Arm­pro­the­se aus dem 3D-Dru­cker besticht durch Leichtigkeit

Ihre Gliedmaßen befinden sich noch im Wachstum. Die Kraft ist noch gering. Für Kinder wie den achtjährigen Niklas, der mit einer Fehlbildung des rechten Unterarms auf die Welt kam, gestaltet sich die Suche nach einer passenden Armprothese oft schwierig.

Im Herbst 2023 zeig­te sie Erfolg. Der „Hero Arm“ des Hilfs­mit­tel­her­stel­lers Open Bio­nics, eine 3D-gedruck­te myo­elek­tri­sche Pro­the­se mit einer mul­ti­ar­ti­ku­lie­ren­den bio­ni­schen Hand, hat genau das, was Niklas braucht: ein gerin­ges Gewicht, ein auf­fäl­li­ges Design und eher weni­ge, aber für ihn ele­men­ta­re Funk­tio­nen. Im Gespräch mit der OT-
Redak­ti­on erzählt Ortho­pä­die­tech­nik-Meis­ter Sebas­ti­an Han­nen, Sani­täts­haus Fuchs & Möl­ler, wie er auf das Sys­tem auf­merk­sam wur­de, wel­che Vor­tei­le es bie­tet und war­um eine Ver­sor­gung mit weni­ger Funk­tio­nen manch­mal mehr ist.

OT: Im Febru­ar 2022 sag­ten Sie im Inter­view mit mei­ner Kol­le­gin, dass es häu­fig indi­vi­du­el­ler Lösun­gen bedarf, da die Pass­teil­va­ri­an­ten, die der Markt bie­tet, für Kin­der­ver­sor­gun­gen häu­fig zu groß, zu schwer oder funk­tio­nell unge­eig­net sind. Wie hat sich der Markt im Bereich Arm­pro­the­tik seit­dem entwickelt?

Sebas­ti­an Han­nen: Bereits nach mei­ner Aus­bil­dung an der Ortho­pä­di­schen Uni­ver­si­täts­kli­nik Hei­del­berg 2001 bin ich in den Bereich Arm­pro­the­tik ein­ge­stie­gen und füh­re das bis heu­te fort. Als Pro­duk­ti­ons­lei­tung bei Fuchs & Möl­ler weiß ich, wor­auf es bei Kin­der­ver­sor­gun­gen ankommt. Bis heu­te hat sich mit Blick auf die Kin­der­hän­de der Fir­ma Otto­bock – abge­se­hen von klei­nen Modi­fi­ka­tio­nen – wenig ver­än­dert. Die­se Sys­tem­hän­de haben eine klei­ne Griff­öff­nung, das heißt, selbst wenn das Kind die Hand öff­nen und schlie­ßen kann, kann es einen Becher nicht hal­ten. Auch die Geschwin­dig­keit, in der sich die Hand öff­net, ist für vie­le zu gering. Nach sol­chen Ent­täu­schun­gen besteht die Gefahr, dass die Kin­der die Lust ver­lie­ren, die Pro­the­se zu tra­gen. Spä­ter kam dann die Pro­the­sen­hand der Fir­ma Vin­cent Sys­tems, die Vin­cent Young, auf den Markt – ver­mut­lich das bes­te Sys­tem, das es mit Blick auf die Funk­tio­nen aktu­ell gibt. Die Hand ist mei­ner Mei­nung nach aber erst für Kin­der ab neun Jah­ren geeig­net. Sie ist etwas schwe­rer und es kann manch­mal schwie­rig sein, die pas­sen­de Grö­ße für unse­re klei­ne­ren Anwen­der zu fin­den. Dar­über hin­aus gibt es Pas­siv­hän­de, mitt­ler­wei­le auch mit beweg­li­chen Lösun­gen. Letzt­end­lich blei­ben es aber Habi­tus­pro­the­sen. Die Anwen­der kön­nen die Fin­ger zwar bewe­gen, aber nicht aktiv steu­ern. Wir stan­den des­we­gen immer vor der Fra­ge: Wie kön­nen wir den Über­gang gestal­ten, also die Zeit bis zum Jugend­al­ter überbrücken?

OT: Kann der Hero Arm die­se Lücke schließen?

Han­nen: Ja. Er hat vie­le Vor­tei­le. Man muss beden­ken: Bei Pro­the­sen sitzt das Haupt­ge­wicht am Ende. Das bringt schlech­te Hebel­ver­hält­nis­se mit sich. Für die Kin­der ist es des­we­gen sehr anstren­gend, eine Pro­the­se den gan­zen Tag über zu tra­gen und zu benut­zen. Auch die Stumpf­län­ge und die Haut­ver­hält­nis­se kön­nen eine Ver­sor­gung erschwe­ren. Statt Titan, schwe­rem Stahl oder Alu­mi­ni­um kommt beim Hero Arm Kunst­stoff zum Ein­satz. Daher ist er deut­lich leich­ter. Wir kön­nen damit Kin­der bereits ab sie­ben Jah­ren ver­sor­gen. Trotz­dem ist das Sys­tem nicht beson­ders kom­plex. Den Kin­dern ste­hen „nur“ sechs ver-
schie­de­ne Grif­fe zur Ver­fü­gung, aber aus mei­ner Sicht reicht das völ­lig aus. Kin­der brau­chen kei­ne High­tech-Hand. Sie brau­chen eine Hand, mit der sie zwei oder drei Grif­fe machen kön­nen, eine Hand, die schnell reagiert, robust ist und vor allem leicht. All das bil­det das Sys­tem von Open Bio­nics ab. Ich wür­de mir wün­schen, dass auch ande­re Her­stel­ler von der High­tech-Vari­an­te zurück­ge­hen und statt­des­sen auf das set­zen, was wirk­lich gebraucht wird. Der Hero Arm ist zudem nicht nur für Kin­der geeig­net, auch Jugend­li­che und Erwach­se­ne kön­nen von der Pro­the­se pro­fi­tie­ren, je nach­dem, wo der Fokus in der Ver-
sor­gung liegt.

OT: Wie steht es um die Ver­sor­gung der Kleins­ten, also um Kin­der, die jün­ger als sie­ben Jah­re alt sind?

Han­nen: Aktu­ell gibt es nur die Kin­der­hän­de von Otto­bock und Habitusprothesen.

3D-Dru­cker ermög­licht neue Möglichkeiten

OT: Wor­an liegt es, dass es so wenig Aus­wahl gibt?

Han­nen: Ich glau­be, es liegt nicht dar­an, dass die Her­stel­ler nicht wol­len, son­dern dass sie es – noch – nicht kön­nen. Es braucht klei­ne Sen­so­ren, klei­ne Moto­ren und klei­ne Ver­ka­be­lun­gen: Es ist unheim­lich schwie­rig, all das im Mini­for­mat her­zu­stel­len. Ich bin mir aber sicher, dass der 3D- Druck neue Mög­lich­kei­ten eröff­nen wird.

OT: Auch der Hero Arm wird per 3D-Druck her­ge­stellt. Ist das Ver­fah­ren die Zukunft?

Han­nen: Ich den­ke, die addi­ti­ven Her­stel­lungs­ver­fah­ren bie­ten uns neue Mög­lich­kei­ten und ergän­zen unse­re bis­he­ri­gen Tätig­kei­ten. Beim Hero Arm sind wir für den Schaft zustän­dig, wir ermit­teln die Elek­tro­den­punk­te, sor­gen für eine opti­ma­le Pass­form und Zuschnitt und über­tra­gen die digi­ta­len Daten an den Her­stel­ler. Den rest­li­chen Auf­bau des Unter­arms sowie die Instal­la­ti­on der Elek­trik über­nimmt die Fir­ma Open Bio­nics. Der 3D-Druck ermög­licht uns hier­bei Kon­struk­tio­nen, die wir hän­disch nicht hät­ten fer­ti­gen kön­nen. Dazu gehört auch der Schaft, der sich wie eine Zieh­har­mo­ni­ka öff­nen und schlie­ßen lässt, und sich somit im Umfang anpas­sen lässt.

OT: Wel­che Vor­aus­set­zun­gen müs­sen erfüllt sein, damit der Hero Arm zum Ein­satz kom­men kann?

Han­nen: Der Stumpf muss – vom Ellen­bo­gen bis Stumpf- ende – min­des­tens acht Zen­ti­me­ter lang sein. Zudem müs­sen aus­rei­chend myo­elek­tri­sche Signa­le vor­han­den sein. Ein Signal reicht aber tat­säch­lich schon aus, um die Pro­the­se zu steu­ern. Die Haut­ver­hält­nis­se und eben­so die kogni­ti­ven Fähig­kei­ten müs­sen auch eine Ver­sor­gung zulassen.

Arm­pro­the­se für den Alltag

OT: Wie wur­de Niklas ver­sorgt, bevor er den Hero Arm erhal­ten hat?

Han­nen: Mit einem Kin­der­hand­sys­tem von Ottobock.Hätten wir den Hero Arm nicht als Alter­na­ti­ve gefun­den, hät­te er sich wahr­schein­lich gegen eine erneu­te Ver­sor­gung auf­grund der tech­ni­schen Defi­zi­te und des hohen Gewich­tes entschieden.

OT: Wie sind Sie auf die Pro­the­se auf­merk­sam geworden?

Han­nen: Die Fir­ma Open Bio­nics hat­te mich noch vor Markt­ein­füh­rung ange­spro­chen und gefragt, was ich von dem Pro­dukt hal­te und was ich ver­än­dern wür­de. Ich dach­te dabei gleich an Niklas und dar­an, ob der Hero Arm viel­leicht die Lösung sein könn­te. Er ist deut­lich leich­ter, hat eine grö­ße­re Griff­kraft und Griff­ge­schwin­dig­keit. Damit kön­nen wir alles abbil­den, was Niklas woll­te. Nor­ma­ler­wei­se rich­ten wir uns nach dem Qua­li­täts­stan­dard des Ver­eins zur Qua­li­täts­si­che­rung in der Arm­pro­the­tik (VQSA). Die­ser schreibt einen Schaft mit HTV-Sili­kon vor. Das bie­tet einen guten Kom­fort und eine gute Com­pli­ance bei den
Pati­en­ten. Ich habe mich dann aber ent­schie­den, das Sys­tem so aus­zu­pro­bie­ren, wie es der Her­stel­ler anbie­tet, also ohne Sili­kon. Der Schaft ist wie eine Art Zieh­har­mo­ni­ka gestal­tet. Er kann durch einen Bohr­ver­schluss etwas grö­ßer und klei­ner gemacht wer­den. Wir haben fest­ge­stellt, dass die Luft­zir­ku­la­ti­on dadurch deut­lich bes­ser ist.

OT: Wie zufrie­den ist Niklas mit dem Ergebnis?

Han­nen: Niklas ist das ers­te Kind, das in Deutsch­land mit dem Hero Arm ver­sorgt wur­de. Er trägt ihn jetzt bereits seit ein paar Mona­ten und ist sehr zufrie­den. Er benutzt die Pro­the­se für sämt­li­che Tätig­kei­ten in der Schu­le und um im Haus­halt und Gar­ten mit­zu­hel­fen. Auch beim Fahr­rad­fah­ren trägt er sie, weil er bei­de Hän­de braucht, um sicher steu­ern zu kön­nen. Er schwitzt jetzt deut­lich weni­ger und das Gewicht macht ihm – trotz sei­nes kur­zen Unter­arm­stump­fes – kei­ne Pro­ble­me. Auch das Design kommt sehr gut an.

OT: Wie genau sieht sei­ne Pro­the­se aus?

Han­nen: Mir per­sön­lich gefällt die Pro­the­se durch die Git­ter­struk­tur auch ohne Cover optisch sehr gut. Außer­dem wirkt sie dadurch nicht so klo­big. Gera­de für Kin­der ist es aber toll, dass es ande­re Mög­lich­kei­ten gibt. Niklas hat sich für eine Vari­an­te ent­schie­den, die an den Mar­vel-Super­hel­den „Black Pan­ther“ ange­lehnt ist. Tat­säch­lich wün­schen sich die meis­ten unse­rer jun­gen Pati­en­ten bun­te und auf­fäl­li­ge Designs. Und das machen wir ger­ne mög­lich. Denn klar ist: Je mehr sich der Pati­ent mit der Pro­the­se iden­ti­fi­ziert, des­to grö­ßer ist die Wahr­schein­lich­keit, dass er sie auch trägt. Niklas tut das mit Stolz. Wenn man bedenkt, dass er zuvor in der Schu­le gehän­selt wur­de, ist die Optik umso wich­ti­ger. Sei­ne Mut­ter hat mir zurück­ge­mel­det, dass die Mit­schü­ler den Arm toll fin­den. Zum ers­ten Mal steht Niklas jetzt im Mit­tel­punkt – und zwar positiv.

OT: Funk­ti­on oder Optik: Was steht für Ihre Patient:innen im Fokus?

Han­nen: In ers­ter Linie ist eine Arm­pro­the­se ein Werk­zeug. Ich habe Pati­en­ten, die ihre Pro­the­se nur für bestimm­te Tätig­kei­ten anzie­hen. Das kann täg­lich auch nur eine Stun­de sein. Aber für die­se eine Stun­de brau­chen sie die Pro­the­se, weil es eben kei­ne ande­re Mög­lich­keit gibt, die­se Tätig­kei­ten aus­zu­füh­ren. Und dann gibt es Pati­en­ten, die ihre Pro­the­se den gan­zen Tag von mor­gens bis abends tragen.
Vie­len Kun­den ist es wich­tig, dass sie durch die Pro­the­se optisch an die Gesell­schaft ange­gli­chen sind. Für jeden steht etwas ande­res im Fokus.

Knall­bunt statt hautfarben

OT: Braucht in ers­ter Linie tat­säch­lich Niklas die Pro­the­se oder braucht sie viel­mehr die Gesellschaft?

Han­nen: Niklas ist ohne Unter­arm auf die Welt gekom­men. Er kennt es nicht anders und ist sehr geschickt. Kin­der kön­nen viel aus­glei­chen. Aber sie haben eben auch weni­ger Tätig­kei­ten aus­zu­füh­ren als Erwach­se­ne. Ist die Selbst­stän­dig­keit als Kind noch deut­lich redu­ziert, wird sie im Jugend- und Erwach­se­nen­al­ter immer mehr gefor­dert. Man muss vor­sich­tig sein: Durch die Kom­pen­sa­ti­ons­be­we­gun­gen kommt es zu einem ver­mehr­ten Über­grei­fen mit der gesun­den Hand, die Kin­der müs­sen sich mehr ver­dre­hen. Das wirkt sich auf den gesam­ten Bewe­gungs­ap­pa­rat aus und kann auch zu einer Über­las­tung der gesun­den Hand füh­ren. Ich sehe häu­fig – wie auch bei Niklas –, dass Men­schen mit Behin­de­run­gen aus­ge­grenzt wer­den. Es muss sich etwas in der Gesell­schaft ändern. Sie muss offe­ner und hilfs­be­rei­ter wer­den. Zu mir kam mal eine älte­re Dame, die zur Sicher­heit einen Rol­la­tor bekom­men soll­te und ihre größ­te Sor­ge war: Was sol­len die Nach­barn den­ken? Es gibt aber auch ande­re Bei­spie­le, die zei­gen, dass sich sehr wohl etwas tut. Frü­her soll­ten Pro­the­sen immer haut­far­ben sein und mög­lichst wenig auf­fal­len. Heu­te wol­len vie­le Pati­en­ten kei­ne Kos­me­tik haben und wenn, dann eine knall­bun­te. Sie sagen: Ich ste­he dazu. Und jeder soll das sehen. Was man außer­dem nicht aus den Augen ver­lie­ren soll­te: Manch­mal ist es für die Eltern wich­ti­ger, dass ihr Kind eine Pro­the­se bekommt, als für das Kind selbst. Oft flie­ßen die Trä­nen, wenn sie ihr Kind mit Pro­the­se sehen. Zum ers­ten Mal ist ihr Kind „kom­plett“. Das berührt, zeigt aber auch, dass man von Anfang an auf­klä­ren und deut­lich machen muss, dass es dar­um geht, was das Kind möchte.

OT: Wie gehen Sie dabei vor? Wie gelingt es Ihnen, die Eltern zu erreichen?

Han­nen: Ich bin ein Freund von offe­ner und ehr­li­cher Kom­mu­ni­ka­ti­on und ver­su­che, die Gesprä­che mit Ruhe zu füh­ren. Ich sage in jedem Bera­tungs­ge­spräch, dass es nicht dar­um geht, dass das Kind die Pro­the­se jeden Tag stun­den­lang trägt. Es reicht, wenn es sie für bestimm­te Tätig­kei­ten nutzt. Eltern soll­ten kei­nen Druck machen, son­dern unter­stüt­zen. Die Kin­der müs­sen den Mehr­wert selbst erken­nen und das gelingt am bes­ten spie­le­risch. Man­che Eltern ste­cken die Zie­le viel zu hoch, gehen davon aus, dass die Pro­the­se eine gesun­de Hand mit all ihren Funk­tio­nen erset­zen kann. Des­we­gen fin­de ich es wich­tig, von Anfang an auf­zu­zei­gen, was mög­lich ist und was nicht. Wir kön­nen viel, die Tech­nik kann viel, aber nicht alles.

Ergo- und phy­sio­the­ra­peu­ti­sche Begleitung

OT: Mit einer Pro­the­se gut umge­hen zu kön­nen, erfor­dert auch Übung. Wie kam Niklas bei der ers­ten Anpro­be zurecht?

Han­nen: Das ging schnell. Niklas hat nicht mal eine Stun­de gebraucht, um die Pro­the­se kom­plett bedie­nen zu kön­nen. Ich fin­de es wich­tig – und zwar bei allen arm­pro­the­ti­schen Ver­sor­gun­gen –, dass ins­be­son­de­re Kin­der ergo- und phy­sio­the­ra­peu­tisch beglei­tet wer­den. Phy­sio­the­ra­peu­ten soll­ten von Anfang an dar­auf ach­ten, dass die Kin­der die rich­ti­ge Hal­tung ein­neh­men. Ansons­ten ent­ste­hen Feh-
ler, wie bei einem schlech­ten Gang­bild auch, die man nur schwer wie­der behe­ben kann. Ergo­the­ra­peu­ten haben die Auf­ga­be, die Übun­gen mit der Pro­the­se spie­le­risch zu gestal­ten. Wir Ortho­pä­die­tech­ni­ker sind wäh­rend die­ses Pro­zes­ses auch gefor­dert, da die Pro­the­se immer wie­der pas­send ein­ge­stellt wer­den muss. Am Anfang stellt man die Elek­tro­den rela­tiv groß­zü­gig ein, damit die Bewe­gun­gen recht schnell ver­stan­den und aus­ge­führt wer­den kön­nen. Der Nach­teil ist aber, dass es dadurch unge­wollt zu Fehl­steue­run­gen kom­men kann. Der Mus­kel gibt bereits bei klei­ner Anspan­nung ein Signal und die Pro­the­se führt eine
unge­woll­te Bewe­gung aus. Unse­re Auf­ga­be ist es, die Elek­tro­den immer wie­der zu jus­tie­ren und somit ein geziel­tes Grei­fen bzw. Ansteu­ern zu ermög­li­chen. Bei Open Bio­nics las­sen sich sol­che Ein­stel­lun­gen über eine App vor­neh­men, bei ande­ren Hand­sys­te­men funk­tio­niert das über die Steue­rungs­pro­gram­me am Lap­top sowie an der Elektrode.

OT: Hat die Kran­ken­kas­se die Kos­ten pro­blem­los übernommen?

Han­nen: Ich hat­te als ers­tes die Vin­cent-Young-Hand ein­ge­reicht, weil ich zu die­sem Zeit­punkt den Hero Arm noch nicht kann­te. Weil sie Niklas bes­ser gefiel, habe ich dann einen zwei­ten Vor­schlag gemacht, die Ver­sor­gung aber nicht direkt ein­ge­reicht. Ich habe erst mit den Mit­ar­bei­tern der Kran­ken­kas­se gespro­chen, weil ich wuss­te, dass ihnen das Pro­dukt nicht bekannt ist. Ich habe die Funk­tio­nen und Vor­tei­le erläu­tert und auch den Her­stel­ler dar­um gebe­ten, in Kon­takt mit der Kran­ken­kas­se zu tre­ten. Pro­ble­me gab es bei der Über­nah­me dadurch nicht. Die Ver­sor­gung wur­de direkt genehmigt.

Zurück zu basics

OT: Die Fra­ge ist ja immer: Was wünscht sich der Pati­ent bzw. die Pati­en­tin? Vie­le Funk­tio­nen oder doch eher ein gerin­ges Gewicht und eine schnel­le Reaktionsgeschwindigkeit?Ist es denk­bar, dass all die Vor­tei­le der aktu­ell auf dem Markt erhält­li­chen Sys­te­me künf­tig kom­bi­niert werden?

Han­nen: Mit Sicher­heit. Eine mei­ner ers­ten Fra­gen an Open Bio­nics war, ob ich die Kom­po­nen­ten des Sys­tems ein­zeln bekom­men kann. Denn dann wür­de genau das pas­sie­ren, was Sie anspre­chen. Ich könn­te die Ein­zel­tei­le mit ande­ren kom­bi­nie­ren. Anschei­nend bin ich nicht der ein­zi­ge Ortho­pä­die­tech­ni­ker, der danach gefragt hat. Open Bio­nics arbei­tet dar­an, die­se Opti­on mög­lich zu machen. Und bestimmt wird auch der eine oder ande­re Her­stel­ler auf die Idee auf­merk­sam und setzt statt schwe­rem Titan, Stahl oder Alu­mi­ni­um auf 3D-druck­ba­ren leich­ten Kunststoff.

OT: Zwei Jah­re sind seit dem letz­ten Inter­view ver­gan­gen. Wenn wir uns in zwei Jah­ren wie­der tref­fen, was hof­fen Sie dann berich­ten zu können?

Han­nen: Ich hof­fe, dass es dann deut­lich mehr Optio­nen für unse­re Kleins­ten gibt. Und ich hof­fe, dass sich vie­le Her­stel­ler wie­der mehr auf die Basics kon­zen­trie­ren anstatt auf High­tech-Pro­the­sen. Ich wür­de mir außer­dem wün­schen, dass die Büro­kra­tie abnimmt und dass die Kran­ken­kas­sen uns die Mög­lich­keit bie­ten, nicht nur das, was im Hilfs­mit­tel­ver­zeich­nis steht, abzu­bil­den. Unser Beruf ist so viel­sei­tig. War­um soll­ten wir uns durch einen Hilfs­mit­tel­ka­ta­log ein­schrän­ken las­sen? Jeder Pati­ent ist anders, es fällt mir schwer einem Kun­den zu erklä­ren, dass er kei­ne Hob­bys haben darf, nur weil eine Sport­pro­the­se nicht im Hilfs­mit­tel­ver­zeich­nis auf­ge­führt ist. Wenn wir den Behin­de­rungs­aus­gleich tat­säch­lich schaf­fen wol­len, müs­sen wir es rich­tig angehen.

Die Fra­gen stell­te Pia Engelbrecht.

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