Das Sani­täts­haus als Konzeptlöser

Der Wunsch auch im fortge­schrittenen Alter noch im ge­wohnten Wohnumfeld ver­bleiben zu können wird in Zei­ten des demografischen Wan­dels immer häufiger geäußert. Ein elementarer Faktor bei Menschen mit körperlichen und geistigen Einschränkun­gen ist dabei die Barrierefrei­heit. Reha-Technik-Experte Lutz Haak, stellvertretender Geschäftsführer derFirmen­gruppe Koenen aus Geestland im Landkreis Cuxhaven, gibt im Interview mit der OT Emp­fehlungen für Sanitätshäuser, wie diese die handwerklichen Anforderungen koordinieren können.

OT: Wie wür­den Sie aus Ver­sor­ger­sicht den Begriff „Barriere­freiheit“ definieren? 

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Lutz Haak: All­ge­mein gespro­chen bedeu­tet Barrierefrei­heit die Bemü­hung das Umfeld in allen Lebens­be­rei­chen so zu gestal­ten, dass Men­schen mit Ein­schrän­kun­gen ein mög­lichst selbst­stän­di­ges Leben füh­ren kön­nen. Der Be­griff wird dabei sowohl für Kom­mu­ni­ka­ti­ons- und Infor­mationssysteme genutzt als auch für ver­kehrs­tech­ni­sche und bau­li­che Kon­zep­te. Ist die Berück­sich­ti­gung der Bar­rierefreiheit bei Neu­bau­pro­jek­ten rela­tiv pro­blem­los mög­lich und auch in Nor­men gere­gelt, bedarf es bei Bestands‑immobilien häu­fig indi­vi­du­el­ler Kon­zept­lö­sun­gen. Hier kommt die Kom­pe­tenz der Ortho­pä­die- und Reha-Tech­nik ins Spiel.

OT: Das Berufs­bild des Ortho­pä­die­tech­nik-Mecha­ni­kers ist hand­werk­lich zwar breit gestreut, das Bau­hand­werk gehört aber sicher­lich nicht ori­gi­när dazu. Wo sehen Sie hier die spe­zi­fi­sche Kom­pe­tenz des Sanitätshauses? 

Haak: Die Ver­brau­cher sind es gewohnt in Fra­gen der Hilfs­mittelversorgung auf die Kom­pe­tenz des Sani­täts­hau­ses zu ver­trau­en. Gera­de bei kon­fek­tio­nier­ten Hilfs­mit­teln besteht die­se Kom­pe­tenz aber nicht allein in der Abga­be des Pro­duktes, son­dern vor allem in der Bedarfs­ana­ly­se und Bera­tung. Über­tra­gen auf bau­li­che Maß­nah­men bedeu­tet dies, dass das Sani­täts­haus als Bera­ter und Koor­di­na­tor auftritt.

Fak­to­ren der Bedarfsanalyse

OT: Wel­che Aspek­te sind bei der Bedarfs­ana­ly­se zu berücksichtigen? 

Haak: Da sind natür­lich die funk­tio­nel­len Einschränkun­gen des zu Ver­sor­gen­den zu hin­ter­fra­gen. Aus mei­ner Sicht glie­dert sich dies in vier gro­ße Berei­che. Als ers­tes steht meist die Fra­ge nach den Bewe­gungs­mög­lich­kei­ten, also nach Ein­schrän­kun­gen im mus­ku­los­ke­letta­len Sys­tem. Die­ser Aspekt adres­siert bei geh­fä­hi­gen Pati­en­ten vor al­lem die Sturz­pro­phy­la­xe oder die Über­win­dung von Stu­fen, bei nicht geh­fä­hi­gen Pati­en­ten die Mobi­li­tät mit dem Roll­stuhl auch inner­halb der Woh­nung. Neben den ortho­pädietechnischen Hilfs­mit­teln kom­men hier von bauli­cher Sei­te Hand­läu­fe, Ram­pen oder Lif­te in Betracht. Die Mobi­li­tät wird aber nicht nur durch die Bewegungsmög­lichkeiten, son­dern auch durch die Leis­tungs­fä­hig­keit des Herz-/Kreis­lauf­sys­tems inklu­si­ve der Lun­gen­funk­ti­on be­einflusst. Neben den bereits erwähn­ten Lif­ten zur Kom­pensation der erhöh­ten Belas­tung beim Trep­pen­stei­gen, kann auch die Schaf­fung von Sitz­ge­le­gen­hei­ten, z. B. auf dem Flur zwi­schen den Stock­wer­ken, für Erleich­te­rung sor­gen. Drit­ter Fak­tor der Ana­ly­se ist die Seh­fä­hig­keit. Die Be­ratung geht hier neben der Ent­fer­nung von Stol­per­fal­len (Tep­pich­kan­ten, Tür­schwel­len) vor allem auch in den Be­reich der Beleuch­tung. Als vier­ter Bereich kommt eventu­ell die abneh­men­de Leis­tungs­fä­hig­keit des Gehirns hin­zu. Hier kön­nen Ori­en­tie­rungs­hil­fen zum Ein­satz kom­men, aber auch Kon­troll­au­to­ma­ti­ken (z. B. für den Herd).

OT: Das klingt sehr kom­plex. Kön­nen Sie die Vor­ge­hens­wei­se an einem Bei­spiel verdeutlichen? 

Haak: Neh­men wir an, es stellt sich bei Ihnen ein älte­rer Pati­ent mit abneh­men­der Geh­fä­hig­keit zur Rollstuhlbera­tung vor. Im Gespräch wird deut­lich, dass die Woh­nung selbst zwar mit dem Roll­stuhl erreicht wer­den kann, dass die Tür zum Bade­zim­mer aber sehr schmal ist. Beim Orts­termin fällt zudem auf, dass es sich bei der Tür um eine nach innen öff­nen­de Schwing­tür han­delt. Neben Wasch­becken und Toi­let­te ver­fügt das Bade­zim­mer ledig­lich über eine Bade­wan­ne. Die Beleuch­tung des fens­ter­lo­sen Bades erfolgt nur über die Lam­pen am Spie­gel­schrank. Als Ge­samtkonzept müss­te zunächst die Tür ver­brei­tert wer­den, damit der Pati­ent mit dem Roll­stuhl über­haupt ins Bad ge­langen kann. Für die Mobi­li­tät inner­halb des Bades, aber auch aus Sicher­heits­er­wä­gun­gen ist es zudem sinn­voll, die Tür nicht nach innen zu öff­nen. Ide­al wäre eine Schiebe­lösung. Die Bade­wan­ne müss­te durch eine eben­erdi­ge Du­sche ersetzt wer­den, da die Nut­zung einer Bade­wan­ne für Roll­stuhl­nut­zer sehr schwie­rig ist. Auch ein höhenver­stellbares Wasch­be­cken ist mög­lich. Beglei­tend soll­te die Beleuch­tungs­si­tua­ti­on ver­bes­sert wer­den. Für die­se Maß­nahmen wer­den unter­schied­lichs­te Gewer­ke benö­tigt: der Mau­rer für die Ver­grö­ße­rung der Tür, der Zim­mer­mann für den Ein­bau der Schie­be­tür, der Instal­la­teur für die Um­wandlung der Bade­wan­ne, unter­stützt durch einen Flie­senleger, der Elek­tri­ker für die Beleuch­tungs­si­tua­ti­on und wahr­schein­lich auch ein Maler bzw. Tape­zie­rer, um alles wie­der schön zu machen. Natür­lich kommt aber auch das Sani­täts­haus mit typi­schen Hilfs­mit­teln, wie z. B. Halte­griffen zum Einsatz.

OT: Aber wo fin­det sich in die­sem auf­wän­di­gen Pro­zess die Inter­es­sens­la­ge des Sani­täts­hau­ses wieder? 

Haak: Das Sani­täts­haus eta­bliert sich durch die Ver­net­zung mit den Bau­hand­wer­ken und Koor­di­na­ti­on der Leis­tun­gen dem Kun­den gegen­über als Sys­tem­an­bie­ter. Dies unter­streicht sei­ne Kom­pe­tenz und erhöht dadurch nicht uner­heb­lich die Kun­den­bin­dung, die gera­de bei älte­ren mul­ti­mor­bi­den Pati­en­ten einen nicht zu unter­schät­zen­den wirt­schaft­li­chen Fak­tor darstellt.

Die Fra­gen stell­te Lud­ger Lastring.

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