Früher war das klassische Sanitätshaus eine Art Mischung aus Medizinprodukte-Fachhandel und Handwerksbetrieb. Der erste Eindruck war oft nicht besonders einladend. Die Stimmung war gedämpft, es herrschten gedeckte Farben vor und über allem schwebte ein Hauch von Krankenhausatmosphäre. Man betrat einen Raum, der mit Regalen voller orthopädischer Schuhe, Stützstrümpfe und Gehhilfen ausgestattet war – Produkte, die vor allem durch ihre Funktionalität auffielen, weniger durch ein modernes Design. In den hinteren Bereichen befanden sich oft Werkstätten, in denen Prothesen und Orthesen per Hand gefertigt und angepasst wurden. Die Beratung erfolgte meist diskret an einem kleinen Tresen, wobei der Fokus stark auf dem medizinischen Nutzen der Produkte lag. Auch die Orthopädietechniker:innen versorgten mit großer Vorliebe in einem weißen Kittel.
Heute hat sich das Bild eines Sanitätshauses deutlich gewandelt. In vielen modernen Sanitätshäusern spürt man schon beim Eintreten eine klarere, hellere und einladendere Atmosphäre im Gegensatz zu früher. Die Präsentation der Produkte ist offener, häufig erinnern die Ausstellungsräume eher an moderne Boutiquen. Orthopädische Hilfsmittel wie Einlagen oder Prothesen sind mittlerweile nicht nur funktional, sondern auch ästhetisch ansprechend gestaltet – sie vermitteln nicht mehr nur das Gefühl von Notwendigkeit, sondern auch von Lebensqualität und Lifestyle. 3D-Drucker, digitale Fußscanner und andere moderne Technologien gehören fest zum Alltag und ermöglichen individualisierte Produkte in kürzerer Zeit.
Auch der Beratungstresen ist heute eher eine offene Beratungszone, in der es vor allem um eine vertrauensvolle, persönliche Ansprache geht. Die Kund:innen rücken mehr in den Mittelpunkt, das Angebot reicht von Reha-Technik über Kompressionsstrümpfe bis hin zu Lifestyle-Produkten für Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Sanitätshäuser sind inzwischen Orte, die nicht nur Versorgungsansprüche erfüllen, sondern auch Gesundheit, Wohlbefinden und moderne Technik in Einklang bringen. Die Personen vor Ort vermitteln einen dynamischeren Eindruck. Statt Mediziner:innen und deren weiße Kittel zu imitieren, ist die moderne Arbeitskleidung mit Poloshirt und Arbeitshose eher „handwerklich“. Das unterstreicht den Stolz auf die eigene Arbeit und vor allem, dass man seine Rolle im Versorgungsprozess gefunden hat.
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Die Entwicklung im Sanitätshaus geht weiter. Durchsichtige Kabinen, die auf Knopfdruck unsichtbar werden, holen moderne Geräte in den Mittelpunkt und wecken das Interesse auf Kundenseite. Zudem haben sich auch die Hilfsmittel verändert. Statt Holz und hautfarbener Kosmetik wird beispielsweise die eigene Prothese nach individuellem Geschmack gestaltet. Kinder können Logos von Superhelden ebenso wie Erwachsene das Wunschtattoo auf der Prothese verewigen. Auch in der Kompressionsversorgung gilt: Farbe, Farbe, Farbe. Das Selbstbewusstsein der Menschen, mit der eigenen Versorgung offen umzugehen und diese vor allem sichtbar zu machen, ist gerade in den vergangenen Jahren enorm gestiegen. Influencer:innen, wie etwa Caroline Sprott, stehen für eine moderne Generation von Patient:innen, die ihre Versorgung zeigen, auch um anderen Mut zu machen und Stigmatisierungen abzubauen. Wie die Orthopädie-Technik aussieht, das ist stets eine Momentaufnahme. Neue Versorgungsmöglichkeiten eröffnen neue Gestaltungsmöglichkeiten, Trends in der Ladenbau-Gestaltung verändern die Verkaufsräume. Die Orthopädie-Technik zeigt jeder Generation ein anderes Gesicht, und die Menschen im Fach sorgen dafür, wie die Gesichtszüge ausgeprägt werden.
Heiko Cordes
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