Reger Aus­tausch: Phle­bo­lo­gen dis­ku­tie­ren online und offline

Fachmesse trotz Pandemie? Die viertägige 62. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phlebologen (DGP), die als multimediale Hybridveranstaltung vom 2. bis 5. September 2020 unter der wissenschaftlichen Leitung von Dr. Tobias Hirsch (Halle) im Congress Center Leipzig stattfand, zeigte, wie gut das funktionieren kann.

Grund­vor­aus­set­zung für die Durch­füh­rung der Prä­senz­ver­an­stal­tung war das umfas­sen­de Hygie­ne­kon­zept sowie das zum Zeit­punkt des Kon­gres­ses gerin­ge Covid-19-Infek­ti­ons­ge­sche­hen in Sach­sen. Mit über 700 Kon­gress­teil­neh­mern, 159 natio­na­len und inter­na­tio­na­len Refe­ren­ten sowie 180 Online-Teil­neh­mern aus 25 Län­dern, die die Sit­zun­gen im Live-Stream ver­folg­ten, war der Kon­gress aus Sicht des Ver­an­stal­ters ange­sichts der beson­de­ren Situa­ti­on ein gro­ßer Erfolg. Eine Indus­trie­schau im Rah­men eines Wan­der­fo­rums kom­plet­tier­te den Kongress.

End­lich wie­der Fachdiskussionen

Um die Viel­zahl an Pro­gramm­punk­ten anbie­ten zu kön­nen, wur­de ein neu­es Kon­zept ent­wi­ckelt. Die wis­sen­schaft­li­chen Sit­zun­gen wur­den per Live-Stream über­tra­gen und inter­na­tio­na­le Refe­ren­ten per Video-Chat zuge­schal­tet. Ein Kon­zept, das all­seits sehr gut ange­nom­men wur­de. Die Begeis­te­rung, sich fach­lich auch inter­na­tio­nal wie­der aus­tau­schen zu kön­nen, war bei den Refe­ren­ten auf bei­den Sei­ten – vor Ort und im Video-Chat – nach einem hal­ben Jahr Still­stand deut­lich spür­bar. Neben natio­na­len und inter­na­tio­na­len Fach­sym­po­si­en stan­den Kur­se, Fort­bil­dun­gen und Work­shops auf dem Pro­gramm. Aber auch die For­ma­te „Ask the experts“ oder „Der inter­es­san­te Fall“ fan­den gro­ße Beachtung.

Kom­pres­si­ons­the­ra­pie

Im Bereich der Kom­pres­si­ons­the­ra­pie stell­te bei­spiels­wei­se Prof. Dr. Micha­el Jün­ger von der Uni­ver­si­täts­me­di­zin, Kli­nik und Poli­kli­nik für Haut­krank­hei­ten, in Greifs­wald beim Sym­po­si­um Kom­pres­si­ons­the­ra­pie am Don­ners­tag­nach­mit­tag die Ergeb­nis­se sei­ner aktu­el­len Stu­die „Opti­mier­te IPK bei CVI und Lymph­ödem“ vor. Aus­gangs­punkt war die Fra­ge, ob eine ent­stau­en­de The­ra­pie mit einer Unter­pols­te­rung „Pad­ding“ (nach Mar­tin Morand) mit einer min­des­tens 7 cm dicken Schicht von 0,5 bis 1,0 cm gewür­fel­tem, elas­ti­schen Schaum­stoff (IKP+)  zusätz­lich das Volu­men der Ober- bzw. Unter­schen­kel ver­rin­gern kann.

Wel­che Kom­pres­si­on beim Ulcus cru­ris veno­sum zum Ein­satz kom­men kön­nen, erläu­ter­te Prof. Dr. Mar­kus Stü­cker ange­sichts neue­rer Stu­di­en im Bau­er­feind-Forum. Er plä­dier­te dafür, bei den Kon­tra­in­di­ka­tio­nen nicht mehr so zag­haft zu sein und berief sich dabei auf die aktu­el­le Leit­li­nie „Medi­zi­ni­sche Kom­pres­si­ons­the­ra­pie der Extre­mi­tä­ten (2019)“.

Das „Lipö­dem“ im Fokus

Span­nend – weil kon­tro­vers – dis­ku­tier­ten eini­ge der Fach­re­fe­ren­ten bei der Sit­zung zum „Lipö­dem“ am Sams­tags­mor­gen. Unter dem Vor­sitz von Frau Dr. Gabrie­le Faer­ber wur­den die neus­ten Stu­di­en vor­ge­stellt und ver­schie­de­ne Ansät­ze (kon­ser­va­tiv vs. chir­ur­gisch) beim The­ma „Lipö­dem und Adi­po­si­tas“ dis­ku­tiert. Aktu­el­le Stu­di­en bele­gen den Zusam­men­hang. Über die psy­cho­so­zia­len Fol­gen der Pati­en­tin­nen mit dem Stig­ma „Lipö­dem“ refe­rier­te Dr. Gabrie­le Erba­cher, Föl­di­kli­nik Hin­ter­zar­ten, ein­drucks­voll. Beson­ders bei der Schmerz­re­duk­ti­on sei­en Pati­en­ten­e­du­ka­ti­on und Selbst­ma­nage­ment ziel­füh­rend. Dass das The­ma euro­pa­weit immer wich­ti­ger wird, zeig­te die Video-Schal­tung nach Spa­ni­en. Dr. Isa­bel For­ner-Cor­de­ro von der Uni­ver­si­ty And Poli­tech­nic Hos­pi­tal La Fe, Uni­ver­si­ty of Valen­cia berich­te­te, dass auch in Spa­ni­en das Krank­heits­bild ein wach­sen­des Pro­blem sei. Abschlie­ßend stell­te Prof. Dr. Wil­fried Schmel­ler, Han­se-Kli­nik Lübeck, die Fra­ge „Wie lan­ge wirkt die Lipo­suk­ti­on beim Lipö­dem?“. In sei­ner Stu­die, in der Pati­en­ten nach einer Lipo­suk­ti­on über 12 Jah­re beglei­tet wur­den, kamen er und sein Team zu dem Ergeb­nis, dass eine signi­fi­kan­te Beschwer­de­lin­de­rung nach dem Ein­griff über den gesam­ten Zeit­raum kon­stant erhal­ten bleibt.

The­ma Covid-19 in der Phlebologie

Natür­lich stand auch das The­ma Covid-19 in der Phle­bo­lo­gie auf dem Plan. Prof. Joseph Cap­ri­ni (Chi­ca­go) und Prof. Sebas­ti­an Schel­long (Dres­den) beleg­ten anhand ihrer Daten, dass einer­seits Covid-19-Infi­zier­te ein erhöh­tes throm­bo­em­bo­li­sches Risi­ko haben, ande­rer­seits aber auch nicht Infi­zier­te durch die gezwun­ge­ne Immo­bi­li­tät des Home-Office oder der Kon­takt­sper­re Gefahr lau­fen, ein erhöh­tes Throm­bo­se­ri­si­ko zu entwickeln.

 

Nach vier Tagen Jah­res­ta­gung unter Pan­de­mie­be­din­gun­gen zieht Tagungs­prä­si­dent Dr. Tobi­as Hirsch im Inter­view mit der OT ein posi­ti­ves Fazit.

OT: Vie­le Hür­den muss­ten im Vor­feld des Kon­gres­ses wegen der Pan­de­mie genom­men wer­den. Wie ist Ihr Resümee? 

Dr. Tobi­as Hirsch: Erst­mals war die Jah­res­ta­gung der DGP als inter­na­tio­na­ler Kon­gress kon­zi­piert, wes­halb die Pro­gramm­pla­nung zum Zeit­punkt des Beginns der Pan­de­mie bereits weit fort­ge­schrit­ten war. Es gab drei beson­de­re Her­aus­for­de­run­gen zu meis­tern: Zunächst muss­te in Zusam­men­ar­beit mit dem CCL ein über­zeu­gen­des Hygie­ne­kon­zept ent­wi­ckelt wer­den, das eine Vor-Ort-Teil­nah­me ohne erhöh­tes Infek­ti­ons­ri­si­ko über­haupt erst mög­lich mach­te. Für inter­na­tio­na­le Refe­ren­ten und Teil­neh­mer, aber auch für deut­sche Kol­le­gen, die wegen Rei­se­re­strik­tio­nen bzw. Qua­ran­tä­ne­re­ge­lun­gen nicht anrei­sen konn­ten, muss­te eine tech­ni­sche Infra­struk­tur geschaf­fen wer­den, wel­che durch unse­re Agen­tur Wikon­ect durch den Live-Stream und die Zoom-Ein­bin­dung tadel­los umge­setzt wur­de. Die größ­te Her­aus­for­de­rung aber bestand letzt­lich dar­in, in Zei­ten gro­ßer Unsi­cher­heit alle Teil­neh­mer mit Zuver­sicht und einer über­zeu­gen­den Pla­nung davon zu über­zeu­gen, dass eine so gro­ße Kon­fe­renz über­haupt durch­zu­füh­ren ist. Wir sind sehr glück­lich, dass uns das gelun­gen ist und dass die Pan­de­mie-Situa­ti­on in Sach­sen es uns erlaubt hat, den Kon­gress zu einem gro­ßen inter­na­tio­nal beach­te­ten Erfolg wer­den zu lassen.

OT: Wel­ches waren aus Ihrer Sicht die größ­ten Inno­va­tio­nen ins­be­son­de­re im Bereich der Kom­pres­si­on, Lym­pho­lo­gie und des Lipödems?

Hirsch: Die Kom­pres­si­ons­the­ra­pie hat in den ver­gan­ge­nen Jah­ren eine enor­me Ent­wick­lung genom­men. Sie stellt die Basis der The­ra­pie sowohl von Venen­er­kran­kun­gen, als auch des Lymph- und des Lipö­dems dar. Von beson­de­rer Bedeu­tung sind wis­sen­schaft­li­che Arbei­ten, die eine Erwei­te­rung des Indi­ka­ti­ons­spek­trums bele­gen konn­ten. Ins­be­son­de­re konn­te nach­ge­wie­sen wer­den, dass lan­ge Zeit als abso­lu­te Gegen­an­zei­gen gel­ten­de Begleit­erkran­kun­gen wie bei­spiels­wei­se Herz­in­suf­fi­zi­enz oder arte­ri­el­le Ver­schluss­krank­heit bei sach­ge­mä­ßer Anwen­dung einer Kom­pres­si­ons­the­ra­pie durch­aus zugäng­lich sind. Tech­ni­sche Inno­va­tio­nen sind neben neu­ar­ti­gen Strumpf­ma­te­ria­li­en vor allem adap­ti­ve Kom­pres­si­ons­sys­te­me, die von ver­schie­de­nen Her­stel­lern ent­wi­ckelt wur­den. Auf der Kon­fe­renz waren zudem erwei­ter­te Anwen­dungs­ge­bie­te für die inter­mit­tie­ren­de pneu­ma­ti­sche Kom­pres­si­on (IPK) ein gro­ßes The­ma. In der Lipö­dem­for­schung spiel­ten der Zusam­men­hang zur Ernäh­rung und gewichts­re­gu­lie­ren­de Ansät­ze, aber auch ganz­heit­li­che The­ra­pie­an­sät­ze eine gro­ße Rolle.

OT: Wie haben Sie die Reso­nanz der Indus­trie auf die­se Art des Kon­gres­ses wahrgenommen?

Hirsch: Nach eini­ger Skep­sis von Sei­ten der Her­stel­ler­fir­men im Vor­feld der Tagung unter Pan­de­mie­be­din­gun­gen habe ich aus­schließ­lich sehr posi­ti­ve Reso­nanz ver­spürt. Das dürf­te nicht zuletzt dar­an gele­gen haben, dass durch die gro­ße Zahl der anwe­sen­den Gäs­te aus dem ärzt­li­chen und pfle­ge­ri­schen Bereich erst­mals seit Mona­ten wie­der ein inten­si­ver per­sön­li­cher Kon­takt mög­lich war. Das all­ge­mei­ne Bedürf­nis nach direk­tem Aus­tausch war von allen Sei­ten spürbar.

OT: Nächs­tes Jahr fin­det der Jah­res­kon­gress in Aachen statt: Was steht 2021 dort im Fokus? 

Hirsch: Jede DGP-Jah­res­ta­gung wird geprägt von wis­sen­schaft­li­chen Schwer­punk­ten der Kon­gress­prä­si­den­ten, aber auch von der regio­na­len phle­bo­lo­gi­schen Sze­ne. So dür­fen wir uns auf einen groß­ar­ti­gen Kon­gress unter der Regie von Dr. Knut Rass und Dr. Hou­man Jalaie freu­en. Auf­grund des gro­ßen Erfol­ges des inter­na­tio­na­len Kon­zep­tes plant die DGP, dass gera­de in Aachen, der Stadt des Karls­prei­ses, wie­der vie­le Spra­chen zu hören sein wer­den. Und ganz sicher wird es wie­der ein attrak­ti­ves Pro­gramm geben.

Die Fra­gen stell­te Ire­ne Mechsner

Aus­blick auf 2021

Die 63. Jah­res­ta­gung der Deut­schen Gesell­schaft für Phle­bo­lo­gie fin­det unter dem Mot­to „Syn­er­gien und Viel­falt“ am 8. bis 11. Sep­tem­ber 2021 im Euro­gress Aachen statt.

 

 

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