FOT-Jah­res­kon­gress: Nerv der Zeit getroffen

„Allen einen Zugewinn an Erkenntnissen“, wünschte FOT-Präsident Ingo Pfefferkorn den Teilnehmenden zur Einstimmung in den 68. Jahreskongress der Fortbildungsvereinigung für Orthopädie-Technik (FOT) in Dortmund. Und – so viel sei vorweggenommen – sein Wunsch ging in Erfüllung.

Den ers­ten Kon­gress­tag bestritt im Wesent­li­chen das Kol­le­gi­um der Bun­des­fach­schu­le (Bufa), das in Dort­mund ansäs­sig ein Heim­spiel aus­trug. Die Lehr­kräf­te boten einen Ein­blick in alle Fach­be­rei­che. Als neu­er Lei­ter des Insti­tuts für Mess­tech­nik und Bio­me­cha­nik wur­de Dr. Waleed Alra­wa­sh­deh vor­ge­stellt, der sogleich einen Vor­trag übernahm.

Fokus auf die Bundestagswahlen

Zu Beginn des zwei­ten Ver­an­stal­tungs­ta­ges im Gold­saal der Dort­mun­der West­fa­len­hal­len rich­te­te BIV-OT-Prä­si­dent Alf Reu­ter in sei­ner Key­note eine kla­re Bot­schaft an sei­ne Kol­le­gen: „Mein Anlie­gen ist, dass wir alle Poli­tik machen!“ Mit Blick auf die Bun­des­tags­wah­len 2025 schlug er vor, dass jeder OT-Betrieb sei­ne poli­ti­schen Kon­tak­te auf Kommunal‑, Lan­des- und wenn mög­lich sogar Bun­des­ebe­ne akti­viert, die­se in die eige­nen Häu­ser ein­lädt, das Berufs­bild vor­stellt und das schie­re Aus­maß der büro­kra­ti­schen Ver­pflich­tun­gen doku­men­tiert: „Zei­gen Sie der Poli­tik, wie viel Blatt Papier Sie für eine Rol­la­tor­ver­sor­gung unter­schrei­ben müssen!“

In Per­son von Kirs­ten Abel, Nico Ste­phan, Olaf Gaw­ron und Cars­ten Strang­mann über­nahm der Bun­des­in­nungs­ver­band anschlie­ßend maß­geb­lich die Vor­trä­ge des Sym­po­si­ums „Recht & Gesetz“. „Wir haben unse­re Arbeit gemacht, der Pro­zess von der Ver­ord­nung bis zur Abrech­nung steht. Jetzt seid ihr dran mit Tes­ten. Macht mit und mel­det euch über den BIV direkt an“, warb Abel für ein Mit­wir­ken der Betrie­be an dem vom BIV-OT auf den Weg gebrach­ten Pilot­pro­jekt „eVO ortho­pä­di­sche Hilfs­mit­tel“. Ste­phan und Strang­mann nah­men sich das The­ma Kos­ten­vor­anschlä­ge mit einem jewei­li­gen Fokus auf recht­li­che Rah­men­be­din­gun­gen bzw. Fall­bei­spie­le aus der Pra­xis zur Brust. Gaw­ron leg­te sei­nen Fin­ger in die offe­ne Wun­de der aktu­ell gül­ti­gen Stun­den­sät­ze. Die Kos­ten­trä­ger müss­ten bereit sein, finan­zi­el­le Mit­tel umzu­schich­ten. Statt in Büro­kra­tie müs­se das Geld in die Ver­sor­gung flie­ßen. Dar­über hin­aus plä­dier­te er wie bereits Alf Reu­ter in sei­ner Key­note für die Ein­füh­rung ein­heit­li­cher Leit­ver­trä­ge. „Der Schlüs­sel liegt in der Stan­dar­di­sie­rung. Nur das macht Pro­zes­se schlank und trans­pa­rent“, so Gawron.

Kas­sen­leis­tung ja oder nein

Zum Auf­takt ins Fach­pro­gramm sprach Dr. Franz Land­au­er, Uni­ver­si­täts­kli­nik Salz­burg, über Fuß­de­for­mi­tä­ten und stell­te Schnitt­stel­len für die neu­ro­mus­ku­lä­re Kon­trol­le und den Ein­satz von sen­so­mo­to­ri­schen Sys­te­men vor. Gro­ßes Auf­hor­chen erziel­te Fabi­an Thies aus Kiel mit dem The­ma Soft­or­the­sen, die prak­tisch in jeder Werk­statt mit der Näh­ma­schi­ne her­ge­stellt wer­den könn­ten. Ein­drucks­voll beleg­ten sei­ne Vide­os, wie Kin­dern mit neu­ro­lo­gi­schen Stö­run­gen damit gehol­fen wer­den kann. „Man sieht: Das funk­tio­niert – doch dann wird es abge­lehnt“, bedau­er­te der Ortho­pä­die­tech­ni­ker. Bis geklärt sei, ob es sich um eine Orthe­se oder eine Ban­da­ge han­delt und der direk­te Behin­de­rungs­aus­gleich nach­ge­wie­sen sei, müs­sen Eltern zumin­dest einen Teil selbst zahlen.

Dass Hand­orthe­sen zu Unrecht zumeist der „Schach­tel­or­tho­pä­die“ ange­hö­ren, beklag­te Jochen Steil, Tübin­gen. Vor allem in der Neu­ro­or­tho­pä­die kämen sehr indi­vi­du­el­le Funk­tio­nen zum Tra­gen. Steil sprach über ver­schie­de­ne Ein­stie­ge in das Hilfs­mit­tel und fes­te, aber wei­che Scha­len, die nicht schon beim Anle­gen einen Tonus aus­lö­sen. Sogar zum Gleich­ge­wicht im Rumpf könn­ten Hand­orthe­sen bei­tra­gen, sodass ihr Nut­zer mit gera­dem Rücken am Schreib­tisch arbei­ten kann.

Für vie­le Teil­neh­men­de des Kon­gres­ses waren womög­lich die Leis­tun­gen der Stif­tung Deut­sche Schlag­an­fall­hil­fe eine neue Erkennt­nis. „Stro­ke Unit, Anschluss­be­hand­lung im Kran­ken­haus, Reha – und dann nichts mehr“, beschrieb der Vor­sit­zen­de Dr. Micha­el Brink­mei­er aus Güters­loh die regu­lä­re Ver­sor­gung von Schlaganfallpatient:innen. Doch vie­le Betrof­fe­ne tra­gen dau­er­haf­te Han­di­caps davon, die ihnen den All­tag lang­fris­tig erschwe­ren. Die Stif­tung stellt ihnen für ein Jahr einen pro­fes­sio­nel­len „Schlag­an­fall-Lot­sen“ zur Sei­te, der ihnen ins Leben zurück­hilft, indem er sie in allen Fra­gen und Belan­gen mit Rat und Tat unter­stüt­zend beglei­tet und sie auch in Zusam­men­ar­beit mit Sani­täts­häu­sern bei der Aus­wahl und Bean­tra­gung von Hilfs­mit­teln berät. Die Stif­tung strebt an, das Pro­jekt als Regel­ver­sor­gung durch­zu­set­zen und flä­chen­de­ckend auszurollen.

Den Tag beschloss das Sym­po­si­um „Reha-Tech­nik“ mit Vor­trä­gen zu Sitz­ver­sor­gung für Klein­kin­der, Posi­tio­nie­rung im Roll­stuhl sowie der indi­vi­du­el­len Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung bei neu­ro­lo­gi­schen Erkran­kun­gen. Die bewe­gen­den Fall­be­spie­le mögen den einen oder die ande­re emo­tio­nal ange­rührt zum Kol­le­gen­treff am Abend haben auf­bre­chen lassen.

 

Gleich vier FOT-Diplome vergaben Ingo Pfefferkorn (l.) und Alexandra Reim (r.) in diesem Jahr an den OT-Nachwuchs. Foto: BIV-OT/Engelbrecht
Gleich vier FOT-Diplo­me ver­ga­ben Ingo Pfef­fer­korn (l.) und Alex­an­dra Reim (r.) in die­sem Jahr an den OT-Nach­wuchs. Foto: BIV-OT/En­gel­brecht

FOT-Diplom hat Tradition

Nach vol­lem Haus am Frei­tag und Sams­tag waren die Rei­hen am Sonn­tag „über­schau­ba­rer“ besetzt. „Viel­leicht schla­fen man­che nach dem Kol­le­gen­treff ges­tern Abend noch etwas län­ger?“, ver­mu­te­te Ingo Pfef­fer­korn, der durch den FOT-Lauf­treff um kurz nach 6 Uhr ziem­lich früh, aber bei 5 Grad Außen­tem­pe­ra­tur frisch in den Tag gestar­tet war. Fri­sche Ideen brach­te auch Alex­an­dra Reim, Nürn­berg, auf den Tisch. Sie stell­te das „Jun­ge Forum“ vor – ein Gre­mi­um, das dem FOT-Vor­stand zur Sei­te ste­hen und „Schwung in die Bude“ brin­gen soll. Dass aus Ideen von Nach­wuchs­kräf­ten beein­dru­cken­de Pro­jek­te ent­ste­hen kön­nen, stell­ten die Gewinner:innen des FOT-Diploms unter Beweis. Die Vor­trä­ge von Adri­an Dahl, Kat­rin Rein­hard, Dani­el Behm und ins­be­son­de­re Fritz Krü­ge­ner, der über die The­ra­pie von lage­rungs­be­ding­ten Kopf­de­for­mi­tä­ten mit­hil­fe von 3D-gedruck­ten Kra­nio­to­mie-Orthe­sen refe­rier­te, stie­ßen auf gro­ßes Interesse.

Mit auf ihre Fel­low­ship-Rei­se durch Nord­ame­ri­ka nahm Lore­na Klin­ge­biel, Duder­stadt, das Publi­kum. Sie­ben Städ­te und der Besuch zahl­rei­cher Kran­ken­häu­ser, OT-Werk­stät­ten sowie Reha- und For­schungs­zen­tren stan­den auf dem Pro­gramm. „Dein Feu­er und dei­nen Enthu­si­as­mus für die Rei­se merkt man dir immer noch an“, freu­te sich Pfefferkorn.

Offe­ne Fra­gen in der Osseointegration

Der nächs­te Block beleuch­te­te das The­ma Osseo­in­te­gra­ti­on aus medi­zi­ni­scher, ortho­pä­die­tech­ni­scher und the­ra­peu­ti­scher Sicht. Dr. Jen­ni­fer Ernst, Han­no­ver, stell­te die Vor- und Nach­tei­le der aktu­ell am Markt erhält­li­chen Sys­te­me gegen­über, erläu­ter­te die zahl­rei­chen Kon­tra­in­di­ka­tio­nen und schluss­fol­ger­te, dass eigent­lich nur der „Stre­ber­pa­ti­ent“ infra­ge kommt. „Bei cir­ca zehn Pro­zent der Ampu­tier­ten ist es mög­lich, eine Osseo­in­te­gra­ti­on zu machen. Und nur zehn Pro­zent davon kom­men damit klar, dass ein Metall­teil aus ihrem Kör­per guckt“, beton­te eben­so Tho­mas Münch, Duis­burg, die Not­wen­dig­keit der Com­pli­ance. Auch nach mehr als 30 Jah­ren, in denen das Ver­fah­ren prak­ti­ziert wird, sei­en vie­le Fra­gen unge­klärt – auch, weil es kein Regis­ter gebe, das alle Fäl­le sys­te­ma­tisch erfas­se, wie Patrick Schrö­ter, Hal­le, erläuterte.

Der fina­le Block „Der beson­de­re Fall“ hat­te es noch­mal in sich. An kon­kre­ten Fall­bei­spie­len erläu­ter­ten die Mediziner:innen und Techniker:innen, wie sie Kin­der mit Fehl­bil­dun­gen ver­sorgt haben. Deut­lich wur­de: Die Ent­schei­dung, was das Bes­te ist, gleicht einem Balan­ce­akt: Wird das Kind die Ver­sor­gung anneh­men? Ist eine Ampu­ta­ti­on (jetzt) die rich­ti­ge Ent­schei­dung? Aus zwei Per­spek­ti­ven und mit dem glei­chen Ziel vor Augen stell­ten Dr. Jen­ni­fer Ernst und OTM Maik Poll­mey­er, Müns­ter, den gemein­sa­men Fall eines Geschwis­ter­paa­res mit kon­ge­ni­talen Fehl­bil­dun­gen vor – und der hin­ter­ließ spür­bar einen blei­ben­den Ein­druck beim Publikum.

„Es ist immer eine Her­aus­for­de­rung, den Nerv der Zeit und der Teil­neh­mer zu tref­fen“, beton­te Pfef­fer­korn bei der Ver­ab­schie­dung. Doch das sei ange­sichts der vie­len posi­ti­ven Rück­mel­dun­gen gelun­gen. Sein Nach­fol­ger als FOT-Prä­si­dent, Rapha­el Gie­se, kün­dig­te sei­ne Vor­freu­de auf den nächs­ten FOT-Jah­res­kon­gress an. Ein Wie­der­se­hen wird es am 26. bis 28. Sep­tem­ber in Pforz­heim geben.

Anja Knies, Micha­el Blatt, Pia Engel­brecht, Bri­git­te Siegmund

 

Vor­stands­wah­len
Ein neu­er Kopf steht ab 2025 an der Spit­ze der FOT. Auf der Mit­glie­der­ver­samm­lung wähl­ten die Stimm­be­rich­tig­ten Rapha­el Gie­se aus Mel­le zum neu­en Prä­si­den­ten. Nach sie­ben Jah­ren an der Spit­ze der Fort­bil­dungs­ver­ei­ni­gung stell­te sich Ingo Pfef­fer­korn nicht mehr zur Wie­der­wahl, bleibt dem Vor­stand aller­dings erhal­ten. Die Refe­rats­lei­tung des Jun­gen Forums über­nimmt Lisa Maar von Alex­an­dra Reim, die eben­falls Teil des Vor­stands bleibt. Auf eige­nem Wunsch stell­te sich Dr. Jen­ni­fer Ernst nicht mehr zur Wie­der­wahl. Sie will sich aber abseits der Vor­stand­ar­beit wei­ter im Umfeld der FOT enga­gie­ren. Tho­mas Mit­zen­heim (Vize­prä­si­dent) und Mona Sei­fert-Macie­jc­zyk (3. Prä­si­den­tin) gehö­ren eben­so wei­ter­hin dem Vor­stand an wie Petra Engel, Ralph Beth­mann, Prof. Dr. Ann-Kath­rin Höm­me, Robert Hel­bing, Kath­rin Jen­sen und Roland Dötzer. 

 

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