OT: Welche liquiditätsentlastenden Maßnahmen empfehlen Sie Unternehmen im ersten Schritt?
Christoph Herbe: Zunächst sollten alle staatlichen Hilfen genutzt werden. So können Ertragssteuern, Umsatzsteuern und auch Sozialversicherungsbeiträge gestundet und Steuervorauszahlungen herabgesetzt werden. Der Staat wird bis zum 31. Dezember 2020 auf Vollstreckungsmaßnahmen und Säumniszuschläge verzichten. Im Personalbereich können und sollten zudem die verbesserten Möglichkeiten der Beantragung von Kurzarbeit genutzt werden.
OT: Welche Soforthilfen stehen zur Verfügung?
Herbe: Der Bund gewährt Unternehmen mit bis zu fünf Beschäftigten 9.000 Euro und bis zehn Mitarbeitern 15.000 Euro nicht rückzahlbare aber zu versteuernde Soforthilfen. Die Länder haben dies individuell auf 20.000 bis 30.000 Euro für bis zu 50 Beschäftigte aufgestockt. Die Bedingungen sind leider je nach Bundesland sehr verschieden und die Auszahlungen erfolgen teilweise sehr schleppend. Diese Soforthilfen decken aber zumeist nur die Fixkosten von Kleinstunternehmen und Solounternehmern in den ersten ein bis drei Monaten!
OT: Gibt es kostenfreie Beratungsmöglichkeiten?
Herbe: Ja, das Bundesamt für Wirtschaft und Außenkontrolle (BAFA) hat ein Förderprogramm geschaffen, bei dem Unternehmen mit bis zu 250 Beschäftigten, 50 Millionen Euro Umsatz oder 43 Millionen Euro Bilanzsumme einen nicht rückzahlbaren Zuschuss bis zu einem Betrag von 4.000 Euro mit einer Förderung von 100 Prozent beantragen können. Der Zuschuss wird nach erfolgter Beratung direkt an die gelisteten Berater ausgezahlt. Das Unternehmen muss nur mit der Umsatzsteuer in Vorlage gehen! Thematisch können hier fehlende Rentabilitäts- und Liquiditätspläne sowie notwendige betriebliche Maßnahmen der Krisenbewältigung erarbeitet werden, notwendige Finanzierungsanträge vorbereitet und begleitet werden und auch strategische Beratungen für eine Erhaltung der Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit durchgeführt werden.
OT: Wie sollten die Unternehmen in den kommenden Monaten vorgehen?
Herbe: Leider haben wir alle keine Glaskugel, aus der wir gegenwärtig die zeitliche Dimension der Krise absehen können. Die von der Corona-Pandemie betroffenen Unternehmen sollten daher zunächst eine dynamische Liquiditätsplanung für einen Krisenzeitraum von drei und sechs Monaten entwickeln, um daraus den notwendigen Liquiditätsbedarf abzuleiten. Dieser kann dann als Grundlage für Kreditanträge bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) verwendet werden, bei Unternehmen mit mindestens elf Beschäftigten über einen KfW-Schnellkredit mit 100-Prozent Staatsgarantie und zehn Jahren Laufzeit – begrenzt auf ein Volumen von 500.000 Euro bzw. 800.000 Euro für Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten. Kleinere Unternehmen und Unternehmen mit einem größeren Kapitalbedarf können einen KfW-Unternehmerkredit mit maximal fünf Jahren Laufzeit bei ihrer Hausbank beantragen, der von dieser nach den bestehenden Kreditrisikorichtlinien für die KfW geprüft wird und für den eine 90-prozentige Haftungsfreistellung seitens der KfW gewährt wird. Durch den KfW-Schnellkredit hat der Staat eine gute Möglichkeit der Kreditbeschaffung ohne aufwendige, oft zukunftsbezogene Kreditprüfungsvorgaben geschaffen. Ob der nach oben begrenzte Kreditrahmen für kleine mittelständische Unternehmen (KMU) ausreicht, werden allerdings erst die nächsten Monate zeigen. Nicht zu vernachlässigen ist, dass alle Kredite und gestundeten Steuern und Beiträge ab 2021/2022 zurückgezahlt werden müssen und hierfür eine ausreichende Unternehmensliquidität vorhanden sein muss. Das wird branchenweit nur dann funktionieren, wenn wir ab 2020 wieder in eine nachhaltige Wachstumsphase kommen!
OT: Können sich die Unternehmen bereits jetzt auf die ungewisse Zukunft vorbereiten?
Herbe: Um auf den letzten Satz aufzusetzen: Die Zukunft ist ungewisser denn je, daher muss jedes Unternehmen seine branchenspezifischen Gegebenheiten, seine individuelle Geschäftspolitik und auch seine noch vorhandenen Handlungsparameter kritisch beleuchten. Es müssen Szenarien entwickelt werden, nach denen ein Unternehmen zukunftsweisende Entscheidungen hinsichtlich der Personal- und Sachkapazitäten, der Wachstums- aber auch Schrumpfungserfordernisse und nicht zuletzt der Kapitalbedürfnisse fällen kann. Für Letzteres ist ein funktionierender Kapitalmarkt zwingend erforderlich. Für die KMUs sehe ich hier auf Basis der nicht guten Bilanzen 2020 und vielleicht auch noch 2021 keine guten Perspektiven. Es wird daher umso wichtiger, dass innerhalb einer Branche strategische Allianzen, Kooperationen und sinnvolle Firmenzusammenschlüsse angedacht werden, um gemeinsam mit einer hilfreichen Verbands- und Lobbyarbeit mehr Unabhängigkeit von klassischen Bankkrediten zu erhalten. Noch ist genug privates und institutionelles Kapital am Markt vorhanden! Voraussetzung ist aber ein Umdenken in den Köpfen, hin zu kreativen neuen Geschäftsmodellen. Hier kommt auch der Belegschaft in den KMU eine große Bedeutung zu, denn allein sind die Unternehmer hier oft auf verlorenem Posten.
Die Fragen stellte Ruth Justen.
Christoph Herbe konnte von der Confairmed GmbH als Referent gewonnen werden. Am 26. Mai bietet er das Webinar: “Finanzielle Unterstützung in der Corona-Krise” an. Um der momentanen Entwicklung Rechnung zu tragen, werden in diesem Webinar aktuelle Informationen rund um finanzielle und beratende Unterstützungsmöglichkeiten für Unternehmen angeboten. Im Rahmen eines 5‑Phasen-Konzeptes werden Prioritäten, zu beachtende Fristen und Antragswege vorgestellt und sofort umsetzbare Handlungsempfehlungen gegeben. Weitere Informationen und Anmeldung hier.