsteigen will.
OT: Sprechen wir über das „neue Blatchford“. Sie wollen das Unternehmen zu Nummer drei des Marktes machen und passen dazu die Unternehmenskultur an. Wie ändern sich die Dinge?
Adrian Stenson: Werte sind sehr wichtig für unsere Identität, also was uns als Unternehmen auszeichnet. Werte wie „Integrität“, „Innovation“, „Zusammenarbeit“ haben schon früher das Fundament unserer Firma gebildet, sind es nach wie vor und werden prägend bleiben. Allerdings haben wir unser Verständnis von „Exzellenz“ angepasst. Künftig wollen wir unterstreichen, dass es uns bei Blatchford um die Leidenschaft und das Engagement immer bezogen auf die Bedürfnisse unserer Kunden geht – für sie wollen wir stets beste Qualität. Es geht uns um Kunden- zentrierung und damit um die stete Verbesserung unserer Leistung – also unserer „Perfomance“. Damit wollen wir auch deutlich machen, dass unsere Werte die Beziehung zu unseren Kunden widerspiegeln und nicht nur einen „internen Verhaltenskodex“ darstellen. Wir erweitern jetzt das Verständnis unserer Werte auf unsere Kunden als externe Reflektion dessen, wer wir sind. Wir streben danach, die leistungsstärksten Produkte zu haben und möchten, dass unsere Kunden uns daran messen. Sei dies in Bezug auf den Vertrieb oder die Qualität und Zuverlässigkeit des Produkts und damit letztendlich auch die Performance für den Patienten/Anwender unserer Prothesen-Passteile.
OT: Blatchford ist in Großbritannien einer der großen Versorger und verfügt damit über viel Erfahrung und klinische Expertise. Zudem hat es ein eigenes Entwicklungsteam an Ingenieuren – unter der Leitung von Saeed Zahedi, der von der Queen für seine Leistungen zum Ritter geschlagen worden ist. Was bedeutet für Blatchford „Innovation“?
Stenson: Dank der hervorragenden Leistungen unseres Forschungs- und Entwicklungsteams konnten wir preisgekrönte Produkte wie Echelon, Elan und Linx herstellen, das weltweit erste und einzige vollständig integrierte System für die prothetische Versorgung der unteren Extremität. Die Möglichkeit zur eigenen Entwicklung von Innovationen ist sicher eine der ganz großen Stärken unserer Marke – es gilt zukünftig diese Ideen besser zu nutzen und sie als neue Produkte effi zienter auf den Markt zu bringen. Wir waren immer sehr überlegt und auch sehr bedacht, und dafür will ich mich gar nicht entschuldigen, aber wir müssen auch die Bedürfnisse des gesamten Marktes berücksichtigen – das sind neben den Patienten auch die Versorger und Kostenträger etc.
OT: Welche Rolle spielen die von Ihnen definierten Werte für Privat-Equity-Investoren?
Stenson: Die Werte verbinden natürlich auch unsere Unternehmenskultur mit der der Investoren. Ein Unternehmen ist mehr als nur Zahlen. Beide müssen voneinander überzeugt sein, dass über den Weg, den sie gehen, und wie sie ihn gehen, auch das gemeinsame Ziel erreicht wird. Blatchford hat sich unter anderem für den Investor CBPE entschieden, weil wir uns auf eine gemeinsame Kultur einigen konnten. Wir haben von Anfang an sehr eng mit Naveen Passi, unserem Investment Director, zusammengearbeitet. Er wollte genau sehen, wer wir waren, wie wir auf dem Markt wahrgenommen werden und wie unsere Wettbewerber auf dem Markt präsent sind. CBPE verfügt über ein großes Know-how im Gesundheitsmarkt und hat beispielsweise stark in die Bereiche Pharma, Remote Radiological Reporting sowie Dental- und Augenchirurgie investiert. Wir konnten uns von Anfang an auf Augenhöhe begegnen.
OT: Wie und wo auf dem Markt will Blatchford wachsen?
Stenson: Unsere Hauptproduktmärkte sind in Deutschland und Amerika. Wir haben unser Sales-Team und Marketingaktivitäten in beiden Märkten deutlich aufgestockt und werden das Angebot an neuen Prothesenkomponenten erweitern. Insbesondere für Anwender im niedrigen Aktivitäts-Niveau, die von der Verbesserung der Technologie profitieren können, um Stolpern und Stürzen vorzubeugen. Die Anzahl der geriatrischen Patienten wird in Zukunft deutlich zunehmen. Wir möchten diesen wachsenden Markt unterstützen. Wir sehen aber auch die Möglichkeit, den Umsatz durch Konsolidierung des Marktes zu steigern – es gibt nach wie vor viele kleine Marktteilnehmer mit interessanten Produkten, die sehr gut zu uns passenund mit denen wir Synergien entwickeln können. Für den deutschen Markt will ich aber auch deutlich sagen: Wir werden hier lediglich mit dem Vertrieb von Passteilen und dem entsprechenden Vertriebsservice wachsen und keinesfalls in die Versorgung von Patienten eingreifen. In Deutschland gibt es eine hervorragende Versorgung durch viele begabte und handwerklich hervorragend ausgebildete Orthopädie-Techniker. Zusammen mit ihnen können wir viel für die Anwender erreichen.
OT: In der heutigen Welt der Innovationen spielt der Begriff „Big Data“ eine sehr wichtige Rolle. Wie wird Blatchford auch diese Entwicklung künftig aufgreifen?
Stenson: Es gibt die nachvollziehbarerweise immer höheren Anforderungen an Medizinprodukte, wozu unsere Prothesen-Passteile zählen. Wir müssen sicherstellen, dass alles, was wir tun, sicher für den Anwender ist und ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis darstellt. Entsprechend groß ist schon heute der Aufwand, den wir in die Testung der Qualität unserer Produkte stecken. Aber all diese Tests finden unter „Laborbedingungen“ statt – und damit auch immer ein Stück „künstlich“. Wie sich die Produkte im Alltag bewähren, weiß man immer erst später. Zum Beispiel können wir ein Passteil drei Millionen Mal einem standardisierten Zyklustest unterziehen, um sicherzugehen, dass das Passteil alle möglichen Belastungen im Alltag standhält. All diese Standardtests sind wichtig und gut, aber wir wissen auch, dass es unwahrscheinlich ist, dass die Belastungstests im Labor das wirkliche Leben genau wiedergeben. Jeder Träger ist ein Individuum. Jeder Träger hat sein eigenes einzigartiges Gangbild, sein eigenes Aktivitätsniveau. Einige gehen oft Treppen hoch und runter, andere leben in einer hügeligen Umgebung oder bewegen sich viel in ihrer Wohnung. Durch unsere Mikroprozessorgesteuerten Passteile haben wir ein enormes Potenzial, Informationen zu sammeln und künftig Extremitäten gezielt so zu entwickeln, wie sie tatsächlich von den Trägern im Alltag individuell angewendet werden. Wir wissen zum Beispiel, dass Stürze, bzw. schon die Angst vor dem Stolpern, ein großes Problem für unsere Anwender darstellt. „Big Data“ bietet das Potenzial besser zu belegen, wie unsere neu entwickelten Passteile dabei helfen, weniger zu stolpern und zu stürzen. Unsere Herausforderung als Hersteller besteht darin, den Einsatz von „Big Data“ auf sichere, verantwortungsvolle und – nicht zu vergessen – ethische Weise zu entwickeln. Wir alle sollten die Informationen nutzen, um die Entscheidungen der Kostenträger besser zu unterstützen, sie besser über die Qualität unserer Leistungen zu informieren. Die Daten werden uns helfen, immer bessere Produkte zu entwickeln und die Lebensqualität für den Träger zu verbessern.
Die Fragen stellte Kirsten Abel.
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