Wenige Minuten vor der Eröffnung der DMEA, Europas größter Messe für digitale Gesundheit, stand ein analoges Werkzeug im Fokus der wartenden Besucherinnen und Besucher: Ein grün-schwarzer Steckschlüssel aus den Händen eines Technikers wurde gebraucht, um die Zugangsschranke wieder in Gang zu setzen. Es dauerte nur wenige Augenblicke, dann war der Weg wieder frei in das Herz der Berliner Messe, in der die DMEA auch 2025 wieder ihre Zelte aufgeschlagen hatte. Vor allem mit Blick auf die räumliche Nähe zu vielen entscheidenden Playern in der Bundespolitik, Verwaltung oder Organisationen, die hauptsächlich in der Hauptstadt ihre Basis haben, war dies ein erneut gelungener Schachzug.
Lauterbach benennt Megatrends
So eröffnete Prof. Karl Lauterbach als geschäftsführender Bundesgesundheitsminister die Messe. Es herrschte großer Andrang, den vielleicht bald ehemaligen Gesundheitsminister noch einmal live zu sehen und zu hören, welche Dinge er zur Digitalisierung des deutschen Gesundheitssystems zu sagen hat. Sicherheitsbeamte mussten die zahlreichen Besucherinnen und Besuchern, die noch in den Saal drängten, abweisen. Stattdessen versammelte man sich zum von Sportübertragungen bekannten „Rudelgucken“ vor den diversen Fernsehern, wie beispielsweise am Stand der Gematik, der nationalen Agentur für digitale Medizin. Was der Gesundheitsminister zu sagen hatte, bezog sich – wenig überraschend – vor allem auf die globalen „Megatrends“. „Da ist als erstes der Elefant im Raum: der Klimawandel“, so Lauterbach, der prognostizierte, dass der Kampf gegen den Klimawandel auch weitere wirtschaftliche Veränderungen nach sich ziehen werde. Außerdem nannte er den „am meisten unterschätze(n) Megatrend: den Fachkräftemangel“, sowie „Internationale Turbulenzen“, mit denen der SPD-Politiker vor allem die politischen Entwicklungen meinte. Am Ende seiner Aufzählung kam der Bundesgesundheitsminister auf die Digitalisierung zu sprechen, genauer gesagt auf die Künstliche Intelligenz. Insbesondere das Tempo, mit der die Entwicklung der KI ihre selbstgesteckten Meilensteine erfüllt oder sogar übertrifft, gelte es in der Betrachtung zu beachten.

Für das deutsche Gesundheitswesen identifizierte Lauterbach vier Herausforderungen. Erstens gebe es zu wenig Prävention, zweitens fehle – vor allem im Krankenhaus – die Spezialisierung, drittens sei das System zu stark ungesteuert und viertens sei die Digitalisierung noch zu wenig vorangeschritten. Die Digitalisierung hat laut Lauterbach eine „Sonderbedeutung“ bei den genannten Herausforderungen, da sie der Schlüssel sei, um die drei anderen zu lösen.
Mit dem E‑Rezept, dem digitalen Organspenderegister und der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) seien drei digitale Anwendungen schnell in der Regelversorgung angekommen. Als nächstes stünden die elektronische Patientenakte (ePA), der Ausbau der Telemedizin sowie die Nutzung von Patientendaten ganz oben auf der Agenda.
Zum Abschluss erklärte Lauterbach: „Die DMEA ist ein zentraler Bestandteil der digitalen Gesundheitswende. Sie bringt die Akteure zusammen, die die Digitalisierung in die Versorgung bringen – dort, wo sie wirkt. Projekte wie die elektronische Patientenakte, das E‑Rezept oder die Telemedizin zeigen: Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sondern der Schlüssel zu besserer Medizin, effizienteren Abläufen und mehr Patientensicherheit.“
Quo vadis eVerordnung?
Für die „sonstigen“ Leistungserbringer, zu denen auch OT-Betriebe und Sanitätshäuser gehören, ist ein entscheidender Schritt zur Digitalisierung noch nicht in Reichweite. Ab dem 1. Juli 2027 soll die Einführung der eVerordnung (eVO) nach dem Willen des Gesetzgebers verpflichtend sein. Bereits ab dem 1. Januar 2026 ist der Anschluss an die Telematikinfrastruktur ein Muss, dann können allerdings „nur“ Anwendungen wie der sichere E‑Mail-Service KIM (Kommunikation im Medizinwesen) benutzt werden. Auf der DMEA widmete sich bereits am ersten Tag eine Veranstaltung diesem Thema. Unter dem Titel „eVerordnung für sonstige Leistungserbringer – worauf warten wir noch?“ diskutierten Maria Parsch (Gematik), Klaus Rupp (Techniker Krankenkasse), Sandra Stange (Bundesverband private Anbieter sozialer Dienste) sowie Andreas Fischer (Opta Data) mit Moderator Martin Saß (BVITG). Das Fazit vorab: Eine Beschleunigung der Einführung der eVO war für die Teilnehmenden der Runde kein Thema. Vielmehr solle die noch verbleibende Zeit für ein Testen und Fehler-Machen genutzt werden, um beim bundesweiten Roll-out dann gut vorbereitet zu sein. Sandra Stange berichtete von Erfahrungen aus der Pflege. Ihr Plädoyer: Die Menschen, die später die eVerordnung umsetzen, müssen auch entsprechend geschult werden. Man müsse bedenken, so Stange, dass die Menschen keine IT-Experten seien und deshalb auf einem Niveau abgeholt werden müssten, welches ihnen erlaubt, die Prozesse auch umzusetzen. Als Beispiel nannte sie etwa die Beantragung des elektronischen Heilberufeausweises (eBHA). „Die wenigsten haben Lust, sich durch das nächste Antragsverfahren zu quälen, nur um hinterher damit eine analoge Karte – die SMC‑B – zu bekommen.“
In eine ähnliche Richtung ging auch die Forderung von Andreas Fischer in Richtung Politik. Er wünschte sich, dass nicht nur die Vorgabe gemacht wird, etwas umzusetzen, sondern auch die digitalen Kompetenzen der Anwender geschult werden. „Das kostet Zeit und Geld“, gab er zu bedenken und benannte damit zwei Hürden, die Betrieben die aktive Nutzung digitaler Angebote – wie der eVerordnung oder KIM – erschweren.
Technologisch fertig
„Aus meiner Sicht ist die Industrie technologisch fertig“, lautet das Fazit von Fischer auf die Frage nach dem Stand der Industrie bei der TI-Anbindung der sonstigen Leistungserbringer. Gleichzeitig warnt er jedoch vor zu großer Zuversicht: „Die größte Herausforderung ist, dass der Leistungserbringer eine große administrative Arbeit zu erledigen hat, um an die TI heranzukommen. Leider ist es so, dass das eGbr sagt: ‚Ihr als Dienstleister dürft das nicht im Auftrag für den Leistungserbringer machen‘, sonst würden wir die Kunden da gerne unterstützen.“
Eine Einführung der TI ist laut Stange nur möglich, wenn die Leistungserbringer einen klaren Mehrwert erkennen können, Pflicht allein wird nicht reichen, um die Digitalisierung an diesem Punkte voranzubringen. „Wir sagen den Betrieben immer: ‚Ihr habt eine realistische Chance, euer Faxgerät ein für alle Mal in die Ecke zu stellen und müsst nichts mehr per Post verschicken‘. Das sind doch die wahren Pain Points, die adressiert werden müssen“, so Stange.
Andreas Fischer brachte zudem die Möglichkeit ins Spiel, bei manchen Verordnungen den Arzt auszusparen, beziehungsweise bei Folgeversorgungen den Prozess zu verschlanken. Maria Parsch war diesem Vorschlag nicht ganz abgeneigt, brachte aber ihrerseits einen weiteren Aspekt in die Diskussion ein: den Wechsel vom reaktiven Umgang mit Krankheit und Verletzung hin zur Prävention – ermöglicht durch die sekundäre Nutzung von Daten.

Digitale Leistungsbestätigung
Ein echter Mehrwert – da war sich die Runde einig – wäre die digitale Leistungsbestätigung für Leistungserbringer. Bereits jetzt sind entsprechende Projekte im Bereich Heilmittel in Arbeit, wie Klaus Rupp bestätigte. Auch Andreas Fischer sprach sich dafür aus, die Leistungsbestätigung auf die Agenda zu setzen, um Digitalisierung noch attraktiver zu machen.
Patientendaten für die Forschung
Viele weitere spannende Vorträge beschäftigten sich mit dem Trendthema Künstliche Intelligenz (KI), etwa damit, wie die Gesundheitsversorgung 2070 aussehen könnte oder wie Patientendaten genutzt werden könnten. Gerade der Blick nach Skandinavien lohnt sich bei letzterem Thema. Dänemark, Schweden, Norwegen und Finnland haben ihre Gesundheitssysteme bereits digitalisiert und stellen die gesammelten Daten der Patientinnen und Patienten der Forschung zur Verfügung. „Wir haben eine hundertprozentige Abdeckung der Patientendaten – und auch die Sozialdaten im selben System“, sagt Jukka Lähesmaa vom Ministerium für Soziales und Gesundheit in Finnland. „Jeder im Gesundheitssystem kann auf diese Daten zugreifen. Für Forschung und Innovation kann man einen Antrag stellen und Zugriff auf sämtliche nationalen Datenregister bekommen, übrigens auch als Forscherin oder Forscher aus dem Ausland. Für mich, die ich selbst aus der Forschung komme, ist das wie ein Honigtopf.“
Norwegen nutzt seine nationalen Gesundheitsdatenregister für große Bevölkerungsstudien und auch für die strategische Ausrichtung, wie Jacob Holter Grundt vom norwegischen Direktorat für Gesundheit berichtet. Die Daten dienten dem Benchmarking, der Qualitätskontrolle und der Entscheidung über Prioritäten. Für die Patienten hingegen sei das Wichtigste die Einführung des elektronischen Rezepts und der elektronischen Patientenakte gewesen, in der zum Beispiel Allergien, Medikationspläne und kritische Diagnosen hinterlegt sind, auf die jeder im Gesundheitssystem zugreifen kann. Es geht um die Einstellung, mit der man auf diese Daten schaut und mit ihnen umgeht“, stimmte Maria Hassel von der schwedischen E‑Health-Agentur zu. In Schweden behielten die Patienten die Kontrolle über ihre Daten und könnten jederzeit entscheiden, wer Einsicht erhalten soll und wer nicht. Eine Behörde wache über den Datenschutz und stimme sich mit den Stakeholdern ab, so Hassel. „Wenn der Staat offen und ehrlich ist, teilen die Menschen auch ihre Daten.“
ePA für wirklich alle
Der Roll-out der elektronischen Patientenakte in Deutschland ist im Gange. Aktuell werden in den Modellregionen noch Herausforderungen der Einführung gemeistert. Mit diesen Erfahrungen und den passenden Lösungen im Gepäck soll eine bundesweite Einführung für alle Patientinnen und Patienten erfolgen. Ob Hilfsmittel-Leistungserbringer dann ebenfalls ihren Beitrag leisten dürfen und Lese- und Schreiberechte erhalten, ist aktuell noch unklar. Dr. Sibylle Steiner, Mitglied des Vorstands der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, sagte auf der DMEA, dass sich die Erfolge der ePA erst dann wirklich entfalten, wenn auch andere Leistungserbringer in die Telematikinfrastruktur eingebunden werden. Denn der nächste wichtige Schritt sei die Interaktion. Von einem „digitalen Leitzordner“ müsste sich die ePA zu einem Gefäß für strukturierte Daten entwickeln, hieß es im Rahmen der DMEA-Veranstaltung.
Neben den Veranstaltungen gab es für die Besucherinnen und Besucher auch sechs gut gefüllte Messehallen zu erkunden. Über 900 Aussteller zeigten bei der DMEA, welche Trends das Heute und Morgen der digitalen Gesundheit bestimmen. Die Produktpaletten reichten dabei von Software über Hardware bis hin zu Dienstleistungen. Besonders im Fokus stand das Thema Cybersicherheit – angesichts der hohen Bedeutung des Schutzes sensibler Gesundheitsdaten.
Besucherrekord
Große Zufriedenheit herrschte bei den Veranstaltern der DMEA, dem Bundesverband Gesundheits-IT (BVITG) und der Messe Berlin. Sicherlich auch deshalb, weil ein neuer Besucherrekord vermeldet werden konnte: 20.500 Besucherinnen und Besucher waren in die Hauptstadt gekommen, um sich über die wichtigsten Themen der digitalen Gesundheit zu informieren und auszutauschen. Melanie Wendling, BVITG-Geschäftsführerin, erklärte: „Auch in diesem Jahr haben sich die Teams des BVITG und der Messe Berlin wieder selbst übertroffen: Das Bühnendesign, das Rahmenprogramm, DMEA sparks und DMEA nova – es ist toll zu sehen, wie sich die DMEA jedes Jahr weiterentwickelt und wächst. Als Branchentreff ist die DMEA nicht mehr wegzudenken. Jetzt gilt es, die hier gezeigten Lösungen endlich in der Versorgung ankommen zu lassen.“
Auch Dr. Mario Tobias, CEO der Messe Berlin, betonte die Relevanz der DMEA als zentrale Innovationsplattform der Branche: „Die DMEA steht an der Seite einer engagierten Digital-Health-Community, die gemeinsam an herausragenden Lösungen für eine moderne und digitale Gesundheitsversorgung arbeitet. Wir freuen uns, dieser immer größer werdenden Gemeinschaft mit der DMEA in Berlin eine zentrale Plattform für Austausch, Vernetzung und Innovation bieten zu können.“ Die nächste DMEA wird vom 21. bis 23. April 2026 stattfinden.
Heiko Cordes
- 3 Tage
- 20.500 Besucher
- 900 Aussteller
- 30 Ländern
- 470 Speaker
- 200 Sessions
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