Neben Fußfehlstellungen, die meist den initialen Grund für eine Versorgung darstellen, müssen Begleiterkrankungen wie Diabetes, Rheuma, Arthrose oder Osteoporose, zudem häufig Altersdemenz, berücksichtigt werden. Da oft auch Einschränkungen der gesamten körperlichen Beweglichkeit vorliegen, ist eine einfache Bedienbarkeit der Schuhe eine essentielle Voraussetzung für den Versorgungserfolg. Wichtig für die Akzeptanz des Hilfsmittels ist außerdem der subjektive Nutzen, sei es durch Schmerzreduktion oder durch Verbesserung der Stand- und Gangsicherheit.
Auch optische Aspekte dürfen nicht unterschätzt werden: Was frühere Generationen noch als medizinisch notwendiges Übel akzeptiert haben, wird den Lifestyle-Ansprüchen heutiger Geriatriker oft nicht mehr gerecht. Aber nicht nur die Patienten selbst haben eigene Vorstellungen von einer optimalen Versorgung – auch Angehörigeund Pflegekräfte möchten ihre Wünsche berücksichtigt
sehen.Wohlwollende Angehörige stellen häufig den Komfortaspekt in den Vordergrund und versuchen, dem Patienten mit konfektionierten Gelsohlen oder sehr weichen, aber nicht ausreichend formstabilisierenden Schuhen Erleichterung zu verschaffen. Pflegekräfte dagegen fordern aufgrund der begrenzten zur Verfügung stehenden Zeit in der Regel ein Schuhwerk, das einfach und schnell anzulegen ist. In diesem Zusammenhang werden hochschaftige Schuhe, die biomechanisch notwendig sein können, häufig als störend im Pflegeablauf empfunden und deshalb nicht selten gegen insuffiziente Hausschuhe ausgetauscht. Hier muss der Leistungserbringer umfangreiche Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit leisten. Ziel muss es für ihn sein, den bestmöglichen Kompromiss aus medizinisch-biomechanischen Notwendigkeiten und einer hohen Akzeptanz der involvierten Personenkreise zu finden. Im Folgenden werden einige typische Schuhversorgungen für geriatrische Patienten anhand von vier Fallbeispielen vorgestellt:
Versorgungsbeispiel 1
Herr W., 77 Jahre alt, mit ausgeprägter Demenz, hat sich vor fünf Jahren einen Oberschenkelhalsbruch zugezogen, der sich heute in Bezug auf die knöcherne Durchbauung als unauffällig verheilt darstellt. Seit einem halben Jahr lebt Herr W. nun im Seniorenheim, wo den Pflegern das „unrunde“, gebückte Gangbild des Patienten aufgefallen ist. Bei der Begutachtung durch den Leistungserbringer wurde eine Beinlängenverkürzung von 1,5 cm auf der linken Seite festgestellt, zusätzlich ein altersentsprechend stark druckempfindlicher Spreizfuß. Die technische Versorgung konnte relativ einfach durch eine Änderung am bestehenden Schuhwerk in Form einer Schuherhöhung mit Abrollhilfe realisiert werden. Ergänzend wurde eine maßgefertigte bettende Einlagenversorgung erstellt. Der Patient beschreibt eine spürbare Schmerzreduktion durch die entlastende Bettung sowie eine deutliche Verbesserung der Gangsicherheit. Auch objektiv hat sich das Gangbild positiv entwickelt. Bemerkenswert an dieser Versorgung ist nicht so sehr das Versorgungskonzept, sondern die Frage, weshalb eine entsprechende Versorgung nicht schon vor fünf Jahren anlässlich der Rehabilitation der Schenkelhalsfraktur eingeleitet wurde. Durch eine intakte Kommunikation im vielbeschworenen interprofessionellen Team hätten dem Patienten sicherlich mehrere Jahre mit besserer Lebensqualität geschenkt werden können.
Versorgungsbeispiel 2
Frau T., 80 Jahre alt, ist seit 30 Jahren Rheumatikerin und wohnt in einem Pflegeheim. Durch ihr fortgeschrittenes Rheuma sind Hände und Füße stark deformiert. Nach zahlreichen frustrierenden Selbstversuchen mit Katalogbestellungen besonders weicher, „schonender“ Schuhe forderte der Sohn eine Beratung zur Schuhversorgung an. Frau T. erwies sich dabei als durchaus modebewusste Patientin, die zwar einerseits die Notwendigkeit einer individuellenVersorgung anerkannte, andererseits aber eine Maßschuhfertigung aus kosmetischen Gründen ablehnte. Als Kompromiss erwies sich schließlich ein spezieller Rheumatikerschuh aus der Maßkonfektion der Firma Thanner. Ergänzt durch eine bettende Einlage konnte somit eine sowohl für die Patientin aus kosmetischer Sicht als auch für den Versorger aus medizinischer Sicht zufriedenstellende Lösung verwirklicht werden. Das Beispiel verdeutlicht, dass bei Rheumatikern, aber auch bei älteren Diabetikern zwingend auf eine adäquate Schuhauswahl zu achten ist. Ein weiches Innenfutter bzw. ein flexibles Vorderblatt schützt vor Druckstellen an den Zehen bzw. am Fuß. Eine oftmals integrierte Sohlenversteifung und eine Abrollhilfe unterstützen ein kraftschonendes Gehen. Ein umfassendes Portfolio an geeigneten Diabetikerschutzschuhen und Rheumatikerschuhen ist am Markt erhältlich, sie sollten aber individuell dem Fuß angepasst werden. Mittlerweile ist das Erscheinungsbild solcher Schuhe nicht mehr so altmodisch (Abb. 1), auch wenn im Bereich des Designs sicher noch Entwicklungspotenzial besteht. Ob es sich um klassische Varianten mit Klettverschluss, etwas luftigere Sommermodelle oder sportliche Modelle handelt: Sie alle sind geeignet, den Fuß zu schützen.
Versorgungsbeispiel 3
Das dritte Versorgungsbeispiel sorgte bei allen Beteiligten für Verwunderung: Herr B., 66 Jahre alt, wurde wegen einer Arthroskopie des Kniegelenkes stationär aufgenommen. Dies ist normalerweise keine Indikation für eine schuhtechnische Versorgung, jedoch zeigten sich bei der Eingangsuntersuchung beide Fersen des Patienten schwarz angelaufen und kurz vor einer Hautläsion – ein Zustand, der vom Patienten völlig negiert wurde. Aufgrund des Alters und der noch guten Mobilität des Patienten wurde in Absprache mit dem Wundmanager als Tagversorgung ein Therapieschuh mit individueller Polsterung im Fersenbereich gewählt, ergänzt durch eine Lagerungsorthese („Oscar Plus“) für die Nacht. Mit dieser Kombination konnte in relativ kurzer Zeit eine Abheilung der Fersen erreicht werden. Diese Lösung – ein Verbandschuh mit einer druckentlastender Fußbettung – hat sich generell bei einem Fersendekubitus, der z. B. durch fehlende Mobilisierung bzw. falsche Lagerung entstanden ist, bewährt: Das Gehen wird erleichtert, die einfache Handhabung erhöht die Akzeptanz, und die Bettung unterstützt den Heilungsprozess.
Versorgungsbeispiel 4
Bei sehr komplexen Versorgungen, wie bei Frau H., 82 Jahre alt und alleinlebend, die neben einer ausgeprägten Fußfehlstellung ein massives Lymphödem aufweist (Abb. 2), muss im Vorfeld eine Abstimmung aller in die Therapie eingebundenen Personen erfolgen. Bevor mit der Schuhversorgung begonnen werden kann, muss gewährleistet werden, dass eine regelmäßige und indikationsgerechte Kompressionstherapie erfolgt. Auch nach erfolgter Schuhversorgung muss die Fortführung der Therapie sichergestellt werden, da ansonsten keine Passform- und Funktionsgarantie übernommen werden kann. Eine offene Kommunikation mit dem Patienten selbst, den Angehörigen, dem behandelnden Arzt, dem Pflegepersonal und auch dem Kostenträger ist im Vorfeld notwendig und hilfreich.
Letzte Option: der Maßschuh
Sollten die beschriebenen semi-orthopädischen Lösungen nicht ausreichen und der Betroffene Fußdeformitäten aufweisen, die mittels Maßkonfektion nicht beherrschbar sind, bleibt oftmals nur noch der orthopädische Maßschuh als geeignetes Mittel (Abb. 3). Auch wenn diese Art von Schuhen oftmals noch – wenig modisch – in Schwarz oder Braun gefertigt wird, gibt es immer mehr Möglichkeiten, maßgefertigte Schuhe sowohl orthopädisch korrekt als auch optisch ansprechend zu gestalten. Erfahrungsgemäß ist dabei weniger manchmal mehr, denn die gestalterische Notwendigkeit bei der Schuhherstellung sollte sich immer an den tatsächlichen Anforderungen des Patienten orientieren: Benötigt er wirklich eine 20 cm hohe Stiefelversorgung mit Arthrodesenkappen beidseits, obwohl er nur kurze Wege innerhalb des Haushalts zurücklegt und die meiste Zeit des Tages auf der Couch verbringt? Viel wichtiger ist bei solchen Patienten die Frage nach der Akzeptanz, zu der sowohl eine einfache Handhabbarkeit als auch eine ansprechende Optik beitragen, denn was nützt ein biomechanisch perfekter Schuh, wenn er nicht getragen wird?
Fazit
Angesichts des demografischen Wandels ist bei der Schuhversorgung des Geriatrikers von einem Wachstumsmarkt auszugehen. Die Anforderungen sind dabei vielfältig und häufig ist Kreativität gefragt, um die medizinischen Notwendigkeiten mit der Akzeptanz des Patienten in Übereinstimmung zu bringen. Wenn dieses aber gelingt, trägt eine adäquate Schuhversorgung erheblich zur Lebensqualität des alternden Patienten bei.
Der Autor:
Christian Welsch, OSM
Schindler Orthopädie
Freudenberger Str. 404
57072 Siegen
C.Welsch@schindler-ot.de
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