„Bewe­gung ist wich­ti­ger als Korrektur“

Weit weniger als die Versorgung der unteren Extremität rückten Schulter, Ober- und Unterarm in den Fokus des Kongresses der OTWorld 2024. Unter dem Vorsitz von Bernd Sibbel, Bundesfachschule für Orthopädie-Technik in Dortmund, stand die „Klinische Untersuchung und orthetische Hilfsmittelversorgung der oberen Extremität“ auf dem Programm. Vier Referent:innen gaben Einblick in die praktische Arbeit in einem „Randgebiet, das es nicht sein sollte“, so bedauerte der Chairman.

Nach­dem Dr. Mela­nie Horter vom SPZ West­müns­ter­land in Coes­feld im Schnell­durch­lauf einen kom­pak­ten Über­blick über Ana­to­mie, Ana­mne­se, kli­ni­sche Unter­su­chung, Pal­pa­ti­on und appa­ra­ti­ve Unter­su­chungs­mög­lich­kei­ten der Gelen­ke der obe­ren Extre­mi­tä­ten gege­ben hat­te, wid­me­te sich OTM Gün­ter Biesch­in­ski vom Sani­täts­haus Rahm in Trois­dorf der Orthe­sen­ver­sor­gung bei Kon­trak­tu­ren und Spas­tik. „Die Hand erzählt Geschich­ten, ist für sozia­le Kon­tak­te wich­tig und hat viel­fäl­ti­ge Funk­tio­nen“, stell­te er klar. Bei ein­ge­schränk­ter Funk­ti­on gehe es ins­be­son­de­re dar­um, mit einer Orthe­se Sta­bi­li­tät her­zu­stel­len, im neu­ro­lo­gi­schen Bereich dar­über hin­aus um die För­de­rung von Rest­funk­tio­nen, um Bewe­gungs­an­rei­ze zu schaf­fen; häu­fig füh­ren ein­sei­tig Betrof­fe­ne alle wesent­li­chen Tätig­kei­ten mit der intak­ten Hand aus und las­sen die beein­träch­tig­te ver­küm­mern. „Bewe­gung ist wich­ti­ger als Kor­rek­tur“, beton­te er. Dazu stell­te er dar, wie eine Orthe­se sich an der Fehl­stel­lung einer Hand ori­en­tie­ren muss, damit sie über­haupt ange­legt wer­den kann. Danach kom­men die Mög­lich­kei­ten zur Kor­rek­tur zum Ein­satz. Bei einem Tonus etwa lässt sich die Faust mit einer Orthe­se öff­nen, sodass sie bei­spiels­wei­se ein Mes­ser hal­ten und nut­zen kann. In die­sem Zusam­men­hang ging der OTM auch auf myo­elek­tri­sche Orthe­sen sowie funk­tio­nel­le Elek­tro­sti­mu­la­ti­on ein und führ­te ein Ver­sor­gungs­bei­spiel mit „ReGrasp“ an, eine Orthe­se, mit der ihre Nut­ze­rin bzw. ihr Nut­zer per Tas­ter oder auch durch Nicken die Hand öff­nen, schlie­ßen und bewe­gen kann.

Auf die ein­ge­schränk­te Pfle­ge­fä­hig­keit von ver­krampf­ten Hän­den ging nach Bisch­in­ski auch Jochen Schi­ckert, Team­lei­ter Orthe­tik bei Ort­ho­vi­tal in Leip­zig, ein: Wenn an einer ver­krampf­ten Hand kein Nägel­schnei­den mög­lich ist, kommt es zu Ver­let­zun­gen, Ent­zün­dun­gen und wei­te­ren Pro­ble­men, die sich durch eine orthe­ti­sche Ver­sor­gung ver­mei­den las­sen. Er the­ma­ti­sier­te neu­ro­or­tho­pä­di­sche Aspek­te und rich­te­te einen ganz­heit­li­chen Blick auf die Ver­sor­gung: „Der gesam­te Ober­kör­per muss betrach­tet wer­den.“ Eine Orthe­se übe Druck aus, das Gewicht spie­le eine Rol­le, Schwit­zen schrän­ke den Kom­fort mas­siv ein. Schi­ckert stell­te ver­schie­de­ne Orthe­sen­sys­te­me mit ihren Eigen­schaf­ten vor, bei­spiel­wei­se das Spi­ral­sys­tem, das es den Nutzer:innen ermög­licht, es selbst mit einer Hand anzulegen.

Der frisch geba­cke­ne Ortho­pä­die­tech­ni­ker Micha­el Leß­ke, tätig für Orte­ma in Baden-Würt­tem­berg, brach­te drei Ver­sor­gungs­bei­spie­le zu funk­ti­ons­un­ter­stüt­zen­den Orthe­sen mit. So stat­te­te er eine Wil­mer-Lage­r­or­the­se mit Magnet­ver­schlüs­sen aus, „eine gute Lösung, wenn die Fin­ger nicht funk­tio­nie­ren“. Durch eine Streck­or­the­se mit Gas­druck­dämp­fer wur­de einem Pati­en­ten das Fahr­rad­fah­ren wie­der mög­lich: Die Orthe­se hält den Len­ker, löst sich bei einem Sturz, wohin­ge­gen sie auf einem holp­ri­gen Weg in Posi­ti­on bleibt – eine gro­ße Her­aus­for­de­rung für die Entwickler:innen in der Werk­statt. Ein Motor­rad­fah­rer wie­der­um kann sei­ner Lei­den­schaft nach einem Unfall wei­ter nach­ge­hen. Für ihn wur­de eine Knie­or­the­se indi­vi­du­ell an den beein­träch­tig­ten Arm ange­passt – und zwar so, dass der TÜV die eigen­wil­li­ge Lösung abnickte.

Ein Kon­sens in der abschlie­ßen­den Dis­kus­si­on betraf die Prä­fe­renz für maß­ge­fer­tig­te Ver­sor­gun­gen. Denn ange­sichts der Viel­zahl an Pro­blem­stel­lun­gen kann gezielt dar­auf ein­ge­gan­gen wer­den, wäh­rend kon­fek­tio­nier­te Orthe­sen stets auch die nicht betrof­fe­nen Gelen­ke mit einbeziehen.

Anja Knies

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