Anlässlich des Jubiläums sprach die OT-Redaktion mit CEO und Gesellschafter Ralf Link über den derzeitigen Wandel der Branche, die speziellen Herausforderungen eines familiengeführten Unternehmens und aktuelle Expansionspläne. Der Espresso-Liebhaber Link hat im Jahr 2009 die Geschäftsführung bei WJT übernommen und war zuvor u. a. als Manager bei Hewlett-Packard/Agilent Technologies in den Bereichen Forschung & Entwicklung und Marketing tätig.
OT: Herr Link, wenn Sie ein Bundesministerium besuchen könnten, um eine Stunde mit dem zuständigen Minister/der zuständigen Ministerin zu sprechen, für welches Ministerium entscheiden Sie sich und welches Thema setzen Sie auf die Agenda?
Ralf Link: Naturgemäß, denn hier liegt unsere Kompetenz, würde ich das Gesundheitsministerium wählen und mit Herrn Prof. Dr. Lauterbach über Themen der Hilfsmittelversorgung wie Produktqualität und Preisdruck sprechen.
OT: 1862 gründete sich das Unternehmen Wilhelm Julius Teufel in Stuttgart und richtete den Blick sogleich auf eine Expansion ins Ausland. Wie ist WJT derzeit über die deutschen Landesgrenzen hinaus positioniert? Auf welchen Märkten sind Sie aktiv?
Link: Als ich 2009 als Geschäftsführer in das Unternehmen gekommen bin, lag der Fokus verstärkt auf Deutschland, der globale Blick war in den Hintergrund gerückt. Neben dem klassischen weltweiten Exportbusiness sind wir heute in Europa mit einer eigenen Vertriebsniederlassung in Polen aktiv. Wir haben eine direkte Kundenbetreuung in Österreich und eine Minderheitsbeteiligung an einem Vertriebspartner in Großbritannien. Im nächsten Jahr werden wir mit einem eigenen Team auf dem Schweizer Markt verstärkt aktiv werden.
OT: Wie sehen konkret Kooperationen mit ausländischen Partnern, etwa dem US-amerikanischen Liner-Spezialisten Willow-Wood aus? Sprechen wir hier von vertriebstechnischen Partnerschaften oder tauschen Sie auch technisches Know-how aus?
Link: In Bezug auf Vertriebspartnerschaften sind wir rund um den Globus von Asien bis in die USA aufgestellt. Dabei wird natürlich auch Know-how ausgetauscht und ein intensives Feedback der Marktsituation gegeben, weil je nach Land andere Versorgungsstrukturen und Abrechnungsmodelle vorliegen. Produkte, die in den USA sehr gewünscht sind, sind in Deutschland zum Teil chancenlos. Da Sie Willow-Wood ansprechen – hier haben wir in den vergangenen 14 Jahren eine sehr enge und persönliche Bindung zueinander aufgebaut.
OT: Können Sie uns ein Beispiel In Bezug auf die von Ihnen angesprochenen international unterschiedlichen Versorgungssituationen nennen?
Link: Die Versorgungssituation ist, wie gesagt, in jedem Land unterschiedlich. In Frankreich beispielsweise werden bestimmte Verletzungen klassisch mit einem individuell angefertigten Korsett versorgt, während das Vorgehen in Deutschland ein anderes ist. Unabhängig vom Produkt unterscheidet sich das medizinische Vorgehen und – ganz wertfrei gemeint – auch das Know-how. Wer in Deutschland bei einem bestimmten Krankheitsbild mit einem Walker versorgt wird, bekommt in einem anderen europäischen Land ein anderes Produkt, weil dort andere Produkte gelistet sind oder die Versorgungspraxis sich über die Jahre anders entwickelt hat. Wir leben einerseits in einem globalen Europa, aber gleichzeitig in einem kleinstaatlich gebliebenen Medizinbereich. Diese lokal unterschiedlichen Voraussetzungen sind für uns auf einem regulierten Markt eine besondere Herausforderung.
OT: Sie selbst sind bereits seit 2009 bei WJT – was hält Sie über diesen durchaus schon längeren Zeitraum im Unternehmen und was war in dieser Zeit die größte Herausforderung?
Link: Für mich ist die Arbeit bei WJT überaus spannend. Ich fühle mich hier sehr wohl. Aufgrund eines Bezugs aus der Studienzeit habe ich mich seinerzeit aktiv für den Schritt entschieden, mich für meine Position zu bewerben. Wir haben seitdem im Team aus einer schwierigen Situation heraus viel erreicht und fühlen uns im Wettbewerb gut etabliert. Ein Thema, das für uns als mittelständisches Unternehmen elementar gewesen ist, war die Altersnachfolge. Hier haben wir unter den Gesellschaftern eine gute Lösung mit einer klaren Führungsstruktur gefunden. Für ein mittelständisches Unternehmen wie unseres kann die Altersnachfolge in der Weiterentwicklung problematisch werden, besonders wenn nicht alle Beteiligte an einem Strang ziehen.
Die aktuellen Herausforderungen lassen sich klar benennen. Wir haben schon früh auf umweltfreundliche Beschaffungs- und Vertriebswege gesetzt. Der Frachtverkehr ist aber seit zwei Jahren schwer zu kontrollieren. Entweder erreichen uns Lieferungen zu spät, oder aber ein Containerschiff startet einfach einmal zwei Wochen zu früh im Ausgangshafen, womit die Planung wieder von vorne beginnt. Die Kosten steigen durch die Decke. Bedauerlicherweise spielt auch der Krieg in der Ukraine mit seinen Seiteneffekten eine große Rolle.
OT: Wie flexibel im Risikomanagement muss sich ein Unternehmen vor diesem Hintergrund aufstellen?
Link: Wir haben bereits vor 2020 unsere Lagerbestände aufgestockt, um mehr Stabilität in der internationalen Logistik zu haben. Es gab vor einiger Zeit ein Interview mit Søren Skou, dem CEO der Maersk-Reederei (weltweit größte Containerschiff-Reederei. Anm. d. Redaktion), dass „Just in time“ nicht mehr umsetzbar sei. Wir müssen daher ultraflexibel und auf jedwede Störungen vorbereitet sein.
OT: Kommen wir noch einmal auf die lange Historie von Wilhelm Julius Teufel zurück. Sie haben in diesem Jahr das Firmenjubiläum zum 160-jährigen Bestehen gefeiert und legen weiterhin viel Wert auf Ihren Status als Familienunternehmen. Welche Werte verbinden Sie damit und wo werden diese bei Ihnen in der Unternehmenskultur gepflegt?
Link: Unsere drei zentralen Werte sind Vertrauen, Respekt und Integrität. Wir fühlen uns der Wahrheit verpflichtet, auch in Situationen, in denen dies nicht immer einfach ist. Dies gilt sowohl im Miteinander der Mitarbeiter als auch in der Außendarstellung. Wenn etwas schief geht, wird dies gegenüber unseren Kunden offen kommuniziert. Wir vertrauen unseren Mitarbeitern bedingungslos und setzen voraus, dass jeder seine Aufgaben nach besten Möglichkeiten erfüllt. Umgekehrt muss die Belegschaft auch ihren Führungskräften vertrauen können. Ähnlich verhält es sich mit dem Respekt. Dies gilt sowohl für den Umgang miteinander im Unternehmen, als auch im Verhältnis zu Kunden und Partnern. Umgekehrt erwarte ich von Geschäftspartnern den gleichen Respekt unabhängig von der Hierarchie in unserem Unternehmen. Hier gibt es keinen Personenkult.
OT: Auf dem deutschen Markt verstehen Sie sich als Geschäftspartner der Sanitätshäuser und orthopädietechnischen Werkstätten und nicht als Konkurrenz. Was heißt das in der Praxis?
Link: Wir haben mit WJT einen existierenden Marktzugang und wir werden nichts tun, um diesem Zugang, also den Sanitätshäusern und OT-Werkstätten, zu schädigen. Diesen Absatzkanal schätzen und respektieren wir, und werden ihn partnerschaftlich fortsetzen.
OT: Sie entwickeln allerdings nicht nur Produkte, sondern bieten auch Serviceleistungen wie die Fertigung von Definitivschäften und das Fräsen von Schaummodellen an. Welchen Anteil hat das Servicesegment am Gesamtangebot?
Link: Der von Ihnen genannte Bereich, in dem wir seit knapp über zehn Jahren aktiv sind, macht bei uns unter zehn Prozent des Umsatzes aus. Gerade hier gilt unsere Position, dass wir unseren Kunden nicht die Arbeit wegnehmen wollen. Das heißt, die Beauftragung erfolgt immer über ein Sanitätshaus, wenn dieses der Meinung ist, wir können sie in der Wertschöpfungskette kommerziell sinnvoll entlasten, oder sie haben einen Überhang an Aufträgen. Wir kooperieren mit Sanitätshäusern und haben keinen direkten Absatzmarkt mit den Kostenträgern.
OT: OT-Betriebe klagen verstärkt über Fachkräftemangel. Nehmen Sie es als Partner aus der Industrie auch so wahr, dass Sanitätshäuser aufgrund dessen immer mehr Schwierigkeiten mit ihren Kapazitäten haben?
Link: In unseren täglichen Kontakten zu den Betrieben bekommen wir das Feedback, dass viele von ihnen sich sehr genau überlegen, welche Tätigkeiten sie selbst machen. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Jeder Betrieb kann bei Bedarf zwar Polsterzuschnitte von Hand im Sanitätshaus durchführen, aber wenn er davon eine größere Stückzahl pro Jahr benötigt und jemanden kennt, der dies ohnehin tut und dafür eine Maschine hat, dann kann er besser diesen mit der Ausführung beauftragen. Diese Überlegungen erleben wir aufgrund der knapper werdenden „Ressource Mensch“ immer mehr.
OT: Die Orthopädie-Technik befindet sich in einer fortschreitenden digitalen Transformation. Das Berufsbild ändert sich. Wo nehmen Sie aus Herstellersicht den Wandel besonders wahr und welchen Einfluss haben diese Veränderungen auf die eigene Unternehmensstrategie?
Link: Im Bereich der eben angesprochenen Servicefertigung hat es vor zehn Jahren noch eine deutlich reservierte bis ablehnende Haltung von Sanitätshäusern gegenüber der Industrie gegeben, während wir mittlerweile verstärkt den Wunsch nach Unterstützung wahrnehmen. Dies setzt sich fort z. B. auch im Bereich 3D-Druck.
OT: In technischen Hilfsmitteln steckt immer mehr High-Tech-Elektronik. Was bedeutet dieser Umstand für den Schulungsbedarf, bspw. beim im Frühjahr gelaunchten „Intuy-Knee“-Kniegelenk?
Link: Wir bieten sowohl im eigenen Hause als auch extern verstärkt Schulungen an und sind auch in Berufs- und Meisterschulen aktiv unterstützend, weil der Bedarf dafür groß ist. Es geht darum, dass gut verarbeitete Hilfsmittel qualitativ eingesetzt werden. Nehmen wir das „Intuy-Knee“: vor zehn Jahren gab es die klassische Fernbedienung als technisches Zubehör; Stand der Technik ist heute eine App. Dadurch werden die Produkte zwar flexibler oder universeller, aber gleichzeitig auch schulungsintensiver. Damit steigen auch die Ansprüche an die Schulungen. Neben dem Thema „Produkt“ braucht es heute das wichtige Thema „Service/Support“.
OT: Gegenüber Ihren Geschäftspartnern stellen Sie Ihre finanzielle Unabhängigkeit heraus. In welchem Maße sind Sie als Unternehmen dennoch gezwungen, aus Wachstumsgründen neue Märkte zu erschließen, oder in die Akquise von Fremdfirmen zu investieren?
Link: Was wir mit der Heraushebung der finanziellen Unabhängigkeit dokumentieren wollen, ist, dass wir im Kreis der Gesellschafter so aufgestellt sind, hier in der Zentrale in Wangen bei Stuttgart die Entscheidungen für das Unternehmen treffen zu können. Darauf sind wir stolz. Wir wachsen aus unseren Kräften heraus. Vielleicht etwas langsamer als anderswo, aber was nachhaltiger ist, wird die Zeit zeigen.
OT: Die erste Ausgabe der Fachzeitschrift ORTHOPÄDIE TECHNIK erschien 1949 mit einer Titelanzeige von Wilhelm Julius Teufel. Seit vielen Jahren ist die Umschlagseite neben dem Editorial Ihr Schaufenster in der OT. Wenn der Privatmensch Ralf Link diesen exklusiven Platz alternativ zu den klassischen Firmenthemen bespielen könnte, welches Thema würden Sie wählen?
Link: Für mich persönlich sind die Freiheit und die Unabhängigkeit des Individuums eines der höchsten Güter. Wir haben auf unserer Website bereits eine klare Botschaft zum Krieg in der Ukraine gesendet. So etwas in der Art könnte ich mir in diesem Fall auch vorstellen.
Die Fragen stellte Michael Blatt.
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