Eine Fra­ge der Sicherheit

Walker, Zweischalenorthese oder Total Contact Cast (TCC)? Nach Operationen, Fußteilamputationen und bei diabetischen Füßen gibt es verschiedene Optionen, die Patient:innen zu mobilisieren und zu entlasten.

Im Gespräch mit der OT-Redak­ti­on berich­tet Kai Stre­cker, Ortho­pä­die­schuh­ma­cher­meis­ter und Fach­be­reichs­lei­ter Ortho­pä­die­schuh­tech­nik beim Göt­tin­ger Sani­täts­haus o.r.t., von sei­nen Erfah­run­gen, stellt die Vor- und Nach­tei­le der Ver­sor­gun­gen gegen­über und erläu­tert, wor­auf er bei sei­ner Arbeit beson­ders Wert legt.

Anzei­ge

OT: Kon­fek­tio­nier­te Wal­ker gehö­ren bei der Ver­sor­gung zum Stan­dard. In wel­chen Fäl­len kom­men ande­re, indi­vi­du­el­le Alter­na­ti­ven in Frage?

Kai Stre­cker: Zum Bei­spiel bei adi­pö­sen Pati­en­ten, wenn also das Gewicht die zuläs­si­ge Belas­tung eines Wal­kers über­steigt. Oder auch, wenn die Rück­fuß­scha­le ana­to­misch nicht zum Unter­schen­kel passt. Indi­vi­du­el­le Anfer­ti­gun­gen kom­men auch dann ins Spiel, wenn der Fuß nach einer Ope­ra­ti­on beson­ders weich gebet­tet wer­den muss, aber das fes­te Kon­strukt einer Orthe­se benötigt.

OT: Wel­che wei­te­ren Fak­to­ren spie­len bei der Aus­wahl der Ver­sor­gung eine Rolle?

Stre­cker: Not­wen­dig ist es, vor der Ver­sor­gung Rück­spra­che mit dem Arzt zu hal­ten. Was ist das The­ra­pie­ziel? Wie muss ent­las­tet und auch mobi­li­siert wer­den? Eben­falls soll­te geklärt wer­den, wie lan­ge das Hilfs­mit­tel genutzt wer­den soll. Bei nur zwei­wö­chi­ger Tra­ge­dau­er ist es nicht sinn­voll, eine Orthe­se zu bau­en. Die­se tra­gen unse­re Pati­en­ten im Schnitt drei bis sechs Mona­te. Ein wei­te­rer ent­schei­den­der Fak­tor ist Zeit. Eine Car­bon­or­the­se zu bau­en ist deut­lich auf­wen­di­ger als auf ein kon­fek­tio­nier­tes Pro­dukt oder TCC zurück­zu­grei­fen. Was zählt ist, dass man eine gute Ent­las­tung und Ruhig­stel­lung erreicht. Je bes­ser die Pass­form, des­to bes­ser ist die Ver­sor­gung. Und bei kon­fek­tio­nier­ten Hilfs­mit­teln sind meis­ten Abstri­che zu machen.

OT: Gibt es Grenzfälle?

Stre­cker: Wir hat­ten einen Pati­en­ten, der auf der einen Sei­te ober­schen­kel­am­pu­tiert war und auf der ande­ren Sei­te nekro­ti­sches Gewe­be im Fer­sen­be­reich hat­te. Ziel war es, den Pati­en­ten zu mobi­li­sie­ren und das nekro­ti­sche Gewe­be zu ent­las­ten. Er hat­te dann eine Ober­schen­kel­pro­the­se und am ande­ren Bein eine Zwei­scha­len­or­the­se bekom­men. Die haben wir so ver­sucht zu fer­ti­gen, dass er einen siche­ren Stand bekommt und über das vor­han­de­ne Bein und die Pro­the­se am Geh­wa­gen wie­der ans Lau­fen kommt. Das war eine gro­ße Her­aus­for­de­rung. Letzt­end­lich war der Stie­fel aus Car­bon für den Pati­en­ten aber zu hoch von der Schafthö­he und zu schwer vom Gesamt­ge­wicht. Wir haben des­we­gen die Höhe etwas redu­ziert. Nach­dem die Com­pli­ance anfangs nicht so gut war, ist der Stie­fel spä­ter dann fast sein Freund gewor­den (lacht).

OT: Com­pli­ance ist ein gutes Stich­wort. Unter­schei­det sich die­se im Ver­gleich zu den ver­schie­de­nen Versorgungsmöglichkeiten?

Stre­cker: Einen Voll­kon­takt­gips anzu­le­gen ist deut­lich auf­wen­di­ger. Das macht der Pati­ent in der Regel nicht selbst, son­dern der Pfle­ge­dienst oder Ange­hö­ri­ge. Das Wickeln der Syn­the­tik­wat­te ist auf­wen­dig und muss exakt pas­sie­ren, da sonst die Pass­form nicht gewähr­leis­tet wer­den kann. Da ist die Com­pli­ance gerin­ger. Das Anle­gen einer Orthe­se mit Frot­tee­strumpf dage­gen ist mit weni­ger Auf­wand ver­bun­den und sie ist pfle­ge­leich­ter als das Gewe­be einer Cast­bin­de. Die Rei­ni­gung und Hygie­ne in einer Orthe­se sind vor­teil­haf­ter. Wenn man ein Hilfs­mit­tel baut, das gut funk­tio­niert, das der Pati­ent aber nicht trägt, hat man nichts gewon­nen. Umso wich­ti­ger ist es, vor dem Bau der Orthe­se die Ange­hö­ri­gen oder die Pfle­ger mit im Boot zu haben. Das häus­li­che Umfeld soll­te in der Bera­tung und Ana­mne­se auch berück­sich­tigt werden.

OT: Wal­ker, Car­bon­or­the­se, TCC: Mit wel­chem Hilfs­mit­tel ver­sor­gen Sie häufiger?

Stre­cker: Wir ver­sor­gen häu­fig mit Zwei­scha­len-Car­bon­or­the­sen. Die­se sind im Hilfs­mit­tel­ver­zeich­nis klar defi­niert. TCC fin­de ich grund­sätz­lich sehr gut, gerät aber mehr und mehr in den Hin­ter­grund. Die Kran­ken­kas­sen finan­zie­ren den Cast nicht immer, sehen die Her­stel­lung und das Anle­gen eher in den Kli­nik­auf­ga­ben – gleich­zu­set­zen mit dem Anle­gen eines Ver­ban­des – inklu­si­ve Rück­fra­gen des Medi­zi­ni­schen Diens­tes und der Krankenkassen.

OT: Im Gegen­satz zu einem kon­fek­tio­nier­ten Wal­ker ist eine indi­vi­du­ell ange­fer­tig­te Orthe­se bei­spiels­wei­se deut­lich teu­rer. Wie lässt sich das gegen­über dem Kos­ten­trä­ger argumentieren?

Stre­cker: Oft lau­fen die Ver­sor­gun­gen über­ra­schend gut durch. Wich­tig ist es, von Anfang an eine sau­be­re Doku­men­ta­ti­on zu machen und die Ver­sor­gung gut zu begrün­den. Das sichert uns als Sani­täts­haus und auch den  Pati­en­ten ab. Und es braucht eine zum Hilfs­mit­tel pas­sen­de Dia­gno­se. Wenn bei­spiels­wei­se statt „Vor­fuß­am­pu­ta­ti­on“ ledig­lich eine all­ge­mein gehal­te­ne Dia­gno­se wie „Dia­be­tes mel­li­tus, Fuß­fehl­form“ ange­ge­ben ist, dann kom­men garan­tiert Rück­fra­gen. Grund­sätz­lich hilft es immer, mit dem Sach­be­ar­bei­ter der Kran­ken­kas­se das Gespräch zu suchen. Und man darf nicht ver­ges­sen: Ein kon­fek­tio­nier­tes Pro­dukt ist natür­lich immer güns­ti­ger, man macht aber
auch Abstri­che in der Versorgung.

OT: Inwie­fern?

Stre­cker: Bei­spiels­wei­se Pati­en­ten mit Neu­ro­pa­thie sind ohne­hin unsi­cher unter­wegs, haben kei­ne Wahr­neh­mung, wie ihr Fuß im Raum steht. Sie brau­chen eine Rück­mel­dung beim Lau­fen. Indi­vi­du­ell ange­fer­tig­te Orthe­sen kön­nen den Bedürf­nis­sen der Pati­en­ten ange­passt wer­den und so Sicher­heit ver­lei­hen. Vie­le Pati­en­ten leben allein und die Orthe­sen die­nen der Mobi­li­sie­rung, dem Trans­fer zu Ärz­ten oder Ein­rich­tun­gen nicht zuletzt beim Ste­hen im Gehen im häus­li­chen Umfeld. Letzt­end­lich soll­te ein Pati­ent aber – auch, wenn es gut funk­tio­niert – nicht viel mit Wal­ker, Car­bon­or­the­se oder TCC lau­fen. Eine Ent­las­tung mit­tels Unter­arm­geh­stüt­zen und/oder Roll­stuhl ist zu empfehlen.

OT: Wel­che Bedeu­tung kommt der Ein­bin­dung von Phy­sio­the­ra­pie zu?

Stre­cker: Die ist ein Muss. Nach dem ers­ten Anzie­hen des Stie­fels den­ken die meis­ten: „Jetzt geht gar nichts.“ Sie müs­sen wäh­rend des Geh­trai­nings erst ein­mal ler­nen, wie man über die Soh­le mit dem Stie­fel abrollt – anfangs mit Geh­wa­gen, Rol­la­tor oder Unter­arm­geh­stüt­zen. Nach und nach gewin­nen die Pati­en­ten dann Sicherheit.

OT: Wor­auf kommt es bei der Ver­sor­gung noch an?

Stre­cker: Für mich ist wich­tig, dass eine Orthe­sen­ver­sor­gung immer im inter­dis­zi­pli­nä­ren Team läuft, man auf Augen­hö­he mit­ein­an­der arbei­tet und auf kur­zen Dienst­we­gen Din­ge klä­ren kann. Unser Job ist so sinn­voll und wir hel­fen damit den Pati­en­ten. Und das macht mir sehr viel Freu­de! In den meis­ten Fäl­len erhal­ten wir posi­ti­ve Rück­mel­dun­gen von den Pati­en­ten. Wenn sie sich gut auf­ge­ho­ben füh­len, blei­ben sie einem auch treu. Dazu gehört es auch, sich in den Pati­en­ten hin­ein­ver­set­zen zu kön­nen, ihm Leit­plan­ken zu geben, die Ver­sor­gung und das Vor­ge­hen genau zu beschrei­ben und zu erklä­ren, was die Orthe­se leis­ten kann.

Die Fra­gen stell­te Pia Engelbrecht.

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