Online-Sym­po­si­um zeigt Wege in die Zukunft der Prothetik

Wie kann man Phantomschmerzen sichtbar machen? Wie lassen sich neuromuskuläre Steuerungssysteme sinnvoll einsetzen?

Und war­um ist inter­dis­zi­pli­nä­re Zusam­men­ar­beit ent­schei­dend für die Schmerz­be­hand­lung nach Ampu­ta­tio­nen? Die­se und wei­te­re zen­tra­le Fra­gen stan­den im Fokus eines Online-Sym­po­si­ums des Hilfs­mit­tel­her­stel­lers Otto­bock. Unter dem Titel „Advance­ments in Phan­tom Limb Sen­sa­ti­on and Pain Manage­ment“ dis­ku­tier­ten Exper­ten aus dem Bereich der Pro­the­tik der obe­ren Extre­mi­tä­ten aktu­el­le Ent­wick­lun­gen im Umgang mit Phan­tom- und Stumpf­schmer­zen sowie inno­va­ti­ve Ansät­ze in der Prothesenversorgung.

Mode­riert von Dipl.-Ing. Mer­kur Ali­mus­aj (Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Hei­del­berg) spann­te das Fach­for­mat den Bogen von pra­xis­na­hen Fall­be­rich­ten bis hin zu digi­ta­len Tools zur Schmerz­vi­sua­li­sie­rung – und bot einen Ein­blick in den Stand der Tech­nik, der sowohl kli­ni­sche als auch tech­ni­sche Fach­kräf­te ansprach.

Ein zen­tra­les The­ma war das nach wie vor kom­ple­xe Phä­no­men der Phan­tom­glied­ma­ßen, das ins­be­son­de­re nach Ampu­ta­tio­nen der obe­ren Extre­mi­tä­ten auf­tritt. Welt­weit sind schät­zungs­wei­se 57,7 Mil­lio­nen Men­schen von Glied­ma­ßen­ver­lust betrof­fen – etwa 95 Pro­zent von ihnen erle­ben in irgend­ei­ner Form Schmer­zen. Dabei kön­nen sowohl Phan­tom Limb Pain (PLP) als auch Resi­du­al Limb Pain (RLP) auf­tre­ten, häu­fig aus­ge­löst durch durch­trenn­te oder geschä­dig­te peri­phe­re Nerven.

Digi­ta­les Tool zur Schmerzvisualisierung

Jamie Van­der­sea (Medi­cal Cen­ter Ortho­tics and Pro­sthe­tics, Sil­ver Spring, USA) stell­te in sei­nem Vor­trag „Over­view Phan­tom Limb“ ver­schie­de­ne The­ra­pie­an­sät­ze vor und beton­te die Bedeu­tung eines inter­dis­zi­pli­nä­ren, pati­en­ten­zen­trier­ten Manage­ments. Ein High­light des Sym­po­si­ums war die Vor­stel­lung des digi­ta­len Tools C.A.L.A. (Com­pu­ter Assis­ted Limb Assess­ment) durch Dr. Cosi­ma Prahm (BG Kli­ni­kum Unfall­kran­ken­haus Ber­lin). Ent­wi­ckelt von der Arbeits­grup­pe „Play­Bio­nic“, ermög­licht C.A.L.A. die prä­zi­se Visua­li­sie­rung und Doku­men­ta­ti­on von Phan­tom­schmer­zen und ‑emp­fin­dun­gen. Mit­tels eines 3D-Ava­tars kön­nen die Betrof­fe­nen ver­schie­de­ne sen­so­ri­sche Phä­no­me­ne und Schmerz­for­men wie Bren­nen, Ste­chen oder Krib­beln loka­li­sie­ren und ein­tra­gen. Zudem kön­nen sie Schmerz- und Krampf­be­rei­che und die Inten­si­tät ein­zeich­nen sowie die Form und Posi­ti­on ihres Phan­tom­glieds am Ava­tar model­lie­ren. C.A.L.A. ist dar­auf aus­ge­legt, eine stan­dar­di­sier­te kli­ni­sche Doku­men­ta­ti­on, sowohl im the­ra­peu­ti­schen als auch im wis­sen­schaft­li­chen Kon­text, zu unter­stüt­zen. Alle Wer­te kön­nen auto­ma­tisch quan­ti­fi­ziert und in der Pati­en­ten­ak­te gespei­chert wer­den. Die visu­el­le Dar­stel­lung der Sym­ptom­ver­läu­fe bie­te ins­be­son­de­re einen gro­ßen Mehr­wert bei Pro­the­sen­an­pas­sun­gen, Reha­bi­li­ta­ti­ons­sit­zun­gen oder inter­dis­zi­pli­nä­ren Kon­sul­ta­tio­nen, so Prahm. Die Soft­ware ist kos­ten­frei nutz­bar und über eine Online-Demo zugäng­lich: https://playbionic.org/cala-online.

„Myosmart“-Steuerungssystem auf dem Prüfstand

Einen pra­xis­na­hen Ein­blick gab Hans-Magnus Holz­fuss (Gesund­heits­zen­trum Greifs­wald), der von der ers­ten Test­ver­sor­gung mit dem „Myosmart“-Steuerungssystem von Otto­bock berich­te­te. Nach einer trans­hu­me­ra­len Ampu­ta­ti­on und anschlie­ßen­der TMR-Ope­ra­ti­on sowie Osseo­in­te­gra­ti­on (OPRA-Implan­tat) konn­te sein Pati­ent das Sys­tem im ver­gan­ge­nen Janu­ar erst­mals tes­ten. Mit­hil­fe von vier Elek­tro­den und einer kur­zen Ein­füh­rung in das Sys­tem war er in der Lage myo­elek­tri­sche Signa­le dar­zu­stel­len und mit der „Connectgrip“-App auf­zu­zeich­nen. „Mein Pati­ent konn­te mit der Test­pro­the­se eine deut­lich bes­se­re, siche­re­re und geziel­te­re Steue­rung errei­chen“, berich­te­te Holzfuss.

Das Sym­po­si­um bot einen Über­blick über den aktu­el­len Stand von For­schung, Tech­no­lo­gie und kli­ni­scher Pra­xis im Bereich der Phan­tom­schmerz­be­hand­lung. Die Kom­bi­na­ti­on aus digi­ta­len Tools wie C.A.L.A. und inno­va­ti­ven Steue­rungs­sys­te­men wie „Myosmart“ eröff­net neue Per­spek­ti­ven für eine indi­vi­dua­li­sier­te, tech­no­lo­gie­ge­stütz­te Ver­sor­gung. Die Bei­trä­ge unter­stri­chen zudem die zen­tra­le Rol­le der inter­dis­zi­pli­nä­ren Zusam­men­ar­beit, um Lebens­qua­li­tät und funk­tio­nel­le Auto­no­mie von Men­schen mit Ampu­ta­ti­on wei­ter zu verbessern.

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