Den ersten Kongresstag bestritt im Wesentlichen das Kollegium der Bundesfachschule (Bufa), das in Dortmund ansässig ein Heimspiel austrug. Die Lehrkräfte boten einen Einblick in alle Fachbereiche. Als neuer Leiter des Instituts für Messtechnik und Biomechanik wurde Dr. Waleed Alrawashdeh vorgestellt, der sogleich einen Vortrag übernahm.
Fokus auf die Bundestagswahlen
Zu Beginn des zweiten Veranstaltungstages im Goldsaal der Dortmunder Westfalenhallen richtete BIV-OT-Präsident Alf Reuter in seiner Keynote eine klare Botschaft an seine Kollegen: „Mein Anliegen ist, dass wir alle Politik machen!“ Mit Blick auf die Bundestagswahlen 2025 schlug er vor, dass jeder OT-Betrieb seine politischen Kontakte auf Kommunal‑, Landes- und wenn möglich sogar Bundesebene aktiviert, diese in die eigenen Häuser einlädt, das Berufsbild vorstellt und das schiere Ausmaß der bürokratischen Verpflichtungen dokumentiert: „Zeigen Sie der Politik, wie viel Blatt Papier Sie für eine Rollatorversorgung unterschreiben müssen!“
In Person von Kirsten Abel, Nico Stephan, Olaf Gawron und Carsten Strangmann übernahm der Bundesinnungsverband anschließend maßgeblich die Vorträge des Symposiums „Recht & Gesetz“. „Wir haben unsere Arbeit gemacht, der Prozess von der Verordnung bis zur Abrechnung steht. Jetzt seid ihr dran mit Testen. Macht mit und meldet euch über den BIV direkt an“, warb Abel für ein Mitwirken der Betriebe an dem vom BIV-OT auf den Weg gebrachten Pilotprojekt „eVO orthopädische Hilfsmittel“. Stephan und Strangmann nahmen sich das Thema Kostenvoranschläge mit einem jeweiligen Fokus auf rechtliche Rahmenbedingungen bzw. Fallbeispiele aus der Praxis zur Brust. Gawron legte seinen Finger in die offene Wunde der aktuell gültigen Stundensätze. Die Kostenträger müssten bereit sein, finanzielle Mittel umzuschichten. Statt in Bürokratie müsse das Geld in die Versorgung fließen. Darüber hinaus plädierte er wie bereits Alf Reuter in seiner Keynote für die Einführung einheitlicher Leitverträge. „Der Schlüssel liegt in der Standardisierung. Nur das macht Prozesse schlank und transparent“, so Gawron.
Kassenleistung ja oder nein
Zum Auftakt ins Fachprogramm sprach Dr. Franz Landauer, Universitätsklinik Salzburg, über Fußdeformitäten und stellte Schnittstellen für die neuromuskuläre Kontrolle und den Einsatz von sensomotorischen Systemen vor. Großes Aufhorchen erzielte Fabian Thies aus Kiel mit dem Thema Softorthesen, die praktisch in jeder Werkstatt mit der Nähmaschine hergestellt werden könnten. Eindrucksvoll belegten seine Videos, wie Kindern mit neurologischen Störungen damit geholfen werden kann. „Man sieht: Das funktioniert – doch dann wird es abgelehnt“, bedauerte der Orthopädietechniker. Bis geklärt sei, ob es sich um eine Orthese oder eine Bandage handelt und der direkte Behinderungsausgleich nachgewiesen sei, müssen Eltern zumindest einen Teil selbst zahlen.
Dass Handorthesen zu Unrecht zumeist der „Schachtelorthopädie“ angehören, beklagte Jochen Steil, Tübingen. Vor allem in der Neuroorthopädie kämen sehr individuelle Funktionen zum Tragen. Steil sprach über verschiedene Einstiege in das Hilfsmittel und feste, aber weiche Schalen, die nicht schon beim Anlegen einen Tonus auslösen. Sogar zum Gleichgewicht im Rumpf könnten Handorthesen beitragen, sodass ihr Nutzer mit geradem Rücken am Schreibtisch arbeiten kann.
Für viele Teilnehmende des Kongresses waren womöglich die Leistungen der Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe eine neue Erkenntnis. „Stroke Unit, Anschlussbehandlung im Krankenhaus, Reha – und dann nichts mehr“, beschrieb der Vorsitzende Dr. Michael Brinkmeier aus Gütersloh die reguläre Versorgung von Schlaganfallpatient:innen. Doch viele Betroffene tragen dauerhafte Handicaps davon, die ihnen den Alltag langfristig erschweren. Die Stiftung stellt ihnen für ein Jahr einen professionellen „Schlaganfall-Lotsen“ zur Seite, der ihnen ins Leben zurückhilft, indem er sie in allen Fragen und Belangen mit Rat und Tat unterstützend begleitet und sie auch in Zusammenarbeit mit Sanitätshäusern bei der Auswahl und Beantragung von Hilfsmitteln berät. Die Stiftung strebt an, das Projekt als Regelversorgung durchzusetzen und flächendeckend auszurollen.
Den Tag beschloss das Symposium „Reha-Technik“ mit Vorträgen zu Sitzversorgung für Kleinkinder, Positionierung im Rollstuhl sowie der individuellen Hilfsmittelversorgung bei neurologischen Erkrankungen. Die bewegenden Fallbespiele mögen den einen oder die andere emotional angerührt zum Kollegentreff am Abend haben aufbrechen lassen.
FOT-Diplom hat Tradition
Nach vollem Haus am Freitag und Samstag waren die Reihen am Sonntag „überschaubarer“ besetzt. „Vielleicht schlafen manche nach dem Kollegentreff gestern Abend noch etwas länger?“, vermutete Ingo Pfefferkorn, der durch den FOT-Lauftreff um kurz nach 6 Uhr ziemlich früh, aber bei 5 Grad Außentemperatur frisch in den Tag gestartet war. Frische Ideen brachte auch Alexandra Reim, Nürnberg, auf den Tisch. Sie stellte das „Junge Forum“ vor – ein Gremium, das dem FOT-Vorstand zur Seite stehen und „Schwung in die Bude“ bringen soll. Dass aus Ideen von Nachwuchskräften beeindruckende Projekte entstehen können, stellten die Gewinner:innen des FOT-Diploms unter Beweis. Die Vorträge von Adrian Dahl, Katrin Reinhard, Daniel Behm und insbesondere Fritz Krügener, der über die Therapie von lagerungsbedingten Kopfdeformitäten mithilfe von 3D-gedruckten Kraniotomie-Orthesen referierte, stießen auf großes Interesse.
Mit auf ihre Fellowship-Reise durch Nordamerika nahm Lorena Klingebiel, Duderstadt, das Publikum. Sieben Städte und der Besuch zahlreicher Krankenhäuser, OT-Werkstätten sowie Reha- und Forschungszentren standen auf dem Programm. „Dein Feuer und deinen Enthusiasmus für die Reise merkt man dir immer noch an“, freute sich Pfefferkorn.
Offene Fragen in der Osseointegration
Der nächste Block beleuchtete das Thema Osseointegration aus medizinischer, orthopädietechnischer und therapeutischer Sicht. Dr. Jennifer Ernst, Hannover, stellte die Vor- und Nachteile der aktuell am Markt erhältlichen Systeme gegenüber, erläuterte die zahlreichen Kontraindikationen und schlussfolgerte, dass eigentlich nur der „Streberpatient“ infrage kommt. „Bei circa zehn Prozent der Amputierten ist es möglich, eine Osseointegration zu machen. Und nur zehn Prozent davon kommen damit klar, dass ein Metallteil aus ihrem Körper guckt“, betonte ebenso Thomas Münch, Duisburg, die Notwendigkeit der Compliance. Auch nach mehr als 30 Jahren, in denen das Verfahren praktiziert wird, seien viele Fragen ungeklärt – auch, weil es kein Register gebe, das alle Fälle systematisch erfasse, wie Patrick Schröter, Halle, erläuterte.
Der finale Block „Der besondere Fall“ hatte es nochmal in sich. An konkreten Fallbeispielen erläuterten die Mediziner:innen und Techniker:innen, wie sie Kinder mit Fehlbildungen versorgt haben. Deutlich wurde: Die Entscheidung, was das Beste ist, gleicht einem Balanceakt: Wird das Kind die Versorgung annehmen? Ist eine Amputation (jetzt) die richtige Entscheidung? Aus zwei Perspektiven und mit dem gleichen Ziel vor Augen stellten Dr. Jennifer Ernst und OTM Maik Pollmeyer, Münster, den gemeinsamen Fall eines Geschwisterpaares mit kongenitalen Fehlbildungen vor – und der hinterließ spürbar einen bleibenden Eindruck beim Publikum.
„Es ist immer eine Herausforderung, den Nerv der Zeit und der Teilnehmer zu treffen“, betonte Pfefferkorn bei der Verabschiedung. Doch das sei angesichts der vielen positiven Rückmeldungen gelungen. Sein Nachfolger als FOT-Präsident, Raphael Giese, kündigte seine Vorfreude auf den nächsten FOT-Jahreskongress an. Ein Wiedersehen wird es am 26. bis 28. September in Pforzheim geben.
Anja Knies, Michael Blatt, Pia Engelbrecht, Brigitte Siegmund
Ein neuer Kopf steht ab 2025 an der Spitze der FOT. Auf der Mitgliederversammlung wählten die Stimmberichtigten Raphael Giese aus Melle zum neuen Präsidenten. Nach sieben Jahren an der Spitze der Fortbildungsvereinigung stellte sich Ingo Pfefferkorn nicht mehr zur Wiederwahl, bleibt dem Vorstand allerdings erhalten. Die Referatsleitung des Jungen Forums übernimmt Lisa Maar von Alexandra Reim, die ebenfalls Teil des Vorstands bleibt. Auf eigenem Wunsch stellte sich Dr. Jennifer Ernst nicht mehr zur Wiederwahl. Sie will sich aber abseits der Vorstandarbeit weiter im Umfeld der FOT engagieren. Thomas Mitzenheim (Vizepräsident) und Mona Seifert-Maciejczyk (3. Präsidentin) gehören ebenso weiterhin dem Vorstand an wie Petra Engel, Ralph Bethmann, Prof. Dr. Ann-Kathrin Hömme, Robert Helbing, Kathrin Jensen und Roland Dötzer.
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