Die Berliner Professorin für Psychologie geht seit Jahren der Frage nach, was glücklich macht und wie das Glück auch in Betrieb, Büro und Werkstatt einziehen kann. Welchen Anteil haben Führungskräfte? Sind wir selbst unseres Glückes Schmied? Und welcher Branche gelingt das eigentlich besonders gut? Das und mehr wird Rehwaldt in ihrer Keynote bei der OTWorld verraten. Erste Einblicke gibt sie im Gespräch mit der OT-Redaktion schon jetzt.
OT: Prof. Rehwaldt, einem Arzt unterstellt man vermutlich, dass er gesund lebt, einem Raumausstatter, dass er stilvoll eingerichtet ist, und Ihnen als Glücksforscherin, dass Sie glücklich sind. Stimmt das?
Ricarda Rehwaldt: Ja, das ist so. Wobei die Frage tatsächlich gar nicht so einfach zu beantworten ist. 18 Jahre lief es bei mir im Leben ziemlich stabil, jetzt wurde es ein bisschen durcheinandergewürfelt. Aber ich würde nicht sagen, dass ich deswegen weniger glücklich bin. Das hat mit der eigenen Haltung zu tun, beziehungsweise mit der Frage, ob man denkt, dass die Dinge einem einfach passieren und man ihnen ausgeliefert ist, oder ob man davon ausgeht, dass sie für etwas gut sind oder eine Herausforderung, an der man wachsen und lernen kann. Und ich glaube, mit dieser Haltung kann man, egal, welche Schicksalsschläge passieren oder welche Herausforderungen auf einen zukommen, zu jedem Zeitpunkt halbwegs glücklich sein.
OT: Wie schafft man es, diese Haltung zu entwickeln? Kann man das lernen?
Rehwaldt: Ja, das kann man. Und dabei haben manche gute und andere weniger gute Voraussetzungen. Ein gewisser Teil ist genetisch festgelegt. Es gibt also Menschen, die per se etwas glücklicher als andere sind. Aber das heißt nicht, dass das so bleibt. Das ist vergleichbar mit der Formel 1. Der eine hat einfach eine bessere Startposition als der andere, gewinnen können aber beide. Eine zentrale Rolle spielen Sozialisierung und Erziehung. Die vorgelebte Einstellung dazu, wie man auf die Welt schaut, ob die Dinge ganz schrecklich sind, man immer die Schuld bei anderen sucht oder ob man lösungsorientiert an Probleme herangeht. Es gibt unfassbar viele Menschen, die sehr lange und sehr ausgiebig darüber sprechen können, wie schlecht das Wetter ist. Und das ist überhaupt nicht glücksförderlich, weil a) wir das Wetter überhaupt nicht beeinflussen können und b), dieses Lamentieren über das Wetter bewirkt, dass unserem Gehirn die ganze Zeit gesagt wird, dass es uns nicht gut geht, und es deswegen entsprechend Hormone ausschüttet. Dabei wäre die einzig sinnvolle Frage: Welche Kleidung ist angemessen? Und auf diese Problematik trifft man im Arbeitsleben häufig. Die Menschen sprechen über Umstände, die sie überhaupt nicht beeinflussen können, und dafür geht so viel Zeit und so viel Energie drauf, anstatt dass sie sich fragen: Was genau kann ich denn verändern? Und wenn ich das nicht kann, kann ich dann vielleicht mich selbst und meine Position dazu verändern? Und wenn ich beides nicht kann, muss ich den Ort vielleicht verlassen. Das zu lernen, ist für manche einfacher und für manche ein bisschen schwieriger.
OT: Vor Ihrem Studium der Wirtschaftskommunikation haben Sie eine Ausbildung im Handwerk, genauer gesagt, zur Tischlerin gemacht. Wer ist glücklicher? Handwerker:innen oder Akademiker:innen?
Rehwaldt: Ich glaube, das Handwerk hat im Vergleich zu anderen Berufen großes Potenzial dazu, glücklich zu machen. Es schafft ein sichtbares Ergebnis und oft auch die Möglichkeit, direkten Kontakt mit dem Kunden zu erleben, zu sehen, dass er sich freut und inwiefern ihm meine Arbeit geholfen hat. Das ist extrem sinnstiftend. Diese Sinnstiftung ist ganz bedeutsam, und die finden Sie im akademischen Bereich oder in klassischen Bürojobs seltener. Mir persönlich hat Handwerken viel Spaß gemacht, aber nach der Ausbildung war die Situation etwas perspektivlos. Und außerdem muss ich sagen: Das ist ganz schön viel Arbeit für ganz schön wenig Geld.
OT: Macht Geld also doch glücklich?
Rehwaldt: Tatsächlich zeigen viele solide Studien, dass es einen klaren Zusammenhang zwischen Gehalt und Glück gibt. Die wichtigere Frage ist aber, warum? Variablen, die das erklären, sind Autonomie und Selbstverwirklichung. Das heißt, Handlungsspielraum haben, selber Entscheidungen treffen können, mehr Freiheiten haben – das ist es, was glücklich macht. Geld trägt in der Regel einfach dazu bei, dass man mehr Freiheiten hat. Und: Menschen, die mehr Geld verdienen, sind in der Regel auch höher positioniert und haben dadurch mehr Entscheidungsfreiheit.
OT: Sie beschreiben die Arbeit von Handwerker:innen als sinnstiftend. Wie lässt sich dieses Glück für andere erlebbar machen, so dass mit Blick auf den Fachkräftemangel mehr – vor allem junge – Menschen den Weg ins Handwerk finden?
Rehwaldt: Da stellt sich generell die Frage: Warum laufen manche Sachen in Unternehmen so, wie sie jetzt laufen, und warum ist das so wenig schutzfördernd? Vor rund 100 Jahren ging ein Buch von Frederick Winslow Taylor (US-amerikanischer Ingenieur und Begründer der Arbeitswissenschaft, Anm. der Red.) um die Welt und alle haben Arbeit so aufgebaut, wie er es vorgeschlagen hat. Es passte um 1910, 1920 auch ganz gut, Menschen wie Maschinen zu behandeln. Das hat die Produktivität gesteigert, war aber leider auch menschenentwürdigend. Bis heute haben wir mit den Auswirkungen des Taylorismus zu tun. Und es dauert eben, bis sich die Dinge ändern. Die Politik hat lange darauf gesetzt und tut es heute noch, dass alle Abitur machen und akademische Berufe erlernen. Dadurch entsteht der Eindruck, dass es total erstrebenswert ist, zu studieren. In der Konsequenz werden das Handwerk und Ausbildungsberufe im Allgemeinen entwertet. Und warum sollte ein junger Mensch, wenn er ja genauso einen Bachelorabschluss haben kann und damit auch sehr viel mehr Geld verdient, eine Ausbildung machen? Das ist in der Kommunikation nicht gut durchdacht. Was helfen kann, sind Kampagnen, die zum Teil auch schon gefahren werden. Ich glaube, auch über das „Ehrethema“ kann man viel erreichen. Ich persönlich bin wirklich traurig, dass es bald keine Bäckereien mehr gibt, die selber backen. Das ist unsere Ernährungsqualität und stattdessen essen wir alle billige Aufbackbrötchen aus dem Supermarkt. Solche gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen begreiflich zu machen, das gilt es – anders – zu fördern.
Eine Frage der Sozialisierung
OT: Der Montag ist wohl der unbeliebteste Tag der Woche. Hat er das verdient? Wie machen wir den Montag attraktiv?
Rehwaldt: Ich persönlich habe mich schon immer sehr auf den Montag gefreut. Vor allem, als meine Kinder klein waren und der Montagmorgen der erste Moment war, wo es still war und ich Aufgaben in Ruhe erledigen konnte. Die Frage ist ja: Muss Arbeit immer furchtbar sein? Statt zu sagen, „ich muss arbeiten“ könnte man genauso gut sagen: „Ich möchten arbeiten.“ Das ist auch – ich sprach es vorhin schon an – eine Frage der Sozialisierung. Es gibt Dinge, die gesamtgesellschaftlich akzeptiert sind und andere nicht. Dieser Satz „Oh nein, heute ist schon wieder Montag“ wird häufig wiederholt. Es ist üblich geworden, ihn zu sagen. Jemanden zu finden, der ähnlich denkt, ist einfach. Aber jemanden zu finden, der sagt, „oh geil, morgen ist Montag, endlich kann ich wieder ein paar Sachen hintereinander rocken, ich freu mich schon richtig“, ist schwierig. Das ist eine Irritation, die aber vielleicht gar nicht von innen heraus entstanden ist, sondern weil sie so sozialisiert ist. Dass zusammen gemeckert, aber auch zusammen gelacht und gefeiert wird, hat mit Emotionssynchronisation zu tun. Das mögen Menschen gerne.
OT: Man sagt, ein Lächeln sagt mehr als tausend Worte, kleine Taten können also große Dinge bewirken: Haben Sie ein paar Tipps, die jeder Arbeitgeber noch heute im Betrieb umsetzen kann, um so seine Mitarbeiter:innen glücklicher zu machen?
Rehwaldt: Ja, lächeln hilft, und es hilft zum Beispiel auch – von allen Seiten – seine persönlichen Zustände zu kommunizieren. Wenn man einen stressigen Morgen hatte, könnte man offen sagen: „Hey, ich brauche erstmal einen Kaffee, fünf Minuten, um durchzuatmen, weil noch so viel Druck auf dem Kessel ist.“ Und es sollte auch in Ordnung sein, so etwas zu kommunizieren. Aber genau solche Gefühle werden nur wenig bis gar nicht angesprochen. Und dann wundert man sich, dass der Kollege explodiert, wenn man ihn anspricht. Durch offene Kommunikation kann man viel Entspannung schaffen und schlechte Stimmung vermeiden. Eine weitere gute Regel ist: Niemals über jemanden reden, sondern immer nur mit jemandem. Alles andere ist zwar leichter, weil weniger konfrontativ, ist aber eben auch ein richtiger Klimavergifter und absolut glücksreduzierend.
„Wer lacht, hat noch Kapazitäten“
OT: Da stellt sich die Frage: Wie sehr liegt die Verantwortung für unser Glück bei uns selbst, wie sehr beim Unternehmen?
Rehwaldt: Wenn Sie jemand sind, der gerne lamentiert und den Fokus auf das Negative richtet, haben Sie auf jeden Fall den größeren Anteil. Da helfen all die schönen Rahmenbedingungen vom Arbeitgeber nichts. Wenn Sie hingegen ein unverbesserlicher Optimist sind, die Rahmenbedingungen jedoch eng sind, dann wird das für Sie zwar nicht gut sein, Ihr Glück aber trotzdem weniger schmälern, weil Sie das mit Ihrer inneren positiven Haltung kompensieren. Demnach liegt also wahrscheinlich doch eine ganze Menge Verantwortung bei einem selbst.
Ein großer Anteil liegt aber natürlich beim Arbeitgeber, und zwar darin, den Boden zuzubereiten, damit Glück wachsen kann. Wenn Sie gutes Saatgut haben, das zum Boden passt, dann wachsen die Pflanzen auch, sogar zügig. Und dann können Sie ernten, ernten, ernten. Wenn Sie aber Leute einstellen, die nicht zu Ihrem Boden passen, und Sie nicht mutig genug sind, diese – obwohl es notwendig ist – umzutopfen, also wegzuschicken, dann wird das nichts. Der Boden muss gepflegt werden. Und es darf keine zu langen Durststrecken geben. Das ist die Aufgabe von Unternehmen und Führungskräften.
OT: Bereitet der Großteil der Unternehmen aus Ihrer Erfahrung heraus diesen guten Boden?
Rehwaldt: Es gibt immer Ausnahmen, aber die meisten machen es nicht besonders gut, weil sie sich denken: „Ach, wieso? Ist doch Erde da, das muss reichen.“ Das hat damit zu tun, dass sich zu wenig mit den emotionalen Zuständen der Mitarbeiter auseinandergesetzt wird, weil man glaubt: Arbeit muss anstrengend sein. Und wer lacht, hat noch Kapazitäten.
OT: Und das, obwohl wir uns immer mehr von einem Arbeitgebermarkt zum Arbeitnehmermarkt entwickeln. Da sollte man meinen, die oberen Etagen sollten bewusst mehr Energie hineinstecken, um Fachkräfte zu begeistern und zu finden. Es reicht nicht mehr, nur noch eine Stelle anzubieten…
Rehwaldt: Das stimmt, aber was interessanterweise stattdessen auch gemacht wird, ist, sich hinzusetzen und über Generationen zu lamentieren, wo es gar keine Generationenunterschiede gibt.
OT: Bedeutet das, es gibt so etwas wie die nach Work-Life-Balance strebende Generation Z gar nicht?
Rehwaldt: Genau, es gibt keine Generation Z oder Y oder, oder. Das steht in den Medien, das weiß ich, aber Sie können in keiner Studie finden, dass sich nach einem Stichtag X oder nach irgendeinem Jahr die Haltung zur Arbeit verändert hätte. Studien zeigen, dass die ältere Generation von den jüngeren schon immer gesagt hat, sie seien irgendwie komisch, anstrengend und faul. Diesen „komischen“ Anspruch haben die jungen Menschen einfach nur, weil der Arbeitsmarkt sich so entwickelt hat und sie es sich eben leisten können. Wenn der Arbeitsmarkt vor 60 Jahren so gewesen wäre, dann hätten die Leute der Generation genau diese Haltung gehabt, weil sie es eben können. Ich persönlich finde ja: Der Arbeitsmarkt hat sich nun mal geändert und alles, was wir – also Menschen in meinem Alter, die in Führungspositionen sitzen – machen können, ist, die passenden Rahmenbedingungen, den Boden, zu gestalten. Wenn Sie schlau sind, meckern Sie nicht über die jungen Leute, sondern hören ihnen zu und schauen, was Sie daraus lernen können, um unter diesen Arbeitsmarktbedingungen die besten Fachkräfte zu bekommen. Hören Sie zu. Die Leute erzählen, was sie haben wollen.
OT: Immer mehr Unternehmen setzen auf die Einführung einer Vier-Tage-Woche: ein Schritt Richtung Glück? Braucht es neue und flexible Arbeitszeitmodelle?
Rehwaldt: Ja, es braucht flexible Modelle, weil eben genau sie die für das Glück notwendige Autonomie und Selbstbestimmung fördern. Die Vier-Tage-Woche finde ich super. Es gibt Berechnungen, die zeigen, dass Menschen in vier Tagen genauso viel schaffen wie in fünf.
Die Fragen stellte Pia Engelbrecht.
Prof. Dr. Ricarda Rehwaldt ist Professorin für Psychologie an der IU Internationale Hochschule und Geschäftsführerin der Felicicon GmbH, einer Agentur, die Führungskräfte und Vorstände berät, Erkenntnisse positiver Psychologie im Unternehmen praktisch anzuwenden. Seit Jahren erforscht Rehwaldt, was Menschen bei der Arbeit glücklich macht. Regelmäßig hält sie Vorträge und Keynotes zum Thema Glücksforschung.
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