Klei­ne Patient:innen, gro­ße Bedürfnisse

Bei der diesjährigen OTWorld bilden die beiden die Spitze des Kongresses, da durfte ein gemeinsames Symposium nicht fehlen: Unter dem Vorsitz der Kongresspräsidenten von Dipl.-Ing. (FH) Ingo Pfefferkorn und Prof. Thomas Wirth und in Kooperation mit der Vereinigung für Kinderorthopädie (VKO) erfuhr das Publikum, wie konservative, orthetische und orthopädisch-chirurgische Maßnahmen in der Behandlung von Patient:innen mit Skelettdysplasien und weichen Knochen ineinandergreifen können.

Prof. Dr. Anna Hell, Lei­te­rin Schwer­punkt Kin­der­or­tho­pä­die an der Uni­ver­si­täts­me­di­zin Göt­tin­gen, fokus­sier­te auf die kon­ser­va­ti­ve The­ra­pie der Ear­ly-Onset-Sko­lio­se, also auf jene Wir­bel­säu­len­ver­krüm­mun­gen, die sich vor dem 10. Lebens­jahr mani­fes­tie­ren. Sko­lio­sen im Kin­des­al­ter kön­nen kon­ge­ni­tal oder neu­ro­mus­ku­lär bedingt sein, Syn­drom-asso­zi­iert auf­tre­ten oder sich idio­pa­thisch, also ohne bekann­te Ursa­che, ent­wi­ckeln. Hell mach­te deut­lich, dass die Ätio­lo­gie ent­schei­dend für die Pro­gno­se und den The­ra­pie­ver­lauf ist und eine wesent­li­che Rol­le bei der Wahl des The­ra­pie­ver­fah­rens und ‑zeit­punkts spielt. Zu den beson­de­ren Her­aus­for­de­run­gen zäh­len eine star­ke Pro­gre­di­enz der Defor­mi­tä­ten, das Tho­ra­x­in­suf­fi­zi­enz-Syn­drom, wei­che Kno­chen sowie Unter- oder auch Über­ge­wicht. Wann gilt es kon­ser­va­tiv zu ver­sor­gen? Wann braucht es eine Ope­ra­ti­on? Um das beur­tei­len zu kön­nen, sei vor jeder Behand­lung ein inten­si­ver Check-up im inter­dis­zi­pli­nä­ren Aus­tausch not­wen­dig. Ziel sei es, aus­ge­präg­te Defor­mi­tä­ten zu ver­mei­den sowie eine Tho­rax­hö­he von 20 bis 22 Zen­ti­me­tern zu errei­chen, um eine gute Lun­gen­funk­ti­on zu ermög­li­chen. Ope­ra­tiv kön­nen wachs­tums­freund­li­che Implan­ta­te das Mit­tel der Wahl sein. Kon­ser­va­tiv hel­fen Phy­sio­the­ra­pie und Kor­sett­be­hand­lung. Das Pro­blem hier: Kin­der wach­sen schnell. Stän­dig wer­de dem­nach ein neu­es Kor­sett benö­tigt. Hell zeig­te meh­re­re Pati­en­ten­bei­spie­le auf und mach­te deut­lich, dass nicht aus­schließ­lich ein gutes Rönt­gen­bild das Ziel sein kann. Stets im Hin­ter­kopf sol­le man behal­ten, wie eine Wir­bel­säu­len­kor­rek­tur bewirkt wer­den kann, ohne die Geh­fä­hig­keit ein­zu­schrän­ken. „Das ist ein gro­ßes Dilem­ma“, beton­te sie. „Und dar­auf gibt es in der Medi­zin manch­mal kei­ne Ant­wor­ten.“ Der Schlüs­sel auf dem Weg zum Ziel: indi­vi­du­el­le Lösun­gen finden.

Hohe Rezi­div­nei­gung wäh­rend des Wachstums

„Indi­ka­tio­nen zu ope­ra­ti­ven Achs­kor­rek­tu­ren bei Kin­dern mit Ske­lett­dys­pla­si­en“ stell­te Dr. Chris­ti­ne Engel, Ober­ärz­tin am Olgahos­pi­tal Stutt­gart, in ihrem Vor­trag vor. „Das Ziel bei uns allen sind gut beweg­li­che, schmerz­freie Gelen­ke“, sag­te sie. Doch wie kann das bewerk­stel­ligt wer­den? Anhand von Pati­en­ten­bei­spie­len stell­te sie her­aus, dass bei Ske­lett­dys­pla­si­en kei­ne spon­ta­ne Ver­bes­se­rung einer Achs­de­for­mi­tät zu erwar­ten ist. Statt­des­sen bestehe eine hohe Rezi­div­nei­gung wäh­rend des Wachs­tums. „Wachs­tums­len­ken­de Maß­nah­men sind char­mant“, beton­te sie. Sie sei­en weni­ger inva­siv und wie­sen eine gerin­ge Kom­pli­ka­ti­ons­ra­te auf. Aller­dings müs­se dabei das Wachs­tums­po­ten­zi­al beach­tet wer­den und ggf. früh­zei­tig eine OP erfolgen.

Tele­s­kop­na­ge­lung zur Stabilisierung

„Wir dach­ten, wir balan­cie­ren heu­te immer wie­der zwi­schen ope­ra­ti­ven und kon­ser­va­ti­ven Metho­den“, lei­te­te Wirth zu sei­nem Vor­trag über. Da jedoch ein Bei­trag aus­fal­len muss­te, wür­de es – auch jetzt – etwas „OP-las­tig“ wer­den. Sein Fokus lag auf „Ortho­pä­disch-chir­ur­gi­schen Maß­nah­men zur Defor­mi­tä­ten­kor­rek­tur der Extre­mi­tä­ten bei Erkran­kun­gen mit wei­chen Kno­chen“. Eine Rei­he von Erkran­kun­gen gehe mit einer redu­zier­ten Kno­chen­fes­tig­keit ein­her. In sei­nem Bei­trag beschränk­te er sich auf zwei: die Osteo­ge­ne­sis imper­fec­ta (OI) sowie die fibrö­se Dys­pla­sie (FD). Durch die gene­ti­sche Auf­ar­bei­tung der Erkran­kung wer­den mitt­ler­wei­le 23 ver­schie­de­ne Typen der OI unter­schie­den. Und da das ganz schön kom­pli­ziert sei, „machen wir es heu­te ein­fach“. Wirth kon­zen­trier­te sich auf die klas­si­schen Typen – und dabei auf die mil­de, mode­ra­te und schwe­re Form. „Die fibrö­se Dys­pla­sie kann uns ope­ra­tiv zur Ver­zweif­lung brin­gen“, gab er zu. Als effek­tiv habe sich die Tele­s­kop­na­ge­lung erwie­sen. Die­se Nägel sol­len die Kno­chen sta­bi­li­sie­ren und dafür sor­gen, dass Brü­che gera­de zusam­men­wach­sen. Ein gro­ßer Vor­teil: Ein sol­cher Nagel passt sich dem Wachs­tum des Kno­chens an. Neben den unte­ren soll­te auch die Behand­lung der obe­ren Extre­mi­tä­ten nicht ver­ges­sen wer­den. „Wir wer­den immer öfter gebe­ten, die Arme gera­de und benutz­bar zu machen“, sag­te er. Denn ohne die­se Fähig­keit kön­nen die Kin­der einen Roll­stuhl nicht eigen­stän­dig bedie­nen. Der Wunsch nach einem mini­mal­in­va­si­ven Ein­griff sei groß, aber nur dann mach­bar, wenn die Kno­chen nicht zu krumm sind. „Gro­ße Defor­mi­tä­ten benö­ti­gen eine Ver­kür­zung“, so Wirth. Und die sei mini­mal­in­va­siv nicht machbar.

Kei­ne OP kommt ohne Risi­ken aus. „Es gibt alle erdenk­li­chen Kom­pli­ka­tio­nen, die Sie sich vor­stel­len kön­nen.“ Der Nagel ver­biegt sich, hält nicht, wan­dert aus oder, oder. Grund­sätz­lich – und das zeig­ten meh­re­re Unter­su­chun­gen – hel­fen die Tele­s­kop­nä­gel den Kin­dern. „Und wie lan­ge hal­ten die­se? Müs­sen die Nägel regel­mä­ßig aus­ge­tauscht wer­den?“, wur­de eine Fra­ge aus dem Publi­kum laut. „Wenn der Nagel nichts macht, las­sen wir ihn in Ruhe“, sag­te Wirth und berich­te­te von Patient:innen, die seit 20, 30 Jah­ren ohne Wech­sel leben. 

Pia Engel­brecht

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