Bit­ter­sü­ße Orthopädie-Technik

Wie schmeckt die Orthopädie-Technik? Pia Engelbrecht, Redakteurin beim Verlag Orthopädie-Technik, ist dieser spannenden Frage nachgegangen – im Gespräch mit OTM und BIV-OT-Vorstandsmitglied Matthias Bauche.

Wenn der Kaf­fee am Mor­gen durch die Maschi­ne läuft, ist nicht nur die Freu­de auf den Wach­ma­cher groß, son­dern viel­leicht auch die auf die ein­tru­deln­den Kol­le­gen. Mit den war­men Tas­sen in den Hän­den und Gesprä­chen zwi­schen beruf­lich und pri­vat star­tet die Run­de in den Tag. Wäh­rend das Kof­fe­in lang­sam sei­nen Weg durch die Blut­bah­nen nimmt, geht es dann in die Werk­statt. Der Geschmack der bit­te­ren Boh­nen liegt noch auf der Zun­ge und eben­falls eine noch vage Idee, die spä­ter zün­den könn­te. Viel­leicht wis­sen die Kol­le­gen Rat? Gemein­sam könn­te die per­fek­te Lösung für die bis­lang nicht ganz aus­ge­reif­te Ver­sor­gung gefun­den werden.

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Gemein­sam in der Werk­statt ste­hen, Ideen aus­tau­schen, anpa­cken, Lösun­gen fin­den: Hand­werk ist Team­work. Zwi­schen Kol­le­gen und auch zwi­schen Tech­ni­kern und Pati­en­ten. Im Betrieb von Mat­thi­as Bau­che wird das wäh­rend und nach der Arbeit gelebt. Mor­gens gibt es eine Team­be­spre­chung. Wie ist die Stim­mung? Wie steht es um die Tages­pla­nung? Fra­gen, die es vor dem Start­schuss zu klä­ren gilt. Jeden Mitt­woch­nach­mit­tag wird gemein­sam im Gar­ten hin­ter der Fir­ma gegrillt. Ein offe­nes Ange­bot – wer kommt, der kommt; wer nicht kommt, der kommt nicht. Alle kön­nen sich bedie­nen, und wer möch­te, kann sei­nen Senf dazugeben.

Kocht ungern sein ­eigenes Süppchen: OTM Matthias Bauche. Foto: BIV-OT/Rausch
Kocht ungern sein ­eige­nes Süpp­chen: OTM Mat­thi­as Bau­che. Foto: BIV-OT/­Rausch

Viel­falt schmeckt

In einem Beruf, in dem mit hilfs­be­dürf­ti­gen Men­schen gear­bei­tet wird, ist Ein­füh­lungs­ver­mö­gen eine Vor­aus­set­zung. „Die Empa­thie, die wir unse­ren Pati­en­ten ent­ge­gen­brin­gen, die müs­sen wir eben­falls unse­ren Mit­ar­bei­tern ent­ge­gen­brin­gen. Das funk­tio­niert nicht, wenn man intern gegen­ein­an­der arbei­tet“, betont Bau­che. Sich als Team zu füh­len, kann posi­ti­ve Aus­wir­kun­gen auf die Leis­tung und Moti­va­ti­on haben. Und: „Man fin­det schnel­ler Lösungs­an­sät­ze, als wenn jeder sein eige­nes Süpp­chen kocht.“ Um Hür­den gar nicht erst ent­ste­hen zu las­sen, wird in sei­nem Betrieb von Tag eins an geduzt – von den Rei­ni­gungs­kräf­ten über die Aus­zu­bil­den­den bis hin zu den Meis­tern und der Geschäfts­füh­rung. Bar­rie­ren soll es auch nicht zu den Patient:innen geben. Reli­gi­on, Haut­far­be und Geschlecht spie­len kei­ne Rol­le. Statt­des­sen freut sich Bau­che über den Regen­bo­gen in sei­nem Betrieb – Viel­falt schmeckt.

Jedes ein­zel­ne Team­mit­glied ist wich­tig. In Sum­me machen sie den Betrieb zu dem, der er ist – ein per­fekt kom­bi­nier­tes Gericht. Beim Abschme­cken merk­te Bau­che aller­dings: etwas fehlt! Denn mit einer ent­schei­den­den Zutat konn­te er die ver­gan­ge­nen ein­ein­halb Jah­re nicht wür­zen: Nach­wuchs. „Unse­re Aus­zu­bil­den­den sind das ‚Salz in der Sup­pe‘. Das ist so erfri­schend“, freut er sich über die aktu­el­le Ver­stär­kung. „Die bei­den sind völ­lig unvor­ein­ge­nom­men, stel­len Fra­gen, auf die wir gar nicht gekom­men wären.“

Selbst auf den Geschmack gekom­men ist Mat­thi­as Bau­che 1972. In jenem Jahr begann er sei­ne Aus­bil­dung zum Ortho­pä­die­me­cha­ni­ker. Rück­bli­ckend betrach­tet er die Zeit als deut­lich ent­schleu­nig­ter. Alles, was gefer­tigt wur­de, habe deut­lich mehr Zeit in Anspruch genom­men, bzw. man habe sich das Mehr an Zeit neh­men kön­nen. Wäh­rend damals lang­sam und auf klei­ner Flam­me gekö­chelt wur­de, wer­de heu­te direkt auf die höchs­te Stu­fe gestellt. „Es muss alles rasend schnell gehen. Alles muss sofort sein“, stellt er immer wie­der fest und geht sogar noch einen Schritt wei­ter: „Zeit geht in vie­len Berei­chen vor Qua­li­tät.“ Ziel sei es bei­spiels­wei­se, die Pati­en­ten so schnell wie mög­lich aus den Kran­ken­häu­sern zu ent­las­sen. Die­se Devi­se brach­te laut Bau­che den Durch­bruch für die ortho­pä­die­tech­ni­sche Indus­trie. Fer­tig­pro­duk­te von der Stan­ge hät­ten in schnell­le­bi­gen Zei­ten wie die­sen mas­si­ven Erfolg.

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Wenig Aner­ken­nung für viel Leistung

Auf der mensch­li­chen Zun­ge befin­den sich Tau­sen­de von Geschmacks­knos­pen, die ver­schie­de­ne Geschmacks­rich­tun­gen erken­nen. Denkt Bau­che an die Ortho­pä­die-Tech­nik, wer­den zwei Berei­che gleich­zei­tig aktiv: süß und bit­ter. „Die­ser Beruf ist ein­fach klas­se“, schwärmt er und spielt damit auf die süße Kom­po­nen­te an. Hier ver­ei­nen sich Hand­werk und Kom­mu­ni­ka­ti­on, Prä­zi­si­on und Empa­thie. Er schätzt die Zusammen­arbeit mit der Ärz­te­schaft, den the­ra­peu­ti­schen- und Pfle­ge­kräf­ten sowie vor allem die mit den Pati­en­ten. „Wir betreu­en vie­le Kin­der bis ins Erwach­se­nen­al­ter und beglei­ten vie­le Erwach­se­ne bis ins hohe Alter.“ Zu erle­ben, dass die ­eigens gefer­tig­ten Hilfs­mit­tel Teil­ha­be ermög­li­chen und den Pati­en­ten Lebens­qua­li­tät zurück­ge­ben, sei das Befrie­di­gends­te an die­ser Arbeit und das, was den Beruf so süß mache. Doch zu oft blei­be die not­wen­di­ge Aner­ken­nung für die erbrach­ten Leis­tun­gen aus: „Das ist ein­fach bit­ter.“ Wäh­rend die Pati­en­ten enor­me Dank­bar­keit zeig­ten, wür­den die Kos­ten­zah­ler und Poli­tik dem OT-Hand­werk zum Teil wenig Wert­schät­zung ent­ge­gen­brin­gen. „Wir wol­len die Stun­den­ver­rech­nungs­sät­ze erhö­hen, aber das geht nur in Zusammen­arbeit mit den Kran­ken­kas­sen“, stellt Bau­che fest. Die­ser Beruf, in dem so viel geleis­tet wer­de, der tech­nisch hoch­qua­li­fi­zier­te Leu­te mit gleich­zei­tig viel Empa­thie benö­ti­ge und täg­lich zwi­schen ver­schie­de­nen Berei­chen wie Medi­zin und Pfle­ge agie­re, bekom­me aktu­ell einen Stun­den­ver­rech­nungs­satz ange­bo­ten, der im unters­ten Bereich im Hand­werk liegt – das stößt ihm sau­er auf. Die Ver­gü­tung sei gering, zu gering. Die Fol­ge: „Vie­le Mit­ar­bei­ter, die wir ger­ne gehal­ten hät­ten, ver­las­sen uns, und Aus­zu­bil­den­de, die wir ger­ne hät­ten, bewer­ben sich erst gar nicht.“ Die Ortho­­pä­die-Tech­nik wer­de oft als „Schäd­ling“ wahr­ge­nom­men, der Geld kos­tet. Doch die Rech­nung gehe am Ende nicht auf, denn: „Durch uns wird viel Geld gespart, da wir die Men­schen wie­der mobil machen.“ Dass kürz­lich die Prä­qua­li­fi­zie­rung für apo­the­ken­üb­li­che Hilfs­mit­tel weg­ge­fal­len ist, führt dem OTM aber­mals vor Augen, wie inten­siv die Bran­che um Aner­ken­nung kämp­fen muss – in die­sem Fall gegen eine gro­ße und lau­te Lob­by. Den rund 4.500 OT-Betrie­ben stün­den rund 17.300 Apo­the­ken in Deutsch­land (Stand Anfang 2024) gegen­über. „Wir müs­sen uns Gehör ver­schaf­fen“, erklärt Bau­che und fühlt sich dabei von der Poli­tik im Stich gelas­sen. Es kön­ne nicht erwar­tet wer­den, dass Kos­ten­trä­ger und Leis­tungs­er­brin­ger die Pro­ble­me unter sich lösen. „Es muss Ein­fluss genom­men wer­den, um Klar­heit zu schaf­fen“, for­dert er.

Mehr Klar­heit wünscht sich der OTM auch an ande­rer Stel­le. Gin­ge es nach ihm, wür­den die Ver­hand­lun­gen über die Ver­gü­tungs­struk­tu­ren in der Bran­che mit dem Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter geführt. Das wür­de den Pro­zess deut­lich ver­ein­fa­chen. Es sei der „hel­le Wahn­sinn“, dass aktu­ell mit jeder Kran­ken­kas­se Ver­trä­ge gemacht wer­den müs­sen, wobei mit unter­schied­li­chen Prei­sen und Papie­ren han­tiert wer­de – und das für ein und das­sel­be Hilfs­mit­tel. „Die Büro­kra­tie ist der Bitterstoff.“

Wenn Aner­ken­nung das Ziel ist, dann braucht es auf dem Weg dort­hin vor allem eins: Bekannt­heit. Dass die fehlt, stellt Bau­che immer wie­der bei den Frei­spre­chungs­fei­ern der Innung für Ortho­pä­die-Tech­nik Nord fest. Einem Groß­teil der Ange­hö­ri­gen sei der Beruf „Ortho­pä­die­tech­ni­ker“ vor der Aus­bil­dung ihrer Kin­der kein Begriff gewe­sen. Wie kann es also gelin­gen, mehr Auf­merk­sam­keit zu gene­rie­ren? Bau­che wünscht sich, dass der Beruf mehr Ein­zug in die Medi­en erhält. „Wie vie­le Kri­mi­nal­fil­me hat es schon mit Apo­the­kern und Medi­zi­nern gege­ben? Und wie vie­le mit Ortho­pä­die­tech­ni­kern?“, fragt er eher rhe­to­risch und stellt damit eine Mög­lich­keit in den Raum. Ortho­pä­die­tech­ni­ker als Kri­mi­nel­le oder Opfer? Viel­leicht ist die Rol­le erst ein­mal unwich­tig – Haupt­sa­che, die Zuschau­er kom­men auf den Geschmack.

Pia Engel­brecht

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