Grundvoraussetzung für die Durchführung der Präsenzveranstaltung war das umfassende Hygienekonzept sowie das zum Zeitpunkt des Kongresses geringe Covid-19-Infektionsgeschehen in Sachsen. Mit über 700 Kongressteilnehmern, 159 nationalen und internationalen Referenten sowie 180 Online-Teilnehmern aus 25 Ländern, die die Sitzungen im Live-Stream verfolgten, war der Kongress aus Sicht des Veranstalters angesichts der besonderen Situation ein großer Erfolg. Eine Industrieschau im Rahmen eines Wanderforums komplettierte den Kongress.
Endlich wieder Fachdiskussionen
Um die Vielzahl an Programmpunkten anbieten zu können, wurde ein neues Konzept entwickelt. Die wissenschaftlichen Sitzungen wurden per Live-Stream übertragen und internationale Referenten per Video-Chat zugeschaltet. Ein Konzept, das allseits sehr gut angenommen wurde. Die Begeisterung, sich fachlich auch international wieder austauschen zu können, war bei den Referenten auf beiden Seiten – vor Ort und im Video-Chat – nach einem halben Jahr Stillstand deutlich spürbar. Neben nationalen und internationalen Fachsymposien standen Kurse, Fortbildungen und Workshops auf dem Programm. Aber auch die Formate „Ask the experts“ oder „Der interessante Fall“ fanden große Beachtung.
Kompressionstherapie
Im Bereich der Kompressionstherapie stellte beispielsweise Prof. Dr. Michael Jünger von der Universitätsmedizin, Klinik und Poliklinik für Hautkrankheiten, in Greifswald beim Symposium Kompressionstherapie am Donnerstagnachmittag die Ergebnisse seiner aktuellen Studie „Optimierte IPK bei CVI und Lymphödem“ vor. Ausgangspunkt war die Frage, ob eine entstauende Therapie mit einer Unterpolsterung „Padding“ (nach Martin Morand) mit einer mindestens 7 cm dicken Schicht von 0,5 bis 1,0 cm gewürfeltem, elastischen Schaumstoff (IKP+) zusätzlich das Volumen der Ober- bzw. Unterschenkel verringern kann.
Welche Kompression beim Ulcus cruris venosum zum Einsatz kommen können, erläuterte Prof. Dr. Markus Stücker angesichts neuerer Studien im Bauerfeind-Forum. Er plädierte dafür, bei den Kontraindikationen nicht mehr so zaghaft zu sein und berief sich dabei auf die aktuelle Leitlinie „Medizinische Kompressionstherapie der Extremitäten (2019)“.
Das „Lipödem“ im Fokus
Spannend – weil kontrovers – diskutierten einige der Fachreferenten bei der Sitzung zum „Lipödem“ am Samstagsmorgen. Unter dem Vorsitz von Frau Dr. Gabriele Faerber wurden die neusten Studien vorgestellt und verschiedene Ansätze (konservativ vs. chirurgisch) beim Thema „Lipödem und Adipositas“ diskutiert. Aktuelle Studien belegen den Zusammenhang. Über die psychosozialen Folgen der Patientinnen mit dem Stigma „Lipödem“ referierte Dr. Gabriele Erbacher, Földiklinik Hinterzarten, eindrucksvoll. Besonders bei der Schmerzreduktion seien Patientenedukation und Selbstmanagement zielführend. Dass das Thema europaweit immer wichtiger wird, zeigte die Video-Schaltung nach Spanien. Dr. Isabel Forner-Cordero von der University And Politechnic Hospital La Fe, University of Valencia berichtete, dass auch in Spanien das Krankheitsbild ein wachsendes Problem sei. Abschließend stellte Prof. Dr. Wilfried Schmeller, Hanse-Klinik Lübeck, die Frage „Wie lange wirkt die Liposuktion beim Lipödem?“. In seiner Studie, in der Patienten nach einer Liposuktion über 12 Jahre begleitet wurden, kamen er und sein Team zu dem Ergebnis, dass eine signifikante Beschwerdelinderung nach dem Eingriff über den gesamten Zeitraum konstant erhalten bleibt.
Thema Covid-19 in der Phlebologie
Natürlich stand auch das Thema Covid-19 in der Phlebologie auf dem Plan. Prof. Joseph Caprini (Chicago) und Prof. Sebastian Schellong (Dresden) belegten anhand ihrer Daten, dass einerseits Covid-19-Infizierte ein erhöhtes thromboembolisches Risiko haben, andererseits aber auch nicht Infizierte durch die gezwungene Immobilität des Home-Office oder der Kontaktsperre Gefahr laufen, ein erhöhtes Thromboserisiko zu entwickeln.
Nach vier Tagen Jahrestagung unter Pandemiebedingungen zieht Tagungspräsident Dr. Tobias Hirsch im Interview mit der OT ein positives Fazit.
OT: Viele Hürden mussten im Vorfeld des Kongresses wegen der Pandemie genommen werden. Wie ist Ihr Resümee?
Dr. Tobias Hirsch: Erstmals war die Jahrestagung der DGP als internationaler Kongress konzipiert, weshalb die Programmplanung zum Zeitpunkt des Beginns der Pandemie bereits weit fortgeschritten war. Es gab drei besondere Herausforderungen zu meistern: Zunächst musste in Zusammenarbeit mit dem CCL ein überzeugendes Hygienekonzept entwickelt werden, das eine Vor-Ort-Teilnahme ohne erhöhtes Infektionsrisiko überhaupt erst möglich machte. Für internationale Referenten und Teilnehmer, aber auch für deutsche Kollegen, die wegen Reiserestriktionen bzw. Quarantäneregelungen nicht anreisen konnten, musste eine technische Infrastruktur geschaffen werden, welche durch unsere Agentur Wikonect durch den Live-Stream und die Zoom-Einbindung tadellos umgesetzt wurde. Die größte Herausforderung aber bestand letztlich darin, in Zeiten großer Unsicherheit alle Teilnehmer mit Zuversicht und einer überzeugenden Planung davon zu überzeugen, dass eine so große Konferenz überhaupt durchzuführen ist. Wir sind sehr glücklich, dass uns das gelungen ist und dass die Pandemie-Situation in Sachsen es uns erlaubt hat, den Kongress zu einem großen international beachteten Erfolg werden zu lassen.
OT: Welches waren aus Ihrer Sicht die größten Innovationen insbesondere im Bereich der Kompression, Lymphologie und des Lipödems?
Hirsch: Die Kompressionstherapie hat in den vergangenen Jahren eine enorme Entwicklung genommen. Sie stellt die Basis der Therapie sowohl von Venenerkrankungen, als auch des Lymph- und des Lipödems dar. Von besonderer Bedeutung sind wissenschaftliche Arbeiten, die eine Erweiterung des Indikationsspektrums belegen konnten. Insbesondere konnte nachgewiesen werden, dass lange Zeit als absolute Gegenanzeigen geltende Begleiterkrankungen wie beispielsweise Herzinsuffizienz oder arterielle Verschlusskrankheit bei sachgemäßer Anwendung einer Kompressionstherapie durchaus zugänglich sind. Technische Innovationen sind neben neuartigen Strumpfmaterialien vor allem adaptive Kompressionssysteme, die von verschiedenen Herstellern entwickelt wurden. Auf der Konferenz waren zudem erweiterte Anwendungsgebiete für die intermittierende pneumatische Kompression (IPK) ein großes Thema. In der Lipödemforschung spielten der Zusammenhang zur Ernährung und gewichtsregulierende Ansätze, aber auch ganzheitliche Therapieansätze eine große Rolle.
OT: Wie haben Sie die Resonanz der Industrie auf diese Art des Kongresses wahrgenommen?
Hirsch: Nach einiger Skepsis von Seiten der Herstellerfirmen im Vorfeld der Tagung unter Pandemiebedingungen habe ich ausschließlich sehr positive Resonanz verspürt. Das dürfte nicht zuletzt daran gelegen haben, dass durch die große Zahl der anwesenden Gäste aus dem ärztlichen und pflegerischen Bereich erstmals seit Monaten wieder ein intensiver persönlicher Kontakt möglich war. Das allgemeine Bedürfnis nach direktem Austausch war von allen Seiten spürbar.
OT: Nächstes Jahr findet der Jahreskongress in Aachen statt: Was steht 2021 dort im Fokus?
Hirsch: Jede DGP-Jahrestagung wird geprägt von wissenschaftlichen Schwerpunkten der Kongresspräsidenten, aber auch von der regionalen phlebologischen Szene. So dürfen wir uns auf einen großartigen Kongress unter der Regie von Dr. Knut Rass und Dr. Houman Jalaie freuen. Aufgrund des großen Erfolges des internationalen Konzeptes plant die DGP, dass gerade in Aachen, der Stadt des Karlspreises, wieder viele Sprachen zu hören sein werden. Und ganz sicher wird es wieder ein attraktives Programm geben.
Die Fragen stellte Irene Mechsner
Ausblick auf 2021
Die 63. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie findet unter dem Motto „Synergien und Vielfalt“ am 8. bis 11. September 2021 im Eurogress Aachen statt.
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