Reha­kind fei­ert 25-jäh­ri­ges Bestehen

Seit einem Vierteljahrhundert setzt sich Rehakind für die Belange von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen ein. Mit der OT-Redaktion sprach Mitgründerin und Geschäftsführerin Christiana Hennemann über die größten Erfolge des Vereins, die Ziele für die kommenden Jahre und die Herausforderungen, die es noch zu bewältigen gilt.

Vor 25 Jah­ren haben Sie den Ver­ein Reha­kind mit­gegründet. Was hat Sie damals dazu bewogen?
Chris­tia­na Hen­ne­mann: Als wir mit eini­gen Her­stel­lern, die mich von der Rehab-Mes­se und aus dem Ver­lag ­„moder­nes ler­nen“ als Fach­jour­na­lis­tin kann­ten, die ers­ten Ge­spräche zur Grün­dung von Reha­kind zum Ende des ver­gangenen Jahr­hun­derts führ­ten, wur­de gera­de deut­lich, dass wir einer gro­ßen demo­gra­phi­schen Auf­ga­be ent­ge­gen­se­hen. Der gesam­te öffent­li­che Fokus rich­te­te sich auf die kom­men­de Wel­le von „Senio­ren“ und die mit ger­ia­tri­scher Ver­sor­gung ver­bun­de­nen Pro­ble­me. Kin­der mit Behin­de­rung gerie­ten völ­lig aus dem Blick – das woll­ten und muss­ten wir ändern.

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Was sind aus Ihrer Sicht die größ­ten Errun­gen­schaf­ten in 25 Jah­ren Rehakind?
Die größ­te Errun­gen­schaft ist die Erkennt­nis, dass man gesamt­ge­sell­schaft­lich nur (posi­ti­ve) Ver­än­de­run­gen her­bei­füh­ren kann, wenn man gemein­sa­me Zie­le defi­niert und die­se auch gemein­sam angeht. Da muss­ten vie­le indi­vi­du­el­le und auch unter­neh­me­ri­sche Inter­es­sen und Eitel­kei­ten zurück­ge­stellt wer­den. Dass wir nun am Ende nach so lan­ger Zeit auch noch mit einem demo­kra­ti­schen Pro­zess poli­ti­sche Erfol­ge und eine ech­te Geset­zes­än­de­rung zur Ver­sorgungsverbesserung errei­chen konn­ten, macht uns glück­lich und stolz. (Ende Janu­ar ver­ab­schie­de­te der Deut­sche Bun­des­tag das Gesetz zur Stär­kung der Gesund­heits­ver­sor­gung (GVSG). Zen­tra­ler Bestand­teil ist der neu ein­ge­füg­te §33 Absatz 5c im Sozi­al­ge­setz­buch V (SGB V): Bei Hilfs­mit­tel­ver­sor­gun­gen für Kin­der und Jugend­li­che mit Behin­de­rung, deren Ver­ord­nun­gen aus einem SPZ kom­men, ent­fällt die Prü­fung der Kranken­kassen bzw. des Medi­zi­ni­schen Diens­tes (MD) auf medi­zi­ni­sche Not­wen­dig­keit, Anm. d. Red.)

Neben all den High­lights gab es mit Sicher­heit auch vie­le Heraus­forderungen, Hür­den und Sack­gassen: Ging Ihnen auch mal (fast) der Atem aus?
Eigent­lich nicht. Die Auf­ga­ben kamen auf uns als Ver­ein zu und wir muss­ten sie erle­di­gen. Mit einem guten Team und vor allem vie­len inter­es­sier­ten und enga­gier­ten Spar­rings­part­nern im Netz­werk konn­ten wir bis­her Lösun­gen fin­den. Klei­ne, indi­vi­du­el­le für ein­zel­ne Fami­li­en, aber auch grö­ße­re für Insti­tu­tio­nen und Pro­zes­se. Wir sind nicht am Ende der Ver­bes­se­rungs­ideen, aber auf einem guten Weg mit­ein­an­der – und das über alle Pro­fes­sio­nen und Dis­zi­pli­nen und auf Augen­hö­he mit denen, um die es geht.

Wo sehen Sie aktu­ell die größ­ten Ver­sor­gungs­eng­päs­se oder Ver­besserungsmöglichkeiten für Kin­der mit Behinderungen?
In allen demo­gra­phi­schen Betrach­tun­gen heißt es immer, dass die Zahl der Gebur­ten zurück­geht. Den­noch bleibt die Zahl der Kin­der mit (schwe­ren) Behin­de­run­gen kon­stant. Die gro­ßen medi­zi­ni­schen Fort­schrit­te bei prä- und peri­na­ta­ler Medi­zin, also der Behand­lung von Kin­dern im Mut­ter­leib und nach der (Früh-)geburt, füh­ren dazu, dass immer mehr Kin­der, die frü­her nicht ins Leben gekom­men wären, nun bei uns sind und Ver­sor­gung auf allen Ebe­nen benö­ti­gen. Das glei­che gilt für medi­zi­ni­sche Behand­lungs­fort­schrit­te, sodass aus unse­ren „Reha­kin­dern“ auch jun­ge Erwach­se­ne wer­den, mit einer teils kaum ein­ge­schränk­ten Lebens­er­war­tung. Hier müs­sen wir Chan­cen und Mög­lich­kei­ten schaf­fen. Und sicher­lich, ange­sichts knap­per Kas­sen, auch noch in eine ethi­sche Dis­kus­si­on gehen.

Kürz­lich haben in Deutsch­land die Bun­des­tags­wah­len statt­ge­fun­den: Wel­che poli­ti­schen Ver­än­de­run­gen erwar­ten Sie, die Aus­wir­kun­gen auf die Ver­sor­gung von Kin­dern mit Behin­de­run­gen haben werden?
Ich erwar­te, dass die gesam­te Kin­der­me­di­zin gestärkt wird und wir nicht an den Kin­dern spa­ren. Sie bedeu­ten unse­re Zukunft. „Man erkennt den Wert einer Gesell­schaft dar­an, wie sie mit den Schwächs­ten ihrer Glie­der ver­fährt“, sag­te schon Gus­tav Hei­ne­mann. Wir brau­chen die Kin­der mit ihren unter­schied­li­chen Bega­bun­gen. Wir brau­chen die jun­gen Eltern in Beruf und All­tag, wir brau­chen sie als Fach­kräf­te und als Pfle­ge­per­so­nen. Und wir haben nicht genü­gend Medi­zi­ner und The­ra­peu­ten, die sich zum Teil in rela­tiv pre­kä­ren Struk­tu­ren der Kin­der­ver­sor­gung eine Zukunft auf­bau­en wol­len. Kin­der­ver­sor­gung muss attrak­tiv wer­den und nicht nur für die her­zens­ge­steu­er­ten „Über­zeugungstäter“. Außer­dem ist unser deut­sches Gesund­heits­we­sen mit dem vie­len Geld, das dar­in steckt, immer ein Repa­ra­tur­kon­zept. Die ech­te Erkennt­nis, dass nur mit struk­tu­rier­ten Prä­ven­ti­ons­pro­gram­men gesamt­ge­sell­schaft­lich und mit indi­vi­du­el­ler Bedarfs­be­trach­tung bei den ein­zel­nen Pati­en­ten lang­fris­tig und bud­get­über­grei­fend Erfol­ge erzielt wer­den kön­nen, fehlt immer noch. Mut, das anzu­grei­fen, geht weit über Wahl­pe­ri­oden hin­aus und bringt sicher­lich zunächst nicht vie­le Freunde.

2026 werden beim „Focus CP Rehakind Kongress“ wieder zahlreiche Fachleute, Patienten und Angehörige miteinander ins Gespräch kommen. Foto: Rehakind
2026 wer­den beim „Focus CP Reha­kind Kon­gress“ wie­der zahl­rei­che Fach­leu­te, Pati­en­ten und Ange­hö­ri­ge mit­ein­an­der ins Gespräch kom­men. Foto: Rehakind

Wel­che Begeg­nung, wel­ches Gespräch oder wel­che Erfah­rung ist Ihnen in all den Jah­ren beson­ders in Erin­ne­rung geblieben?
Ich bin dank­bar, so vie­le tol­le und enga­gier­te Men­schen aus so vie­len Berufs­fel­dern ken­nen­ge­lernt zu haben und auch wirk­lich ein Netz­werk geschmie­det zu haben, von dem alle pro­fi­tie­ren, weil es viel Wis­sen bün­delt und stets neu­tral agiert. Aber am meis­ten Respekt und auch Ver­bun­den­heit emp­fin­de ich, wenn ich die Fami­li­en und jun­gen Men­schen tref­fe. Wie oft kommt auf Mes­sen ein Jugend­li­cher mit einem E‑Rolli auf mich zu und erzählt mir, dass er oder sie vor acht Jah­ren bei uns am Stand eine Kap­pe bekom­men hat oder ein Leb­ku­chen­herz. Dann den­ke ich an die Kin­der im Bug­gy und deren Müt­ter, mit denen wir über The­men der Hilfsmittel­versorgung spra­chen. Die Fami­li­en ver­trau­en uns, die Fach­leu­te ver­trauen uns – das macht Freu­de und bedeu­tet Ansporn.

In fünf Jah­ren macht Reha­kind die 30 voll. Wel­che Nach­richt wür­den Sie bis dahin gern ver­kün­den können?
Es wäre toll, wenn der gute gemein­same Weg nach 25 Jah­ren nicht durch zuneh­men­de öko­no­mi­sche Eng­päs­se unter­bun­den wür­de. Ich wür­de es sehr schät­zen, wenn wir noch mehr in Poli­tik und Bran­che „selbst­ver­ständ­lich“ als Ver­tre­tung von jun­gen Men­schen und deren Ver­sor­gern ­dazu­ge­hör­ten. Das Kon­zept Reha­kind als Ver­ein mit vie­len Exper­ten, Pro­fis, Unter­neh­men und vie­len Eltern­grup­pen ist euro­pa­weit ein­ma­lig. Wir decken den kom­plet­ten All­tag von Kin­dern und Jugend­li­chen mit Behin­de­run­gen ab – pro­fes­sio­nell und per­sön­lich und nicht in Kon­kur­renz zur Selbst­hil­fe. Viel­mehr arbei­ten wir oft gut und kon­struk­tiv zusam­men. Außer­dem muss das Wis­sen über Länder­grenzen hin­weg aus­ge­tauscht wer­den. Wir brau­chen Regis­ter und For­schung, um aus dem zu ler­nen, was vor­he­ri­ge „Fäl­le“ uns gezeigt haben.

Wel­che wei­te­ren Zie­le hat sich Reha­kind für die ­kom­men­den Jah­re gesetzt?
Wir wer­den dran­blei­ben, mit allen öffent­li­chen Insti­tu­tio­nen kon­struk­tiv Struk­tu­ren zu schaf­fen für eine bes­se­re Hilfs­mittelversorgung. Aktu­ell haben wir ein gro­ßes Round-­Ta­ble-Gespräch und eine Art „Think-Tank“ ins Leben geru­fen, der sich mit der Umset­zung der gesetz­lich gewünsch­ten Hilfs­mit­tel­ver­sor­gungs­we­ge beschäf­tigt – ­natür­lich trans­dis­zi­pli­när und inter­pro­fes­sio­nell, unter Ein­bin­dung der „Exper­ten in eige­ner Sache“ und ­voll­kommen neu­tral. Wir sind die­je­ni­gen, die bün­deln kön­nen – ohne eige­ne Interessen.

Im Febru­ar 2026 geht der „Focus CP Reha­kind Kon­gress“ als größ­te Ver­an­stal­tung des Ver­eins in die nächs­te Run­de. Kön­nen Sie schon einen klei­nen Vor­ge­schmack auf das Pro­gramm geben?
Gemein­sam mit drei medi­zi­ni­schen Fach­ge­sell­schaf­ten – der Deut­schen Gesell­schaft für Sozi­al­päd­ia­trie und ­Jugend­me­di­zin, der Gesell­schaft für Neu­ro­päd­ia­trie sowie der Ver­ei­ni­gung für Kin­der­or­tho­pä­die – stel­len wir über 60 ver­schie­de­ne Work­shops und Ses­si­ons zusam­men und rech­nen erneut mit über 1.500 Teil­neh­mern, etwa 150 Refe­ren­ten und vie­len Aus­stel­lern. Das The­ma „Evi­denz – ­Indi­vi­dua­li­tät – Pra­xis“ spie­gelt das Spek­trum der aktu­el­len Her­aus­for­de­run­gen für Medi­zin, The­ra­pie, Hilfs­mit­tel-­Bran­che und Betroffene.

Die Fra­gen stell­te Pia Engelbrecht.

Zur Per­son

Chris­tia­na Hen­ne­mann ist Geschäfts­füh­re­rin des Ver­eins Reha­kind mit Sitz in Dort­mund. Seit der Grün­dung im Jahr 2000 setzt sich die Jour­na­lis­tin mit aktu­ell mehr als 180 Mit­gliedern für die Rech­te und Bedürf­nis­se von Kin­dern mit Behin­de­run­gen und ­deren Fami­li­en ein. 

 

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