Andreas Albath und Thomas Mischker haben gemeinsam das Buch „Interprofessionelle Versorgungsstrategien der unteren Extremitäten – Einführung in die Neuroorthopädie bei Erwachsenen“ veröffentlicht. In einer Rezension gibt Ludger Lambrecht, OTM und M. Sc. Rehabilitation studies sowie Fachlehrer an der Bundesfachschule für Orthopädie-Technik (Bufa), einen Überblick über die Inhalte und Zielsetzungen des Werks und beleuchtet den Nutzen für das Versorgerteam:
Als ich vor vielen Jahren den Beruf des Orthopädiemechanikers erlernen durfte, kursierte der Spruch „Orthopädiemechaniker können alles, aber nichts richtig“. Soll heißen: Wir können mit Holz umgehen, aber nicht so gut wie ein Schreiner; wir können mit Metall umgehen, aber nicht so gut wie ein Schlosser und so weiter. Trotzdem genügen diese Teilfertigkeiten, um am Ende hochwertige Patientenversorgungen anzufertigen.
An diese Aussage fühlte ich mich beim Lesen des Buches erinnert. In sehr kompaktem Format bringen die Autoren Teilaspekte aus unterschiedlichsten Blickwinkeln zusammen. Je ein Kapitel widmet sich neurologischen, sensomotorischen sowie anatomischen Hintergründen, ein weiteres den Grundlagen biomechanischer Gesetzmäßigkeiten. Es werden therapeutische Konzepte in Grundzügen erklärt, der Gang des Menschen unter kinetischen und kinematischen Aspekten dargestellt und Grundsätze der orthopädietechnischen Versorgung herausgearbeitet. Diese Einzelaspekte werden abschließend am Beispiel konkreter Gangabweichungen miteinander verknüpft und alltagstaugliche Versorgungsstrategien dargestellt.

Das Buch versteht sich somit als eine Art Babelfisch. Für alle, die das Buch „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adams nicht kennen, hier eine kurze Erläuterung: Der Babelfisch ist ein fiktives Lebewesen, das man sich ins Ohr steckt und fortan alle Sprachen der Galaxis versteht; dadurch wird eine Verständigung zwischen unterschiedlichsten humanoiden Lebensformen möglich. So soll durch das Buch die Kommunikation im interprofessionellen Versorgungsteam vereinfacht werden und ein Grundverständnis für die Sichtweise der anderen Beteiligten angebahnt werden. Führt man sich vor Augen, dass das Buch all diese Teilaspekte auf nur 248 Seiten zusammenfasst, kann man sich vorstellen, dass die notwendige didaktische Reduktion Reibungsverluste verursacht, man sich an manchen Stellen tiefergehende Informationen wünschen würde oder manchmal auch Zusammenhänge arg vereinfacht dargestellt werden. Aber vielleicht ist das dann ja auch Ansporn, sich zu dem jeweiligen Bereich vertiefende Literatur anzuschaffen.
Die Darstellung ist überwiegend gut verständlich, lediglich bei komplexen Sachverhalten, wie beispielsweise dem Aufbau und der Funktion des Gehirns beziehungsweise der Bewegungssteuerung, ist es für weniger vorbefasste Leserinnen und Leser schwierig zu folgen. Das ist teilweise sicherlich dem Thema geschuldet, teilweise sind aber auch Logikbrüche enthalten. So sind beispielsweise Bildbeschriftungen nicht hundertprozentig kongruent zu den Begriffen im Fließtext.
Wer ein Lehrbuch für Orthopädie-Technik erwartet, wird von dem Buch enttäuscht sein. Wer aber als Orthopädietechniker über den Tellerrand hinaussehen möchte und seine Versorgungsideen besser durch ganganalytische Beobachtungen und objektivierbare Untersuchungstechniken begründen möchte, wird hier zahlreiche Tipps erhalten. Die entsprechende Dokumentation wird durch zwei Dokumentationsbögen zur Gangbildanalyse nach O.G.I.G (Observational Gait Instructor Group) erleichtert, die online zur Verfügung gestellt werden.
Ebenso ist das Buch empfehlenswert, um anderen Beteiligten im interprofessionellen Versorgungsteam die biomechanische Sichtweise der Orthopädie-Technik näher zu bringen und einen groben Überblick über die verbreitetsten Versorgungsmöglichkeiten zu geben.
Und so schließt sich der Kreis: Das Buch kann alles, aber nichts richtig. Soll heißen: Es gibt allen Leserinnen und Lesern einen Einblick in die Tätigkeitsfelder der anderen beteiligten Professionen und unterstützt bei der Entwicklung einer gemeinsamen Sprache. Um damit ein optimales Behandlungs- und Versorgungsergebnis zu erreichen, sind aber nach wie vor spezifischere Fachkenntnisse der einzelnen Disziplinen erforderlich.
Ludger Lambrecht

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