Fel­low­ship macht Erfah­rungs­aus­tausch möglich

Mit dem Diplom in den Händen sind Ausbildung oder Studium zwar abgeschlossen, doch wer am Puls der Zeit bleiben möchte, braucht die Möglichkeit, sich weiter fortzubilden. Darin investiert die Initiative‘93 Technische Orthopädie und vergibt – unterstützt vom Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik (BIV-OT) und der Fortbildungsvereinigung für Orthopädie-Technik (FOT) – alle zwei Jahre ein mehrwöchiges Fellowship an Ärzt:innen und Orthopädietechniker:innen.

In die­sem Jahr war OTM Lore­na Klin­ge­biel, Pro­dukt­ent­wick­le­rin beim Hilfs­mit­tel­her­stel­ler Otto­bock, dabei und mach­te sich auf den Weg nach Nord­ame­ri­ka. Im Gespräch mit der OT-Redak­ti­on berich­tet die 29-Jäh­ri­ge von ihren Erleb­nis­sen und inwie­fern sie davon zurück in Deutsch­land profitiert.

OT: War­um hat­ten Sie sich für das Sti­pen­di­um beworben?

Lore­na Klin­ge­biel: Als ich hör­te, dass es die Mög­lich­keit gibt, sich für das Sti­pen­di­um zu bewer­ben, habe ich mir die ehe­ma­li­gen Berich­te durch­ge­le­sen und fand span­nend, was die Teil­neh­mer so alles erle­ben konn­ten. Außer­dem habe ich einen Kol­le­gen, der eben­so teil­neh­men durf­te und genau­so begeis­tert berich­te­te. Mei­ne Erwar­tun­gen wur­den dabei mehr als erfüllt!

OT: Wel­che Zie­le und Ein­rich­tun­gen stan­den auf Ihrem Reiseplan?

Klin­ge­biel: Als ers­tes waren wir in Bos­ton. Dort haben wir Hugh Herr getrof­fen und haben uns das MIT (Mas­sa­chu­setts Insti­tu­te of Tech­no­lo­gy, Anm. der Red.) und MGH (Mas­sa­chu­setts Gene­ral Hos­pi­tal, Anm. der Red.) mit ver­schie­de­nen Ope­ra­tio­nen ange­se­hen. Das Spaul­ding Reha­bi­li­ta­ti­on Cen­ter war eben­falls ein Pro­gramm­punkt. Danach sind wir – fast die glei­che Stre­cke wie von Frank­furt in die Staa­ten – wei­ter nach Seat­tle geflo­gen. Auf dem Pro­gramm stan­den Besich­ti­gun­gen der Uni­ver­si­ty of Washing­ton, des Seat­tle VA Medi­cal Cen­ters und ihren For­schungs­the­men und von Ortho­pä­die-Tech­nik-Fir­men wie Cor­ner­stone und Ortho­ca­re Inno­va­tions. Die nächs­ten Stopps waren Min­nea­po­lis und Roches­ter mit der beein­dru­cken­den Mayo Cli­nic. In Chi­ca­go hat­ten wir mit fast einer gan­zen Woche den längs­ten Auf­ent­halt der Rei­se. Bei der AAOP (Ame­ri­can Aca­de­my of Ortho­tists and Pro­sthe­tists, Anm. der Red.) konn­ten wir uns ver­schie­de­ne Her­stel­ler anse­hen, Vor­trä­ge anhö­ren und hiel­ten auch selbst jeder einen Vor­trag. Die Nor­thwes­tern Uni­ver­si­ty stell­te den neu geplan­ten Mas­ter-Stu­di­en­gang vor und das Shir­ley-Ryan-Insti­tu­te sein neu­es Gebäu­de mit den groß­zü­gi­gen reha­the­ra­peu­ti­schen Mög­lich­kei­ten und ihrer ortho­pä­die­tech­ni­schen Werk­statt. In unse­rer letz­ten Woche stan­den Washing­ton DC und Miami auf dem Plan. Das Wal­ter-Reed-Mili­tär­kran­ken­haus zeig­te sei­ne Ver­sor­gungs- und Trai­nings­ein­rich­tun­gen für die Vete­ra­nen und die Uni­ver­si­ty of Miami ihr eben­falls impo­nie­ren­des neu­es Gebäu­de zur Reha­bi­li­ta­ti­on von Patienten.

OT: Das Sti­pen­di­um ermög­licht es nicht nur zu ent­de­cken, ­zuzu­hö­ren, zu ler­nen und sich inspi­rie­ren zu las­sen: Sie waren also nicht nur Beob­ach­te­rin, son­dern auch ­akti­ve Gestal­te­rin: Wel­che Auf­ga­ben kamen Ihnen wäh­rend des ­Auf­ent­halts zu?

Klin­ge­biel: Das Sti­pen­di­um soll ein Aus­tausch sein zwi­schen Ärz­ten und Ortho­pä­die­tech­ni­kern. Ein gegen­sei­ti­ges von­ein­an­der Ler­nen und Wei­ter­ge­ben von Erfah­run­gen und Wis­sen. Unse­re Auf­ga­be war es dem­nach auch, unse­re täg­li­che Arbeit zu tei­len. In Form von Prä­sen­ta­tio­nen über aktu­el­le All­tags­the­men durf­ten wir an fast jedem Stand­ort auch unser „täg­lich Brot“ vermitteln.

OT: Wie haben Sie sich im Vor­feld dar­auf vorbereitet?

Klin­ge­biel: Ich habe vor allem die Prä­sen­ta­tio­nen vor­be­rei­tet. Es waren drei The­men, von denen sich die Gast­ge­ber jeweils eines aus­su­chen konn­ten, das sie am meis­ten inter­es­siert: „Myoelec­tric trans­hu­me­ral pro­sthe­tic pati­ent care“, „Para­lym­pics behind the sce­nes“ und „Always one step fur­ther – Impro­ve­ments during KAFO tre­at­ment pro­cess“. Ansons­ten muss­te ich mir einen neu­en Rei­se­pass bean­tra­gen und die ver­schie­dens­ten For­mu­la­re für die Besu­che ausfüllen.

OT: Was waren die fach­li­chen Höhe­punk­te Ihrer Reise?

Klin­ge­biel: Es gab sehr vie­le inter­es­san­te Impres­sio­nen! Ich hat­te zum Bei­spiel vor­her noch nie bei einer Ope­ra­ti­on zuge­se­hen und ich hat­te in den ers­ten Tagen schon direkt meh­re­re hin­ter­ein­an­der. Das war echt span­nend! Es gab außer­dem ver­schie­de­ne For­schungs­the­men, die mich auch sehr beein­druckt haben. Bei­spiels­wei­se wur­den von einem instru­men­tier­ten Kada­ver-Fuß in der Dyna­mik zwei Rönt­gen­bil­der aus ver­schie­de­nen Rich­tun­gen erstellt, die spä­ter zu einem 3D-Bild zusam­men­ge­fügt wur­den. Dar­aus konn­ten dann die ver­schie­de­nen Belas­tun­gen auf die unter­schied­li­chen Gewe­be­ty­pen ermit­telt wer­den. Auf so eine Idee muss man erst­mal kommen.

OT: Was hat Ihnen die Rei­se per­sön­lich bedeutet?

Klin­ge­biel: Ich bin über­aus neu­gie­rig und immer offen für Neu­es. Die Mög­lich­keit, mich selbst wei­ter­zu­bil­den, zu ver­net­zen und das vor allem inter­dis­zi­pli­när ist Anreiz genug, dass ich per­sön­lich etwas mit­neh­me. Ich bin Ortho­pä­die­tech­ni­ke­rin in der Pro­dukt­ent­wick­lung und des­halb ist es span­nend zu erfah­ren, wie in ande­ren Unter­neh­men und Län­dern die For­schung und Ent­wick­lung der Tech­ni­schen Ortho­pä­die vorangeht.

OT: Wel­cher Moment ist Ihnen beson­ders in Erin­ne­rung geblieben?

Klin­ge­biel: Es gab zu vie­le Momen­te, um hier einen raus­zu­pi­cken. Jedes­mal, wenn wir von einem Stand­ort weg­ge­fah­ren sind, habe ich gedacht, dass ich nun alles gese­hen hät­te. Als wir dann jedoch beim Neu­en anka­men, gab es direkt einen neu­en groß­ar­ti­gen Moment. Her­vor­he­ben möch­te ich den­noch die außer­ge­wöhn­li­che Gast­freund­schaft. Die Hosts haben uns herz­lich emp­fan­gen und uns teil­wei­se noch in ihrer pri­va­ten Zeit her­um­ge­führt und uns stolz ihr Land gezeigt.

OT: Ande­res Land, vie­le Orts­wech­sel, vie­le neue Men­schen, Geschich­ten und Ein­drü­cke: Was waren die größ­ten Heraus­forderungen für Sie?

Klin­ge­biel: Am Anfang muss­te ich mich an die Spra­che gewöh­nen. Das Nativ-Eng­lish war doch etwas schnel­ler als erwar­tet. Vor allem, als es bei den Ärz­ten fach­lich sehr in die Tie­fe ging. Da habe ich mich dann zum Glück schnell dran gewöhnt. Nach ein paar Tagen merk­te ich, dass es sehr her­aus­for­dernd war, die neu­en Ein­drü­cke und Infor­ma­tio­nen zu behal­ten. So viel Input in kür­zes­ter Zeit! In Seat­tle habe ich mir dann eine Tage­buch-App her­un­ter­ge­la­den, damit nichts ver­lo­ren geht.

OT: Deutsch­land – Nord­ame­ri­ka: Wel­che Unter­schie­de haben Sie mit Blick auf den Ver­sor­gungs­all­tag fest­stel­len können?

Klin­ge­biel: Wie bereits ange­ris­sen, waren wir in meh­re­ren Vete­ra­nen-Kran­ken­häu­sern. Dort ist bei den Ver­sor­gun­gen und in der Reha­bi­li­ta­ti­on sehr viel mög­lich. Die Ver­wun­de­ten sol­len schließ­lich schnellst­mög­lich wie­der reha­bi­li­tiert wer­den. Im Gegen­satz dazu ste­hen die „nor­ma­len“ Pati­en­ten, die wirk­lich Schwie­rig­kei­ten haben, ihre Hilfs­mit­tel finan­ziert zu bekom­men. Da kön­nen wir in Deutsch­land glück­lich sein mit unse­rem Kran­ken­kas­sen­sys­tem. Klar,es gibt hin und wie­der Ableh­nun­gen, aber zumin­dest wird eine ent­spre­chen­de Grund­ver­sor­gung sichergestellt.

OT: Inwie­fern kön­nen Sie die gesam­mel­ten Erfah­run­gen jetzt in Ihren Arbeits­all­tag einbringen?

Klin­ge­biel: Ein inter­na­tio­na­les Netz­werk zu haben, ist eine tol­le Grund­la­ge für Kom­mu­ni­ka­ti­on und Aus­tausch aktu­el­ler The­men. Außer­dem för­dern neu gewon­ne­ne Kon­tak­te zu Ärz­ten das Ver­ständ­nis einer ganz­heit­li­chen Betrach­tung von Pati­en­ten­ver­sor­gun­gen. Die­se ist für die Ent­wick­lung von neu­en Pro­duk­ten essen­zi­ell. Hof­fent­lich kann ich mir auch etwas von der US-ame­ri­ka­ni­schen Men­ta­li­tät – Din­ge ein­fach zu machen – mit­neh­men. Denn wer Neu­es aus­pro­biert und auch Fehl­ver­su­che in Kauf nimmt, gewinnt wert­vol­le Erkennt­nis­se, aus denen neue Ideen ent­ste­hen kön­nen. Das ist schließ­lich Forschung.

OT: Wenn man nicht wei­ter­kommt oder eine zwei­te Mei­nung braucht, ist es immer hilf­reich, jeman­den zu ken­nen, der jeman­den kennt, der jeman­den kennt. Wäh­rend der Rei­se sind Sie zahl­rei­chen Men­schen mit viel Exper­ti­se begeg­net. Macht sich die­ses Netz­werk bereits bezahlt?

Klin­ge­biel: Ja, es macht sich jetzt schon bezahlt. Ich habe mei­ne mit­ge­reis­ten Ärz­te aus dem MHH bereits besucht und wer­de sie dort fort­an regel­mä­ßig bei der Ampu­ta­ti­ons­sprech­stun­de beglei­ten. Dabei bekom­me ich einen Ein­blick in die Ver­sor­gung von Pati­en­ten vor und nach Amputationen.

OT: Die Orte und Ein­rich­tun­gen haben stän­dig gewech­selt. Gleich blieb stets die Fel­low­ship-Grup­pe. Wie war die gemein­sa­me Zeit? Was haben Sie von­ein­an­der ler­nen können?

Klin­ge­biel: Dadurch, dass wir mit den Fach­be­rei­chen Ortho­pä­die-Tech­nik, Chir­ur­gie und Ort­ho­bio­nik inter­dis­zi­pli­när auf­ge­stellt waren, haben wir ein gutes Team gebil­det und konn­ten uns gut ergän­zen. Je nach­dem, in wel­cher Ein­rich­tung wir waren, konn­te jemand ande­rer die auf­ge­kom­me­nen Fra­gen beant­wor­ten und somit konn­ten alle von­ein­an­der lernen.

OT: Wür­den Sie ande­ren Orthopädietechniker:innen ­emp­feh­len, sich für das Sti­pen­di­um zu bewerben?

Klin­ge­biel: Defi­ni­tiv! Es ist eine ein­ma­li­ge Gele­gen­heit, in einem frem­den Land so vie­le ver­schie­de­ne Orte und Ein­rich­tun­gen in einem kom­pak­ten Pro­gramm zu erle­ben. Habt den Mut, euch zu bewer­ben und der Her­aus­for­de­rung zu stel­len! Für Prä­sen­ta­ti­ons­the­men kom­men zum Bei­spiel span­nen­de aktu­el­le – viel­leicht etwas außer­ge­wöhn­li­che – Ver­sor­gun­gen aus eurer täg­li­chen Arbeit infra­ge. Berei­tet sie in eng­li­scher Spra­che zu kur­zen Prä­sen­ta­tio­nen vor und schon habt ihr etwas, was ihr den Ärz­ten in den Staa­ten zei­gen könnt.

Die Fra­gen stell­te Pia Engelbrecht.

 

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